Dienstag, 23. April 2019

Weniger glaube ich nicht

Predigt zum Ostermontag
Maßloser Himmel, zärtliche Berührung und eine schmerzhafte Lücke.
Mit Worten von Marie Luise Kaschnitz und Jesaja 25

I.
Glauben Sie fragte man mich

An ein Leben nach dem Tode

Und ich antwortete: ja.

(Marie Luise Kaschnitz)

Auch ich glaube an ein Leben nach dem Tod.
Glaube, dass Jesus auferstanden ist - und dass ich auferstehen werde.

Und dann stehe ich gestern morgen auf dem Wallberg in der Morgensonne,
höre von weggerollten Felsen, die das Grab verschlossen haben,
und nun geben sie den Weg frei.
Ich singe die Osterchoräle.
Das Jubeln fällt mir leicht auch bei nicht ganz so sauberen Posaunentönen.
Das Herz ist warm. Die Augen klar gewaschen.
Wir sprechen von Osteraugen. Genießen den neuen Morgen.
Frohe Ostern.
Ja, ich glaube, dass Jesus auferstanden ist. Und der Tod ist besiegt.

II.
Aber dann die Nachrichten aus Sri Lanka.
Es wurden immer mehr Tote. Bomben in Kirchen und Hotels.
Auch die Menschen dort stimmten ein in den Osterjubel, als die Bomben detonierten.
Aus dem Jubel wurde Schreien. Und aus meinem Jubel ein Weinen.

Wie ein Schleier legen sich diese Nachrichten über das Osterlachen.
Und trotzdem denke ich, fühle ich: Nein, jetzt erst recht!
Wenn Ostern nicht auch jetzt wahr ist, dann ist es nie wahr.
Ostern ist doch mehr als Frühlingssonne und Blumenrausch.
Ostern ist auch mehr als ein „Jetzt ist alles gut und das Leben geht weiter“.
Aber was? Wie?

III.
Die Worte von Kaschnitz tragen mich weiter:

Glauben Sie fragte man mich

An ein Leben nach dem Tode

Und ich antwortete: ja

Aber dann wusste ich

Keine Auskunft zu geben

Wie das aussehen sollte

Wie ich selber 

Aussehen sollte

Dort

Ich wusste nur eines

Keine Hierarchie

Von Heiligen 
auf goldenen Stühlen sitzend

Kein Niedersturz

Verdammter Seelen

Nur

Nur Liebe frei gewordene

Niemals aufgezehrte

Mich überflutend

Kein Schutzmantel starr aus Gold

Mit Edelsteinen besetzt

Ein spinnwebenleichtes Gewand

Ein Hauch

Mir um die Schultern

Liebkosung schöne Bewegung

Wie einst von tyrrhenischen

Wellen

Wie von Worten die hin und her

Wortfetzen

Komm du komm

Schmerzweb mit Tränen besetzt

Berg- und Talfahrt

Und deine Hand

Wieder in meiner

So lagen wir

Lasest du vor

Schlief ich ein

Wachte auf

Schlief ein

Wache auf

Deine Stimme empfängt mich

Entläßt mich und immer

So fort

Mehr also, fragen die Frager

Erwarten Sie nicht nach dem

Tode?

Und ich antworte

weniger nicht.


IV.
Und ich will eigene Worte dazu legen.
Stammelnd. Suchend.

Auch mir fällt es erstmal leichter zu sagen, was das Leben nach dem Tod nicht ist.
Bomben haben da keinen Platz.
Und die Frage: Hast du meine Liebe verdient? Die wird dort nicht gestellt.
Da gibt es keine Atemnot und keine Chemotherapie.
Meine Hände zittern dort nicht mehr - oder doch?
Ich höre dort bestimmt kein „das kannst du ja sowieso nicht“.

V.
Aber ich will mehr als das.

Ich will alles verstehen, was ich jetzt nicht verstehe.
Ich will meine Mutter und meinen Onkel wieder in die Arme schließen
und ihnen sagen, was ich versäumt habe, zu sagen:
Wie dankbar ich ihnen bin und dass ich ohne sie nicht die wäre, die ich bin.

