Sonntag, 28. Februar 2016

Der Duft der Liebe und der schlechte Geruch des Hasses

Predigt zu Epheser 5

I.
Aus dem Brief an die Gemeinde in Ephesus:

So folgt nun Gottes Beispiel als die geliebten Kinder
und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat
und hat sich selbst für uns gegeben als Gabe und Opfer,
Gott zu einem lieblichen Geruch.
(Epheser 5)

Lebt in der Liebe. Wie ein schöner Duft für Gott.

Welcher Duft weht wohl durch den Tempel
als die alte Witwe ihn betritt?
(aus der Lesung Markus 12,41-44)
Sie holt die 2 Münzen heraus, dieses kleine Etwas
und legt sie in den Opferkasten.
Ihre Kleider sind zerschlissen
viel zu oft gewaschen,
vielleicht muffeln sie auch,
die Farbe ist schon draußen
und die Flicken ganz schrumpelig wie ihre Haut.
Unscheinbar sind die Münzen
und doch liegt ihr ganzen Herz in ihnen,
denn mehr hat sie nicht.
Aber das ist so viel.
 Lebt in der Liebe.
Wie ein schöner Duft von Gott.

Welcher Duft weht wohl durch das Haus einer Kollegin von mir?
(Hommage an Bettina Schlauraff - vermutlich sind nicht alle Angaben richtig, weil ich nur aus der Erinnerung geschrieben habe)
Da wohnt in einem Stockwerk 1 syrische Familie
und mit ihnen 2 junge Männer, Omar und Mohammed.
Da weht der Duft nach Koriander und Thymian und Gebackenem,
aber auch der Duft der Tränen durch das Haus..
Die Angst um die in Aleppo-Gebliebenen.

Doch dann sitzen sie beieinander:
der kleine Sohn der Pfarrerin und der 10jährige von der syrischen Familie.
Und sie bauen eine neue Stadt - gemeinsam.
Der Duft ihrer klebrigen Hände
und ihrer fröhlichen Augen
und von der Schokolade,
die sie sich immer wieder in den Mund schieben.

Und die Pfarrerin setzt sich auf die Bank zu Mohammed,
der auf das Foto in seiner Hand starrt.
Und sie hört ihm zu und gibt ihm ein Taschentuch
und nimmt ihn in den Arm.
Ein warmer Duft nach Liebe.
Lebt in der Liebe.
Wie ein schöner Duft von Gott.

II.
Welcher Duft wehte durch Ephesus?
Eine der größten Städte des römischen Reiches.
Mit einer riesigen Marktbasilika zu Ehren des Augustus.
Es war eine saubere Stadt, sagt man.
Reich und wohlhabend.
Auf Reinlichkeit legte man großen Wert.
Es gab große berühmte Bäder.
Der Duft der wohlriechenden Öle weht durch Ephesus.
Aber haben sie auch in der Liebe gelebt?

Von Unzucht aber und jeder Art Unreinheit oder Habsucht
soll bei euch nicht einmal die Rede sein,
wie es sich für die Heiligen gehört.
Auch schandbare und närrische oder lose Reden stehen euch nicht an,
sondern vielmehr Danksagung. (Epheser 5)

III.
Ein schlechter Duft wehte durch die Straßen von Ephesus.
Da nützten auch die großen Bäder nichts.
Und auch nicht die wohlriechenden Öle.
Sklavinnen wurden ausgebeutet.
Sie hatten keine Chance, sich zu wehren gegen ihre Herren,
hatten in jeder Hinsicht zu dienen - auch im Bett.
Auch die Christen verdienten ganz gut daran,
am Sklavenverkauf
oder am Verkauf von Amuletten.
Und man redete mehr übereinander als miteinander.
Machte die anderen schlecht, damit man selber besser dastand.

