Dienstag, 25. Dezember 2018

Im Anfang bist du

Predigt zu Johannes 1, 1-5.9-14

Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort.
Dasselbe war im Anfang bei Gott.
Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht,
und ohne dasselbe ist nichts gemacht,
was gemacht ist.
In ihm war das Leben,
und das Leben war das Licht der Menschen.
Und das Licht scheint in der Finsternis,
und die Finsternis hat's nicht ergriffen.

Das war das wahre Licht,
das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen.
Es war in der Welt,
und die Welt ist durch dasselbe gemacht;
und die Welt erkannte es nicht.
Er kam in sein Eigentum;
und die Seinen nahmen ihn nicht auf.

Wie viele ihn aber aufnahmen,
denen gab er Macht, Gottes Kinder zu werden:
denen, die an seinen Namen glauben,
die nicht aus menschlichem Geblüt
noch aus dem Willen des Fleisches
noch aus dem Willen eines Mannes,
sondern aus Gott geboren sind.
Und das Wort ward Fleisch
und wohnte unter uns,
und wir sahen seine Herrlichkeit,
eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater,
voller Gnade und Wahrheit.


I.
Am Anfang.
Am Anfang ist die Luft klar.
Sie riecht nach Regen.
Und nach Erde.
Am Anfang ist der Himmel so dunkelblau,
dass man den Morgenstern noch sieht.
Am Rand aber ist er hellblau und gold.
Und dann kommt die Sonne an.
Ein riesengroßer flacher Ball. 
Und siehe, es ist sehr gut.

Die Schöpfung weiß, was am Anfang zu tun ist.
Sie kennt die Regeln.
Wenn es Tag wird.
Wenn ein Same aufgeht.
Und der Regen die Luft sauber gewaschen hat.
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Und Regen und Tag und Nacht und Sonne und das Licht.
Der Anfang ist ein Raum
und in dem ist alles da und doch noch im Werden.
So vieles, was entstehen kann.
So vieles, das vergehen wird.
Im Anfang ist beides da:
Werden und Vergehen,
Beginn und Ende.
A und O.

II.
Am Anfang.
Am Anfang ist das Licht mild.
Die Welt sieht anders aus in diesem Licht.
Du siehst das Gute. Das Schöne.
Das Versöhnliche auch.
Du siehst das, was du sonst übersiehst.

Den kleinen Tropfen auf der Fensterscheibe
in Regenbogenfarben.
Die Christrose zwischen Laub.
Den Herrnhuter Stern im Türeingang.
Du siehst, wie schön die Falten deiner alten Nachbarin sind.
Sie haben so viel zu erzählen.
Du siehst die kleine Hand deines Enkelkindes,
die einen Regenwurm streichelt.
Und du siehst vielleicht,
wie jemand frierend an der Bushaltestelle wartet.
Und nimmst ihn in deinem Auto mit. (1)
Am Anfang sind deine Augen klarer als sonst.
Und du siehst,
dass du nicht alles auf Anfang setzen kannst,
aber dass du ein Teil davon bist.
Mittendrin im Anfang.

III.
Am Anfang.
Am Anfang ist die Liebe.
Und diese Liebe ist leicht und unbeschwert.

In diesem einen Moment am Anfang -
da zählt nicht, was die anderen sagen.
Nur die zarte Berührung.
Die Sehnsucht und der Blick in die strahlenden Augen.
Am Anfang ist eine Strähne, die ins Gesicht fällt.
Und ein pochendes Herz.
Pures Verstehen ohne Erklären.
Ganzsein. Ganz und gar.
Ein Fleisch werden.

Ja, die Liebe wird Fleisch.
Wird Berührung und Herzschlagen und Wortestammeln.
Gott fängt mit jeder Liebe neu an.
Und wird Fleisch in jeder Liebe.
Die Liebe ist der Raum des Anfangs.
Die Verheißung, dass alles gut ist.
Weil Gott es gut gemacht hat.
Alles ergibt einen Sinn.
Alles fügt sich zusammen in diesem Raum der Liebe.
Im Anfang.

IV.
Am Anfang war das Wort.
Der Anfang ist unschuldig.
Wie Papier.
Weiß und unbeschrieben.
Worte werden noch geboren.
Und du weißt am Anfang noch nicht:
Sind sie müde oder voller Kraft?
Trösten oder erschrecken sie dich?
Hinter allen Worten ist das eine Wort.
Es kommt noch nicht auf deine Lippen.
Denn du ahnst nur, dass es da ist.
Deine Sehnsucht nach dem Woher und Wohin.
Deine Liebe.
Dein Leben.
Alles ist darin, in diesem Wort.

