Mittwoch, 13. März 2024

Augenblicke der Wahrheit

Von einem feigen Petrus und einer feigen Kirche und dass das nicht so bleiben muss

Predigt zu Lk 22*

Simon ist ein mutiger Mann.
Als Fischer direkt von den Booten weg zum Jünger von Jesus berufen.
Galiläer durch und durch – sein Akzent verrät das.
Und er erkannte früh, wer Jesus ist.
Dafür bekommt er von Jesus den Ehrentitel „Petrus“ – Stein, Fels.
Jesus traut ihm viel zu.

Auch jetzt ist Simon Petrus mutig, zumindest am Anfang.
Nachdem Jesus abgeführt wurde, wagt er sich als einziger nahe heran an den Ort,
wo Jesus verhört werden soll.
Mitten in den Hof des Hohepriesters setzt er sich zu Fremden ans Feuer.
Keiner seiner Freunde und Freundinnen ist bei ihm. Er ist alleine dort.
Aber das ignoriert er.
Denn er möchte aus der Nähe mitbekommen, wie es mit Jesus weitergeht.
Und ihm vielleicht sogar helfen?
Er hat es ja versprochen.

2. Augenblick der Wahrheit

Doch in was für eine Gesellschaft ist er da geraten?
Tuschelnde Stimmen. Blicke treffen ihn, die ihn genau ansehen – mustern – kritisch beäugen.
Das ist er: der Augenblick der Wahrheit.

Offensichtlich hat sich Petrus selbst übernommen –
er ist der ganzen Situation nicht gewachsen.
Zunächst tuschelt die Magd zu den anderen „Dieser war auch mit ihm.“
Petrus wehrt sich: „Frau, ich kenne ihn nicht“.
Und dann geht das noch zweimal so.
Er windet sich und leugnet selbst da, wo es nichts zu leugnen gibt.
Ein schöner Felsen ist das, der unter kritischen Blicken und tuschelndem Flüstern 
und ganz allein unter Fremden immer mehr ins Wanken kommt!
Dabei hätte Petrus es doch ahnen können:
Binnen weniger Tage hat sich seine Welt komplett verändert.
Binnen weniger Stunden sieht sein Leben ganz anders aus.
War er vor kurzem noch Jünger eines gefeierten Rabbis und Heilers,
hält die Politik seinen besten Freund nun für einen Verbrecher.
Und das ist auch für Petrus gefährlich.
Hat er es erst jetzt realisiert?

3. Feigheit

Und ja, da ist er, der Augenblick der Wahrheit.
Aus dem mutigen Simon ist der feige Petrus geworden.
In dem Moment, als er merkt, was passiert ist, ist es zu spät.
Jesus schaut ihn an. Der Hahn kräht.
Der Augenblick der Wahrheit tut weh. So weh, dass er sich nur noch schämt.
Allein im Hof mit der Wahrheit und mit sich selbst.
Was hab ich nur gemacht?

Ein Augenblick der Wahrheit ist für unsere Kirche der 25. Januar in diesem Jahr:
die ForuM-Studie wurde der Öffentlichkeit vorgestellt** -
die Studie, die das jahrzehntelange Versagen der evangelischen Kirchen in Deutschland
im Umgang mit sexualisierter Gewalt durch ihre Mitarbeiter dokumentiert.
Weggeschaut, ignoriert, weggehört, lächerlich gemacht, geschwiegen -
alles das haben viel zu viele in unserer Kirche gemacht,
obwohl Betroffene sich an sie gewandt haben.
Statt sich auf ihre Seite zu stellen und ihnen zu glauben,
hat die Kirche sogar die Täter geschützt.
Denn es waren ja die "netten", die "tollen", die "charismatischen" Pfarrer und Leiter -
"nein, der doch nicht. Das musst du dir ausgedacht haben.
Und wir müssen doch auch an ihn denken."

Und so ging es weiter und weiter und jahrzehntelang passierte - nichts.
"Wir sind nicht zuständig. Nein, ich bin es nicht."
Und auf einmal kräht der Hahn. Und Jesus schaut uns an.

