Eine programmatische Rede anlässlich meiner Wiederwahl am 9.3.2020
I. Suchen und Finden
Wir haben hier keine bleibende Stadt, aber die zukünftige suchen wir. (Hebr. 13,14)
Dieser Satz aus dem Hebräerbrief könnte die Überschrift der letzten 7,5 Jahre sein. Wir befinden uns zwar immer noch in derselben Stadt wie vor 8 Jahren, aber die Stadt hat sich verändert, verändert sich laufend. Vor allem aber waren wir als wanderndes Gottesvolk unterwegs - haben uns den Veränderungen in uns und um uns gestellt, haben uns auf den Weg gemacht mit dem Ziel, eine zukunftsfähige Kirche zu gestalten. Wir haben die Wege in die Zukunft gesucht - mit der Stadt, für die Stadt und in der Stadt. Haben wir sie auch gefunden? Oder hört die Suche gar nie auf?
Die Sehnsucht ist groß, endlich mal am Ziel anzukommen. Nicht nur eine Pause zu machen, sondern bleiben zu können. Der Hebräerbrief kennt diese Sehnsucht genauso wie ich und Sie und ihr. Aber er ist da ganz nüchtern: das Unterwegssein, das Auf-dem-Weg-sein gehört zum Christ*in-Sein dazu. Das eigentliche Zuhause werden wir erst im Himmel erreichen.
In mir sträubt sich ziemlich viel gegen so eine Jenseitstheologie, dafür bin ich viel zu diesseitig, das wissen Sie auch. Aber den Gedanken, dass die christliche Existenz eine suchende und eine auf-dem-Weg ist, finde ich spannend. Ich glaube, es wäre uns schon viel geholfen, wenn wir das Unterwegssein nicht nur als notwendigen Zwischenschritt zum eigentlichen Ankommen betrachten würden! Wenn wir dem Status als Suchende etwas Gutes abgewinnen könnten! Nicht im Sinne von "der Weg ist das Ziel". Wir folgen nämlich dem Wanderprediger Jesus nach. Schon das allein ist Grund genug, beweglich zu bleiben.
II. Herausforderungen und Chancen
Wer unterwegs ist, muss sich immer erneut auf neue Herausforderungen einstellen.
Die Herausforderungen für uns als Evangelische Kirche in Pforzheim sind in den letzten 7 Jahren nicht kleiner geworden. Ich nenne mal sechs Herausforderungen, ohne Anspruch auf Vollständigkeit:
- Wir leben als Kirche immer noch auf zu großem Fuß, sprich: wir geben mehr Geld aus als wir an Kirchensteuer bekommen. Wir erkennen das schon sehr gut, akzeptieren sogar, dass wir noch weitere Schritte gehen müssen, aber der Abschied von manchem, was uns liebgeworden ist, tut einfach auch weh.
- Wir sind in vielen Bereichen unterbesetzt. Die Arbeit lastet auf zu wenigen Schultern. Das macht es uns schwer, notwendige Veränderungen umzusetzen.
- Die Mitgliederzahlen sinken trotz der großen Anstrengungen, die jede und jeder von uns vornimmt. Auch das tut weh, denn wir geben uns Mühe und machen auch gute Arbeit, und haben dann doch das Gefühl, dass es vergeblich ist
- Wir leben in einer urbanen, einer städtischen Gesellschaft. Die urbane Gesellschaft wird immer säkularer - und zugleich multireligiöser. Werden wir unwichtiger? Oder haben wir mehr oder andere Kooperationspartner? Wir müssen uns auf jeden Fall noch daran gewöhnen.
- Der politische Ton wird rauher und der Rechtspopulismus ist herausfordernd stark, gerade in Pforzheim. Was bedeutet in diesem Umfeld die Botschaft von der Liebe Gottes, die allen Menschen gilt?
- Die Schere zwischen arm und reich wird immer größer. Wir selbst werden immer noch als reiche Kirche wahrgenommen. Reiche und Arme sind Teil von unserer Kirche. Wie gehen wir mit dieser Spannung um?
In der Zukunft werden neue Herausforderungen dazu kommen und wir werden auch in Zukunft immer wieder neue Wege suchen müssen, um uns diesen Herausforderungen zu stellen. Wir bleiben nicht an einer Stelle stehen - nach dem Motto: jetzt haben wir es geschafft, jetzt sind wir am Ziel. Selbst wenn wir es wollten. Es geht nicht, jedenfalls nicht, wenn wir dieses Wort vom Hebräerbrief ernstnehmen: Wir bleiben unterwegs - das gehört zu uns als Kirche, als wanderndes Gottesvolk.