Ein schlechter Geruch weht durch unsere Straßen.
Frauen, die zur Prostitution gezwungen werden.
Aber auch die alltägliche Gewalt im Kleinen.
Der anzügliche Blick von oben nach unten.
Im Aufzug.
Die Hand auf dem Hintern.
Das Plakat, das für die feuchten Täler des Schwarzwalds mit einer nackten Frau wirbt.
Die Tuningmesse, die nicht ohne sich räkelnde Mädchen auskommt.
Und in Köln wehte in der Silvesternacht der Geruch der Angst und der Scham.
Wir sind aufmerksam geworden seit dem.
Passen auf. Zeigen an. Achten mehr darauf.
Das ist gut.
Wenn da nicht das schandbare, närrische und lose Reden wäre.
Dass nun "alle Nordafrikaner" so seien.
Und alle Flüchtlinge.
Aber die Deutschen nicht.
Der Geruch der Überheblichkeit.
Der Geruch der Vorverurteilung.
Der Geruch des Hasses.

Ja, er weht durch unsere Straßen, der Geruch des Hasses,
der üble Geruch.
Er lässt Menschen nach Bürgerwehren rufen.
Er wirft in Moscheebaustellen tote Schweine.
Er macht Flüchtlingskindern in ankommenden Bussen Angst.
Er beschimpft die Bundeskanzlerin als Diktatorin.
Er schießt auf Flüchtlingsunterkünfte.
Und er will heute mittag um 12 Uhr auf dem Marktplatz gegen Flüchtlinge hetzen.
(Der rechtsextreme "Arminiusbund" hatte eine Demo angekündigt)
Das ist nicht der Duft von Gott.

IV.
Denn das sollt ihr wissen,
dass kein Unzüchtiger oder Unreiner oder Habsüchtiger
– das sind Götzendiener –
ein Erbteil hat im Reich Christi und Gottes.
Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten;
denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes
über die Kinder des Ungehorsams.
Darum seid nicht ihre Mitgenossen. (Epheser 5)

Was ist dein Duft?
Welchem Duft folgst du?
Von welchem Duft lässt du dich leiten?

Ich kann den Duft eurer Brandopfer nicht mehr riechen,
schleudert Amos der Oberschicht Israels entgegen.
Auch in unserem Land wird neu geopfert
auf dem Altar der leeren Versprechungen.
Da werden die Rechte von fliehenden Menschen geopfert.
Da wird das Wissen geopfert, dass Familien zusammengehören,
auch wenn sie aus fremden Ländern gehören.
Da wird der Respekt geopfert - auch von Christen,
wenn sie andere beschimpfen als Gutmenschen.
Wenn sie die Welt in schwarz und weiß einteilen,
in deutsche und nicht-deutsche,
in Richtig-Liebende und Falsch-Liebende,
in Gläubige und Ungläubige,
und Hauptsache, du bist auf der richtigen Seite.
Die Verführung der leeren Worte, auch in einer Partei, die Angst schürt.
Und da wird auf dem Wartberg das Gedenken der Bombentoten geopfert
für unversöhnlichen Hass. (23. Februar)
Aber Gott will diese Opfer nicht.

Er will keine Opfer, wo es den Opfernden nur um sich selber geht.
Er will keine Opfer, wo andere instrumentalisiert werden.
Er will keine Opfer, mit denen uns Angst gemacht wird.
Er will keine Opfer, die wir brauchen, damit es uns - und zwar nur uns - besser geht.
Vermeintlich besser.
Gott will diese Opfer nicht.
Er wird selber zum Opfer.
Und lebt die Liebe.

V.
Mit seinem Duft verführt dich Gott zur Liebe.
Es ist der Duft der armen Witwe, die ihren letzten Penny gibt;
der Duft der Hände, die Brote aus ihren Taschen holen und mit 5000 Menschen teilen.
Es ist der Duft des Salböls, das die Sünderin über den Kopf von Jesus ausschüttet;
der Duft des Wassers, mit dem Jesus die Füße seiner Freunde und Freundinnen wäscht.
Es ist der Duft des Samariters, der den unter die Räuber gefallenen pflegt;
und der Duft der weinenden Frauen, die zum Grab Jesu gehen.

Ja, ein verführerischer Duft.
Es ist der Duft der Liebe zum Leben.
Der Duft des Lichts.

VI.
Lasst euch von niemandem verführen mit leeren Worten;
denn um dieser Dinge willen kommt der Zorn Gottes
über die Kinder des Ungehorsams.
Darum seid nicht ihre Mitgenossen.
Denn ihr wart früher Finsternis;
nun aber seid ihr Licht in dem Herrn.
Lebt als Kinder des Lichts. (Epheser 5)

Lebe als Kind des Lichts.
Lebe mit dem Duft Gottes.
Lass dich von dem Duft seiner Liebe verführen
statt von leeren Worten des Hasses.

Hol das Brot aus deiner Tasche und teile es.
Oder den kleinen Penny.
Verbinde den Unter-die-Räuber-gefallenen
oder backe für den alten Mann von nebenan einen Kuchen.
Widersprich, wenn einer gegen Fremde hetzt
oder eine Frau dumm anmacht.
Tröste das weinende Kind,
hilf einem Fremden, eine Fahrkarte zu kaufen.
Denn du bist geliebt.
Geliebt von Gott.

Ja, du - Kind des Lichts.
Heller als jede Dunkelheit.
Stärker als jeder Hass.
Tiefer als jedes Opfer.
Ein Duft, der die Welt erfüllt.
Und durch alle Ritzen dringt.
Auch dorthin, wo es immer noch dunkel und muffig ist.

Vielleicht ist das nicht mehr als 1 Penny,
aber es genügt.
Lebe in der Liebe.
Wie ein schöner Duft von Gott.

Amen.

Mittwoch, 24. Februar 2016

Hier gab es nur noch das Entsetzen - und viele haben trotzdem gehofft

Ansprache zur Gedenkfeier angesichts des Jahrestags der Zerstörung von Pforzheim, 23.2.2016

I.
„Würde des Todes? Hier gab es keine mehr!
Hier gab es nur noch das Entsetzen
und einen ohnmächtigen Hass auf die gewissenlosen Verbrecher,
die diesen entsetzlichsten aller Kriege vom Zaun gebrochen hatten
und mit ihrem Geschwätz vom Endsieg und den neuen Waffen das Volk betörten.“


Worte von Elisabeth Kuhn.
Sie überlebte die Pforzheimer Bombennacht.
„Hier gab es nur noch das Entsetzen und einen ohnmächtigen Hass“ -
was auch sonst?
Tränen der Trauer, der Wut, der Verzweiflung.
Aber auch die leergeweinten Augen,
die nicht wissen, ob es noch eine Zukunft gibt.
Und das zerrissene Herz,
das die Verwandten und Freunde so schmerzlich vermisst.
Vielleicht sogar die Scham, selber davon gekommen zu sein.
Und letztlich das Wissen,
dass es keine Worte gibt, die das wirklich fassen können.

II.
„Hier gab es nur noch das Entsetzen“ -
und wieviele haben dann doch wieder gehofft?
Gehofft auf ein „Nie wieder“?
Gehofft, dass wir doch nun endlich eines begriffen haben sollten:
Hass, Gewalt und Krieg bringen nur Trauer und Tod und keinen Sieg.
Wieviele hat diese Hoffnung getragen,
als sie die Trümmersteine zusammen trugen
und daraus neue Häuser und Kirchen und Wege bauten?

Und doch fliegen wieder Bomber über Städte.
Lassen ihre tödliche Fracht fallen
dort, wo Menschen leben.
Kluge und dumme Menschen.
Alte und junge.
Böse und gute. Menschen, wie wir.

„Eines Abends, als wir gerade spielten, sahen wir viele Flugzeuge am Himmel.
Wir haben hoch geschaut.
Plötzlich hörten wir sehr laute Bombenexplosionen,
und Leute haben geschrien,
viele lagen verletzt am Boden.
Meine Freunde und ich haben uns auf den Boden gelegt.
Alles um mich herum war voller Staub.
Ich hatte riesige Angst und bin nach Hause gerannt.
Am nächsten Tag bin ich aufgewacht,
als Bomben direkt vor unser Haus fielen.
Das war der Moment,
als meine Familie beschloss zu fliehen.“

Diese Worte stammen nicht aus Pforzheim,
sondern vom 15-jährigen Mohammed aus Syrien.
(http://www.unicef.de/informieren/blog/2015/kindheit-kann-nicht-warten-teil2/94560)

III.
Mohammed reiht sich ein
in die vielen Überlebenden
aus Coventry, Dresden, Guernica, Rotterdam,
Hamburg, Pforzheim, Grosny und Aleppo.
Und wir hören diese Überlebenden
auch in den Klageliedern aus der Bibel:

„Von Tränen sind meine Augen ganz blind,
es brennt und tobt in meinen Eingeweiden,
Schmerz und Verzweiflung brechen aus mir heraus;
denn ich sah, wie mein Volk zugrunde ging.
Kinder und Säuglinge sah ich verschmachten,
draußen auf den Straßen der Stadt.
Gequält von Hunger und Durst schrien sie laut nach ihren Müttern.
Wie Verwundete brachen sie zusammen,
draußen auf den Straßen der Stadt,
und in den Armen ihrer Mütter taten sie den letzten Atemzug.

Jerusalem, du geliebte Stadt,
ich weiß nicht, was ich dir sagen soll!
Mit welchem Schicksal soll ich deins vergleichen,
um dich zu trösten, du Jungfrau Zion!
Dein Schaden ist unermesslich wie das Meer!
Kann dich noch jemand heilen?“

(Klagelieder 2.Kapitel)

IV.
Wir hören diese Worte
und wir hören in ihnen die Klagenden von vor 71 Jahren
und von vor 75 Jahren und von vor 1 Jahr.
Pforzheim, du geliebte Stadt, ich weiß nicht, was ich dir sagen soll.
Guernica, mit welchen Schicksal soll ich deins vergleichen?
Aleppo, dein Schaden ist unermesslich wie das Meer!
Kann dich noch jemand heilen?

Wir hören diese Worte und sind diesen Menschen nahe,
auch weil wir genau spüren:
solche Worte soll niemand mehr klagen müssen.
Es soll einfach nicht sein.
Denn uns wurde das Leben geschenkt, damit wir es leben.
Leben!
Es ist zu kostbar, zu wertvoll -
kein Mensch hat es verdient, unter Trümmersteinen sein Leben zu beenden.
Oder nur noch Entsetzen zu spüren.
Und wenn Menschen in unsere Stadt kommen,
die diesen Trümmern entfliehen,
oder die nur noch Entsetzen verspüren,
dann wünsche ich uns, dass wir uns verbunden fühlen,
dass wir sie willkommen heißen
und ein sicheres Dach über den Kopf geben.
Weil wir in Pforzheim wissen,
was es bedeutet, wenn es kein Dach mehr gibt.

V.
„Hier gab es nur noch das Entsetzen“ - schreibt eine Zeitzeugin.
Und viele haben trotzdem gehofft.
Sie fingen an, die Stadt wieder zu bauen.
Eine Stadt, in der Menschen leben und arbeiten können.
Eine Stadt, wo sie sich treffen, wo sie tanzen und feiern,
wo sie beten und trauern, wo sie lieben und Pläne schmieden können.
Eine Stadt wurde gebaut,
die offen sein soll für Menschen, die dazu kommen.

Es liegt an uns, ob wir diese Stadt so leben.
Ob wir anknüpfen an die Erfahrung, dass es nur gemeinsam geht.
Ob wir uns zu Handlangern des Hasses machen lassen
oder zu einladenden Menschen.
Ob wir uns von Ideologien leiten lassen, die mit der Angst spielen -
wie schon einmal -
oder ob wir uns von Liebe und Versöhnung leiten lassen.
Und auch von der Hoffnung unserer Vorfahren,
die aus den Trümmern eine neue Stadt bauten.

VI.
„Hier gab es nur noch das Entsetzen“ - schreibt eine Zeitzeugin.
Und viele haben trotzdem gehofft.
Und daraus gelernt.
Ein anderer Zeitzeuge, Dieter Bolz, sagte:
„Nie mehr so etwas.
Es fing alles so harmlos an und man hat die Augen zugemacht.
Man darf heute die Augen nicht zu machen...“


Nein, man darf die Augen nicht mehr zu machen,
nicht vor den Toten in Syrien,
nicht vor den Ertrunkenen im Mittelmeer,
nicht vor dem Mob, der Flüchtlingen Angst einjagt,
nicht vor einer Ideologie, die wieder vom reinen Deutschland spricht.
Denn wir wissen, was es bedeutet, wenn wir dieser Ideologie folgen.

Nie mehr so etwas.
Nie mehr so etwas, sondern genau hinsehen.
Und anpacken.
Aus den Trümmern Neues bauen.
Mauern und Zäune abreißen.
Wege zueinander bahnen.
Uns nicht gegeneinander hetzen lassen,
sondern miteinander leben und Leben gestalten.

In dieser Hoffnung wurde die Stadt wieder aufgebaut.
In dieser Hoffnung wird hoffentlich auch Aleppo wieder aufgebaut.
In dieser Hoffnung kommen Menschen in diese Stadt.
In dieser Hoffnung, dass wir Frieden leben können.
Und das ist unsere Aufgabe.
Das sind wir den Opfern schuldig.
Und einem Gott, von dem die Klagelieder sagen:
„Von Gottes Güte kommt es, dass wir noch leben.
Sein Erbarmen ist noch nicht zu Ende.“ (Klagelieder 3)

Amen.

Sonntag, 7. Februar 2016

Die Liebe in der U-Bahn

Fragmentarisches zu 1.Korinther 13. Predigt vom 7.2.2016

I.
„Am Mittwoch bin ich der Liebe begegnet.“
schreibt Regina Kramer aus Berlin
(Frankfurter Rundschau 2003 oder 2004)
„Es war gegen 18 Uhr, die U-Bahn war sehr voll,
da trat sie mir auf den Fuß.
Ich sah sie verärgert an:
„Sie könnten sich wenigstens entschuldigen!“
Sie überlegte und sagte schließlich:
„Das hat selten jemand von mir verlangt.“
Arrogante Ziege, dachte ich
und sah woanders hin.

Am Hackeschen Markt kamen die Kontrolleure.
Ich zeigte meine Umweltkarte.
Die Liebe suchte.
Sie zog jede Menge Zettel mit Telefonnummern aus ihrer Tasche
und bat die Kontrolleure um Geduld.
Die nickten und kontrollierten die anderen Fahrgäste.
So wie die Liebe suchte,
war es mir klar, dass sie schwarz fuhr.
Ich weiß nicht warum, aber ich riet ihr:
Sagen Sie einfach,
Sie kommen aus einem kleinen Kaff im Westen,
und deshalb wüssten Sie nicht,
wie man in der Hauptstadt U-Bahn fährt.“
Die Kontrolleure kamen wieder.
„Na, meine Liebe, haben wir nun den Fahrschein gefunden?“ -
„Ja“, flötete sie
und hielt ihnen einen perfekt gestempelten Schein hin.
Die Kontrolleure lächelten...
„Nett, dass Sie mir helfen wollten“, strahlte die Liebe
und legte wie zufällig die Hand auf meine Hand.
„Sie nerven“, sagte ich...
„Wie Sie meinen“, sagte die Liebe
und stieg am Alexanderplatz aus...
Zu Hause stellte ich fest,
dass mein neues T-Shirt ein kleines Loch hatte,
in Herzhöhe.
Verflixt...“

II.
Ja, Liebe nervt. Und sie fährt schwarz.
Sie tritt auf die Füße und macht ein Loch ins T-Shirt.
Die Liebe - ist sie so leicht wie die in der U-Bahn?
Nein, sie ist auch schwer und enttäuschend.
Raubt den Kopf und lenkt ab,
wenn ich mich doch eigentlich konzentrieren sollte.

Hand in Hand gehen.
Das öffentliche Geständnis auf Facebook.
Die Stunden am Krankenbett, vorsichtig die zerknitterte Hand halten.
Das kleine bunte Pflaster auf dem blutenden Knie.
Das erste Bild aus dem Kindergarten.
Der Kuss nachts auf der Straße.
Das Taschentuch für die bittere Tränen.
Das neue Kleid, extra für den Liebsten.
Die Autofahrt einmal quer durch Deutschland - einfach so.
Der „Ich hab schon lange nichts mehr von dir gehört“-Anruf.
Die Umarmung am Flughafen.
Das klare Wort, das ich sonst nicht hören mag.
Das „Komm, ich erkläre es dir nochmal“ bei den Hausaufgaben.

Die Liebe -
sie lässt uns nicht los und sie erwischt uns:
zwischen zwei Menschen, in der Familie,
unter Freunden, in der Gemeinde,
mitten in der U-Bahn und sogar in der Politik.
Ob wir wollen oder nicht.
Logisch und unlogisch.

III.  
Selbst der spröde Paulus ist nicht frei von Liebe
und singt ein Liebeslied.
Nur ist es keine Frau, oder kein Mann, für die er dichtet.
(wobei, wer weiß, wen er da vielleicht auch im Kopf hatte? aber wir wissen es nicht) -
Er dichtet für eine zerstrittene Gemeinde in Korinth:

Wenn ich mit Menschen- und Engelszungen redete
und hätte die Liebe nicht,
so wäre ich ein tönendes Erz
oder eine klingende Schelle.
Und wenn ich prophetisch reden könnte
und wüsste alle Geheimnisse
und alle Erkenntnis
und hätte allen Glauben,
so dass ich Berge versetzen könnte,
und hätte die Liebe nicht,
so wäre ich nichts.
 Und wenn ich all meine Habe den Armen gäbe
und ließe meinen Leib verbrennen,
und hätte die Liebe nicht,
so wäre mir‘s nichts nütze.


IV.
Die Korinther können viel.
Erfinden und forschen,
phantasieren und hoffen.
Neues entdecken
und scheinbar Unmögliches möglich machen.
Berge versetzen. Welten verändern.
Aber anstatt sich daran zu freuen, gibt es Streit.
Ich bin der wahre Christ, weil ich in Zungen rede.
Du nicht.
Ich bin die wirkliche Christin, weil ich mein letztes Hemd hergebe.
Du nicht.

So auch heute:
Ich bin der wahre Christ, weil ich die Bibel wortwörtlich lese.
Du nicht.
Ich bin die wahre Christin, weil ich in einer Ehe lebe mit einem Mann.
Du nicht.
Du nicht, die du auch in anders Gläubigen Kinder Gottes siehst.
Du nicht, der du schwul bist.

V.
Doch genau das sind nicht die Töne von Paulus.
Denn egal wie konsequent,
wie genial oder wie gläubig du bist -
wenn die Liebe nicht dabei ist,
nützt dir das alles nichts.
Es zählt alles nichts.
Lieblosigkeit macht alles kaputt.
Da werden aus guten Worten
plattmachende Hammerschläge,
aus dem befreienden Wort Gottes
wird eine Zwangsjacke,
aus dem Ruf zur Veränderung
ein erstickender Fanatismus
und aus der guten Tat
eine Last, die jegliche Lust tötet.

Dagegen singt Paulus das Lied der Liebe.
An dieser Liebe wird alles gemessen.
Mit ihr hören Menschen aufeinander,
nehmen einander wahr
und lassen einander frei.
Und so singt Paulus weiter:

Die Liebe ist langmütig und freundlich,
die Liebe eifert nicht,
die Liebe treibt nicht Mutwillen,
sie bläht sich nicht auf,
sie verhält sich nicht ungehörig,
sie sucht nicht das Ihre,
sie lässt sich nicht erbittern,
sie rechnet das Böse nicht zu,
sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit,
sie freut sich aber an der Wahrheit,
sie erträgt alles,
sie glaubt alles,
sie hofft alles,
sie duldet alles.


VI.
Liebe ist kein Gefühl,
keine momentane Glücksstimmung.
Liebe tut etwas - sie nervt, sie schmunzelt,
sie tritt auf die Füße und macht ein Loch ins T-Shirt.
Ja, sie macht,
sie handelt, und zwar gegen den Strom,
gegen den Augenschein,
aber viel vernünftiger als du denkst.
Liebe befreit deinen Verstand von seinem Egoismus,
deinen Glauben von seiner Herrschsucht,
die Enge deines Herzen.
Liebe macht nicht mit, wenn gegen Flüchtlinge gehetzt wird.
Stattdessen geht sie hin und bringt den Kindern Tischtennis bei.
Liebe protestiert gegen Ungerechtigkeit, aber nicht gegen Menschen.
Liebe widerspricht den Hasskommentaren im Internet
und weigert sich, Zäune zu bauen, die Menschen ausschließen.
Oder gar auf sie zu schießen, weil sie in unser Land kommen.
Stattdessen packt sie mit an, auch hier in der Vesperkirche.
Liebe lässt ganz neu auf die Welt schauen,
fragt aber auch mal nach, wenn Leute Blödsinn erzählen.
Und macht obendrein ein Loch ins T-Shirt.
In Herzhöhe.
Vor allem aber macht die Liebe eins:
Sie fragt nicht danach, ob es erlaubt ist zu lieben.

VII.
Das macht die Liebe verletzlich.
Und jede, die liebt, auch.
Sie wird angegriffen wie Jesus, der diesen Weg geht.
Den Weg der Liebe, die nicht fragt, ob es erlaubt ist zu lieben.
Den Weg, der ans Kreuz führt.
Den Weg, wo ein Mensch sich ausliefert um der Liebe willen.
Es ist die Liebe Gottes,
so vollkommen, dass wir immer wieder an ihr scheitern.

Paulus weiß das auch:

Unser Wissen ist Stückwerk
und unser prophetisches Reden ist Stückwerk.
Wenn aber kommen wird das Vollkommene,
so wird das Stückwerk aufhören.
Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind
und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind;
als ich aber erwachsen wurde, tat ich ab, was kindlich war.
Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild;
dann aber von Angesicht zu Angesicht.
Jetzt erkenne ich stückweise;
dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.
Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
aber die Liebe ist die größte unter ihnen.


Alles, was ich machen und tun will,
was ich erkennen und wissen will,
alles das ist Stückwerk und ist begrenzt -
und vor allem nur ein Ausschnitt dessen, was möglich ist.
Das gilt für meine Konkurrenzkämpfe genauso wie für meine Mauern.
Sie sind Stückwerk.
Es gilt für das Ringen um die richtige Asylpolitik
wie um die Zukunft der Kirche.
Sie sind Stückwerk.
Ja, das gilt auch, wenn ich meine, die vermeintliche Wahrheit zu kennen.
Sie ist Stückwerk.
Und das gilt auch für die Liebe, die ich lebe.
Und darum sollte ich erst recht nicht vorschreiben,
wer wen lieben darf und wen nicht.

VIII.
Mein Leben bleibt Fragment
und auch mein Glauben und Lieben und Hoffen bleiben Fragment.
Stückchen und Fetzen.
Der Moment, dass alles ganz und heil ist, kommt noch.
Aber wann, weiß ich nicht.
Darum ist der Weg der Liebe kein leichter Weg.
Er ist manchmal sogar harte Arbeit.
Ein erwachsener Weg.
Denn ich stoße ständig auf meine Unvollkommenheit
und auf die der anderen.
Auch Jesus stieß auf diese Unvollkommenheit,
auf die Unfähigkeit zu lieben -
und liebte trotzdem weiter.
Er setzte auf die Liebe.
Weil Gott die Liebe ist.

Und die brauche ich, die Liebe, die Gott ist.
Damit ich mich selbst lieben kann,
so unvollkommen wie ich bin.
Ich brauche seine Geduld,
um nicht „kurzen Prozess“ zu machen.
Ich brauche seine Vergebung,
um nicht gnadenlos zu urteilen,
um nicht an meinen eigenen Abgründen zu verzweifeln,
Ich brauche den,
der meinen unvollkommenen Weg geht.
Und dabei auf die Liebe setzt.

IX.
Mit Augen dieser Liebe schaut Gott mich und dich an.
Und mit diesen Augen schrumpfen Zäune und Mauern,
das, was uns Angst macht,
selbst die Hass-Kommentare werden kleiner.
Und eine U-Bahnfahrt wird plötzlich zum Ereignis,
das dein Leben verändern kann.
Es ist eine trotzige Liebe, die dich entwaffnet.
Sie kann nerven und dir auf die Füße treten.
Und dich vor allem in Gang setzen.
Es bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei;
aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

Mit diesem Lied auf den Lippen und im Herzen,
in den Spuren Jesu,
unvollkommen,
gehst du frei und trotzig
und auf einmal ist da ein Loch im T-Shirt,
dort, wo das Herz ist.
Amen.