Sonntag, 19. Januar 2020

Wein, Kaffee und warme Hände

Eine Predigt zum Fest des Lebens und zur Eröffnung der Vesperkirche 
(mit Dank an Miriam Helmert für Inspiration und das eine oder andere Wort)


I. Vesperkirche

4 Wochen lang wird hier gegessen und getrunken.
4 Wochen lang gibt es hier ein warmes Essen, 4 Wochen eine warme Hand.
Eine hört zu, ein anderer verschreibt Medikamente, wieder eine spielt mit einem Kind.
Geschichten werden erzählt von zuhause, wo es kalt ist und wo das Geld fehlt.
Und andere erzählen von früher,  als der Mann noch da war und das Licht heller.
Manche werden nur einmal kommen oder zweimal. Viele kommen jeden Tag.
Die einen kennt man schon gut. Andere sind neu hier.
Ganz normales Essen gibt es hier. Ganz normalen Kaffee.
Jesus ist mittendrin.  Und das macht alles anders.

II. Kana

Jesus ist mittendrin.
Dort wo gegessen wird und getrunken. Wo du lachst und wo du weinst.
Wo du zuhause bist. Wo du nicht weißt, ob du dahin gehörst.

Wenn’s was zu feiern gibt, ist Jesus dabei
– auch in Kana, nicht allzu weit weg von Nazareth.
Ein rauschendes Hochzeitsfest. (1)
Ein Fest des Lebens, wo die Liebenden sich küssen,
die Freunde feiern und die Kinder dazwischen herumwuseln.
Musik spielt auf, Geschirr klappert, Stimmengewirr überall. Das Brautpaar ist glücklich.

Über dem Feuer brät ein Lamm,  frisches Brot gibt es körbeweise,

Feigen und Käse stehn auf dem Tisch.
 Und Wein wird ausgeschenkt:
Wein von den Hängen des Golan, gold schimmernd mit fruchtiger Note, in großen Krügen.

Es wird getanzt und gesungen, gelacht und gegessen;
Und Jesus ist mittendrin und genießt die Zeit.

III. Der Wein ist alle

Doch plötzlich ist Schluss mit Lustig. Der Wein ist alle.
Ich fühle mit dem Brautpaar:
Rot vor Scham, wenn der Wein ausgeht oder das Bier nicht reicht.
Oder die Suppe ist sauer geworden über Nacht. (Ist bei meiner Hochzeit passiert)
Was haben wir übersehen in der Planung? Wie stehen wir denn jetzt da?
Und kippt jetzt die Stimmung?

Unangenehmer geht es kaum:
Die eigene Hochzeit, und die Getränke gehen aus!
Eine Vesperkirche, wo zu wenig Essen bestellt wurde.
Das Gefühl ist immer das Gleiche. Peinlich, sehr peinlich.

Denn es geht um mehr.
Es geht um mehr als die Menge oder den guten Geschmack von Wein.
Es geht um den Durst nach Leben und Freude und Sonne und Gemeinschaft.
Dass da einer mit mir als Gast gerechnet hat.
Ich bin es ihm wert, dass er sich für mich ins Zeug legt.
Und so bleibt ein schaler Nachgeschmack, wenn das Gegenteil eintritt.
Da kann man noch so sehr argumentieren:
ach, Wasser tut es doch auch. Ist eh gesünder.
Die Festlaune ist getrübt.

IV. Wasser zu Wein

Doch dann ist da Jesus.
In unsrer Welt angekommen, erwachsen geworden –
und doch letzten Endes ja nicht von dieser Welt.
Grade erst angefangen hat er, öffentlich zu wirken.
Und was tut er als erstes, sein erstes „Zeichen“?!
Er macht Wasser zu Wein.

Keine Heilung, die lebensnotwendig wäre,
Aber es geht um das Leben.
Um das Fest des Lebens mitten im Leben.

Jesus schwingt keine großen Reden,
nicht über die schlechte Vorbereitung des Bräutigams,
oder die knappe Vorratshaltung der Braut.
Auch nicht über das schwierige Trinkverhalten der Gäste,
über die Gefahren des Weinkonsums und die Ressourcenknappheit des Wassers.
Er regt sich nur kurz über seine Mutter auf:
Was willst du von mir, Frau?!,
erinnert sie kurz daran, dass seine Definition von Verwandtschaft anders ist als üblich
– und sieht dann doch ein, dass sie Recht hat mit ihrem Hinweis
Sie haben keinen Wein mehr
und der darin versteckten Bitte: „Jesus, tu doch was dagegen!“

Jesus tut, was nötig und ihm möglich ist, und was er für richtig hält:
Er macht Wasser zu Wein.
Sorgt dafür, dass die Freude am rauschenden Fest keinen Dämpfer bekommt;
und dass niemand mehr Durst leiden muss auf der Hochzeit in Kana.
Er rettet den Gastgeber, die Gäste, das ganze Fest. Jesus macht Wasser zu Wein.

V. Jesus mittendrin

Jesus ist mittendrin und etwas Alltägliches wird was Besonderes.
Das Fest des Lebens mitten im Leben. In Kana und hier.
Die Tasse Kaffee hier in der Kirche wärmt mehr als den Bauch.
Das Essen hier nährt auch die Seele.
Ein Lächeln am Nachbartisch macht den Raum plötzlich heller.
Das einfache Brötchen wird zu einem Geschenk, das noch draußen schmeckt.
4 Wochen lang wird hier Wasser zu Wein, weil Jesus mittendrin ist.
Weil jeder Gast so wichtig und wertvoll ist, dass alle alles geben dafür.
4 Wochen lang Fest des Lebens. 4 Wochen lang mit Jesus mittendrin.

