Montag, 15. Januar 2024

Gnade gegen Gift


Von stärkender Musik, müden Händen und trotzigen Feiern
Predigt zu Hebräer 12 und zur Kantate "Wie schön leuchtet der Morgenstern" von Johann Kuhnau

1.
Kommt ihr Völker! Kommt und huldigt diesem Kind!
Leichtfüßig, mit aufstrebenden Tönen und Koloraturen.
Wasser wird zu Wein, ein Fest wie eine Hochzeit.
Kommt mit tanzenden Schritten, denn Gott ist da.
In diesem Kind, das wir seit drei Wochen feiern.
Engel auf den Feldern singen. Hirten wird es hell.
Ein Stück vom Himmel mitten in der Welt.

Zu fröhlich? Zu hell?
Ich gestehe, mir tut diese Fröhlichkeit gut, diese hellen Töne, die Schönheit der Musik.
Mit tut es gut, heute nochmal ein Stück Weihnachten zu haben.
Denn ja, es ist ja noch Weihnachten,
auch wenn die meisten ihren Weihnachtsbaum schon entsorgt haben.
Hier (in der Stadtkirche) erinnern wir daran, dass noch Weihnachten ist. (seht den Baum!)
Und die Kantate heute erinnert daran.
An dieses Kind, an die Engel, an die Hirten - an den Glanz, der die Nacht erhellt.

2.
Ja, es tut mir gut, weil der Rest der Wochen so gar nicht weihnachtlich ist.
Demonstrationen von Landwirten, die von Populisten instrumentalisiert werden.
Die Ampel muss weg - Schilder und Erschießungswünsche gegen Politikerinnen,
Und viel zu viele ignorieren das und finden es sogar gut.
Deportationspläne von AfD und Werteunion,
Israel wird von der Eishockey-WM ausgeschlossen.
Ein Teil meiner Freunde und meiner Familie überlegt, auszuwandern,
weil sie sich nicht mehr sicher fühlen.

„Alle Himmel sind sein eigen, wie sollt‘ sich nicht vor ihm die ganze Erde neigen.“
Ja, diese Zuversicht von Johann Kuhnau wünsche ich mir.
Mir fällt sie gerade schwer.

3.
Damit befinde ich mich in guter Gesellschaft.
Offensichtlich fehlte Christen und Christinnen am Ende des 1. Jahrhunderts
auch diese fröhliche unbeschwerte Zuversicht.
Denn im Hebräerbrief heißt es:
Macht die müden Hände und die erlahmten Knie wieder stark!
Und schafft für eure Füße gerade Pfade.
Denn was lahm ist, soll nicht auch noch fehltreten, sondern geheilt werden.


Ihr habt einen Berg vor euch, sagt der Hebräerbrief.
Euer Weg als wanderndes Gottesvolk ist anstrengend.
Da können die Beine schon mal zittrig werden, wenn es steil wird
oder die Angst zu groß ist, dass man ausrutscht.
Gut ist es, wenn ihr dann nicht alleine seid, sondern euch gegenseitig unterstützt.

Und aufeinander achtet.

4.
Was das heißt, sagt der Hebräerbrief so:
Bemüht euch um Frieden mit allen Menschen.
Achtet darauf, dass niemand zurückbleibt und so die Gnade Gottes verliert.
Lasst keinen Spross aus einer giftigen Wurzel aufgehen.
Sonst richtet sie Unheil an, und viele werden durch sie vergiftet.


Ja, es gibt sie, diese giftgewordenen Pflanzen.
Es gibt sie, diese toxischen Sätze und Parolen.
Wenn Hass gesät wird. Wenn Neid geschürt wird.
Wenn man sich über eine mehrgewichtige Frau lustig macht.
Wenn man einer Familie mit arabischem Namen keine Wohnung vermietet.
Wenn eine Transfrau zusammengeschlagen wird.
Wenn man sagt, dass Geflüchtete hierher kommen, um sich die Zähne machen zu lassen.

Alles das meint der Hebräerbrief, wenn er sagt:
Eine giftige Wurzel richtet Unheil an.
Das Gift derer, die Angst schüren, vergiftet gerade unsere Gesellschaft.

Umso wichtiger ist es, sich um den Frieden zu bemühen und für einander da zu sein.
Sich gegenseitig zu stärken, zu stützen und niemanden in Stich lassen.
Die Gnade Gottes gilt allen. Sorgt dafür, dass dies auch alle, die es brauchen, spüren.

Es geht um geschwisterliche Solidarität - nicht mehr und nicht weniger.
Dass wir nicht zulassen, dass es Menschen 2.Klasse geben soll.
Denn Gottes Gnade gilt allen. Gott ist für alle Mensch geworden.

(Oder wie es in der Kantate heißt:
O Wundersohn, dein überirdisch Wesen
hat sich zum Thron den irdschen Leib erlesen,
damit der Mensch, die Erde zu deinem Himmel werde.
)

5.
Johann Kuhnau hat seiner Kantate übrigens einen ganz besonderen Akzent verliehen.
Philipp Nicolai besingt in seinem Choral „Wie schön leuchtet der Morgenstern“
die innige Zweierbeziehung mit seinem Jesus.
Die Welt bleibt dabei außen vor.

Dagegen betont Kuhnau mit den Texten zwischen den Choralversen,
dass Gott in die Welt hineinkommt, nicht nur in das Herz des Beters.
Gott kommt in die Welt und diese Welt wird nicht verdrängt oder verniedlicht.
Kuhnaus Kantate spricht von schlechter Krippe und dem Stall als Herberge,
spricht von Niedrigkeit, die nicht verklärt wird.
Und eben in dieser Niedrigkeit, in dieser Welt ist Gott zu finden.
Nirgendwo sonst.

6.
In einer Woche beginnt hier die Vesperkirche.
Vor 24 Jahren fand sie das erste Mal statt.
Lasst uns Zeichen setzen, dass niemand alleine sein muss. So hieß es damals.
Lasst uns dafür sorgen, dass wenigstens vier Wochen lang alle genug zu essen haben.
Lasst uns wenigstens vier Wochen lang Wärme schenken und miteinander essen und trinken.
Und ja, diese Kirche soll der Ort dafür sein.

Vier Wochen sind nicht viel.
Und ja, eigentlich sollte die Vesperkirche nicht nötig sein.
Eigentlich sollten alle immer genug zu essen haben, immer eine warme Wohnung.
Niemand sollte einsam sein. Aber noch ist das so.
Und solange das so ist, brauchen wir sowas wie die Suppenküche und wie die Vesperkirche.
Einen Ort, wo müde Hände und wankende Knie gestärkt werden.
Eine Zeit, wo niemand zurückbleibt.
Eine Geste, dass die Gnade Gottes bleibt und allen gilt.
Ein Stück vom himmlischen Jerusalem.
Einen Ort, wo Gott sichtbar wird.

7.
In der Niedrigkeit leuchtet ein Strahl von seiner Göttlichkeit -
so singt der Tenor in Kuhnaus Kantate.
Wo müde Hände und wankende Knie gestärkt werden, wird Gott sichtbar, sagt der Hebräerbrief.
Ihr seid auf dem Weg mit Gott - und eigentlich seid ihr schon längst angekommen.
Dort, wo es hell ist,
wo Gnade vor Recht ergeht,
wo Engel den Hirten singen und Weise vor einem Kind knien.
Und jetzt geht ihr zurück vom Stall in den Alltag und das ist mühsam,
aber das Kind in der Krippe geht mit euch mit.
Und mitten auf eurem Weg, in eurer Müdigkeit und Erschöpfung,
da hört ihr Worte, die euch Mut machen und aufrichten:

"Ihr seid bereits zu dem Berg Zion gekommen und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den  vielen tausend Engeln und zur Festversammlung."

Wasser ist bereits zu Wein geworden.
Das Fest der Liebe Gottes feiert ihr bereits.
Hier in der Kirche vier Wochen im Jahr und jede Woche in der Suppenküche.
Ihr feiert es, wenn ihr den toxischen Parolen des Hasses widersprecht.
Ihr feiert es, wenn ihr die schönsten Kantaten singt.
Ihr feiert es, wenn ihr zusammenkommt und mit Respekt begegnet.
Ihr feiert es, wenn ihr euch an die Seite derer stellt, die aus dem Land verjagt werden sollen.

8.
Mir macht das Mut.
Mir machen die Worte vom Hebräerbrief Mut.
Und eine Kantate wie die von Johann Kuhnau tut mir gut.

Denn Gott ist da.
Jesus ist da. Jesus ist hier.
Und ich feiere mit ihm.
Gerade dann, wenn der Weg mühsam ist und die Hände müde sind.

Ich lasse mich anstecken von Gottes Liebe zur Welt
und dann lasse ich die süße Musica ganz freudenreich erschallen,
Singe, springe, jubiliere, triumphiere und danke meinem Gott, dass er bei mir ist.
Auch und gerade jetzt.
Amen.




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