Sonntag, 12. August 2018

Wirf die Gnade nicht weg!

Predigt zu Galater 2,16-21

(mit Dank an Birgit Mattausch, Esther Philipps, Michael Greßler und Sebastian Wolfrum für Anregungen und Korrekturen)

I.
Petrus: Fischer von Beruf,
aus dem Norden, Galiläer,
was kann da Gutes herkommen?
Keine Schulbildung. Netze knüpfen, das hat er gelernt,
Und: die Angst aushalten,
wenn draußen auf dem tückischen See die Wellen über einen zusammen schlagen.
Ohne Jesus wäre er nie von dort weg gekommen.
Mit ihm hat er eine andere Welt gesehen.
Und Jesus hat Leidenschaft in ihm geweckt.
So muss man den Glauben an Gott leben. So wie Jesus das getan hat.
Und er stellt sich in den Jerusalemer Tempel und redet in den Synagogen.
Von diesem Jesus:
Der nimmt den Gescheiterten an
und liebt und beauftragt selbst Menschen wie ihn.
Gnade pur.

Paulus der Studierte.
Aus der Oberschicht.
Im Ausland aufgewachsen.
Jude und Römer.
Schon immer einer zwischen den Welten.
Belesen, vertraut mit den Philosophen seiner Zeit.
Jude mit leidenschaftlichem Herz.
So leidenschaftlich, dass er bereit war, Menschen sterben zu lassen.
Bis sich Jesus ihm in den Weg gestellt hatte,
damals, vor Damaskus.
Als er nichts mehr sehen konnte und ihm endlich die Augen aufgingen.
Die Leidenschaft blieb.
Und so geht er in die Welt.
Predigt auch denen, die nicht zum Volk Gottes gehören.
Erzählt von einem Gott, der dich mit liebenden Augen ansieht.
Und diesem Gott musst du nichts beweisen.
Gnade pur.

II.

Gnadenlos
haben sie, Petrus und Paulus,
vor ein paar Wochen beim Treffen aller Apostel gestritten.
Dass alle an Christus glauben, darauf konnten sie sich noch einigen.
Und ja, die Neuen, die Heidenchristen, gehören genauso zur christlichen Gemeinde
wie die, die von Anfang an dabei waren, die Judenchristen.
Ob sie nun schon immer dabei waren und zum Volk Israel gehören
oder ob sie neu dazu gekommen sind, weil sie keine Juden waren -
in der Gemeinde sind sie alle eins. Und alle gleichwertig.

Doch was auf dem Papier so gut aussieht, ist in der Praxis schwierig:
Beide Gruppen folgen Jesus nach.
Aber ist es für die Judenchristen zumutbar, mit den Neuen Abendmahl zu feiern,
obwohl diese sich nicht an die Regeln halten, die für sie lebenswichtig sind?

Petrus bekommt nun Muffensausen.
Er will die besonders Frommen und Wichtigen, die schon immer Da-Gewesenen nicht verärgern
und darum kommt es zum Skandal:
Er feiert plötzlich nicht mehr mit den Neuen.
Einfach so gehört man eben doch nicht zu Gott.

Paulus ist sauer.
Und sagt: Wirf die Gnade nicht weg.
Du, Petrus, baust Schranken auf, die für Gott nicht gelten.
Gott hat alle Schranken, die wir Menschen brauchen, abmontiert.
Da braucht es nichts mehr, was uns aufhält und abhält von einander.
Und von ihm.
Und das gilt für Neue und Die-schon-immer-dabei-gewesenen gleichermaßen.

III.
Im Brief an die Gemeinde in Galatien schreibt Paulus*:

Wir wissen: Kein Mensch gilt vor Gott als gerecht, weil er das Gesetz befolgt.
Als gerecht gilt man nur, wenn man an Jesus Christus glaubt.
Deshalb kamen auch wir zum Glauben an Jesus Christus.
Denn durch diesen Glauben an Christus werden wir vor Gott als gerecht gelten –
und nicht, weil wir tun, was das Gesetz vorschreibt.
Schließlich spricht Gott keinen Menschen von seiner Schuld frei,
weil er das Gesetz befolgt.

Nun wollen wir ja durch Christus vor Gott als gerecht gelten.
Wenn sich nun aber zeigt, dass wir trotzdem mit Schuld beladen sind –
was bedeutet das dann?
Etwa, dass Christus die Schuld auch noch fördert?
Auf gar keinen Fall!
Wenn ich nämlich das Gesetz wieder einführe, das ich vorher abgeschafft habe,
dann heißt das:
Ich selbst stelle mich als jemand hin, der es übertritt.
Das Gesetz hat mir den Tod gebracht.
Deshalb gelte ich für das Gesetz als gestorben, damit ich für Gott leben kann.

Mit Christus zusammen wurde ich gekreuzigt.
Deshalb lebe ich nicht mehr selbst – sondern Christus lebt in mir.
Mein jetziges Leben in diesem Körper lebe ich im Glauben an den Sohn Gottes.
Er hat mir seine Liebe geschenkt und sein Leben für mich hergegeben.
Ich werfe die Gnade Gottes nicht weg.
Denn wenn wir durch das Gesetz vor Gott als gerecht gelten,
dann ist Christus ohne Grund gestorben.


Instrumental: Amazing grace - bis „like me“

IV.
Wirf die Gnade nicht weg. 
Schau dich mit den Augen Gottes an. Es sind Augen der Liebe.
Petrus hat das vergessen.
Oder nicht mehr gespürt.
Aber auch du hast das verlernt, oder?

Sie ernährt sich gesund und trainiert ihre Bauchmuskeln für die Bikinifigur.
Und doch traut sie sich nicht ins Schwimmbad, weil sie sich für ihre Figur schämt.
Und sie will „normal“ sein - so wie die anderen alle.
Und doch merkt sie, dass sie auf Mädchen steht.
Sie traut sich nicht, offen zu sein.
Die anderen könnten blöde Sprüche klopfen. Und Schlimmeres.
Und sagt nicht auch die Bibel, dass das falsch ist?
Darf sie so sein?

Er sieht die Bilder von den Flüchtlingen in den libyschen Lagern.
Ihre Augen lassen ihn nicht los.
Und er erträgt es kaum, dass er so wenig tun kann.
Dass die NGOs nicht mehr aufs Meer fahren dürfen, um die Flüchtlinge zu retten.
Und selbst seine Regierung will diese Ärmsten der Armen ihrem Schicksal überlassen.
So scheint es ihm.
Und dann noch die Sprüche derer, die ständig rufen „Wir sind das Volk“.
Ist es so?
Gehört er nicht mehr zu diesem Volk,
weil er den Fliehenden ein Dach über dem Kopf geben will
und weil er sein Land für reich und stabil genug hält, es doch zu tun?
Und ja, er wird immer kleiner und mutloser.

V.
Wirf die Gnade nicht weg.
Schau dich mit den Augen Gottes an.

Dieser Gott sieht diese Frau mit dem Salböl (Lukas 7,36-50).
Alle verachten sie.
Keine will so sein wie sie mit ihrem Lebenswandel.
Man zerreißt sich das Maul über sie.
Aber Gott sieht:
Diese Frau ist eine Suchende und Fragende
und sie will ein anderes Leben führen,
doch weiß noch nicht, wie.
Aber sie weiß, dass sie voller Liebe ist
und sie brauchte jemanden, der sie liebt.

Gott sieht, dass Petrus nicht nur der Feigling ist,
der die neuen Christen versetzt, weil er mit ihnen kein Abendmahl feiern will.
Er sieht die Sorge von Petrus, dass die Gemeinde auseinanderbrechen könnte.
Und er sieht in ihm den Menschenfischer.
Und dieser Menschenfischer steht immer wieder neu auf.

