Sonntag, 25. Oktober 2015

Nüchterne und zukunftsweisende Gedanken des Friedens

Predigt zu Jeremia 29 (gehalten am 25.10.2015 in Büchenbronn)

I.
Zuhause ist weit weg.
Ganz weit weg.
Ein ganzes Meer weit weg.
Ein Gebirge weit.
Und ein wochenlanger Fußweg weit.
Und die vielen Geldscheine in der Hand des Schleusers.
Zuhause ist weit weg.
Auf dem Weg verloren sie noch mehr Zuhause.
Wenn die Mutter mit der kleinen Schwester in der Türkei bleiben musste.
Wenn der Cousin im Boot nebenan untergegangen ist.
Wenn der Zaun an der Grenze immer größer wird.
Und wenn die wütenden Schreie von draußen in das neue Heim dringen.
Ausländer raus, brüllen welche.
Sie verstehen nicht, was sie sagen.
Aber sie spüren, dass sie nicht gewollt sind von denen da draußen.
Zuhause ist weit weg.

II.
Gedanken des Leids.
Zuhause ist weit weg.
Und nun sitzen sie hier in Babel an den Wassern.
Sie, an die Jeremia schreibt.
Ohne Zukunft.
Ohne Tempel.
Ohne das, was alles so vertraut und sicher macht.

Zuhause gibt es nicht mehr.
Kaputt gebombt.
Kaputt gebrannt.
Der Garten mit dem Olivenbaum.
Die Lilien, die im Sommer blühten.
Die kleine Mauer, auf der die Nachbarskinder so gerne saßen.
Die Trauben, die so süß schmeckten, wenn sie reif waren.
Das alles gibt es nicht mehr.
Jedenfalls nicht mehr für sie,
an die Jeremia schreibt.

III.
Und so hören wir Worte von Jeremia (Kapitel 29, Verse 4 bis 7):
So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels,
zu den Weggeführten,
die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen:
Baut Häuser und wohnt darin;
pflanzt Gärten und esst ihre Früchte;
nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter,
nehmt für eure Söhne Frauen
und gebt eure Töchter Männern,
dass sie Söhne und Töchter gebären;
mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.
Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen,
und betet für sie zum HERRN;
denn wenn's ihr wohlgeht, so geht's auch euch wohl.


IV.
Gedanken, die Zukunft bauen.
Gedanken des Lebens.

Richtet euch ein. Denn Gott ist bei euch.
Auch wenn kein Tempel da ist.
Auch wenn kein Priester da ist.
Richtet euch ein. Denn Gott ist bei euch.
Auch wenn das Zuhause weit weg ist.
Ihr könnt ein zweites Zuhause haben.
Und da gibt es auch wieder eine kleine Mauer, wo Kinder darauf sitzen können.
Die Trauben sind vielleicht etwas saurer,
aber dafür gibt es süße Äpfel.
Und einen Zwetschgenbaum.
Ihr könnt zwei oder drei oder vier Heimaten haben.
Dort, wo ihr seid, werdet ihr gebraucht.
Mit eurer Kraft.
Euren Ideen.
Eurer Liebe.
Ja, auch mit eurem Gebet.
Und das Wohl des Landes suchen.

Ihr denkt, ihr seid am falschen Ort?
Unrein und ohne Gott?
Ihr meint, nur wo ihr herkommt, ist es richtig?
Nur wie es früher war, ist es richtig?
Nur wenn alles wie gewohnt läuft, ist es richtig?
Nur wenn ihr ihr schwarz und weiß, richtig und falsch,
gut und böse benennen könnt, ist es richtig?
Nein, es wird nicht immer so bleiben, wie es war.
Sondern eure Welt verändert sich.
Ihr verändert euch.
Das Leben verändert euch.
Was ihr glaubt, verändert sich.

Gedanken, die Zukunft bauen,
die habe ich für euch.
Menschen leben heute anders als früher,
aber sie brauchen immer noch Gott.
Menschen lieben anders als früher,
aber sie suchen immer noch Gott.
Gott ist kein Gott, der nur in der Kirche oder im Tempel auf euch wartet.
Gott ist auch nicht nur da, wo die Regeln von früher gelten.
Und Gott ist auch nicht auf eine Religion beschränkt.
Gott ist in der Fremde. Im Exil.
Dort, wo alles anders ist.

V.
Aber das macht Angst, oder?
Angst, weil das Zuhause weit weg ist
und alle Sicherheit.
Das Vertraute,
das Alte,
das Richtige.
Alles das
ist weg.
Heute mehr denn je.
Selbst in der Kirche ist nichts mehr wie es war.
Und wie wird sich unsere Gesellschaft verändern?
Mit den vielen Zuwanderern,
die so viel Leid mitbringen,
und auch andere Gedanken,
und viele auch eine andere Religion.
Woran können wir uns noch halten,
wenn noch nicht mal mehr unsere Grenzen halten?

In diese Angst, die jeder hat,
können sich Gedanken des Unfriedens einnisten.
Gedanken des Neids.
Gedanken des Hasses.
Gedanken der Gewalt.
Gedanken der Lüge.

VI.
Und so schreibt Jeremia weiter (Verse 8 und 9):
Lasst euch durch die Propheten, die bei euch sind,
und durch die Wahrsager nicht betrügen,
und hört nicht auf die Träume, die sie träumen!
Denn sie weissagen euch Lüge in meinem Namen.
Ich habe sie nicht gesandt, spricht der HERR.


Nicht in meinem Namen.
Unter diesem Titel gab es vor einem Jahr eine Kampagne als Pegida los ging.
Ihr lauft nicht in meinem Namen.
Eure Hetze gegen Muslime geschieht nicht in meinem Namen.
Eure Lügen über eine angebliche Invasion durch Fremde
geschehen nicht in meinem Namen.
Eure Träume von einer Mauer um Deutschland herum
oder auch um Europa
geschehen nicht in meinem Namen.
Das sind Gedanken des Hasses.
Sie schüren Angst vor denen,
die da kommen und Sicherheit suchen
und Zukunft bauen wollen.
Sie nähren den Neid der Armen und Benachteiligten.
Sie säen die Zwietracht zwischen denen, die einander beistehen sollten.
Gedanken des Hasses sind es.
Aber nicht meine, sagt Gott.

Hast du andere Gedanken für uns, Gott?
Wir brauchen andere Gedanken.
Gedanken, die uns stärken
und trösten
und die uns lieben lassen
und leben.
Hast du solche Gedanken für uns, Gott?

VII.
Jeremia schreibt weiter (Verse 10 bis 14):
Denn so spricht der HERR:
Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind,
so will ich euch heimsuchen
und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen,
dass ich euch wieder an diesen Ort bringe.
Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe,
spricht der HERR:
Gedanken des Friedens und nicht des Leides,
dass ich euch gebe das Ende, des ihr wartet.
Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten
und ich will euch erhören.
Ihr werdet mich suchen und finden;
denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet,
so will ich mich von euch finden lassen,
spricht der HERR,
und will eure Gefangenschaft wenden
und euch sammeln aus allen Völkern
und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe,
spricht der HERR,
und will euch wieder an diesen Ort bringen,
von wo ich euch habe wegführen lassen.


VIII.
Gedanken des Friedens.
Ihr Israeliten im Exil
sucht das Wohl des Landes eurer Feinde!
Lasst euch nicht treiben von Hass und Zorn und Rache
sondern betet für die, die eure Not verantworten.
Arbeitet mit ihnen.
Lebt mit ihnen zusammen.
Und bekommt Kinder.

