Sonntag, 16. Juni 2019

Gott macht aus dem größten Mist noch was Schönes

Von Gnade, Liebe und Gemeinschaft und eine Liebeserklärung an eine Frau, die kaum wie eine andere das große Wort "Gnade" für mich verständlich macht.

Predigt zu 2. Brief an die Korinther 13,11-14

(mit großem Dank an Anne Gidion, die diese Predigt mit mir gemeinsam erkämpft hat und Dank an Katharina Loh, deren Worte ich mir für Teil III entliehen habe)

I.
Endlich wieder aufrecht gehen. (1)
Endlich wieder dazu gehören.
Auf Augenhöhe den anderen begegnen.
Sie hätte es nicht für möglich gehalten.
18 Jahre lang diese Verkrümmung. 18 Jahre gebückt und geduckt sein.
Von den anderen komisch angeschaut. Sich ausgeliefert fühlen.
Nicht mitmachen können. Nichts dagegen tun können.
18 Jahre lang. Und von Jahr zu Jahr wurde es schlimmer.

Dann betritt Jesus die Synagoge.
Du bist frei, sagt er zu ihr. Du bist frei.
Nichts mehr, was dich niederdrückt.
Nichts mehr, was dich fesselt.
Nichts mehr, was dich klein macht.

Und sie richtet sich auf.

Diese Dämonen können sie mal.
Sie sind vielleicht immer noch da:
die Dämonen, die sie niederdrückten
- bestehen sie aus Angst oder Traurigkeit, Vorurteile oder Missachtung?
Wer weiß das schon? -
Aber sie tun ihr nichts mehr. Nichts mehr, was sie beugt.
Die Dämonen haben nicht das letzte Wort.
Sondern: Gnade und Liebe.
Und Gemeinschaft. Endlich wieder richtig dabei.

II.
Worte von Paulus, die er am Schluss seines 2.Briefs an die Korinther schreibt:
(2.Korinther 13,11-13)
Zuletzt, Brüder und Schwestern,  freut euch,
lasst euch zurechtbringen, lasst euch mahnen,
habt einerlei Sinn, haltet Frieden!
So wird der Gott der Liebe und des Friedens mit euch sein.
Grüßt euch untereinander mit dem heiligen Kuss.
Es grüßen euch alle Heiligen.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen!


III.
Paulus schreibt einen verzweifelten Brief.
Schon früh gab es Probleme in Korinth.
Streit darüber, wer besser glaubt und besser predigt und wie man Abendmahl feiert.
Ja, und wieviel Rücksicht man nehmen muss.
Wer sind die Schwachen und wer sind die Starken?
Und wer bestimmt, wer dazu gehört?
Es wurde immer schlimmer. Lästereien und Kritik - auch am Leitungsstil von Paulus.
Und was einmal wichtig war, gerät in den Hintergrund.

Bei sowas hilft eigentlich nur ein klärendes Gespräch. 
Am besten persönlich.
Doch das geht gerade nicht. 
Also ein Brief.

Darin verteidigt Paulus sich:
„ Ich habe niemandem Unrecht getan, niemanden verletzt, niemanden übervorteilt.“
Und er droht: „Wenn ich das nächste mal komme, dann hört der Schongang auf.“
Und man hat das Gefühl: so wird das nichts.
Verteidigung, Angriff, Emotionen, Tränen auch, wild gestikulieren, mit der Hand abwinken.
Das hat keinen Zweck. Komm hör auf.
An Grenzen gehen, es auf die Spitze treiben und dann erschöpft verstummen.

Paulus argumentiert gern eindringlich.
Wie man das gern mal tut, wenn man sich in die Enge getrieben fühlt.
Er bleibt nicht immer ganz sachlich, das kann er gar nicht.
Aber er schreibt. Und bleibt in Beziehung.
Heiliger Kuss – so schmeckt Versöhnung.
Und er ringt darum, wie er von Gott erzählen soll.
Gnade. Liebe. Gemeinschaft.

IV.
Paulus, du selbst weißt, wie sehr du die Gnade brauchst und die Liebe und die Gemeinschaft.
Du weißt um deine Ecken und Kanten.
Was dir schwer fällt. Was du nicht kannst, auch wenn du es noch so sehr willst.
Du ist nicht der Super-Apostel, nicht der strahlende Redner.
Und dass du gesundheitlich angeschlagen ist, verschweigst du auch nicht.
(Gott sei Dank!)
Fragen quälen.
Bist du überhaupt dieser Aufgabe gewachsen?
Müsstest du nicht viel öfter vor Ort sein?
Manchmal denkst du, du solltest deine Zunge besser im Zaum halten.
Und vielleicht hast du doch zu viele vor den Kopf geschlagen.

Und dann erinnerst du dich: Gott ist in den Schwachen mächtig.
"Gott macht noch aus meinem größten Mist etwas Schönes." (2)
Die Letzen werden die Ersten sein.
Aus dem Senfkorn wird ein großer Strauch,
die gekrümmte Frau kann aufrecht gehen und der Gekreuzigte steht auf.
Jesus teilt sein Brot mit Verrätern, Feiglingen und Karrieresüchtigen.
Sie alle liebt er. Und in dieser Liebe werden sie neu. Sehen sich selber neu.

Ja, Paulus, du musst nicht mehr um deinen Ruf kämpfen, denn bei Gott ist er gut.
Du brauchst das nicht mehr und entdeckst vielleicht auch die Verletzungen der anderen.
Auch sie brauchen den gnädigen und liebevollen Blick. Nicht nur du.
Und das spürst du genau.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus sei mit dir!

V.
Vorgestern und gestern habe ich eine Frau kennengelernt: Nadia Bolz-Weber. (3)
Eine lutherische Pastorin aus Denver, Colorado. 

Ihre Tatoos irritieren vielleicht, aber sie sind wunderschön. 

Nadia kommt aus einer christlichen Kirche, die keine Frauen ordiniert.
Erst mit 27 hat sie erlebt, dass eine Frau im Gottesdienst überhaupt das Wort ergreift.

In ihrer Kirche durfte man nur innerhalb der Ehe Sexualität leben.

Und so war sie als Jugendliche, als junge Erwachsene zornig. Sehr zornig.
Hat getrunken, Drogen genommen und sich viel gestritten.
Sie glaubte: So bin ich stark. Ich verletze und zeige nicht, wie verletzt ich bin.

Seitdem ist viel passiert. Sie hat Gnade erlebt. Den Kuss der Gnade gespürt.
Ihr Körper gehört zu ihr, Liebe und Sexualität auch.

Sie hat gelernt, sich aufzurichten. Aufrecht zu gehen.
Sie ist groß und trägt hohe Schuhe.
Sie predigt mit kurzärmeligem Hemd und jeder kann ihre bunttätowierte Haut sehen.
Das fühlt sich nicht wie Show an. Sondern so ist sie. Sie versteckt nichts.
Sie zeigt sich, ihre Tränen, ihre Wut.
Nicht damit jeder sie dann wichtig findet,
sondern so kann jede und jeder seine eigenen Tränen, ihre eigene Traurigkeit empfinden.
Und ist darin aufgehoben: Ein Raum der Gnade.

Wenn Nadia über Gott und Glauben redet, klingt das wie ein Überlebensmittel.
Und wie etwas, was unglaublich viel größer ist als sie, was sie aber nicht kleinmacht.
„House of all Sinners and Saints“ –
"Herberge für alle Sünder und Heiligen" heißt die Gemeinde, die sie gegründet hat.
Wer da kommt, war oft lange verkrümmt und lernt gerade, sich aufzurichten.
Wer da kommt, lernt es neu, an Wunder zu glauben. Und sich selbst zu lieben.

VI.
Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes ist mit Nadia und ist mit uns allen.

Gnade ist Heilwerden und die Sehnsucht danach.
Nicht Hinwegtrösten über Tod und Krankheit. 

Gnade ist die Möglichkeit, dass es auch gut gehen könnte. 

Gnade ist, dass Gott da ist.

Diese Gnade ist mit dir,
die du dich selber nicht leiden kannst.
Gott macht aus deinem größten Mist noch was Schönes:
Aus deiner Inkonsequenz und deiner Wut,
aus deiner Angst vor der Zukunft und aus deiner Angst vor Fremden vielleicht auch.

Gnade sei mit dir,
wenn du mal wieder frustriert bist, dass du nicht so viel geregelt kriegst wie die Nachbarin,
wenn du mit deinen Kindern nicht klar kommst,
wenn du genervt bist von deinen Eltern oder sie sogar hasst.

Gnade sei mit dir,
wenn du nicht die passenden Klamotten hast,
wenn du dir den Kaffee beim Starbucks nicht leisten kannst
oder wenn sich andere an deiner Hautfarbe stören.

Gnade sei mit dir in dieser ungnädigen Welt.
Jesus richtet dich auf. Denn du bist geliebt. Ja genau du!

Jesus nimmt dich mit in den Raum aus Gnade und Liebe.
Und dieser Raum ist so groß, da sind auch die, mit denen du nicht rechnest.
Vermutlich rechnen sie auch nicht mit dir.
Aber Gott macht aus eurem ganzen große Mist was wirklich Schönes.
Und ihr werdet heil mit ihm.

Amen

(1) Dieser Teil bezieht sich auf die Lesung aus Lukas 13,11-17 (Heilung der gekrümmten Frau)
(2) Nadia Bolz-Weber, "Ich finde Gott in den Dingen, die mich wütend machen" - Pastorin der Ausgestoßenen, S. 76
(3) Carte Blanche für Nadia Bolz-Weber - Homiletik im internationalen Diskurs - veranstaltet vom Zentrum für evangelische Gottesdienst- und Predigtkultur 14./15.6.2019 in Berlin

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen