Sonntag, 16. April 2017

Alles ist da. In Emmaus und in Pforzheim auch.

Predigt zum Ostermontag über Lukas 24,13-35

(Danke an Thomas Hirsch-Hüffel für die entscheidende Anregung)

Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa sechzig Stadien entfernt; dessen Name ist Emmaus. Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten.
Und es geschah, als sie so redeten und einander fragten, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.
Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist?
Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben.
Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist.
Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen,
haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe.
Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden's so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.
Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben!
Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?
Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war.
Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen.
Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.
Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen.
Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen.
Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?
Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und dem Simon erschienen. Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, da er das Brot brach.

I.
Alles da.
Es ist alles da in diesem einen Moment.
Die vielen Mahlzeiten mit ihm.
Das Brot in der Hand. Die Stücke, die er verteilt.
An alle, die da waren.
Und sie waren alle da.

In diesem einen Moment in einem Gasthof in Emmaus ist alles da.
Das letzte Mahl.
Der Abschied.
Der Tod. Aber vor allem die Liebe.
Auch die anderen sind da.
Der tote Judas, der sich so sehr verrannt hat in seine Idee,
und daran zerbrochen ist.
Die Frau mit dem Salböl, das sie für Jesus verschwendet.
Petrus ist auch dabei,
mit rotgeweinten Augen, in die er sich nicht schauen lässt.
Maria von Magdala ist da und verteilt den Wein.
Ihre Augen leuchten noch von der Begegnung am Grab.

Jetzt ist alles da. Hier.
Jesus ist da. Und bricht das Brot.
Keine Fragen mehr.
Nur noch da sein.
Mit offenen Augen und brennendem Herzen.

II.
Diese Momente, wo alles da ist.
Die du nicht erklären kannst, nur spüren.
Mir ging das so, als die Hebamme sagte:
„Ihre Tochter hat einen kleinen Sohn bekommen!“
Davor die bangen Stunden, weil es nicht so gut lief.
Die Sorgen ließen mich im Krankenhaus herumlaufen.
Mit klugen Argumenten versuchte ich mich zu besänftigen.
Aber das Herz war unruhig.
Und dann der eine Satz: Ihrer Tochter geht es gut. Und Ihrem Enkel auch.
Ein Moment, wo alles da ist.
Ich dachte daran, wie ich sie das erste Mal in den Armen hielt.
Und ihr 6.Geburtstag als Piratin.
Ihr Auftritt im Musical.
Und nach einem Jahr Amerika sie wieder zu umarmen.
Die langen Gespräche in den dänischen Dünen.
Auf ihrer Hochzeit sie segnen zu dürfen.
Ich dachte an meine Mutter, die das nicht mehr erleben konnte.
Alles das war da. In diesem einen Moment.
Ein Moment voller Liebe und Tränen und Nähe.

III.
Für Kleopas ist es dieser Moment im Gasthof von Emmaus.
Der Schmerz sitzt ihm noch in den Knochen.
Gefallen aus der Welt und er wusste nicht, was er noch denken konnte.
Jesus am Kreuz. War’s das jetzt?
Das kann es nicht gewesen sein.
Oder doch?

Laufen hilft. Nicht stillsitzen.
Und ihm half zu zweit zu laufen. Zusammen mit einem anderen.
Weg von diesem Ort der Gewalt. Weg vom Kreuz.
Wohin auch immer.

Woher der Dritte kam, weiß Kleopas nicht.
Er ging von dem ersten Brunnen hinter Jerusalem an mit ihnen.
Sie erzählten, weil er fragte.
Erst wollten sie nicht, dann lief es aus ihnen raus.
Man ist nicht bei sich in solchen Zeiten.
Aber es ist gut, dass jemand fragt. Und auch nicht locker lässt.

Und dann dieser Moment.
Im Gasthof von Emmaus.
Der Fremde nimmt das Brot und bricht es.
Es braucht keine Worte mehr. Nur das Brot.
Nur das, was zählt.
Ein Moment voller Liebe und Tränen und Nähe.
Alles ist da.

IV.
So ein Moment ist Gnade.
Denn du kannst ihn nicht machen,
nicht inszenieren.
Zauber, Magie, Wunder, Geschenk.
Alles Worte, die es doch nicht erfassen.
Weil es um Ewiges geht.
Um etwas, das größer ist als wir.

Mir kommen die Dortmund-Fans in den Sinn,
die nach dem Bombenanschlag auf den BVB-Bus
die Monaco-Fans zu sich nach Hause einladen
#BedforawayFans - dieser Hashtag - ein Moment, wo alles da ist.
Wo Liebe statt Hass regiert.
Und wo sie denen,
die den Flüchtlingen die Schuld geben wollen, ins Gesicht lachen.
Da ist Brot und Bier und Sprachenwirrwarr -
alles beieinander.
Und trotz Wut und Trauer und Fassungslosigkeit wurde gelacht und geküsst und geliebt.
Und es brauchte keine Worte mehr.

Erinnert ihr euch noch an die alte verwirrte Frau,
die am Sonntag vor der Vesperkirche hier in den Altarraum kam und dort blieb?
Sie rührte sich nicht von der Stelle.
Für mich war das so ein Moment, wo alles da war.
Sie war die, die eigentlich nicht hierher passte.
Und doch musste sie da sein.
Und in späteren Gottesdiensten kam sie auch.
Und da war sie wohl wirklich anstrengend. Und brauchte Hilfe.
Aber an diesem Sonntag war es für mich ein Moment, wo alles da war.
Sie wirkte so unverrückbar sicher, am richtigen Ort zu sein.
Liebe und Tränen und Nähe.

V.
So ein Moment ist Gnade.
Man kann ihn nicht erklären.
Was macht man damit?

Kleopas wacht auf aus seiner Starre und läuft los.
Läuft zurück nach Hause.
Geht zu den anderen und lebt diesen Moment.
Lässt sich davon leiten.
Und sein Herz füllen.
Und steckt damit die anderen an.
Leben,
spüren,
schmecken,
weinen
und lachen.
Und diesen Moment, wo alles da ist, erleben.

So möchte ich es auch tun.
Ich will die Momente, wo alles da ist, spüren, erkennen, sehen.
Meine Augen offen halten
und jede Faser meines Körpers darauf einstellen.

Das wird mich verletzlich machen.
Denn ich öffne mich ja.
Und das werden andere ausnutzen.
Aber das ist mir heute egal.

Denn ich weiß ja, dass dann Jesus bei mir ist.
Wenn ich Brot teile und mit Freunden Wein trinke.
Wenn ich mit meinem Enkel über den Boden krabble.
Er ist da, wenn ich über die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer weine
und über die Folterlager für Homosexuelle in Tschetschenien.
Wenn mich die Bomben auf Afghanistan und in Syrien entsetzen.

Jesus ist bei mir gerade dann, wenn ich nicht mehr weiter weiß.
Wenn ich nur noch vor mich hinstammle
und blind das Weite suche wie Kleopas.

Auf einmal ist er da und spricht mit mir.
Ich erkenne ihn nicht.
Aber er ist da und wärmt mir das Herz.
Setzt sich mit mir hin und hört zu.
Sein Brot.
Sein Wort.
Seine Liebe.
Und Nähe.
In einem Moment und für die Ewigkeit.
Alles ist da.

Amen.










Donnerstag, 13. April 2017

Lieben, dass es weh tut. Und heilt.

Predigt zum leidenden Gottesknecht (Jes 53,2b - 13)
Karfreitag 2017

I.
Er hatte keine Gestalt und Hoheit.
Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte.
Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, 

voller Schmerzen und Krankheit.
Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg;
darum haben wir ihn für nichts geachtet.

Fürwahr, er trug unsre Krankheit 

und lud auf sich unsre Schmerzen.
Wir aber hielten ihn für den, der geplagt
und von Gott geschlagen und gemartert wäre.
Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet
und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten,
und durch seine Wunden sind wir geheilt.

Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg.
Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn.
Als er gemartert ward, litt er doch willig
und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird;
und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer,
tat er seinen Mund nicht auf.

Er ist aus Angst und Gericht hinweggenommen.
Wer aber kann sein Geschick ermessen?
Denn er ist aus dem Lande der Lebendigen weggerissen,
da er für die Missetat meines Volks geplagt war.
Und man gab ihm sein Grab bei Gottlosen und bei Übeltätern,
als er gestorben war, wiewohl er niemand Unrecht getan hat
und kein Betrug in seinem Munde gewesen ist.
So wollte ihn der HERR zerschlagen mit Krankheit.

Wenn er sein Leben zum Schuldopfer gegeben hat,
wird er Nachkommen haben
und in die Länge leben,
und des HERRN Plan wird durch seine Hand gelingen.
Weil seine Seele sich abgemüht hat,
wird er das Licht schauen und die Fülle haben.
Und durch seine Erkenntnis wird er, mein Knecht, der Gerechte,
den Vielen Gerechtigkeit schaffen;
denn er trägt ihre Sünden.
Darum will ich ihm die Vielen zur Beute geben
und er soll die Starken zum Raube haben,
dafür dass er sein Leben in den Tod gegeben hat
und den Übeltätern gleichgerechnet ist
und er die Sünde der Vielen getragen hat
und für die Übeltäter gebeten.