Ja, unsere Kirche war feige
und hat ausgerechnet die unter uns in Stich gelassen, die ihr vertraut haben.
Und wir müssen sehr aufpassen, dass wir dasselbe nicht wieder tun.
Indem wir uns rausreden:
"ach, das war doch früher so. Heute haben wir das im Griff.
Und schließlich gab es das woanders ja auch. Das ist doch ein gesellschaftliches Problem.
Und in den Vereinen ist das noch viel schlimmer."

Und so gehen die Relativierungen weiter.
Dabei hat der Hahn schon längst gekräht
und jetzt muss Schluss sein mit diesen Ausflüchten und Verweigerungen.

4. Beistehen

Simon Petrus macht es uns vor.
Jetzt weicht er nicht mehr aus, sondern weint.
Große Worte, große Gesten helfen nicht weiter.
Nur noch Tränen. Nur noch echt sein. Nur noch da sein.
Auf dem Hof der Wahrheit.
Die eigene Feigheit anschauen.

Ich hätte ihm gewünscht, dass er da im Hof nicht alleine gewesen wäre.
Ich stelle mir vor, Maria Magdalena wäre auch dabei gewesen.
Am Feuer, als das Dienstmädchen über Simon spricht:
Der da war auch mit ihm zusammen!
Und Simon sagt: Ich kenne ihn gar nicht.

Und Maria Magdalena tritt ans Feuer und sagt:
Ich kenne ihn und dieser Jesus ist der gütigste Mensch, den ich kenne.
Und aus dem Schatten tritt Levi in den Feuerschein und sagt:
Ja, er hat mich dazu gebracht, dass ich all meinen Besitz geteilt habe!
Und so fasst sich auch Simon ans Herz und sagt:
Ihr habt recht, ich kenne ihn auch. Ich kenne ihn sehr gut.
Und noch besser kennt er mich. Und darüber bin ich froh.
Vielleicht hätte Simon das gebraucht?
Dass da noch andere mit ihm stehen und er nicht alleine ist?
Dann hätte er vielleicht seinen Mut wieder gefunden.

5. Andere stärken

Er hat es dann ja verstanden.
Das war ja der Auftrag von Jesus an ihn:
Stärke deine Brüder und Schwestern!
Steh ihnen bei. Stell dich an ihre Seite. Richte sie auf. Tu dich mit ihnen zusammen.

Und vielleicht brauchte er genau diesen Tiefpunkt im Hof des Hohepriesters:
Die Erkenntnis: Alleine bin ich nicht stark genug.
Ich bin auch nicht besser als die anderen.
Und trotzdem hält Jesus an mir fest.
Jesus schaut mich an, sieht mein Versagen, meinen Kampf, meine Tränen, meine Feigheit.
Trotzdem traut er mir zu, ein Felsen zu sein und andere zu stärken.
Und genau das muss ich nun tun.

Ja, Simon Petrus schämt sich aus tiefstem Herzen für seine Feigheit
und sein Wegducken und gerade darin ist er ein Vorbild.
Er hört schließlich auf, feige zu sein.
Und geht dafür sogar ins Gefängnis.

6. Augenblicke der Wahrheit

Der Augenblick der Wahrheit kann dich einsam machen.
Der Augenblick der Wahrheit treibt dir die Tränen der Scham in die Augen.
Der Augenblick der Wahrheit kann dir aber auch die Augen öffnen
und du weißt, was zu tun ist.

Für unsere Kirche ist der Augenblick der Wahrheit gekommen.
Und auch wir wissen, was zu tun ist.
Zuhören, aufdecken, hinsehen, ehrlich sein,
und Entschädigung zahlen.
Und alles dafür tun, dass Betroffene von Gewalt nie wieder in Stich gelassen werden.
Das ist bei weitem noch nicht alles. Aber es ist dran.
Es ist dran, endlich mit der Feigheit aufzuhören.
Das Gute ist: wir sind nicht alleine unterwegs. Und Jesus traut uns das zu.

7. Mutig sein

Der Augenblick der Wahrheit führt ins Licht.
Für Simon Petrus ist die Nacht vorbei.
Der Morgen bricht an. Rosarot.
Der letzte Blick von Jesus gilt ihm.
Und er weiß, dass er nicht allein ist.

Und auch du bist dann nicht allein.
Jesus sieht dich an.  
Und auch dein Morgen bricht an. Rosarot.

Und da sind die Schwestern und Brüder,
die du stark machst und die dich stark machen.
Zusammen tretet ihr ein für alles, was unseren Freund und Bruder Jesus ausmacht:
für seine Liebe zu den Menschen.
In den nächsten Wochen und Monaten wird euer Mut gebraucht.
Und ihr seid nicht allein.

Mit euch ist der Friede, welcher höher ist als all unsere Vernunft.
Er bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

*) Lukas 22, 24 - 34 und 54 - 62

Die Jünger begannen darüber zu streiten, wer von ihnen der Wichtigste war.
Aber Jesus sagte zu ihnen::
»Die Könige herrschen über ihre Völker, und die Machthaber lassen sich Wohltäter nennen.
Aber ihr sollt nicht so sein:
Sondern wer unter euch der Wichtigste ist, soll sein wie der Geringste –,
und wer führen will, wie einer, der dient.
Wer ist denn wichtiger? Der zu Tisch liegt und isst oder der ihn bedient?
Natürlich der zu Tisch liegt! Doch ich bin unter euch wie einer, der dient.
Ihr habt mit mir durchgehalten, wann immer ich auf die Probe gestellt wurde.
So gebe ich euch Anteil an der Herrschaft, die mein Vater mir übertragen hat:
In meinem Reich sollt ihr an meinem Tischessen und trinken.
Ihr sollt auf Thronen sitzen und über die zwölf Stämme Israels Gericht halten.«

Simon, Simon! Sieh doch:
Der Satan hat sich von Gott erbeten, euch durchzusieben wie den Weizen!
Aber ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhört.
Wenn du dann wieder zu mir zurückgekehrt bist, sollst du deine Brüder und Schwestern stärken.«

Petrus entgegnete Jesus:
»Herr! Ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis zu gehen – ja, sogar mit dir zu sterben!«
Aber Jesus erwiderte:
»Das sage ich dir, Petrus:
Noch bevor heute der Hahn kräht, wirst du dreimal abstreiten, dass du mich kennst.«
-------------------------------------
Die Männer nahmen Jesus fest, führten ihn ab
und brachten ihn in das Haus des Hohepriesters.
Petrus folgte in einiger Entfernung.
In der Mitte des Hofes brannte ein Feuer, um das sich einige Leute versammelt hatten.
Petrus setzte sich mitten unter sie.
Ein Dienstmädchen sah Petrus dort im Schein des Feuers sitzen.
Sie musterte ihn aufmerksam und sagte: »Der da war auch mit ihm zusammen!«
Petrus stritt das ab und sagte: »Ich kenne ihn gar nicht, Frau!«
Kurz darauf sah ihn jemand anderes und sagte: »Du gehörst auch zu denen!«
Aber Petrus erwiderte: »Mensch, ich doch nicht!«
Etwa eine Stunde später behauptete ein anderer:
»Ganz bestimmt gehört er zu denen! Er kommt doch auch aus Galiläa.«
Aber Petrus stritt es wieder ab: »Mensch, ich weiß überhaupt nicht, wovon du sprichst.«
Im selben Moment, während er noch redete, krähte ein Hahn.
Der Herr drehte sich um und blickte Petrus an.
Da erinnerte sich Petrus an das, was der Herr zu ihm gesagt hatte:
»Noch bevor heute der Hahn kräht, wirst du dreimal abstreiten, mich zu kennen.«
Und Petrus lief hinaus und weinte heftig.


**) Siehe www.forum-studie.de

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen