Sonntag, 23. Juni 2019

Der Zweifel, das Vertrauen und ich: Rebels for life

Ein Beitrag zum Predigtslam beim Deutschen Evangelischen Kirchentag 2019 Dortmund (1)
Motto des Kirchentages: "Was für ein Vertrauen"


Der Zweifel und ich sitzen an einem Tisch.
Beide haben wir ein Glas Rotwein in der Hand.
Eine Tüte Chips ist auch da - oder Schokolade, aber die gute dunkle.
Der Zweifel ist mir willkommen. Sehr sogar.

Ich mag ihn.
Ich mag es, wenn er kritisch seine Nase rümpft
und eine Frage stellt, auf die ich keine Antwort habe.
„Ähm, hmm“ stammel ich dann und muss erstmal nachdenken.
Okay, das mag ich manchmal auch nicht,
weil ich mir dann auch ziemlich blöd vorkomme.
Aber ich mag es herausgefordert zu werden.
Meine Sinne zu schärfen. Die Dinge klarer zu sehen.
Mit dem Zweifel.

Plötzlich legt er die Bibel auf den Tisch.
Neben die Flecken der alten Rotweinränder.
Und schlägt auf: Genesis 22.
Ich lese sie wieder, diese unerhörte Geschichte.
Von Abraham, der bereit ist seinen Sohn zu opfern.
Und als Kind habe ich gelernt, dass er eben so fest glaubt und darum dazu bereit ist
und dass es gut ist, dass er für Gott sowas tun würde.
Der Zweifel tippt mit dem Finger auf die Bibel und mitten in meinen Glauben:
Glaubst du wirklich, dass sowas Gottes Wille ist?
Kinder, Menschen für etwas Höheres zu opfern?
Tun das nicht nur Feiglinge? Oder Tyrannen?
Ja, du hast Recht, sage ich.
Auch wenn er am Ende noch die Kurve gekriegt hat - der Abraham -,
Glaubensstärke sieht anders aus.
Abraham hätte auch mal etwas mehr zweifeln sollen.

Wir trinken unseren Wein.
Morgen früh werde ich dunkelrote Lippen haben. Und eine blaue Zunge.
Ich brauche den Zweifel.
Mit ihm lache ich über Dummheiten und wir schenken uns Wein nach.
Mit ihm bin ich ungehorsam und rebellisch.
Rebels for life. (2)
Und dann tun wir uns zusammen, lesen zwischen den Zeilen
und entwirren die Gehirnspaghetti in meinem Kopf.

Ja, ich habe Zweifel.
Manchmal an meinem Verstand, der sich vor unbequemen Wahrheiten drückt.
Wie bei Abraham.
Oder aber auch an meiner Verrücktheit, hier beim Predigtslam mitzumachen.
Aber noch viel mehr zweifle ich an unserer Lebensweise,
die unseren Planeten unbewohnbar macht.
Ich zweifle an dem Dogma, dass wir alles im Griff hätten.
Ich habe Zweifel an den Gesetzen,
die Flüchtlinge in ein Land wie Afghanistan zurückschicken lassen.
Ich zweifle an der Empathiefähigkeit derer,
für die Homosexualität immer noch eine Sünde oder eine Krankheit ist.
Ich zweifle hier und zweifle da und zweifle dort.

Wenn der Zweifel aber zu stark ist, dann tut er mir nicht gut.
Dann krieg ich Kopfweh von zu viel Rotwein.
Und aus Zweifel kann Verzweiflung werden.
Manchmal ist Verzweiflung angesagt,
aber ich will nicht, dass sie mich lähmt,
dass ich dann alles schwarz sehe und keine Zukunft mehr und überhaupt.
Noch schlimmer:
Ich zweifle womöglich sogar an mir selbst - und das ist ganz schlecht.

Darum bin ich froh, dass das Vertrauen im Nebenzimmer wartet.
Immer ist es da - irgendwie.
Ich hole es zu uns dazu und stelle ein Sektglas auf den Tisch.
Das Vertrauen trinkt lieber Sekt mit Goldglitter.
Oder auch mal einen Whiskey, weil der den Bauch wärmt.

Endlich, murmelt das Vertrauen,  und schenkt sich voll ein.
Ihr vergesst jedes Mal das Wichtigste.
Du darfst an allem zweifeln, aber - und es zeigt auf mich -
nie, niemals an dir selbst.
Du bist liebenswert, zwinkert mir das Vertrauen dann zu.
Und alles, was du so an Mist mit dir rumschleppst, auch.
Und dann lacht es laut auf.
Wenn das Vertrauen so gut drauf ist, glaube ich ihm sogar.
Und der Zweifel nippt an seinem Glas, wiegt seinen Kopf, und nickt bedächtig.
(Wieso lacht das Vertrauen eigentlich so laut?)