Ich will Erdbeeren und Spargel in allen Variationen
und alle Gedichte auswendig können.
Neue Wortschöpfungen will ich erobern
und die schönste Musik des Himmels hören -
eine geniale Mischung aus Mozart und Jamie Cullum und Adele vielleicht.
Ich will Fingerspitzen auf meiner Haut spüren, die mir sagen, wie einzigartig ich bin.
Und ich will mit meinen Freunden voller Leidenschaft diskutieren - bis tief in die Nacht.
Wir werden nicht müde und wissen, dass wir alle Recht haben.
Mein kranker Freund ist gesund wie früher.

Ich will mit Kindern und Alten in allen Sprachen und Farben lachen und spielen.
Ich will tanzen und meine Füße tun mir nicht weh.
Ich will mich drehen und mir wird nicht schwindelig.
Ich will Felsen erklettern und fliegen und mich dabei ganz leicht fühlen.
Und der Tod ist ein alter Freund, mit dem ich ab und zu im Gras liege
und wir schauen uns die Wolken an und entdecken ihre Formen und Farben.
Wir wissen, dass sie Teil der Ewigkeit sind  und darum lassen wir sie ziehen.

VI.
Glauben Sie fragte man mich

An ein Leben nach dem Tode

Und ich antwortete: ja



Und ich lese dazu Worte von Jesaja:
Und der Herr Zebaoth wird auf diesem Berge allen Völkern ein fettes Mahl machen,
ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist.
Und er wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen, mit der alle Völker verhüllt sind,
und die Decke, mit der alle Heiden zugedeckt sind.
Er wird den Tod verschlingen auf ewig.
Und Gott der Herr wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen
und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen;
denn der Herr hat's gesagt.
(Jesaja 25,6-8)


VII.
Ich glaube, Jesaja und ich werden gute Freunde.
Eine große Sause bis in die Puppen. Richtig richtig gutes Essen.
Menschen aus nah und fern.
Und nichts mehr, was uns trennt. Kein Schleier, keine Decke.
Alles klar und offen.
Liebevolle Berührung. Zärtliches Tränenabwischen.
Gott reicht mir das Taschentuch und nimmt mich in den Arm
und die Gedemütigten werden aufgerichtet.
Leben nach dem Tod.
Maßloser Himmel.

VIII.
Und jetzt?
Da ist die Lücke zwischen jetzt und dann.
Die ist groß. Viel zu groß.
Und sie tut verdammt weh.
Sie wird immer sein. Da wird hier immer was fehlen.

Darum klammere ich mich daran, dass Jesus bereits auferstanden ist.
Und ich bin überzeugt, dass Gott sein Versprechen wahr macht:
Der Tod ist nicht das Ende.
Auch für mich gibt es ein Leben danach.
Und was nach dem Tod kommt, ist so großartig, dass es mich beflügelt.

Ja, dieses Danach, das blitzt jetzt in mein Leben hinein.
Allen Bomben zum Trotz.
Der Auferstandene ist bei mir.  Er lässt sich nicht mehr vertreiben.
Das Osterlicht ist da. Und es blitzt herein. Jeden Tag.
Jesus sprach mal vom Sauerteig und vom Senfkorn,
die den maßlosen Himmel sichtbar machen.
Er brach Brot, damit wir den Himmel schmecken und die Liebe bereits jetzt leben.

IX.
Also schau ich genau hin und achte auf die Osterlichtmomente.
Die kleinen Lichtfunken, die ich so leicht übersehe.

Der Freund, mit dem ich mich über hunderte Kilometer hinweg, verbunden fühle.
Die schamlos blühende Glyzinie vor meinem Fenster
und der wilde Tanz in der Küche beim Kochen.
Die WhatsApp-Gruppe des Rats der Religionen,
wo wir gemeinsam um die Toten in Sri Lanka trauern.
Und ein Abendmahl im Krankenhaus,
wo eine Patientin trotz ihrer Schmerzen vor Glück lächelt.

In alledem spüre ich, was noch kommen wird.
Maßloser Himmel.
Der wird dann viel schöner und strahlender sein und ganz anders auch.
Aber er trägt mich schon jetzt. Beflügelt. Macht mir Mut zum Leben.
Er ist da, und die

Liebe
frei geworden
e
Niemals aufgezehrt

Mich überflutend


Mehr also, fragen die Frager

Erwarten Sie nicht nach dem

Tode?

Und ich antworte

weniger nicht.


Auch nicht für jetzt.
Amen.

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