VI. Fest des Lebens

Ich wünsche mir, dass dieses Fest des Lebens nicht aufhört,  wenn die Vesperkirche vorbei ist.
Dass Jesus mittendrin bleibt. Dass auch dann Wasser zu Wein wird.
Das Alltägliche zum Besonderen.

Da wird mein Kaffee zu einem Festgetränk, weil ich ihn mit jemandem teile, der nicht damit rechnet.

Da sieht jemand die rumänische Bettlerin vorm Kaufhof
und weiß: sie ist ganze anderen ausgeliefert. 
Er setzt sich zu ihr und versucht sie aus ihrem Elend zu befreien.
Vielleicht mit anderen zusammen? (2)

Da werden die Kinder tatsächlich aus den griechischen Flüchtlingslagern nach Deutschland geholt und nicht mehr darüber diskutiert, ob das geht oder nicht.

Und da bekommt eine todkranke Frau eine gespendete Lunge. (3)

Wasser wird zu Wein. Jesus mittendrin im Fest des Lebens, mitten im Leben.

VII. Vertrauen

Ja, das Fest des Lebens geht weiter.
Und ich wünsch mir auch so ein Vertrauen wie Maria:
Tut alles, was er euch sagt, hat sie vorsorglich zu den Dienern gesagt.
Obwohl ihr Sohn sie so distanziert zurecht gewiesen hat, weiß sie, glaubt sie:
Es wird etwas passieren.
Dafür hat sie ihn doch schließlich zur Welt gebracht.
Hat es ertragen, wenn er schon als Kind anders war als die anderen Kinder.

So ein Vertrauen zu haben wie Maria, weil Jesus mittendrin ist in meinem Leben.
Ihn bitten, dass Wunder geschehen. Und das Leben zum Fest wird. Jetzt. Hier.
Und dann das Fest des Lebens feiern wie die Menschen in Kana,
als es plötzlich 600 Liter vom besten Wein gab und das Fest wieder Fahrt aufnahm:
Die Musiker spielen, die Kinder lachen, die Leute tanzen bis zum Morgengrauen.

Und wir feiern das Fest des Lebens hier in der Kirche.
4 Wochen lang mit essen und trinken und mit warmen Händen.
Und jeder Gast ist wertvoll und wichtig.
Wir tragen dann das Fest in die Stadt und in die Welt.
Mit warmen Händen und offenen Herzen. Und wir feiern mit Jesus, der bei uns ist
Er macht Wasser zu Wein und das Alltägliche zu was ganz Besonderen.
Mitten im Leben. Und es hört nicht auf.

Amen.

(1) Johannes 2,1-11 - wurde als Lesung gelesen:
Am dritten Tag fand in Kana in Galiläa eine Hochzeit statt. Auch die Mutter von Jesus nahm daran teil. Jesus und seine Jünger waren ebenfalls zur Hochzeitsfeier eingeladen.

Während des Festes ging der Wein aus. Da sagte die Mutter von Jesus zu ihm: »Sie haben keinen Wein mehr!«  Jesus antwortete ihr: »Was willst du von mir, Frau? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.« Doch seine Mutter sagte zu den Dienern: »Tut alles, was er euch sagt!«
Dort gab es auch sechs große Wasserkrüge aus Stein. Die Juden benötigten sie, um sich zu reinigen. Jeder Krug fasste zwei bis drei Eimer. Jesus sagte zu den Dienern: »Füllt die Krüge mit Wasser.«
Die füllten sie bis zum Rand. Dann sagte er zu ihnen: »Schöpft jetzt etwas heraus und bringt es dem Festmeister.« Sie brachten es ihm. Als der Festmeister einen Schluck davon trank, war das Wasser zu Wein geworden. Er wusste natürlich nicht, woher der Wein kam. Aber die Diener, die das Wasser geschöpft hatten, wussten Bescheid. Da rief der Festmeister den Bräutigam zu sich und sagte zu ihm: »Jeder andere schenkt zuerst den guten Wein aus. Und wenn die Gäste dann angetrunken sind, folgt der weniger gute. Du hast den guten Wein bis jetzt zurückgehalten.«
Das war das erste Zeichen. Jesus vollbrachte es in Kana in Galiläa. Er machte damit seine Herrlichkeit sichtbar und seine Jünger glaubten an ihn.

(2) Hier beziehe ich mich auf einen Beitrag von Albert Esslinger-Kiefer in der PZ vom 18.1.2020

(3) Am 15.1.2020 wurde im Bundestag eine Gesetzesänderung zur Organspende beraten. Die Widerspruchslösung wurde abgelehnt. In meinem Umfeld wurden die verschiedenen Lösungsansätze sehr kontrovers diskutiert. Mich persönlich hat die ARD-Dokumentation "Organspende - Jetzt reden die Ärzte" sehr bewegt. https://www.ardmediathek.de/ard/player/Y3JpZDovL2Rhc2Vyc3RlLmRlL3JlcG9ydGFnZSBfIGRva3VtZW50YXRpb24gaW0gZXJzdGVuLzA0M2JhM2U3LTcwZGYtNDJmZS1iMjdhLTU3NTUwZTIwYWRkZg/organspende-jetzt-reden-die-aerzte