Gedanken des Friedens
Ich muss an Navid Kermani denken
an seine Rede als Friedenspreisträger
letzten Sonntag.
Wie er erzählt von Pater Jacques,
der in Syrien bleibt,
dort, wo seine Peiniger sind und
die Menschen nicht aufgeben kann und mag.
Er liebt den Islam und leidet unter der Fratze des IS.
Und dann wird Pater Jacques entführt
und zum Schluss wieder befreit
nicht von den Christen,
sondern von den Muslimen seines Ortes.
Sie wollen dort nicht aufgeben
und sich nicht anstecken lassen vom Hass des IS
und der anderen Parteien.
Nein, wir leben hier zusammen, wie eh und je,
wir lassen uns nicht aufeinander hetzen.
Die Liebe wirkt über die Grenzen der Religionen, Ethnien und Kulturen hinaus
sagt Kermani.
Sagt Jesus.
Und sagt Jeremia.
Gedanken des Friedens.

IX.
Ja, sich nicht anstecken lassen vom Hass.
Sich nicht von Angst treiben lassen.
Sondern Leben gestalten.
Zusammenleben gestalten.
Miteinander, nicht ohne einander.
Das geht nicht ohne Streit,
nicht ohne Diskussion.
So wie die Einheimischen mit den neuen Zuwanderern streiten
und diskutieren müssen,
mit ihnen zusammenleben,
sie ernst nehmen
und sich ernst nehmen lassen von ihnen.
Gemeinsam Zukunft gestalten,
weil es nur gemeinsam geht.
Das ist nicht Sozialromantik,
sondern vernünftig und nüchtern.
Wie Jeremia.

Nüchterne Gedanken.
Das Zuhause ist weit weg.
Vielleicht sogar das innere Zuhause,
selbst wenn du zuhause geblieben bist.
Du wirst die Rückkehr nicht mehr erleben,
du im Exil. Du in der Fremde
Darum richte dich ein.
Aber halte das nicht für unabänderlich.
Die Zukunft kann noch ganz andere Veränderungen bringen.
Für dich.
Für deine Nachkommen.
Für die Welt.
Nichts bleibt wie es ist.
Und die Gegenwart hat nicht das letzte Wort.
Sondern Gott.
Und nur er.
Und auch in der Fremde kannst du Gott suchen und finden.
Auch im Exil - vielleicht sogar gerade dort.

X.
Nüchterne Gedanken.
Und gerade deshalb:
Gedanken des Friedens und nicht des Leids.
Gedanken der Hoffnung.
Zukunft bauende Gedanken.

Die hat Gott für uns.
Für dich.
Für mich.
Für die Menschen, die zu uns kommen.
Und für die Menschen, die hier schon wohnen.
Auch für die Menschen, die voller Hass sind,
und voller Angst.
Auch für die Menschen, die Flüchtlingsheime in Brand stecken
und auch für die, die sich wieder nach einem starken Führer sehnen.
Gottes Gedanken sind nicht ihre Gedanken.
Aber Gottes Gedanken des Friedens gelten auch für sie.

Oder mit Gedanken von Hanns-Dieter Hüsch (Nachdichtung zu Psalm 62):

Ich stehe unter Gottes Schutz,
er lässt mich nicht in die Leere laufen
und macht aus mir keinen Kriegsknecht.

Ich suche den Frieden und will mich ausruhen
ihn mit allen zu finden, die noch unter Waffen stehen.

Ich stehe unter Gottes Schutz
ich bin sein Fleisch und Blut
und meine Tage sind von ihm gezählt.

Er lehrt mich, den zu umarmen,
dessen Tage ebenfalls gezählt sind,
und alle in die Arme zu nehmen,
weil wir die Trauer und die Freude teilen wollen.

Ich stehe unter Gottes Schutz,
ich weiß das seit geraumer Zeit.
Er nahm den Gram und das bittere aus meinem Wesen
und machte mich fröhlich.

Und ich will hingehen,
alle anzustecken mit Freude und Freundlichkeit,
auf dass die Erde Heimat wird
für alle Welt:

Durch SEINEN Frieden
und unseren Glauben.
Shalom in Dorf und Stadt.