            Musik

II.
Gott, hast du uns verlassen?
Da wird einer fertig gemacht,
zum Sündenbock abgestempelt,
klein gehalten, bespuckt.
Der Allerverachtetste und Unwerteste.
Schaut ihn euch an:
was muss der nur verbrochen haben, dass es dem so geht?
Der ist bestimmt selber Schuld.
Oh, ich hab ihm nichts getan, die anderen waren‘s.
Ich wasche meine Hände in Unschuld!
Und sag lieber nichts dazu.
Womöglich gerate ich noch in den gleichen Schlamassel...

Gott, hast du uns verlassen?
Wie den Gottesknecht.
Sind die über 40 koptischen Christen in Ägypten deine Gottesknechte?
Getötet von Terroristen.
Weil sie Christen sind.
Sind die Opfer von Stockholm deine Gottesknechte?
Wo bleibt deine Strafe für die Täter, Gott?
Oder die Flüchtlinge, die nach Afghanistan zurück geschickt werden,
in ein Land, das voller Minen und Talibanterroristen ist
und das Außenministerium warnt vor Reisen in dieses Land.
Oder der 13jährige -  über whats-app so gemobbt,
dass er sich nicht mehr in die Schule traut…
Alles Gottesknechte?
Schaut sie euch an:
was müssen sie nur verbrochen haben, dass es ihnen so ergeht?
Die sind bestimmt selber Schuld.

III.
Gott, hast du uns verlassen?
Warum müssen wir über andere schlecht reden?
Warum interessiert es uns so wenig,
wie es denen geht, denen es offensichtlich schlecht geht?
Vielleicht sogar direkt nebendran…
Und wir glauben, uns könnte das nicht treffen?

Da verdient einer sein Geld unsauber.
Aber einen anderen Platz hat er nicht gefunden.
Es geht ihm nicht gut dabei.
Die Blicke der anderen tun ihm weh.
Aber das wird er nicht zeigen.
Sonst werden sie seine Schwäche erkennen.
Aus dieser Nummer kommt er nicht mehr heraus.

Da hat eine andere einen fragwürdigen Lebenswandel.
So jedenfalls bezeichnen es die, die anders leben.
Sie selber will das eigentlich nicht.
Ihre Träume sind ganz andere.
Aber ihre Träume werden zertreten.
Weil so eine wie sie nicht träumt.
Andere träumen von ihr.
Das findet kaum einer schlimm.
Aber dass sie sich einlässt auf die Träume, das ist unmoralisch.
Moral hat mindestens zwei Gesichter. Und an welches soll sie sich halten?

Zwei Geschichten - bekannt aus der Bibel:
der Zöllner, die Sünderin.
Gescheiterte Existenzen. Menschen wie wir.
Ein anderes Leiden als die Opfer der brutalen Übergriffe
in Ägypten oder Stockholm oder Afghanistan.
Nicht vergleichbar.
Und doch Leiden - immer wieder - auch heute.
Und es gibt keine Zwei-Klassen-Leiden…

IV.
Gott, hast du uns verlassen?
Da gibt es da noch einen dritten -
der Grund, warum wir hier sind:
Jesus, ja, du.
Du predigst von Sanftmut und Barmherzigkeit,
hältst die rechte Wange hin,
nachdem dir auf die linke geschlagen wurde.
Du stellst dich vor andere Opfer,
vor die Ehebrecherin zum Beispiel.
Und du machst dich unbeliebt,
weil du Regeln in Frage stellst,
die nicht für Menschen gemacht sind.
Du liebst, dass es weh tut.
Verraten, verkauft, verloren.
Deine Freunde haben sich verkrümelt.
Die Menge schreit und will ein Opfer,
will einen, auf den sie alles abladen kann.
Dich.
Sie lacht über deine Schmerzen.
Schaut zu, wenn du gequält wirst,
achselzuckend oder geifernd.

Gott, hast du uns verlassen?
Hast du sogar Jesus verlassen, deinen Sohn?
Da steht, sitzt, hängt einer.
Und andere schütteln den Kopf,
wenden sich ab, gehen vorüber.
Es ist einsam auf Golgatha.
Da sind nur die, die da sein müssen.
Und die, die lieben, dass es weh tut.

V.
Leiden hat keine Lobby.
Liebe darf nicht weh tun.
Denn Leiden und Schmerz passen nicht in die perfekte Welt.
Karfreitag soll sich verkrümeln.
Es reicht, dass ich das täglich in den Nachrichten sehe und höre.
Mein Aufschrei im Internet und das beleuchtete Brandenburger Tor -
das muss genügen.
Nicht mehr bitte - denn sonst müsste ich genauer hinsehen,
wo ich da eigentlich stehe.
Ich müsste stehen bleiben.
Den Schmerz aushalten und mitfühlen.

Der Gottesknecht.
Die ägyptische Christin, der schwedische Angestellte,
der afghanische Flüchtling, der gemobbte Junge.
Der Zöllner, die Frau. Jesus.
Derselbe rote Faden zieht sich durch alle Geschichten.
Menschen leiden.
Unschuldig oder mitschuldig.
Heroisch oder schmuddelig.
Sympathisch oder unsympathisch.
Wer will das unterscheiden?
Jesus: unschuldiges, heroisches, sympathisches Leiden.
Für uns.
Für die Damaligen:
Ein mitschuldiger, schmuddeliger und unsympathischer Tod.
Kein Grund stehen zu bleiben.

Gott bleibt stehen.
Beim Kreuz.
Bei den Minen und im zerstörten Gotteshaus.
Und dem traurigen Jungen.
Nein, Gott, du hast uns nicht verlassen!
Du hältst dich nicht heraus
aus dem Leid und dem Unrecht in unserer Welt.
Du bleibst nicht im Himmel.
Du bist selber am Kreuz.
Du liebst.
Bist der Gottesknecht, der selber schuld ist.
Nah am Abgrund und nah an meinen Abgründen.

VI.
Nein, Gott, du hast uns nicht verlassen!
Du nimmst in Christus die Abgründe auf dich.
Du gehst tief hinein. Ganz tief.
Christus wird hingerichtet wie ein Mörder,
zwischen zwei Mördern am Kreuz links und rechts.
Dort, wo die Täter sind.
Die mit ihren Abgründen.
Die, die selber schuld sind.
Ja, da bist du, Gott, in den Abgründen - auch bei mir.
Wo ich mitlaufe oder anführe,
wo ich schweige oder zu Gerüchten beitrage,
wo ich wegschaue und geschehen lasse,
wo ich mitbeteiligt bin, ob ich will oder nicht.
Und wo ich denke, dass der oder die doch selber schuld ist.
Auch da bist du, Gott!
Und bei dir kann ich es lassen - und neuanfangen.

Das Kreuz zeigt die Welt, wie sie ist. Täter und Opfer.
Und ich sehe im Kreuz nicht nur, wie die Welt ist,
sondern, wie sie sein kann.
Voller Liebe und Vergebung.
Lieben, dass es weh tut.
Und heilt.

VII.
Nein, Gott, du hast uns nicht verlassen!
Du bist hier, mitten drin.
In alles Leid der Welt gefallen.
So tief, wie keiner.
Und weil du tiefer bist als alles Leid, kannst du alles Leid auffangen.
Bei dir wird keiner fertig gemacht.
Du liebst, dass es weh tut.
Und heilst.
Auch mich.

Fürwahr, du trugst unsre Krankheit 
und ludst auf dich unsre Schmerzen.
Wir aber hielten dich für den, der geplagt
und von Gott geschlagen und gemartert wäre.
Aber du bist um unsrer Missetat willen verwundet
und um unsrer Sünde willen zerschlagen.
Durch deine Wunden sind wir geheilt.

Amen.

Sonntag, 9. April 2017

Verschwenderische Liebe

Predigt zu Markus 14,3-9
 
(Danke an Birgit Mattausch für die Beratung des Entwurfs. Sie ist so eine wunderbare Predigerin! Ihre Texte finden sich auf frauauge.blogspot.de - sehr empfehlenswert!)

I.
Liebe ist verschwenderisch.
Die Scherben liegen noch auf dem Boden. 
Dazwischen die Reste vom Fisch und Brotkrümel.
Überall Tropfen von Nardenöl.
Sie schimmern und duften.
Ein schwerer Geruch und zugleich ganz leicht.
Vermischt sich mit dem Fisch und dem Wein und dem Schweiß.
In den Wandteppichen hängen noch die Stimmen,
die zornigen und die lauten, die leisen und die sanften auch.
Simon bückt sich und sammelt die Scherben auf.
Das Öl, das an ihnen hängt, wischt er behutsam ab,
und verteilt es auf seiner Haut.
Da wo die Narben besonders dick sind und weh tun.
Er lächelt, als er an die Frau denkt.

II.
Und als Jesus in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch,
da kam eine Frau,
die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl,
und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt.
Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander:
Was soll diese Vergeudung des Salböls?
Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können
und das Geld den Armen geben.
Und sie fuhren sie an.
Jesus aber sprach:
Lasst sie! Was bekümmert ihr sie?
Sie hat ein gutes Werk an mir getan.
Denn ihr habt allezeit Arme bei euch,
und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun;
mich aber habt ihr nicht allezeit.
Sie hat getan, was sie konnte;
sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis.
Wahrlich, ich sage euch:
Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt,
da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.


III.
Simon, der Aussätzige, berührt seine Narben.
Der Geruch vom Nardenöl erfüllt noch den Raum.
Und er hofft, dass er möglichst lange da bleibt.
Denn er tut seinen Narben gut, auch den Narben auf seiner Seele.
Es war mutig von der Frau, einfach so hineinzutreten in die Männerrunde.
Simon kannte sie nicht und die anderen kannten sie auch nicht.
Aber als sie eintrat, verstummten sie auf einmal.
Was will sie hier?
Merkt sie nicht, dass sie stört?
Und alle Blicke waren auf sie gerichtet.
Sie wusste, was sie wollte - wohin sie wollte.
Keiner traute sich, sie aufzuhalten.
Sie sprach kein Wort.
Nur das Zerbrechen des Öl-Gefäßes aus Alabaster war zu hören.
Was sie tat, brauchte keine Worte.*
Und der Duft verströmte sich.

IV.
Liebe ist verschwenderisch.
Der liebende Duft.
Die duftende Berührung.
Alles ganz nah.
Auch mit ungewisser Zukunft.

Die Frau trat zu ihm.
Sie, die Unbekannte,
Die Liebende. Die Prophetin.

Sie salbt ihn, Jesus, zum König.
Wie einst Samuel den David salbte.
Jesus, der Gesalbte, der König.
Der auf einem Esel in Jerusalem einzog,
Er war gefeiert und bejubelt worden.
Hatte berührt und wurde berührt.
Im Tempel trat er sehr unköniglich, aber handfest auf.
Die arme Witwe bewunderte er.
Er ließ sich von der blutflüssigen Frau anfassen.
Und die todgeweihte Tochter des Jairus nahm er an die Hand.
Der Gesalbte, der verschwenderisch Liebende.

V.
Seine Verschwendung ist anstößig.
Was bringt die Rettung der kleinen Tochter von Jairus für die Toten der Welt?
Und das kleine Opfer der Witwe, wenn der Reiche nichts gibt?
Wo bleibt der Ertrag?

Und seine Verschwendung wird noch anstößiger.
Er setzt sich aus. Setzt sein Leben aus.
Verschwendet seine Liebe an Menschen, die ihn töten wollen und dies auch tun.
Er verhandelt nicht mit den Obersten, er erreicht keinen Kompromiss.
Stattdessen teilt er Brot und Wein mit seinen Freunden und Freundinnen.
Er hätte doch auch einen Pakt mit Pilatus schließen können,
ihm vormachen können, dass keine Gefahr von ihm ausgeht.
Vielleicht hätte Pilatus ihn nicht gekreuzigt
und Jesus hätte noch mehr Menschen erreicht.
Vielleicht....?
Aber stattdessen geht er ans Kreuz mit seiner verschwenderischen Liebe,
Verströmt sie an die neben ihm.
Und wird sterben - mit ihr, dieser Liebe.

VI.
Liebe ist verschwenderisch.
Kostbares Öl auf seinem Kopf.
Öl, das man hätte gut verkaufen können.
Es macht ihn zum Gesalbten.
Zum König.
Zum Sterbenden.
Als Sterbender bleibt er der Gesalbte, der König.
Der wahre König muss seine Liebe verschwenden.
Er kann sie nicht für sich behalten und nutzbringend einsetzen.
So wie das Öl von seinen Haaren tropfen muss und sich auf dem Boden verteilt.
Tropfen bildet. Scherben hinterlässt. Und die anderen verstört.

Die Frau kümmert sich nicht darum, was die anderen verstört.
Sie tut, was ansteht.
Nimmt vorweg, was kommen wird.
Sie zeigt, wer Jesus ist.
Der Gesalbte. Der verschwenderisch Liebende.
Er lässt sich salben mit Öl aus einem zerbrochenen Krug*

und ist Träger von zerbrochenen Hoffnungen.

Er trägt sie mit.

Auch unsere zerbrochenen Hoffnungen.

Sie werden getragen. Und gesalbt.

Wie unsere Narben und Wunden.

VII.
Simon bückt sich und sammelt die Scherben auf.
Das Öl, das an ihnen hängt, wischt er behutsam ab,
und verteilt es auf seiner Haut.
Da, wo die Narben besonders dick sind und weh tun.
Er lächelt, als er an die Frau denkt.
Die Namenlose.

Liebe strömt den Kopf hinab und tropft auf den Boden.
Verschwenderisch.
Sie ist da -
und bringt eine dampfende Hühnersuppe für die erkältete Pfarrerin.
Stundenlang hat sie sie gekocht für die Kranke.
Verschwenderische Liebe fährt 600 Kilometer durch die Bundesrepublik,
um dabei zu sein, wenn die Tochter ihr Abschlusszeugnis bekommt.
Sie demonstriert in Stuttgart gegen die Abschiebungen nach Afghanistan
und spricht stundenlang mit einem,
der nur noch im völkischen Denken das Heil für die Zukunft sieht.
Verschwenderische Liebe betet für dich
und umarmt dich, wenn du selber keine Kraft hast zum Lieben.
Verschwenderische Liebe komponiert unglaubliche Musik,
inspiriert von dem Licht eines Rembrandts**.
Und sie singt Töne voller Schmerz.

Liebe ist so verschwenderisch,
dass ihre Tropfen noch reichen für deine Narben,
die auf der Haut und auf der Seele.
Ihr Duft vermischt sich mit den Gerüchen deines Lebens.
Verschwenderisch bis zum Tod.
Nichts wird zurückgehalten.

Und selbst die Scherben tragen genug
für Simon,
für dich und für mich
und für alle da draußen.
Amen.

* Vielen Dank an Jonathan Overlach für diese Formulierung
** Musikalisch wurde der Gottesdienst mit Teilen aus "Golgota" von Frank Martin gestaltet, der seine Passion komponiert hat nach einer Betrachtung des Kupferstichs von Rembrandt "Die drei Kreuze"

Sonntag, 2. April 2017

Keine Opfer mehr! Auch nicht für Gott....

Predigt zu 1.Mose (Genesis) 22, 1-13

I.
(Folgendes aus https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/2015/kindersoldaten-erzaehlen/72156)
Der Tag, an dem David ein Kindersoldat wurde, hatte begonnen wie jeder andere Tag.
Der 16-Jährige verabschiedete sich morgens von seinen Eltern in einem Dorf in Südsudan und ging zur Schule. Er kam nicht mehr zurück. Bewaffnete Männer überfielen die Schule und entführten David zusammen mit rund 100 Mitschülern. "Es ist eure Pflicht zu kämpfen und euren Stamm zu verteidigen" - sagte man ihnen. David lernte drei Monate lang in einem Trainingscamp das Kämpfen. „Am schlimmsten war, morgens um drei Uhr geweckt zu werden und bis mittags trainieren zu müssen. Wir haben nur drei Mal pro Woche etwas zu essen bekommen. Wenn du die Waffe nicht richtig bedienen konntest, wurdest du geschlagen. Ich hatte keine Wahl.”

David und die anderen Kindersoldaten wurden an die Front gebracht und gezwungen, zu kämpfen. Sie konnten es nicht ertragen. Gemeinsam planten sie, bei der ersten Gelegenheit zu fliehen – auch wenn das lebensgefährlich war. „Wir waren so verzweifelt“, sagt David.

Unter dem Vorwand, wie üblich Feuerholz zu suchen, flüchteten sich rund 100 Jungen in den Wald. „Wir haben unsere Waffen und Uniformen zurückgelassen“, erzählt David. Die meisten Jungen schlugen den Weg in Richtung Sudan ein. David und vier andere konnten sich nach Bentiu zu einem Stützpunkt der Vereinten Nationen durchschlagen, in dem Zehntausende Menschen Zuflucht vor der Gewalt suchen. David hatte Glück: Eine Familie im Camp hat ihn und zwei andere Teenager aufgenommen.

II.
Kinder werden geopfert.
Für Machtinteressen. Für den Krieg. Für den eigenen Wohlstand. Für den Ehrgeiz.
Und für die Religion.
Die meisten verlieren alles, was ihr Leben ausmacht:
ihre Kindheit und Jugend, ihre Familie, ihre Würde, ihre Zukunft.
Und manche haben Glück und überleben es.
Heute wie vor 3000 Jahren.
Und auch damals begann der Tag wie jeder andere Tag.

Ich lese aus dem 1.Buch Mose, im Kapitel 22:
Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm:
Abraham! 

Und er antwortete: Hier bin ich.
Und er sprach:
Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast,
und geh hin in das Land Morija
und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.
Da stand Abraham früh am Morgen auf
und gürtete seinen Esel
und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak
und spaltete Holz zum Brandopfer,
machte sich auf
und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.

Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf
und sah die Stätte von ferne.
Und Abraham sprach zu seinen Knechten:
Bleibt ihr hier mit dem Esel.
Ich und der Knabe wollen dorthin gehen,
und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.
Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer
und legte es auf seinen Sohn Isaak.
Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand;
und gingen die beiden miteinander.
Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham:
Mein Vater!
Abraham antwortete:
Hier bin ich, mein Sohn.
Und er sprach:
Siehe, hier ist Feuer und Holz;
wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?
Abraham antwortete:
Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.
Und gingen die beiden miteinander.

Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte,
baute Abraham dort einen Altar
und legte das Holz darauf
und band seinen Sohn Isaak,
legte ihn auf den Altar oben auf das Holz
und reckte seine Hand aus
und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.
Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach:
Abraham! Abraham!
Er antwortete: Hier bin ich.
Er sprach:
Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts;
denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest
und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.
Da hob Abraham seine Augen auf
und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen
und ging hin und nahm den Widder
und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.


III.
Auch Isaak hat Glück, dass er überlebt. Wie David.
Aber Abraham ist bereit, seinen Sohn zu opfern. Mit dem Messer in der Hand.
Und schon allein das lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
Wie kann Abraham so etwas tun?
Und was ist das für ein Gott, der so etwas befiehlt?
Will Gott solche Opfer? Die, die sich nicht wehren können?
Will Gott etwa auch, dass Kinder und Jugendliche zu Soldaten gemacht
und damit geopfert werden?
Und mit Entsetzen sehe ich:
diese Geschichte spiegelt auch wider, was wir Menschen einander antun.
Dass wir Menschen einander opfern,
dass das Leben von einzelnen oft so wenig zählt.
Oder was wir erleiden müssen an Verlusten.
Und nicht immer ist ein Engel zu Stelle und verhindert das Schlimmste.

Ich habe den Isaak vor Augen, der neben seinem schweigenden Vater läuft,
und er weiß nicht, was geschieht.
Ahnt er was?
Und was geht in ihm vor, als er auf den Altar gebunden wird?
Und danach.
Kann er seinem Vater überhaupt noch in die Augen sehen?
Hinterher reden sie kein Wort mehr miteinander.

Lied:
|: Sometimes I feel like a motherless child, :| 3x
a long way from home, a long way from home.
|: Sometimes I feel like I'm almost gone, :| 3x
a long way from home, a long way from home.



IV.
Wie kann Abraham so etwas tun?
Er will Gott gehorchen.
Stellt den Befehl Gottes nicht in Frage.
Warum nicht?

Mir lässt diese Frage keine Ruhe.
Viel zu gut wissen wir, welche schrecklichen Folgen blinder Gehorsam hat.
Außerdem sind wir doch keine willenlosen Marionetten eines tyrannischen Gottes!
Nein, wir sind das Ebenbild Gottes, ausgestattet mit Würde und Geist und freiem Willen -
und das alles dürfen wir uns nicht nehmen lassen.
„Ich habe nur meine Pflicht getan“ - genügt nicht.
Das hat noch nie genügt.

In solchen Momenten, wo Menschen geopfert werden sollen, müssen wir „Nein“ sagen.
Was hätte Sarah, Isaaks Mutter, getan, wenn sie den Befehl erhalten hätte?
Hätte sie sich überhaupt auf den Weg gemacht
oder hätte sie nicht vielmehr gelacht
und damit jedes Einschreiten des Engels überflüssig gemacht?
Und mir fallen Worte von Emil Fackenheim in die Hände,
ein jüdischer Philosoph:
„Abraham hat die Prüfung nicht bestanden.
Er ist durchgefallen.
Als Gott Abraham befahl, Isaak zu opfern, wollte Er Abrahams Weigerung.
Er wollte nicht ‚Ja‘, sondern ‚Nein‘.“
   
Wenn wir Menschen stark genug wären, Nein zu sagen, wo es nötig ist -
uns zu verweigern, wo Menschen geopfert werden sollen,
dann könnten viele Kriege und viel Leid verhindert werden.
Dann gäbe es keine motherless children mehr.
Und keinen Verrat an unseren Kindern.
Wo Flüchtlinge in Kriegsgebiete zurückgeschickt werden, braucht es mein Nein.
Wo Hass gesät wird
oder durch Brandanschläge Todesopfer in Kauf genommen werden:
Da muss mein Nein laut sein. Und klar.
Und zusammen mit deinem Nein wird es noch lauter und klarer.

V.
Ich denk‘, ich schreib‘ euch besser schon beizeiten

Und sag‘ euch heute schon endgültig ab.

Ihr braucht nicht lange Listen auszubreiten,

Um zu sehen, daß ich auch zwei Söhne hab‘.

Ich lieb‘ die beiden, das will ich euch sagen,

Mehr als mein Leben, als mein Augenlicht,

Und die, die werden keine Waffen tragen,

Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
 

Ich habe sie die Achtung vor dem Leben,

Vor jeder Kreatur als höchsten Wert,

Ich habe sie Erbarmen und Vergeben

Und wo immer es ging, lieben gelehrt.

Nun werdet ihr sie nicht mit Haß verderben,

Kein Ziel und keine Ehre, keine Pflicht

Sind‘s wert, dafür zu töten und zu sterben,

Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!……

(Auszug aus Reinhard Mey: Nein, meine Söhne geb’ ich nicht - https://www.youtube.com/watch?v=e0qPsYTBCtQ)

VI.
Abraham hat kein Nein gesagt.
Aber hätte Gott sich das Nein gewünscht: warum macht er das nicht deutlicher?
Warum spielt er mit ihm wie mit Hiob?
Menschen sind doch keine Spielfiguren, die Gott mal eben austestet.
Nach dem Motto: Mal sehen, wie weit ich mit Abraham und Isaak gehen kann?
An so einen Gott kann und will ich nicht glauben.

Und doch - trotz aller Zweifel -  ist da auch etwas Wichtiges,
etwas erschreckend Vertrautes:
Hier zeigt sich ein Gott, der fremd ist, dunkel.
Ein Gott, an dem wir irre werden.
Weil er auf der falschen Seite steht.
Einer, dem Abraham seinen Sohn opfert
und mit ihm auch all seine Hoffnung und Zukunft,
die er auf Gott gesetzt hat.
Was bleibt da noch übrig an Glauben?
Ein Glaube, der unterzugehen droht…
Almost gone….
Ja, das ist die Erfahrung großer Gottesfinsternis,
mir vertraut und euch bestimmt auch -
wenn wir ihn und die Welt nicht mehr begreifen -
gar nicht mehr begreifen wollen,
weil sich Abgründe auftun, wenn wir an diesen Gott denken.
Und ihm darum am liebsten den Rücken zukehren würden.

VII.
Abraham wendet diesem Gott nicht seinen Rücken zu.
Vielleicht hätte er Nein sagen können oder sollen.
Aber vielleicht ist da doch mehr.
Ein Rest Hoffnung, den er nicht bereit ist, zu opfern.
Isaak fragt ihn - nichts ahnend, was mit ihm geschehen soll:
Vater, wo ist das Schaf zum Brandopfer?
Da antwortet Abraham: „Mein Sohn, Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer ersehen.“


Vielleicht weicht Abraham nur aus
oder vielleicht ist seine Antwort sogar zynisch.
Aber vielleicht - und das hoffe ich - steckt da wirklich der Rest Hoffnung drin,
den Abraham noch hat.
Die Hoffnung:
Am Ende ist Gott doch und immer noch der Freund,
der er bis zu diesem Tag gewesen ist.
Am Ende wird er den unmenschlichen Befehl zurücknehmen.
Am Ende sind hoffentlich weder Isaak noch Abraham motherless children.
Vielleicht ist es das, was Abraham nicht irre werden lässt.
Und ich hoffe, dass er nur darum diesen Weg geht.
Weil er an den barmherzigen Gott glaubt - gegen den gnadenlosen Gott.
Er hält daran fest:
die dunkle Seite Gottes, die ich hier zu sehen bekomme, kann nicht alles sein.
Das ist nicht mein Gott. Da ist noch mehr.
Und das ist stärker.

VIII.
Seine Hoffnung behält recht - Gott sei dank.
Und darum möchte ich die Geschichte von hinten her lesen und verstehen.
Denn letztlich macht dieser Schluss das Entscheidende klar:
Gott will kein Menschenopfer!

In der Umgebung Israels gab es Kinderopfer
und der Prophet Jeremia klagt noch im 6.Jahrhundert v.C. über Menschenopfer in Israel.
Abraham war also nur einer in einer langen Reihe, die für Gott töten.
Aber am Ende unserer Geschichte steht Gottes Nein da.
Gott selbst ist es, der am Ende den Mord an Isaak verhindert.
Und der ihn nicht motherless zurücklässt.

Dadurch rückt er auch zurecht, wie wir uns Gott ausmalen.
Gott zeigt sich als die Mutter, die das Leben will, nicht den Tod,
als ein Gegenüber, das von uns ein rechtzeitiges Nein erwartet.
Und das keine Opfer will, sondern lebendige Menschen -
Menschen, die lieben und essen und schlafen,
schreiben, malen und Musik machen,
die diskutieren, vertrauen und Kinder groß ziehen,
die traurig sind und fröhlich
und sich gegenseitig in die Augen schauen können.

Keine Opfer mehr!
Dies gilt für alle: für die Kinder und Jugendlichen,
die wie David als Soldaten ihre Kindheit, ihre Zukunft und ihr Leben verlieren.
Das gilt für die Opfer von Gewalt und Kriegen,
für die Opfer der Flucht über das Mittelmeer, die keine legalen Wege zu uns finden.
Alles das gehört abgeschafft.
Denn Gott selbst singt: Nein, meine Söhne, meine Töchter gebe ich nicht.

Und der Friede, welcher höher ist als all unsere Vernunft 
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.