Gemeinsam ziehen wir so durchs Leben.
Das Vertrauen und der Zweifel und ich.
Wir sind Rebels for life,
und ketten uns vielleicht an Rathausgitter an,
bis man uns befreit (3). Echte Vertrauensübung.
Gemeinsam halten wir unseren Kopf hin und unser Herz,
Im Protest gegen alle Verzweiflung vertrauen und zweifeln wir durch dick und dünn.
Mit Rotwein, Goldsekt und Whiskey. Und mit guter Musik.
Oder dunkler Schokolade.

Dabei gibt es eines, an dem wir nicht eine Sekunde zweifeln:
Wir leben. Und dafür stehen wir auf.
Und dafür prosten wir uns zu: Auf uns - Rebellen für das Leben.

(1) zum gesamten Abend gibt es ein youtube-Video: https://www.youtube.com/watch?v=7ABxLowVNnM&fbclid=IwAR2FzWe7biSl8DL2_GmWf8eGUWxWIISLWZgkR5r-XguucZIGbM3l6s5ezO8 (mein Beitrag ab 45.Minute)


(2) Dies ist eine bewusste Anspielung auf die Bewegung "Extinction Rebellion". Die Aktivist*innen nennen sich "Rebels for life" und zeigen durch provokante gewaltfreie Aktionen, dass die Zukunft der Erde ernsthaft auf dem Spiel steht und wir alle endlich handeln müssen. (https://rebellion.earth/act-now/)

(3) Dies war eine Aktion der Extinction Rebellion Youth Germany zur Europawahl in Leipzig, die mich sehr beeindruckt hat. Weiteres siehe hier: https://www.lvz.de/Leipzig/Wahl/Europawahl/Fuer-das-Klima-Jugendliche-ketten-sich-ans-Leipziger-Rathaus?fbclid=IwAR0zFn1Oj_s-dazzn50g9HVPs56nMZjsFO_vOcOnODQ6WTryoLiTuo5El_s
Oder auch hier: https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=340679673312568&id=336934427020426&__xts__[0]=68.ARD3grAhIIGBJL0GL9SOEBK4YYC5S08tWs3U3dAd0TmeLfMgA2gh_1ZYX9s5BOevTyk47f4vbjQTUkrjJ82x0M5REMJN3Ivb0gap3a8ak0Gv6r5QuNS8HmyaJpkEqoj0xFYkJ4WjiEKUN7nc4jjjHeZL_lOPLsRVqUXgsLuvu7FowAYrB7yX-I6V2_iWTRDalRhjvlW0LFCiDiRQl-rTzNLhx03gTDNbc9mB-35Qz2mLnc-wTPgZx6WsY7ZAWyhEyAAKcNxJyO_3Dd_JzcCd3GHZEJBMtIOEttU8VLL2gezU4VvQ-jntm_I9NIzvW-w4glssEF8dDpzdDZyhliu-UXo&__tn__=-R


Sonntag, 16. Juni 2019

Gott macht aus dem größten Mist noch was Schönes

Von Gnade, Liebe und Gemeinschaft und eine Liebeserklärung an eine Frau, die kaum wie eine andere das große Wort "Gnade" für mich verständlich macht.

Predigt zu 2. Brief an die Korinther 13,11-14

(mit großem Dank an Anne Gidion, die diese Predigt mit mir gemeinsam erkämpft hat und Dank an Katharina Loh, deren Worte ich mir für Teil III entliehen habe)

I.
Endlich wieder aufrecht gehen. (1)
Endlich wieder dazu gehören.
Auf Augenhöhe den anderen begegnen.
Sie hätte es nicht für möglich gehalten.
18 Jahre lang diese Verkrümmung. 18 Jahre gebückt und geduckt sein.
Von den anderen komisch angeschaut. Sich ausgeliefert fühlen.
Nicht mitmachen können. Nichts dagegen tun können.
18 Jahre lang. Und von Jahr zu Jahr wurde es schlimmer.

Dann betritt Jesus die Synagoge.
Du bist frei, sagt er zu ihr. Du bist frei.
Nichts mehr, was dich niederdrückt.
Nichts mehr, was dich fesselt.
Nichts mehr, was dich klein macht.

Und sie richtet sich auf.

Diese Dämonen können sie mal.
Sie sind vielleicht immer noch da:
die Dämonen, die sie niederdrückten
- bestehen sie aus Angst oder Traurigkeit, Vorurteile oder Missachtung?
Wer weiß das schon? -
Aber sie tun ihr nichts mehr. Nichts mehr, was sie beugt.
Die Dämonen haben nicht das letzte Wort.
Sondern: Gnade und Liebe.
Und Gemeinschaft. Endlich wieder richtig dabei.

II.
Worte von Paulus, die er am Schluss seines 2.Briefs an die Korinther schreibt:
(2.Korinther 13,11-13)
Zuletzt, Brüder und Schwestern,  freut euch,
lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen,
habt einerlei Sinn, haltet Frieden!
So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein.
Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss.
Es grüßen euch alle Heiligen.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!


III.
Paulus schreibt einen verzweifelten Brief.
Schon früh gab es Probleme in Korinth.
Streit darüber, wer besser glaubt und besser predigt und wie man Abendmahl feiert.
Ja, und wieviel Rücksicht man nehmen muss.
Wer sind die Schwachen und wer sind die Starken?
Und wer bestimmt, wer dazu gehört?
Es wurde immer schlimmer. Lästereien und Kritik - auch am Leitungsstil von Paulus.
Und was einmal wichtig war, gerät in den Hintergrund.

Bei sowas hilft eigentlich nur ein klärendes Gespräch. 
Am besten persönlich.
Doch das geht gerade nicht. 
Also ein Brief.

Darin verteidigt Paulus sich:
„ Ich habe niemandem Unrecht getan, niemanden verletzt, niemanden übervorteilt.“
Und er droht: „Wenn ich das nächste mal komme, dann hört der Schongang auf.“
Und man hat das Gefühl: so wird das nichts.
Verteidigung, Angriff, Emotionen, Tränen auch, wild gestikulieren, mit der Hand abwinken.
Das hat keinen Zweck. Komm hör auf.
An Grenzen gehen, es auf die Spitze treiben und dann erschöpft verstummen.

Paulus argumentiert gern eindringlich.
Wie man das gern mal tut, wenn man sich in die Enge getrieben fühlt.
Er bleibt nicht immer ganz sachlich, das kann er gar nicht.
Aber er schreibt. Und bleibt in Beziehung.
Heiliger Kuss – so schmeckt Versöhnung.
Und er ringt darum, wie er von Gott erzählen soll.
Gnade. Liebe. Gemeinschaft.

IV.
Paulus, du selbst weißt, wie sehr du die Gnade brauchst und die Liebe und die Gemeinschaft.
Du weißt um deine Ecken und Kanten.
Was dir schwer fällt. Was du nicht kannst, auch wenn du es noch so sehr willst.
Du ist nicht der Super-Apostel, nicht der strahlende Redner.
Und dass du gesundheitlich angeschlagen ist, verschweigst du auch nicht.
(Gott sei Dank!)
Fragen quälen.
Bist du überhaupt dieser Aufgabe gewachsen?
Müsstest du nicht viel öfter vor Ort sein?
Manchmal denkst du, du solltest deine Zunge besser im Zaum halten.
Und vielleicht hast du doch zu viele vor den Kopf geschlagen.

Und dann erinnerst du dich: Gott ist in den Schwachen mächtig.
"Gott macht noch aus meinem größten Mist etwas Schönes." (2)
Die Letzen werden die Ersten sein.
Aus dem Senfkorn wird ein großer Strauch,
die gekrümmte Frau kann aufrecht gehen und der Gekreuzigte steht auf.
Jesus teilt sein Brot mit Verrätern, Feiglingen und Karrieresüchtigen.
Sie alle liebt er. Und in dieser Liebe werden sie neu. Sehen sich selber neu.

Ja, Paulus, du musst nicht mehr um deinen Ruf kämpfen, denn bei Gott ist er gut.
Du brauchst das nicht mehr und entdeckst vielleicht auch die Verletzungen der anderen.
Auch sie brauchen den gnädigen und liebevollen Blick. Nicht nur du.
Und das spürst du genau.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit dir!

V.
Vorgestern und gestern habe ich eine Frau kennengelernt: Nadia Bolz-Weber. (3)
Eine lutherische Pastorin aus Denver, Colorado. 

Ihre Tatoos irritieren vielleicht, aber sie sind wunderschön. 

Nadia kommt aus einer christlichen Kirche, die keine Frauen ordiniert.
Erst mit 27 hat sie erlebt, dass eine Frau im Gottesdienst überhaupt das Wort ergreift.

In ihrer Kirche durfte man nur innerhalb der Ehe Sexualität leben.

Und so war sie als Jugendliche, als junge Erwachsene zornig. Sehr zornig.
Hat getrunken, Drogen genommen und sich viel gestritten.
Sie glaubte: So bin ich stark. Ich verletze und zeige nicht, wie verletzt ich bin.

Seitdem ist viel passiert. Sie hat Gnade erlebt. Den Kuss der Gnade gespürt.
Ihr Körper gehört zu ihr, Liebe und Sexualität auch.

Sie hat gelernt, sich aufzurichten. Aufrecht zu gehen.
Sie ist groß und trägt hohe Schuhe.
Sie predigt mit kurzärmeligem Hemd und jeder kann ihre bunttätowierte Haut sehen.
Das fühlt sich nicht wie Show an. Sondern so ist sie. Sie versteckt nichts.
Sie zeigt sich, ihre Tränen, ihre Wut.
Nicht damit jeder sie dann wichtig findet,
sondern so kann jede und jeder seine eigenen Tränen, ihre eigene Traurigkeit empfinden.
Und ist darin aufgehoben: Ein Raum der Gnade.

Wenn Nadia über Gott und Glauben redet, klingt das wie ein Überlebensmittel.
Und wie etwas, was unglaublich viel größer ist als sie, was sie aber nicht kleinmacht.
„House of all Sinners and Saints“ –
"Herberge für alle Sünder und Heiligen" heißt die Gemeinde, die sie gegründet hat.
Wer da kommt, war oft lange verkrümmt und lernt gerade, sich aufzurichten.
Wer da kommt, lernt es neu, an Wunder zu glauben. Und sich selbst zu lieben.

VI.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes ist mit Nadia und ist mit uns allen.

Gnade ist Heilwerden und die Sehnsucht danach.
Nicht Hinwegtrösten über Tod und Krankheit. 

Gnade ist die Möglichkeit, dass es auch gut gehen könnte. 

Gnade ist, dass Gott da ist.

Diese Gnade ist mit dir,
die du dich selber nicht leiden kannst.
Gott macht aus deinem größten Mist noch was Schönes:
Aus deiner Inkonsequenz und deiner Wut,
aus deiner Angst vor der Zukunft und aus deiner Angst vor Fremden vielleicht auch.

Gnade sei mit dir,
wenn du mal wieder frustriert bist, dass du nicht so viel geregelt kriegst wie die Nachbarin,
wenn du mit deinen Kindern nicht klar kommst,
wenn du genervt bist von deinen Eltern oder sie sogar hasst.

Gnade sei mit dir,
wenn du nicht die passenden Klamotten hast,
wenn du dir den Kaffee beim Starbucks nicht leisten kannst
oder wenn sich andere an deiner Hautfarbe stören.

Gnade sei mit dir in dieser ungnädigen Welt.
Jesus richtet dich auf. Denn du bist geliebt. Ja genau du!

Jesus nimmt dich mit in den Raum aus Gnade und Liebe.
Und dieser Raum ist so groß, da sind auch die, mit denen du nicht rechnest.
Vermutlich rechnen sie auch nicht mit dir.
Aber Gott macht aus eurem ganzen große Mist was wirklich Schönes.
Und ihr werdet heil mit ihm.

Amen

(1) Dieser Teil bezieht sich auf die Lesung aus Lukas 13,11-17 (Heilung der gekrümmten Frau)
(2) Nadia Bolz-Weber, "Ich finde Gott in den Dingen, die mich wütend machen" - Pastorin der Ausgestoßenen, S. 76
(3) Carte Blanche für Nadia Bolz-Weber - Homiletik im internationalen Diskurs - veranstaltet vom Zentrum für evangelische Gottesdienst- und Predigtkultur 14./15.6.2019 in Berlin

Sonntag, 9. Juni 2019

Wörtertanz mit dem Heiligen Geist

Predigt zu Pfingsten

Grundlage ist die Pfingstgeschichte - nachzulesen in Apostelgeschichte 2 - und ein Gedicht von Wilhelm Willms "der heilige geist ist ein bunter vogel".
Im Gottesdienst wurde die Bach-Kantate "O ewiges Feuer, o Ursprung der Liebe" aufgeführt - ein paar Anspielungen darauf gibt es in der Predigt.
Ich möchte wieder 2 Prediger*innen danken, deren Worte ich für 2 Abschnitte weitergestrickt habe:
Michael Greßler (Teil III) und Susanne Dannenmann (Teil IV).


I. (bunter Vogel)

der heilige geist
er ist nicht schwarz
er ist nicht blau
er ist nicht rot
er ist nicht gelb
er ist nicht weiss
der heilige geist ist ein bunter vogel
er ist da
wo einer den andern trägt
der heilige geist ist da
wo die welt bunt ist
wo das denken bunt ist
wo das denken und reden und leben gut ist
der heilige geist lässt sich nicht einsperren…

(Wilhelm Willms)

II. (raus gehen)

Der Heilige Geist lässt sich nicht einsperren. Niemals.
Selbst wenn wir es versuchen.

Der Heilige Geist geht raus. Raus auf die Straßen,
Raus auf den Leopoldsplatz, dort teilt er sich eine Zigarette mit den Jugendlichen.
Er fährt Achterbahn auf dem Messplatz
und kauft auf dem Markt Pfingstrosen und Kirschen.
Beides rot wie die Liebe.

Der Heilige Geist geht raus ans Meer und lässt sich weit treiben.
In den Wald saust er
und macht auf dem Baumwipfelpfad Purzelbäume oder springt von Ast zu Ast .
Von Kopf zu Kopf wie Feuerzungen.
Von Herz zu Herz. Von Mensch zu Mensch.

Der Heilige Geist hält sich nicht an Mauern und Türen,
er reißt unsere Fenster weit auf und wirbelt alles auf.
Er ist nicht zu bändigen in Buchstaben und nicht in Flaschen zu ziehen.

III. (Landebahn)

Der Heilige Geist lässt sich nicht einsperren.
Und er ist unberechenbar - auch für die Freunde und Freundinnen von Jesus.
Jesus hatte ihnen versprochen: Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen.
Aber wann würde das passieren und wie und wirklich jeder?
Alles das wissen sie nicht. Wie auch?

Aber eins können sie tun:
dem Heiligen Geist eine Landebahn bereiten.
Und das tun sie.
Sie kommen zusammen. Keiner bleibt für sich.
Keiner zieht sich raus oder zurück ins alte Leben. Sie treffen sich Tag für Tag.
Und sie reden vom Reich Gottes. Und von Jesus.
Und sie bleiben offen für das, was passieren würde.

Und dann – auf einmal ist alles da.
Und das kam, weil sie zusammen waren.  Zusammen blieben.
Wären sie auseinandergelaufen, ein jeder in das Seine – es wäre wohl nichts passiert.

Hätten sie alle nur an sich gedacht –
an sich selbst und ihren Vorteil und an ihr Land und an ihr Volk  –
es wäre nur Trennung geblieben
und Angst und Haß und ein egoistisches Wesen.
Der Geist hätte keine Chance gehabt.
Hat er aber. Er konnte landen.

Und er nimmt sich Raum. In ihren Herzen und Köpfen.
Alles ist so voll Geistesgegenwart und Liebe, dass das Obergemach zu klein wird.
Und sie müssen raus. Raus auf die Straßen von Jerusalem.

IV. (Tanz der Wörter)

Der Heilige Geist landet hier in Pforzheim.
Und er ruft: Kommt raus. Heraus aus euren Zimmern.
Klappt die Laptops zu. Schmiert euer Brötchen nicht zu Ende.
Werft euch irgendwas über, eine Jacke oder auch nur einen Morgenmantel.
Kommt raus auf die Straße.
Dort ist Musik. Die wunderbaren Töne von hier kommen noch dazu.
Dort hängen Plakate am Stadttheater, die von einer Solidarity City träumen.
Dort tanzen Bilder in der Bahnhofsunterführung und machen sie zu einem magischen Ort.
Dort tanzen Wörter wie Feuerzungen im 3/4 Takt, vom Wind bewegt.
Entdeckt sie. Hört auf sie.

Geistwörter.
Fremd und vertraut zugleich.

Sie schlüpfen in eure Ohren. Sie füllen euren Mund.

Sie dehnen den Raum in euren Herzen.
Und stecken an, eine nach dem anderen, mit Freude, mit unbändiger Lebenslust.

Alle reden. Begeistert. In allen Sprachen.
Schwäbisch und badisch. Sächsisch und norddeutsch. Tamil und russisch.
Eine alte Frau findet strahlend zu ihrem Ostpreußisch zurück.
Die Familie mit türkischen Wurzeln darf endlich in der Sprache ihrer Mütter ihren Traum von Glück bejubeln, ohne dass man sie schräg anschaut

Die Jungen, die Alten, Männer und Frauen: alle verstehen sich lächelnd.
Vom Leben reden sie, von nichts anderem als vom Leben.
Von Gottes großer Tat: Er hat die Zellteilung der Liebe in Gang gesetzt.