Aber nicht nur die Herausforderungen sind mehr geworden, nein, auch die Chancen, diese Herausforderungen auch in Zukunft zu meistern, sind ebenfalls größer geworden. Dass wir die Wege bewältigen können, die vor uns liegen und auf denen wir jetzt schon gehen, dazu haben wir in den letzten Jahren viel getan - ich nenne auch hier mal 6 Punkte:
- Wir haben unser Gepäck leichter gemacht, indem wir uns mutig von Gebäudeflächen getrennt haben und noch trennen werden und die Gebäude, die wir behalten, werden besser sein.
- Wir haben Entscheidungen getroffen, wie wir auch in Zukunft noch viele und gute Kitas gestalten können. Das gibt uns wieder mehr Spielraum. Das spüren wir jetzt schon.
- Wir haben bezirkliche Schwerpunkte benannt und diese auch personell ausgestattet.
- Wir haben den Diakonenstellen ein klareres inhaltliches Profil gegeben
- Wir haben Gemeinden vereinigt, damit sie sich auf dem Weg gegenseitig unterstützen und zugleich in größeren Dienstgruppen die unterschiedlichen Begabungen besser zum Einsatz bringen können.
- Wir haben uns vernetzt - untereinander z.B. mit den Diakoniepunkten in den Quartieren oder für gemeindeübergreifende Veranstaltungen, aber auch mit den anderen Institutionen der Stadt, im religiösen, kulturellen, pädagogischen und politischen Bereich. Wir bauen mithilfe des Fundraisingsbeauftragten eine neue Kultur des Dialogs auf mit denen, die uns unterstützen. Wir wissen ja sehr genau, dass wir nicht allein unterwegs sind, sondern ein Teil der Welt sind, in die wir hineinwirken. Erinnern Sie sich noch an das Motto der Bezirksvisitation vor 6 Jahren? Kirche findet Stadt! Ja, unsere Kirche findet die Stadt und die Stadt findet die Kirche. Wir sind gefragt als Kooperationspartnerin und das ist eine sehr gute Basis für die Zukunft.
Liebe Synodale, wir alle zusammen haben in den letzten Jahren wirklich viel bewegt. Und ich nutze darum gerne die Gelegenheit, Ihnen allen und den Ehrenamtlichen und Hauptamtlichen in dunserer Kirche ein großes Danke zu sagen: Danke für all Ihr Engagement und Ihre Leidenschaft. Danke für Ihren Mut, wegweisende und auch schmerzhafte Entscheidungen zu treffen und die Beharrlichkeit, diese auch umzusetzen. Danke für das gemeinsame Gehen auf diesem Weg und danke, dass Sie mit den Entscheidungen der letzten Jahre dafür gesorgt haben, dass wir auch die Wege vor uns gehen können. Wir sind auf einem guten Weg.
III. Das „Wir“
Wir haben hier keine bleibende Stadt, aber die zukünftige suchen wir.
Ohne dieses "wir" hätten wir dies alles nicht erreicht. Ohne dieses „Wir“ werden wir auch die zukünftigen Wege nicht gehen können. Und dies hört auch zum heutigen Anlass nicht auf, wo es darum geht, ob Sie mich als Ihre Dekanin wieder wählen wollen.
Meine Aufgabe als Dekanin war es nicht, auf den Wegen, die wir zu gehen haben, vorauszulaufen. Meine Aufgabe war es auch nicht, zu sagen, wo es lang geht. Wo es lang gehen sollte, haben wir gemeinsam entschieden.
Ich sehe aber meine Aufgabe darin, die Wandernden zu motivieren und zu ermutigen. Ich wollte und will die Gemeinsamkeit stärken, die die Kirche auf dem Weg braucht. Ich will immer noch Begabungen wahrnehmen und fördern. Und dazu helfen, dass wir untereinander Fäden knüpfen und Zusammenhänge aufdecken und entwickeln.
Mir ist es ein großes Anliegen, der Vielfalt und Lebendigkeit Raum zu geben. Ich werbe für eine offene und einladende Kirche, und nehme Impulse auf, die von den Mitgehenden, von Ihnen kommen. Ich schaue, wie diese Impulse realisiert werden können.
Außerdem war und ist mir wichtig, dass das Nachdenken über neue Schritte oder wichtige Entscheidungen und die Umsetzung gemeinsam geschieht.
So etwas kostet oft viel Kraft und Zeit - erinnern Sie sich an die Diskussionen, die wir 1 Jahr lang geführt haben, bevor wir dann zu einem erstaunlich klaren Ergebnis für die Umgestaltung unseres Kirchenbezirks kamen. Meine Aufgabe war dabei nicht nur, für das im Stadtkirchenrat entwickelte Modell zu werben und zugleich suchte ich gemiensam mit anderen nach neuen Lösungen, wenn die Fronten verhärtet schienen. Genauso wichtig war es, das große Ganze im Blick zu behalten - und: das Ziel nicht aus den Augen zu verlieren: nämlich unsere evangelische Kirche in Pforzheim zukunftsfähig zu gestalten.
Der Weg, den wir gehen, ist spannend und eröffnet ganz neue Ausblicke. Aber gerade die Übergänge vom Alten zum Neuen sind oft hart und sehr anstrengend. Da geht den einen oder anderen Mitgehenden auch mal die Kraft aus. Auch ich war davon nicht ausgenommen. Aber ich habe zugleich so viel Unterstützung erfahren. Und nicht nur ich: wir unterstützen und tragen uns gegenseitig, helfenuns aus und vertreten uns - das ist in diesem Ausmaß nicht selbstverständlich, und doch geschieht es- selbst jetzt bei den vielen Vakanzen. Dafür bin ich zutiefst dankbar. Das ist das „Wir“, das ich meine und ohne das wir keinen Weg auf der Suche nach der zukünftigen Stadt gehen können.
Dieses „Wir“ muss künftig noch gestärkt werden. Durch mich und durch uns alle. Es ist wichtig, dass wir dieses „Wir“ im Blick behalten und Oasen haben, in denen wir Kraft sammeln können.
IV. Raus aus der Komfortzone
Wir haben hier keine bleibende Stadt, aber die zukünftige suchen wir.
Der Hebräerbrief macht mit diesem Satz den Christen und Christinnen seiner Zeit Mut, das Leben in der Fremde auszuhalten. Ja, sie sind Fremde in der Welt, in der sie leben und in die sie zugleich hinein gesandt sind. Der Hebräerbrief verweist dabei auf Jesus, der vor den Toren der Stadt starb, vor den Toren, draußen, nicht drinnen - ein Fremder, ein Anderer, einer, der nicht dazu gehören sollte.
Wir heute leben in einer anderen Situation, gerade hier in Deutschland. Pforzheim, die mal eine durch und durch evangelische Stadt war. Hier gilt Kirche noch was - auch wenn die Gesellschaft säkularer wird. Und dennoch: dieser Gedanke des „Fremdseins“ trifft auch auf uns und könnte uns neu öffnen.
Unsere Botschaft ist vielen fremd. Sie stört und irritiert. Dass die Nächstenliebe auch die Flüchtlinge an der Grenze Europas einschließt, wird nicht gerne gehört. Dass Versöhnung das Gegenteil von Geschichtsklitterung ist, irritiert. Dass wir einen freundschaftlichen interreligiösen Dialog auf Augenhöhe pflegen, schmeckt denen, die auf Abschottung setzen, überhaupt nicht. Vor allem aber können wir in der immer säkularer werdenden Stadt nicht mehr voraussetzen, dass unsere Botschaft verstanden wird.
Aber was folgt daraus? Wir könnten die Welt links liegen lassen und uns verschanzen hinter unseren kirchlichen Ritualen und Glaubenstraditionen. Dann wissen wir, was wir sind, wer wir sind und wo wir sind. Aber das wäre nicht im Sinne unseres Erfinders. Der hat nämlich gesagt: Geht hin. Geht in die Welt hinein. Bleibt nicht hocken, habt keine Angst um das, was war, verteidigt nicht den Status quo, sondern macht euch auf den Weg.
Geht hin - dahin, wo Menschen die Botschaft brauchen, dass sie so, wie sie sind, geliebt sind. Geht dahin, wo Menschen nicht mehr spüren, wie wertvoll sie sind. Geht auch dorthin, wo anders geglaubt wird oder Menschen auch ohne die Kirche Gutes tun. Geht dahin und schaut, wie Gott auch dort wirkt. Dazu sind wir da, das ist unser Auftrag, hinzugehen in alle Welt - weil Gott diese Welt liebt.
Wer unterwegs ist als wanderndes Gottesvolk, lässt sich auf diese Fremde ein. Auf das Nichtvertraute, das Irritierende. Jesus ist raus aus seiner Komfortzone. Er hat sich von der Syrophönizierin belehren und auf einen römischen Hauptmann eingelassen, segnete die lauten Kinder und wusch seinen Freunden die schmutzigen Füße.
Raus aus der Komfortzone - in Kontakt mit der Welt sein: Ich bin sicher, das wird uns in Zukunft immer mehr beschäftigen. Ich wünsche mir, dass wir noch mehr die Perspektive derer einnehmen, die sich bei uns fremd fühlen, dass wir auf sie hören, denn sie haben uns Interessantes zu erzählen. In der Schule und in den Kitas passiert das ständig. Auch in den Krankenhäusern geschieht dies jeden Tag.
Aber wo geschieht das in unseren Gemeinden? Warum nicht mal einen Kurs von Design-Studierenden in eine Kirche holen und sie dort 4 Wochen in dem Raum und mit dem Raum ohne Kontrolle arbeiten lassen? Und mal schauen, was dann passiert? Wie sich der Raum verändert, wie sich das Beten verändert oder das Gottesdienstfeiern? Oder worüber man miteinander ins Gespräch kommen kann?
Oder vielleicht ist es wirklich an der Zeit, dass wir eine Kasualagentur einrichten? Eine Servicestelle rund um Beerdigungen, Taufen und Hochzeiten, damit die, die was von uns wollen, nicht umständlich herumtelefonieren müssen, bis sie an die Richtigen geraten?
Oder warum nicht mal ein interkulturelles Welcome-Dinner auf einem öffentlichen Platz organisieren - zusammen mit der Interreligiösen Kita?
Vielleicht brauchen wir auch irgendwann einen Kirchenraum nicht mehr, aber statt ihn einfach nur aufzugeben starten wir einen Ideenwettbewerb im Stadtteil, was mit diesem Raum noch geschehen könnte, damit er ein Segen für die Stadt ist?
Ich weiß, das kostet alles auch Geld, darüber reden wir heute mal nicht. Ich bin sicher, Sie haben noch viel mehr Ideen!
Die zukünftige Stadt suchen wir - ja, machen wir uns auf die Suche, gehen wir raus, gehen wir hin, hin in die Welt, in die Quartiere, reißen wir die Kirchentüren auf, lassen wir den Status Quo liegen und uns durch neue, fremde Gedanken inspirieren. Neues ausprobieren und Experimente wagen - das möchte ich mit Ihnen und euch in den nächsten Jahren tun.
V. Gemeinsamer Weg?
Wir haben hier keine bleibende Stadt, aber die zukünftige suchen wir.
Gemeinsam haben wir uns auf den Weg gemacht. Wir sind uns bewusst, dass wir den Generationen nach uns eine Kirche mit leichtem Gepäck übergeben wollen, eine, mit der sie dann den Weg in dieser Welt weitergehen können, fröhlich ihre Straße ziehend.
Ja, wir sind losgegangen und diesen Weg möchte ich mit Ihnen und euch weitergehen. Ich bin so stolz auf diese Evangelische Kirche in Pforzheim: auf den Mut zu neuen Wegen, auf das Vertrauen, das unter uns immer mehr wächst. Ich bin stolz auf die wunderbaren, phantasievollen Gottesdienste, die in unseren Kirchen und auch außerhalb gefeiert werden. Ich bin stolz auf unsere klaren und friedensstiftenden Worte, die wir in diese Stadt hineinsprechen und darauf, dass Tag für Tag Menschen durch uns getröstet und begleitet werden. Ich bin stolz auf die musikalische Vielfalt unserer Kirche. Mich begeistert es, wie kreativ und neugierig wir unterwegs sind: singend und tanzend, slammend und betend, mit großer Entdeckerfreude und spannenden Kooperationen. Ich bin stolz darauf, dass wir die Stadt finden und sie uns.
Als Suchende, als Betende, als Glaubende sind wir unterwegs. Manchmal tastend und unsicher, manchmal mutig und selbstbewusst. Wir tun dies im Namen Jesu, der selber in die Fremde ging und uns in die Welt schickt. Wir bleiben unterwegs. Wir sind nicht am Ziel. Wir gehen weiter. Aber wir sind auf einem guten Weg.
Dafür danke ich Ihnen und euch von Herzen.