Mittwoch, 25. Dezember 2019

Gott in deinem Leben

Von Elfy und Maria, Staub und Stroh
Predigt zu Sacharja 2, 14-17


I.
Freue dich und sei fröhlich!
Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen.


Es ist Winter. Es ist kalt.
Und Elfy, 39 Jahre alt, gelernte Köchin, ist obdachlos. (1)
Sie sitzt im Café eines Supermarkts
und rührt Zucker in ihren Kaffee, den ihr jemand spendiert hat..
Elfy, wie sie von ihren Kumpels genannt wird, will wegkommen von der Straße.
Sie hat blonde Haare, wie ihr Sohn, als er klein war.
Aber sie sind zottelig, und es ist kein natürliches Blond.
In den vergangenen Wochen hatte sie viele Termine, ist zu Ämtern gelaufen, hat Anträge gestellt.
Bis sich Türen öffneten und Elfy das Angebot bekam,
in eine Einrichtung für betreutes Wohnen aufgenommen zu werden.
Dort hätte sie ein eigenes Zimmer und Unterstützung von Sozialarbeitern.
Ein festes Dach über dem Kopf, in greifbarer Nähe.
Wenn sie über diesen Erfolg spricht, wirkt sie aufgekratzt und lächelt.
Dann sieht man, dass ihr ein paar Zähne im Unterkiefer fehlen.

Noch vor Heiligabend könne sie einziehen, habe man ihr in Aussicht gestellt.
Für Elfy würde damit ein großer Wunsch in Erfüllung gehen. 
Auch, weil ihr Sohn sie besuchen will.
„Ich möchte so gern mit ihm Weihnachten feiern“, sagt sie.
Mario ist mittlerweile 18 Jahre alt und lebt in einer anderen Stadt.
Sie sehen sich nur selten.
Er habe eine geistige Beeinträchtigung und wisse nichts von ihrer Obdachlosigkeit, sagt Elfy.
Sie schaut auf ihr Handy. Das Wohnheim hat noch nicht angerufen.
Für einen Moment verschwindet das Lächeln aus ihrem Gesicht.

II.
Freue dich und sei fröhlich!
Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen.


Jerusalem ist zerstört als der Prophet Sacharja seine Visionen hat.
Zerstört von Krieg und Schuld, von Rache und Hass. Kein Ort, wo man leben kann.
Dorthin ziehe ich, sagt Gott. Dort will ich wohnen.
Ich ziehe in keinen Palast und in keinen Tempel. Ich ziehe auch nicht hinter hohe Mauern.
Nein, ich will im Schutt wohnen und in den Ruinen. Zwischen Steinen und Asche.
Ich baue mir ein Lager, wo es keine Zukunft gibt.
Bei den Vergessenen und Verlassenen. Bei den Heimatlosen suche ich meine neue Heimat.

III.
Siehe, ich komme und will bei dir wohnen.

Gott ist auf Wohnungssuche.
Er nimmt Wohnung bei einer jungen Frau namens Maria.
Ihr Körper wird zum Tempel seiner Gegenwart.
Sie ist eine einfache jüdische junge Frau in Nazareth. Nichts besonderes.
Mit normalen Träumen eines jungen Mädchens
und einer normalen Zukunft, was in jener Zeit heißt, dass es gerade so reicht.
Sie steht morgens auf und tut, was man so tut.
Sie näht und backt, pflanzt und erntet, füttert Tiere und wäscht die Wäsche,
presst die Trauben zu Wein. Abends geht sie früh schlafen.
Und sie hofft, dass Joseph gut zu ihr sein wird. Aber wer weiß das schon?
Und jetzt ist auch noch Gott mit an Bord. Was soll das nur werden?
Aber nun ist das wohl so.

Ja, Gott hat sich aufgemacht von seiner heiligen Stätte
und gemeinsam mit Maria und Josef begibt sich er auf den Weg in die Stadt Davids.
Ein schwerer Weg mit schwerem Körper und Wasser in den Beinen.
Und sie finden keine Herberge. Gott auf Herbergssuche.
Und er kommt zur Welt in mitten von Tiergebrüll und Stallgeruch.
Geboren von Heimatlosen und Vertriebenen
teilt er das Schicksal der Heimatlosen und Vertriebenen dieser Erde.
Gott wird geboren in einem Futtertrog, im Zelt eines Lagers auf Lesbos
und unter der Brücke in einer deutschen Stadt, irgendwo.
Auf der Flucht vor den Bomben, die auf Pforzheim fielen,
und im Kreißsaal einer Großstadt mit lauter anderen Geburten zusammen.

Dort kommt Gott zur Welt - im Staub und im Stroh,
inmitten von Kacheln und auf schmutzigem Zeltboden.
Und dort ist Gott dann und bleibt.

IV.
Freue dich und sei fröhlich!
Denn siehe, ich komme und will bei dir wohnen.


Bei dir und bei mir - so wie du bist, so wie ich bin.
Stell dir vor, Gott klingelt und putzt seine Schuhe an der Fußmatte ab,
darauf steht vielleicht „home“. (2)
Vielleicht steigt er über die Schuhe, die du nicht aufgeräumt hast.
Vielleicht ist es dir peinlich, wie es bei dir aussieht.
Die Spinnweben in der Ecke.
Die Einkaufstasche liegt halb unausgepackt herum.
Die Krippenfiguren liegen noch auf der Kommode.

Und eigentlich hast du überhaupt keine Zeit für deinen neuen Mitbewohner.
Kopf und Herz sind zu voll mit dem ganzen Unerledigten.
Die Karten, die du schreiben wolltest, aber nicht geschrieben hast.
Der Anruf bei der Mutter, den du vor dir herschiebst.
Und das letzte Gespräch mit dem Chef.
Bei dem Gedanken daran zieht es dir sofort wieder in den Bauch.
Warum hat der nur so komische Fragen gestellt? Habe ich zu viel falsch gemacht?
Und die Kinder in den griechischen Flüchtlingslagern, auch die lassen dir keine Ruhe.

Und jetzt auch noch womöglich Gott. Hier bei dir.
Du bist dir nicht sicher, ob du das aushältst. Ob dir das nicht zu viel wird.
Denn dann müsste doch erstmal die Einkaufstasche ausgepackt werden
Und die Krippenfiguren an ihren Platz stellen.
Gott soll sich ja wohlfühlen.
Das muss doch alles richtig sein, schließlich ist ja Weihnachten.

V.
Aber Gott zieht ihre Schuhe aus, schaut sich neugierig um und fühlt sich sichtlich wohl.
Nichts muss richtig sein für Gott. Im Gegenteil.
Gott kommt in die Ruinen Jerusalems
und in ein Kaff namens Bethlehem mit den merkwürdigsten Gestalten um sich herum.

Hör auf, dich richtiger für mich machen zu wollen, sagt Gott.
Gerade in deinem so unperfekten Leben bin ich zuhause.
In deinen Fragen und deiner Angst - bin ich da. In deinen Zweifeln an dieser Welt.
In deiner Ratlosigkeit, weil du nicht weißt, wie du wirklich was ändern kannst.
Ich will nicht im Heiligtum wohnen. (3)
Sondern bei dir. Wo du leidest und wo du liebst.
Und ich bin gekommen um zu bleiben.
Setz dich also hin und schau dich selbst liebevoll an und die Welt auch.

VI.
Siehe, ich komme und will bei dir wohnen, spricht er Herr.
Er hat sich aufgemacht.


Du findest Gott in Elfy, die nach einer Bleibe sucht - und nach Liebe.
Ob es bis heute geklappt hat, weiß ich nicht.
Aber sie wollte nochmal einen neuen Anlauf nehmen. Nochmal anrufen beim Wohnheim.
Vielleicht triffst du sie auf der Straße und du rümpfst deine Nase, wie sie heute wieder aussieht,
aber dann denke daran: du siehst Gott, wenn du sie siehst.
Frage sie, wie du ihr helfen kannst. Vielleicht freut sie sich über ein warme Tasse Kaffee.
Und am meisten freut sie sich vermutlich über eine Sozialpolitik,
die ihr eine Chance zum Überleben gibt.

Du findest Gott in den Trümmern und Bruchstücken dieser Welt.
In den Kindern der griechischen Flüchtlingslager, um die sich Europa nicht schert.
Und bei den Fluchthelfern, die sie da rausholen wollen.
Du findest Gott in den Behelfsunterkünften deines Lebens.
Wo es laut und unruhig ist und manchmal auch ganz still.
Du findest ihn in einer Maria, die ihr Leben ganz neu sortieren muss
und sie weiß nicht, wo sie bleiben kann. Aber Gott bleibt bei ihr.

Du findest Gott in deinem Leben. Und er bleibt - auch bei dir.
Und für dich singen die Engel.
Amen.

Lied: Tochter Zion, freue dich

(1) Auf das Leben von Elfy hat mich Dieter Puhl aufmerksam gemacht. Ihre Krebserkrankung habe ich in meiner Predigt nicht erwähnt. Zu lesen in https://www.tagesspiegel.de/berlin/obdachlosigkeit-in-der-hauptstadt-wie-eine-krebskranke-berlinerin-auf-der-strasse-ueberlebt/25358950.html

(2) Wortideen von Birgit Mattausch

(3) Wortideen von Sebastian Wolfrum

Sonntag, 15. Dezember 2019

Welten entdecken

Predigt zum 3.Advent 2019 über Jesaja 40,1-11
verschränkt und verwoben mit den wunderbaren Gedanken und Formulierungen von Thomas Hirsch-Hüffel*

Tröstet, tröstet mein Volk!, spricht euer Gott.
Redet mit Jerusalem freundlich und predigt ihr,
dass ihre Knechtschaft ein Ende hat, dass ihre Schuld vergeben ist;
denn sie hat die volle Strafe empfangen von der Hand des Herrn für alle ihre Sünden.

Es ruft eine Stimme:
In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg, macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott!
Alle Täler sollen erhöht werden, und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden,
und was uneben ist, soll gerade, und was hügelig ist, soll eben werden;
denn die Herrlichkeit des Herrn soll offenbart werden,
und alles Fleisch miteinander wird es sehen; denn des Herrn Mund hat's geredet.

Es spricht eine Stimme: Predige!, und ich sprach: Was soll ich predigen?
Alles Fleisch ist Gras, und alle seine Güte ist wie eine Blume auf dem Felde.
Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; denn des Herrn Odem bläst darein.
Ja, Gras ist das Volk!
Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt, aber das Wort unseres Gottes bleibt ewiglich.

Zion, du Freudenbotin, steig auf einen hohen Berg;
Jerusalem, du Freudenbotin, erhebe deine Stimme mit Macht;
erhebe sie und fürchte dich nicht!
Sage den Städten Judas: Siehe, da ist euer Gott; siehe, da ist Gott der Herr!
Er kommt gewaltig, und sein Arm wird herrschen.
Siehe, was er gewann, ist bei ihm, und was er sich erwarb, geht vor ihm her.
Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte.
Er wird die Lämmer in seinen Arm sammeln
und im Bausch seines Gewandes tragen und die Mutterschafe führen.


I.
An den Wassern von Babylon sitzen sie und weinen.
Ins Exil verbannt. Weit weit weg von zuhause. Entwurzelt.
Irgendwie haben sie sich daran gewöhnt.
Die Sehnsucht überdeckt mit dem Alltäglichen.
Tun, was man halt so tun muss, um nicht aufzufallen.
Manchmal aber kribbelt es.
Und sie wissen genau: Das kann es noch nicht gewesen sein.

II.
Es ruft eine Stimme:
In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg,
macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott!


Das hier in Babylon, das kann es noch nicht gewesen sein.
Ist das nun die ersehnte Veränderung?
Sie erinnern sich:
Ihre Vorfahren brachen einst aus Ägypten aus und wagten sich in die Wüste hinein.
Und nun ein erneuter Aufbruch? Wieder in die Wüste.
Ungewiss, was dabei rauskommt und wo man landet.
Aber mit dem sicheren Gefühl: es ist jetzt dran, sonst vertrocknen wir wie das Gras im Sommer.

III.
Das kann es noch nicht gewesen sein. Das ist noch nicht alles, was jetzt ist.
Wir sind noch nicht fertig. Immer wartet in uns etwas auf seine Geburt.
Immer ist das, was wir eigentlich sind größer als das, was wir leben.
Beate könnte auch Kinder-Animateurin auf Sizilien sein. Sie verkauft aber Reisen in Pforzheim.
Sie hätte den Blick für Architektur und das Ohr für fremde Klänge.
Aber das kann sie nur ahnen. Ihre Entscheidung fiel einmal anders aus.

Jede merkt, was noch möglich wäre an den wiederkehrenden Pubertäten:
es summt in den Knochen, die Glieder wollen etwas  – aber noch ohne Ziel.
Ein anderer Mann hätte es auch sein können, eine andere Stadt.
Eine einzige Palme im Fernsehen beißt das Herz, und schon ist die Fantasie unterwegs:
Nicht nur Reisen verkaufen, sondern selber reisen und darüber schreiben?
Bin ich eigentlich noch ganz anders?


IV.
Berge fallen und Täler werden erhöht.
Verlässlich stellen sich unter der scheinbar festen biografischen Erdkruste
tektonische Verschiebungen ein. Hochhäuser und andere Lebensgebäude wackeln.
In der Tiefe Magma, glühend. Gelegentlich Ausbrüche vulkanischer Natur.
So ungeheuer flüssig wie der Erde Inneres, so unermesslich reich ist die Seele.
Wir könnten so viel mehr als in diesem Leben.

Vielleicht denke ich, ich sei schon ziemlich fertig und endlich stabil. 
Aber fertig sind wir erst im Tod, und selbst da: wer weiß … – 
vielleicht sehen wir dann die ganze Vielfalt unserer Tiefen und Gebirge.
Das wäre die ungeheure Landschaft, die immer in uns wohnte und bereist werden wollte.

Aber warum dann nicht jetzt? Warum immer nur die faulen Kompromisse?
Und wann ist der richtige Zeitpunkt für den Aufbruch, für das Große,
für die Möglichkeiten, die da sind?

V.
Das Große kommt. Etwas, das sich nicht greifen lässt.
Und ich stehe vor meiner eigenen Sehnsucht nach dem ganz anderen in mir
und stammel „Was soll ich glauben, was kann ich predigen“.
Ach wie gut ich den Propheten verstehe. Und wie gut, dass es auch ihm so geht.
Dass auch er spürt: Hier verschiebt sich was, das noch zu groß ist für mich.
Es wirft mich aus der Bahn, obwohl ich doch vielleicht eine Bahn legen sollte.
Aber ich setze mal einen Fuß dorthin und taste mich vor in meine Seele hinein
Schaffe Platz für das Große, das da kommt.
Adventszeit ist eine gute Zeit dafür.

VI.
Siehe da ist euer Gott, ruft der Prophet.
Und ich sehe die 17jährige, die einem Mann namens Josef versprochen ist.
Sie tut, was alle Mädels in der Zeit damals tun:
sich auf ein Leben in einer Ehe vorzubereiten, den Eltern zu helfen,
zu träumen und zu arbeiten, was anliegt.

Aber in ihr wohnen ganz andere Welten. Die sprechen eines Tages zu ihr.
Als ganz am Rand ihres Sehfeldes eine Figur auftaucht. Etwas Helles, anders als alles.
Mit Flügeln wohl und zum Fürchten auch.
In dir bereitet sich etwas Großes vor, sagt es –
oh oh. Was soll mir das? Ich bin doch verplant.

Aber da ist das Summen in den Knochen, die schlaflosen Nächte.
Da entsteht etwas wie aus dem Nichts und es keimt.
Neun Monate wird es reifen. Bei manchen und manchem dauert es viel länger.
Was nun geschieht, will einfach nur erwartet werden.
Das Erdbeben unter den Füßen, die heiße, grundlose Freude beim Aufwachen,
das Weinen ohne Anlass unter der Dusche. Mir selber zuschauen, wie an mir gearbeitet wird.
Adventliches Warten darauf, dass etwas ausgetragen und endlich geboren wird.
Marianische Existenz in guter Hoffnung.


VII.
Macht in der Steppe eine ebene Bahn unserm Gott.
Halte dich bereit.
Horch hinein in die großen Räume, die auch noch begehbar wären.
Lass dich nicht zu schnell besetzen von Sachen, die dir den Horizont vernageln.

Setz dich zu den Israeliten an die Wasser von Babylon und höre ihnen zu.
Lausche auf die Sehnsucht in dir. Auf deine Ungeduld.

Bleib ‚jungfräulich‘ empfänglich, denn immerzu kann Großes mit dir geschehen.
Was dann entsteht, braucht Begleitung.
Der Entschluss zu reisen und Reisebücher zu schreiben, ist sowas.
Das Kind der 17jährigen wird von schützenden Träumen, Schafhütern
und fernen Gestalten begleitet werden.
Was geboren wird, braucht Schutz –  noch ist es klein.

Und was tut Gott? Er ist da. Er wächst  – mit mir und in mir.

Und er kommt mir zugleich entgegen
und wenn ich mich verloren habe oder nicht mehr weiter kann,
dann wickelt er mich ein in den Bausch seines Gewandes und trägt mich.

VIII.
Siehe da ist euer Gott, ruft der Prophet.
Und die Freudenbotin steigt auf den Berg und ruft es laut in die Welt.
Gott ist da.

Gott ist das Ganze eurer Möglichkeiten.
Er ist Palme, Engel, Sehnsucht und eure Antwort darauf.

Er ist Ungeduld und Aufbruch, Hoffnung und Erschöpfung zugleich.
Er ist in eurer Wüste und an den Wassern von Babylon,
In euren Tränen und in euren Liedern - damals und heute.

Erwartet ihn. Er nimmt euch mit.
Amen.




* Der Blog von Thomas https://unglaeubigesstaunen.wordpress.com/ ist sehr sehr zu empfehlen! Alles, was in dieser Predigt in dieser Farbe markiert ist, ist dem Blogbeitrag "Advent 17" entnommen oder entlehnt (https://unglaeubigesstaunen.wordpress.com/2017/10/03/advent-17/?fbclid=IwAR2TUGN2mUGSjMmkzTF8NmjykWf090pgaeaLROehRHCj7DHsTCIG3x0s_Zw). Thomas selbst hat mich darauf aufmerksam gemacht, wofür ich ihm sehr dankbar bin.

Montag, 9. Dezember 2019

Der Sommer Gottes

Predigt zum 2. Advent über Lukas 21,25-33

(mit Dank für einige Anregungen von Beate Stutter)

I. Wankende Welt

Jesus sprach zu seinen Jüngern:
Es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen,
und auf Erden wird den Völkern bange sein,
und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres,
und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge,
die kommen sollen über die ganze Erde;
denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.


Manchmal gerät die Welt ins Wanken.

Da wird dir bange. Da zählt nichts mehr, was vorher zählte.
Als hätte einer das Unterste zuoberst gekehrt.
Von dem Tempel in Jerusalem steht kein Stein mehr auf dem anderen. 

Kein Backup steht bereit, keine Versicherung, keine Hilfe.


Manchmal gerät die Welt ins Wanken.
Die Wogen des Meeres schlagen über dir zusammen:

die Wogen der Angst, der Resignation,

die Wogen einer Diagnose lässt dich untergehen.

Manchmal gerät die Welt ins Wanken.
Da verstehst du nicht, was auf dem Mittelmeer geschieht.
Da spricht ein AfD-Politiker locker von Umvolkung
und du fragst dich, ob alles wieder von vorne los geht.
Die leisen Töne hört man nicht mehr.
Und du fragst dich, warum sich das eigentlich nie ändert.


II. Erhobene Häupter

Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen
in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.
Wenn aber dieses anfängt zu geschehen,
dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.


Kopf hoch - morgen ist auch noch ein Tag

Kopf hoch - das wird schon wieder
Kopf hoch - so schlimm ist es doch gar nicht

Kopf hoch - bald hast du es geschafft
Kopf hoch - bald bist du wieder gesund

Kopf hoch - vielleicht besuche ich dich ja mal
Kopf hoch - nun reiß dich zusammen


Billiger Trost. Das spürst du sofort.
Der kommt aus der Unsicherheit:

Was soll man schon sagen, wenn einem die Welt ins wanken gerät?

Wie Mut machen, wenn man doch nichts ändern kann?

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!


Billiger Trost auch hier? Nein, genau das nicht.

Da sagt einer nicht: Kopf hoch!, sondern:
Seht auf! Erhebt eure Häupter! 

Wer sein Haupt erhebt, verliert dabei nicht seine Würde.

Wer sein Haupt erhebt, steht mit ganzem Körper da, mit allen Fasern seines Lebens.
Gedanken und Gefühle sind auch dabei. Und alle Demütigungen und Verletzungen.
Auch sie stehen aufrecht da.
Seht auf - nicht einfach nur Kopf hoch.
Seht auf. Seht den Tatsachen ins Gesicht. Auge in Auge.
Schaut euch um und steht mit beiden Beinen auf der wankenden Welt.


Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!

Es gibt einen Grund, erhobenen Hauptes in der Welt zu stehen.

Die Erlösung naht. Auch im Dunkel. Gerade im Dunkel!

Mitten im Heillosen. Mitten im Unfrieden.
Diese Erlösung richtet dich auf. Stellt dich hin. Lässt dich sehen.
Die Erlösung naht für die Todkranken, für die Schiffbrüchigen,
für die Einsamen, für die Verbitterten, für die Hoffnungslosen.
Die Erlösung naht.
Da ändert sich alles - auch für dich und für die ganze Welt. Und zwar bald...
Wie bald?

III. Sommerzeichen

Und er sagte ihnen ein Gleichnis:
Seht den Feigenbaum und alle Bäume an:
wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es,
so wisst ihr selber, dass jetzt der Sommer nahe ist.


Sommer? Jetzt?
Die Blätter treiben aus, Zeichen dafür, dass grün alles werd.
Blumen, benetzt vom Tau und nicht von einem Wolkenbruch,
beschienen von einer friedlichen Sonne. Sommer auf der Erde,
Erlösung von der Kälte und Starre des Winters und der warmen Kleider.
Früchte auf den Märkten, warme Abende vor dem Haus, in den Gärten,
eine leichte Zeit, in der Menschen sich öffnen,
ihre Seelen schwingen sich wie Vögel in den Himmel,
Menschen leben mit lachenden Herzen,
Sommerzeit - Reich Gottes Zeit.
Erlösung von allem, was die Welt dunkel macht.

Sommer jetzt?
Wir schmücken unsere Bäume mit Lichtern, mit Süßigkeiten, mit Äpfeln.
Wir schmücken die Bäume, die auch im Winter Grün tragen.

Wir holen das Grün und das Licht in unsere Häuser,

weil wir sonst nicht glauben können, dass wieder Sommer wird.

Nicht mal, dass wirklich Weihnachten wird.
Wir holen ins Wohnzimmer, wonach wir uns sehnen.
Dass das Leben viel mehr ist, als uns die wankende Welt glauben machen will.

Wir brauchen die kleinen Lichter,
 damit wir das große Licht erkennen, wenn es kommt.
Und es kommt! Nicht nur für uns!

IV. Vergehende Welt und aufgerichtete Menschen

So auch ihr: wenn ihr seht, dass dies alles geschieht,
so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist.
Wahrlich, ich sage euch:
Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht.
Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht.


Erlösung ist keine kosmetische Korrektur. Erlösung ist Veränderung ganz und gar.
Die Gebückten richten sich auf. Die Verbitterten fangen an von Herzen zu lachen.
Tränen versiegen und Familien werden nicht durch eine Krankheit zerstört.
Die Welt muss ins Wanken geraten, weil sie nicht bleiben kann, wie sie ist.
Weil sie nicht bleiben darf, wie sie ist!

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht! 


Die Erlösung kommt - sie kommt von außen, steht vor der Tür und klopft gleich an.

Man muss immer mit ihr rechnen, und es ist gut mit einer Zukunft zu rechnen,
in der Menschen sich erheben und aufrecht stehen und wissen, was dran ist.
Sie schauen hin und setzten sich der wankenden Welt aus, 

sie schauen hin und reden nichts schön,
sie lassen sich nicht vorgaukeln, dass es schon nicht so schlimm sei
und dass uns das Leid der anderen nichts anginge.


Da kommt etwas, das verändert die Welt

und die darauf hoffen, resignieren nicht,
sondern stehen mit beiden Beinen fest auf der wankenden Welt.
Sie sehen auf den Menschensohn, Jesus, 

und bei seinem Anblick wissen sie, 
dass etwas Gutes folgt,
ihre Erlösung.

V. Siehe, alles ist gut

Wie war es noch, ganz am Anfang?
Gott spricht und es kommt das Licht und Leben entsteht.
Und es ist gut. 

Es ist nicht spektakulär, es wird nicht weiter gerühmt,

keine Posaunen erklingen beim ersten Grashalm am dritten Tag.
Aber es ist der erste Sommer der Erde, mit dem das Leben laut Bibel beginnt.

Gott sagt: „Gut“ zum Leben, gut zum Licht, gut zur Welt und das genügt. 



Gott spricht: Eure Erlösung naht. Seht auf. Steht auf.
Wenn Gott spricht, dann geschieht, was er verspricht.
Das Gute kommt so wie der erste Grashalm im Frühling.

Und wenn Gott spricht, dann geraten Menschen in Bewegung und sie folgen dem Licht.

Sie holen andere aus der Gefangenschaft in Ägypten heraus
und führen sie durch die Wüste 
hinein in den fruchtbaren Sommer des gelobten Landes.
Sie sammeln Geld für ein Rettungsschiff
und gehen auf die Straße für eine lebenswerte Zukunft.
Sie engagieren Rechtsanwälte für von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge
und holen wenigstens ein paar aus dem Gefängnis.
Ja, aufrecht gehende Menschen, die wissen, dass die Erlösung naht.
Und die selber Gebückte und Gebeugte aufrichten - weil Gott es sagt.

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Manchmal gerät die Welt ins Wanken.
Aber du siehst erwartungsvoll dem Sommer Gottes entgegen .
Er tritt ein in dein Leben und in diese Welt.
Und selbst wenn du gerade zu müde bist und deine Welt aus dem Wanken nicht herauskommt:
der Sommer Gottes kommt.

Manchmal gerät die Welt ins Wanken.
Und manchmal liegst du am Boden. Aber deine Erlösung naht. Gott richtet dich auf.
Und er zeigt dir, wo der Sommer ist und das Lachen und das Grün und das Licht.

Fang einfach mal an. Zuerst mit dem Rückgrat: aufrichten. Und dann Aufsehen.
Tun, was man tut, wenn die Erlösung nah ist. Die Tür aufmachen für den Erlöser.
Noch ein Bäumchen pflanzen und achte auf das Gras im Frühling.
Sieh auf und du wirst sehen: Der Tag ist nicht mehr fern.
Amen