Sonntag, 10. Dezember 2017

Gott macht keine halben Sachen

Predigt zu Jesaja 35,3-10
2.Advent 2017 - Tag der Menschenrechte 

Der Gottesdienst wurde gemeinsam mit der Gruppe Amnesty Pforzheim und mit dem "Konfi-Club an der Stadtkirche" (= konfirmierte Jugendliche) gestaltet. Die Jugendlichen haben ein Gespräch zwischen 2 Engeln dargestellt, die sich über die Herkunft ihrer Engelsgewänder für Weihnachten unterhalten.*

I.
Maria muss aufpassen.
Eigentlich sollte sie sich freuen,
aber im Moment hat sie große Sorgen.
Noch darf niemand etwas wissen von dem Kind in ihrem Bauch.
Die Leute würden es nicht verstehen,
Naja, es ist unklar, wer der Vater ist.
Eine Schande ist das - das werden sie sagen.
Und das will sie nicht hören.

Aber auch sonst wird sie es geheim halten, solange es geht.
Denn wenn rauskommt, dass Maria schwanger ist,
Dann verliert sie sofort ihren Job –
in der Nähfabrik.
Normalerweise arbeitet sie dort zehneinhalb Stunden am Tag,
6 Tage die Woche, plus Überstunden.
Ob sie das überhaupt durchsteht im Laufe der Schwangerschaft?
Aber wer zu schwach für den Job ist, fliegt raus.
Ganz einfach.
Draußen warten schon hundert andere darauf, ihre Stelle einzunehmen.

Und das, obwohl es echt hart ist, dort zu arbeiten.
Während der Arbeit darf sie nicht mit Kolleginnen zu sprechen.
Sie sollen sich nicht gegenseitig ablenken.
Wenn man mal ehrlich ist, dann ist in der Fabrik eigentlich alles verboten.
Nicht einmal ein Bonbon dürfen die Frauen lutschen.
Und wer auf Toilette muss, braucht eine Erlaubnis.

Sie braucht den Job, besser den als keinen.
Sie braucht das Geld.
Aber die Chefs kümmert das nicht.
Sie werfen eine raus, wann immer sie wollen.
Wer krank wird oder aufmüpfig ist, muss sofort gehen.
Sonst wird die monatliche Quote nicht erreicht und der Profit nicht hoch genug.
Die großen Firmen aus Europa machen Druck.
Da bleibt keine Zeit für Gefühlsduseleien.
Nicht auszudenken,
wenn sie herausbekommen, dass Maria schwanger ist...

II.

(Jesaja 35,3-4:)
Stärkt die müden Hände
und macht fest die wankenden Knie!
Sagt den verzagten Herzen:
»Seid getrost, fürchtet euch nicht!
Seht, da ist euer Gott!
Er kommt zur Rache;
Gott, der da vergilt, kommt 

und wird euch helfen.«

III.
Hörst du das, Maria?
Du, Näherin in Bangladesch und in Kambodscha,
du Kind in den Minen von Kongo,
Hörst du das?
Stärkt die müden Hände!
Seht da ist euer Gott!
Er wird dir helfen.
Er tritt für dich ein, Maria,
und kämpft um deine Rechte.

Maria, du fragst vielleicht:
wo hilft er mir? Und wie?
Wie das Volk Israel damals erwartest du nicht mehr viel von Gott.
Wo ist denn dieser Gott? Ich sehe ihn nicht, sagst du.

Doch, Maria, er kommt.
Er ist schon zu sehen.
Er zeigt sich: im Kleinen, im Wenigen.
Und doch so wichtig und viel wirkungsvoller als wir denken.

Ja, er schreibt Briefe an deine Regierung
und nervt sie mit seinen Forderungen.
Und macht öffentlich, was mit dir passiert
und unter welchen Bedingungen du arbeiten musst.
Er sammelt Unterschriften
und er geht zu den Unternehmen.
Und er redet und redet
und tut alles dafür, dass wir hier umdenken.
Wir, die wir so reich sind
und 1 oder 2 € mehr für ein T-Shirt ausgeben können,
damit du wirklich was davon hast.

Ja, ich weiß, Maria,
das alles schafft nicht gleich den Himmel auf Erden.
Aber ich will mich anstecken lassen von diesem Gott.
Ich weiß, dass das, was ist, nicht alles sein kann.
Da ist mehr und es kommt mehr.
Eine andere Welt.
Eine gerechtere und eine liebevollere Welt.
Ja, dafür steht dieser Gott.
Und darum steht er zu dir, Maria,
und zu den anderen Näherinnen auch.

IV.
(Jesaja 35,5-7:)
Dann werden die Augen der Blinden aufgetan
und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch,
und die Zunge des Stummen wird frohlocken.
Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen
und Ströme im dürren Lande.
Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen,
und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein.
Wo zuvor die Schakale gelegen haben, 

soll Gras und Rohr und Schilf stehen.

V.
Gott macht keine halben Sachen.
Die Menschenwürde ist heilig.
Die Näherinnen bekommen so viel Geld für ihre Arbeit,
dass sie sich gesund ernähren können
und ihre Kinder in die Schule schicken können.
Niemand wird mehr sexuell belästigt.
Die Gefangenen der Terrorregime kommen frei
und es gibt keine Terrorregime mehr.
Gott macht keine halben Sachen.
Menschenrechte gibt es nicht im Sparangebot.
Oder nur scheibchenweise.
Sie gelten ganz.
Oder gar nicht.
Machen wir da mit?

VI.
(Jesaja 35,8:)
Und es wird dort eine Bahn sein
und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird.
Kein Unreiner darf ihn betreten;
nur sie werden auf ihm gehen;
auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren.


VII.
Shawkat hat in seiner Heimat Syrien Wirtschaftswissenschaften studiert.
Nur ein Semester fehlte noch - damals vor 2 Jahren.
Doch er erfuhr, dass sie ihn dann ins Militär einziehen würden.
Er flieht. Mit geliehenem Geld.
Und ohne seine Frau,
die war schwanger und konnte deshalb nicht mit.
Nun ist er hier.
Und kann seinen eigenen Sohn nicht aufwachsen sehen.
„In Deutschland klappt das mit dem Familiennachzug besser, als in anderen Ländern“,
hat man ihm damals gesagt.
Doch jetzt?
„Ich habe Pech gehabt“, sagt er.
Der Grund:
Im März 2016 wurde ein neues Asylpaket eingeführt
und seitdem dürfen Syrer ihre Familien nicht nachholen,
auch wenn sie selber hier bleiben dürfen.
Bis nächstes Jahr im März gilt das so.
Wann Shawkat seine Familie wiedersehen kann das weiß er nicht –
doch er hofft.

VIII.
(Jesaja 35,8-10:)
Und es wird dort eine Bahn sein
und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird.
Kein Unreiner darf ihn betreten;
nur sie werden auf ihm gehen;
auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren.
Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen;
sie sind dort nicht zu finden,
sondern die Erlösten werden dort gehen.
Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen
und nach Zion kommen mit Jauchzen;
ewige Freude wird über ihrem Haupte sein;
Freude und Wonne werden sie ergreifen,
und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.


IX.
Stärkt die müden Hände.
Seht, da ist euer Gott.
Stärkt die müden Hände von Shawkat.
Macht den Weg frei für seine Familie.
Denn es ist unrecht, dass sie hier nicht zusammen kommen können.
Hört auf damit, Flüchtlinge nach Afghanistan abzuschieben.
Macht Schluss mit euren Überlegungen, auch nach Syrien abzuschieben.
Sondern gebt den Fliehenden endlich ein sicheres Zuhause.
Sorgt dafür, dass die Näherinnen in Bangladesch endlich von ihrer Arbeit leben können.
Gebt den Minenkindern im Kongo eine gute Schulbildung.
Dann müssen sie auch nicht fliehen -
die Näherinnen nicht und die Kinder auch nicht..
Fragt in den Läden nach fairer Kleidung und fairen Smartphones.
Holt die politischen Gefangenen aus ihren Gefängnissen
in der Türkei und in Kambodscha.

Das geht nicht, sagt ihr?
Das, was ist, ist nicht alles.
Da ist mehr.
Da ist Gott.
Der kommt und macht keine halben Sachen.
Lässt Wasser in der Wüste sprudeln.
Obwohl das doch nicht geht.
Eigentlich.
Und Blinde sehen,
Lahme springen,
Stumme brechen ihr Schweigen.  
Seht auf und erhebt eure Häupter. (Lukas 21,28)
Fangt schon mal an mit der anderen Welt.
Denn Gott kommt.

Amen.

* Die Idee mit dem Gespräch zwischen den Engeln sowie der Einstieg in meine Predigt wurde einem Materialheft von amnesty entnommen: "Menschenrechte in der Wirtschaft" von 2013

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