An die Häuser gedrängt lehnen Skepsis und Angst.
Kraftlos hält sich der Hass an der Mauer fest.
(Ausgerechnet dort, wo vor 4 Wochen das Grundgesetz aufgesprüht wurde)
Und die, die sich von diesen Ungeistern treiben lassen,
verschränken fest die Arme über ihrer Brust und halten sich vom Brausen fern.
Am liebsten würden sie einen Stacheldraht ziehen, der die fremden Sprachen aussperrt.
Der Heilige Geist spricht doch wohl deutsch, oder etwa nicht?
Und diese schulstreikenden Jugendlichen. Das geht doch nicht.
Und die tanzenden Kinder vor dem AfD-Parteitag - in allen Hautfarben.
Weg mit ihnen, rufen die Ungeister.
Und haltet die Rettungsschiffe im Mittelmeer auf!

Doch den Tanz der Wörter können sie nicht aufhalten.
Und den der Feuerzungen auch nicht.
Der Heilige Geist ist schon längst gelandet.
Lassen wir ihn frei.

V. (Alt und jung)

der heilige geist ist ein bunter vogel
er lässt sich nicht einsperren


Er hält sich noch nicht mal an das Alter.
Er lässt die Alten Träume träumen, die sie aufrichten.
Ja, auch sie lassen sich nicht bremsen, weder von körperlichen Gebrechen
noch von Ungeistern, die ihnen einflüstern, sie sollten doch schön zufrieden sein
und alles beim Alten lassen.
Die Zukunft ihrer Enkel ist ihnen so wichtig, dass sie sich zusammen tun.
Und ich sehe die Omas gegen Rechts, die parents for future
und unseren EKD-Ratsvorsitzenden, der die seawatch in Sizilien besucht.
Und ich erlebe weise und zornige Alte hier in Pforzheim:
die stellen sich schützend vor unsere jüdischen Geschwister
und nur die Polizei kann sie davon abhalten, ein volksverhetzendes Plakat abzuschneiden.

Die Heilige Geist krempelt das Unterste nach Oben.
Die Jungen haben Visionen und machen ihren Mund auf.
Eine Greta Thunberg, die Fridays-for-future-Kids, ein Youtuber:
Alle sie wirbeln ein ganzes Parteiensystem durcheinander
und rücken die Themen nach vorne, auf die es ankommt.
Geistesgegenwart pur.
Die Jungen und die Mägde und Knechte haben was zu sagen, sagt Petrus.
Der Geist Gottes hält sich nicht an unsere Maßstäbe, ab wann man was zu melden hätte.
Er schickt die auf die Straße, von denen wir allzu leicht meinen, dass sie dort nicht hingehören.
Und so treten die Jungen in die Fußstapfen der alttestamentlichen Propheten
wie ein Jesaja und ein Amos: die haben sich auch nicht stoppen lassen.
Und die haben laut gesagt,
dass der Geist Gottes auf der Seite der Benachteiligten und der Schwachen ist.
Und dass wir nur miteinander die Welt gestalten können.

VI. (Herzen entzünden)

der heilige geist ist ein bunter vogel
er ist da - wo einer den andern trägt
der heilige geist ist da
wo die welt bunt ist
wo das denken bunt ist
wo das denken und reden und leben gut ist


Entzünde unsere Herzen, Heiliger Geist.
Sei "ewiges Feuer" in uns. Lass uns rot leuchten.
Ich will brennen für deine Liebe zu allen Menschen, zum Leben in einer bunten Welt.
Ich will deinen Funken raus tragen und hierher in die Kirche holen.
Ich will eine Welt, in der es summt und lebt.
Alle teilen miteinander, was ihrs ist,
und sie verstehen sich, kommen zusammen im Tanz der Wörter.

Wörter wie Feuerzungen, vom Wind bewegt im 3/4 Takt.
Und Gott mitten drin.

Komm, Heiliger Geist,
weite unsere Lebensräume, weite unsere Herzen.
Bring die Alten zum Träumen. Verlock die Jungen zu Visionen. Vertreib die Ungeister.
Und irgendwann, ja irgendwann,
da lassen sogar sie sich anstecken - von dir und deiner Kraft.

Komm, Heiliger Geist.
Amen.