Wirf die Gnade nicht weg.
Gott hat sich in dich verliebt von Anbeginn an.
Du gehörst zu ihm, egal was du tust.
Und wirf nicht weg, dass er dir viel mehr zutraut als du dir selbst.
Vielleicht ist das was ganz anderes, als du denkst.

Instrumental: Amazing grace - ganz

VI.
Gottes Gnade lebt in dir.
Selbst dann, wenn du dich für was Besseres hältst oder für besonders fromm.
Er riskiert dabei sehr viel. Sein ganzes Leben. Seine ganze Liebe.
Er hat selbst die Schranke abgebaut, damit du ganz zu ihm gehörst.
Und vielleicht denkst du: dir fehlt diese Schranke.
Sie hat dir Halt gegeben. Nun ist sie nicht mehr da.
Und du schaust anders auf dich. Und das macht dir manchmal Angst.
Aber Gott schaut dich liebevoll an.
Und traut dir zu, dass du die Welt mit seinen Augen sehen wirst.


Wirf die Gnade nicht weg.
Sie wohnt in dir. Lebt in dir.
Gott ist so verliebt in dich, dass er dich ganz ausfüllt.

Und dann fragst du nicht mehr, ob du schön genug bist.
Du bist schön. Und das darfst du zeigen.
Und wenn du dein Spiegelbild nicht magst, lächelt er dir zu.

Du bist feige und mutlos?
Gottes Gnade lebt in dir!

Du bist verzweifelt und denkst: Ich bin eine Versagerin?
Gottes Gnade lebt in dir!

Und dann stehst du auf und tust dich mit anderen zusammen.
Du betest und singst und protestierst und lädst ein.
Das, wozu du gerade die Kraft hast, das tust du.
Weil Gott es dir zutraut.

Gnade pur..
Gottes verliebte Augen.
Sie schauen dich an.
Und du lächelst zurück.

Amen

*Michael Greßler hat übrigens diesen sehr schweren Text von Paulus "übersetzt". Das gebe ich gerne hier wieder:
16
Wir haben etwas gemerkt:
Wir tun viel. Wir geben uns Mühe. Wir wollen gut sein.
Aber vor Gott stehen wir deshalb noch lange nicht gut da.
Darum haben wir angefangen, an Jesus zu glauben.

Wir haben gemerkt:
Wer an Jesus glaubt, steht vor Gott gut da.
Das genügt.
Gutes tun ist wichtig.
Aber das bringt uns nicht ins Reine mit Gott.

17
So versuchen wir, bei Jesus Christus zu stehen,
damit wir vor Gott gut dastehen.

Trotzdem machen wir viel falsch.
Wir verlassen uns aber darauf,
daß Jesus es für uns gut macht.
Er nimmt uns mit zu Gott.
Auch, wenn wir Sünde tun.

Aber ist dann Jesus vielleicht selbst ein Diener der Sünde?
Niemals!

18
Wir wollen nicht mehr alles allein schaffen.
Wir wollen uns auf Jesus verlassen.
Er stellt uns gut vor Gott hin.

Wir haben es aufgegeben:
Wir wollen nicht mehr ohne Jesus zu Gott gehen.
Wenn wir das wieder versuchen,
dann wir alles wie früher.
Wir sind ja nur Menschen und schaffen es nicht allein.

19
Ich habe gemerkt:
Jesus hat schon alles gemacht.
Meine Schuld ist mit Jesus am Kreuz gestorben.
Jetzt kann ich für Gott leben.

20
Ich lebe!
Und das kann ich, weil Christus in mir lebt.
Ich lebe!
Und jeder Tag auf dieser Welt kann gut sein
Denn ich glaube ich an den Sohn Gottes.
Der hat mich schon immer geliebt
und gibt alles für mich.
Sogar sein Leben.

21
Darum muß ich nichts mehr alleine schaffen.
Ich kann mich mühen.
Und ich werde schuldig.
Aber darauf kommt es nicht an.
Es kommt auf Jesus an.
Er hat alles für mich gemacht.
Nichts davon war umsonst.
Da spüre ich Gottes Gnade.
Und die werfe ich nicht weg.