Am Anfang ist das eine Wort bei Gott.
Der Sinn allen Lebens - verborgen in dem Einen.
Nicht zu greifen.
Das Wort, das Eine, es kommt zur Welt. 
In einem Stall.
Dort, wo es nach Tierdung riecht und das Stroh piekst.
Wo die Welt zusammenschrumpft auf einen Moment
und einen Ort.
Der ist nichts Besonderes - und doch alles.
Eigentlich gibt es dafür keine Worte:
für dieses Große, was uns hält,
und für das Schöne, was uns umschließt.
Unsere Worte sind zu klein dafür.
Zu klein für Gott.
Zu klein für das Leben.
Zu klein für das Wunder.

V.
Der Anfang ist unschuldig.
Und ja,
alles auf Anfang stellen: das würde ich gern.
Keine Worte suchen müssen.
Keine Trennung spüren.
Eins sein.
Was am Anfang so leicht ist,
wird im Weitergehen so schwer.
Liebe lässt sich nicht halten.
Gott auch nicht.
Und Gott wird zu groß für mich.

Ich spüre wie verletzlich ich bin.
In diesen Tagen vielleicht ganz besonders.
Weil Weihnachten die Haut dünner ist als sonst.
Ein Streit tut heute besonders weh.
Alleinsein ist kaum auszuhalten.
Und auch nicht die Sehnsucht nach mildem Licht und erster Liebe.
Ich bin nicht mehr am Anfang.
Ich bin weitergegangen.
Und suche meine Schritte durchs Leben.
Nicht nur meine Worte sind zu klein.
Auch ich bin zu wenig.
Zu unscheinbar.
Zu unbedeutend.

Ja, ich möchte alles auf Anfang stellen.
Möchte selbst neu anfangen können.
Mit Gott Anfängerin sein.
Ob das nicht doch geht?
Das das Wort auch in mir Fleisch wird und anfängt?

V.
Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort.
Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns,
und wir sahen seine Herrlichkeit.


Am Anfang.
Am Anfang ist dieses Kind.
Fleischgewordenes Wort.
Leben pur.
Lebendiges Bündel.
Suchender Mund.
Geschlossene Augen.
Ausgeliefert und bedingungslos.
Noch ganz verschleimt.
Und mit pulsierender Nabelschnur.
Es ist da.
In diesem Anfang ist es ganz da.
Für dich. Und für mich.
Und für alle, die hier sind.
Oder zuhause. Oder weit weit weg.

Im Anfang ist dieses Kind
und es kann dir nichts tun, außer dein Herz zu stehlen.
Dieses Kind -
entstanden aus der Liebe von zwei Menschen.
Aus Gott.
Aus Leidenschaft und Hingabe.

Im Anfang ist dieses Kind.
Die Liebe zwischen Gott und Mensch.
Dieses Kind setzt alles auf Anfang.
Alles ist neu. Alles beginnt neu.
Und neu ist nicht perfekt.
Sondern verschleimt und zerknittert.
Ausgeliefert und bedingungslos.
Suchend und geborgen zugleich.

VI.
Du kannst nicht alles auf Anfang stellen.
Aber das Kind tut es.
Gott tut es.
Gott weiß, was zu tun ist mit deinen Anfängen
und Stolperschritten.
Mit deiner Sehnsucht und deiner Traurigkeit.

Du bist sein Kind.
Du bist dieses Kind, das Fleisch gewordene Wort.
Anfängerin des Lebens. Anfänger der Liebe bist du.
Du mit deinen Falten und deinen Träumen.
Du mit deiner verschleimten Nabelschnur.

Ausgeliefert und bedingungslos.
Suchend und findend.
Der Stall ist dein Anfangsort.
Dort, wo es nach Tierdung riecht und das Stroh piekst.
Dort, wo du den Kochlöffel in den Topf tauchst,
oder Bilanzen prüfen musst,
wo du an der Kasse Kleingeld entgegen nimmst
oder einem Flüchtling vor Gericht beistehst.
Überall wo du bist, bist du richtig.
Weil Gott da ist. Bei dir.
Und mit dir anfängt, ins Leben zu gehen.

VII.
Im Anfang war das Wort.
Im Anfang bist du.
Nicht perfekt, aber neu.
Vielleicht noch dünnhäutiger.
Vielleicht noch verletzlicher.
Vielleicht noch ausgelieferter.
Gott hat dich wunderbar gemacht.
Wie dieses Kind in diesem Stall.

Gott weiß, was am Anfang zu tun ist.
Auch mit dir.
Er kennt die Regeln.
Wenn es Tag wird,
wenn ein Same aufgeht
und der Regen die Luft sauber gewaschen hat.

Gott weiß, wie es mit dir weitergeht, du Kind Gottes.
Und geht mit dir deine Schritte ins Leben.
Und siehe, alles ist nicht perfekt, aber neu.
Siehe, alles ist sehr gut.

Amen.

(1) hier zu empfehle ich die wunderbare Begegnung, die Bettina Schlauraff in ihrem wunderbaren Blog beschreibt: https://menschensammlerin.blogspot.com/2018/12/und-das-habt-zum-zeichen-ihr-werdet-es.html

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