Gedanken des Friedens.
Amen.

Donnerstag, 22. Oktober 2015

Unvollständiges zu den Worten der Woche

Christus spricht: Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.
Matthäus 24,35 (Tageslosung vom 23.10.2015)


Was für eine Woche liegt hinter uns?
Eine Flut von Hass- und Schmähkommentaren
auf der Facebook-Seite von Diakonie Deutschland.
Es geht um ein Willkommensarmband!
Ja, Kirche und Diakonie sind in den Fokus der Rechten geraten. 
So bekommt die Geschäftsführerin des Pforzheimer Diakonischen Werks 
von Leuten auf der Straße zu hören, 
dass sie aus der Kirche austreten würden, 
wenn diese sich weiterhin für die Flüchtlinge einsetze. 

Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.

Da sticht am Samstag morgen ein Rechtsradikaler die OB-Kandidatin Reker nieder
- auf einem Kölner Marktplatz
Gott sei Dank, dass sie den Angriff überlebt. 
Die Polizei muss sich erst von der Antifa sagen lassen, 
dass der Täter vor 20 Jahren Mitglied der verbotenen FAP war. 
Auf den rechten Internetseiten tummelt sich die Häme. 
Natürlich wird zunächst ein Migrant als Täter vermutet 
("Deutsche benutzen keine Messer")... 
Als bekannt wird, dass ein Deutscher ist, 
wird auch noch die Politik des Opfers für schuldig erklärt. 
Das erinnert mich an die Vergewaltigungsopfer, 
die mit ihrem kurzen Rock "provoziert" hätten....

Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.

Da hält am Sonntag morgen der Friedenspreisträger Navid Kermani eine unglaubliche Rede*, 
die die Hörenden tief bewegt - 
mit ihrer Herzenswärme 
wie mit ihrer Liebe zur islamischen Poesie 
und zum Mut syrischer Pater. 
Kermani spricht vom unverantwortlichen Konfessionalismus, 
der Syrien bedroht und in Europa befördert wird. 
Er bringt so große Sätze wie 
"Wer als Muslim nicht mit ihm hadert, nicht an ihm zweifelt, nicht ihn kritisch befragt,
der liebt den Islam nicht."
Dasselbe könnte ich auch von meinen Zweifeln,
meinem Hadern
und meiner Liebe zum christlichen Glauben
sagen.

Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.

Kermani spricht mir aus der Seele.
Ich finde mich wieder in Kermanis Bekenntnis,
dass der Koran vor allem Poesie ist
und nur poetisch verstanden werden kann.
Ich glaube, das gilt auch für die Bibel -
zumindest zum größten Teil.
Ich finde mich wieder in seiner Trauer
angesichts der Zerstörung reicher Kultur
nicht nur durch die Panzer des IS,
sondern auch durch Kommerzialisierung.
Und ich finde mich wieder in der Hoffnung Kermanis,
genährt von Muslimen,
die den entführten christlichen Pater befreien.
"Das muss auch uns Hoffnung geben,
dass die Liebe
über die Grenzen der Religionen, Ethnien und Kulturen hinaus wirkt."

Und dann das Ende seiner Rede,
wo er zum Gebet aufruft
und die Agnostiker zu guten Wünschen für die Christen in Syrien.
Er, der Muslim,
erfüllt von einer verzweifelten Liebe
zu diesen hingebungsvollen und aufrechten Menschen,
die in einem von der Welt in Stich gelassenen Land leben,
er betet für diese nichtmuslimischen Menschen,
voller Hochachtung, Demut und Respekt.
Erfüllende Worte.

Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.

Solche Worte brauchen wir.
Worte der Liebe.
Worte des Zweifels.
Worte der Sehnsucht.
Worte der Verzweiflung.
Worte der Demut.
Worte der Hoffnung.
Worte des Herzens.
Worte der Vernunft.
Worte Gottes.

Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.

Montag abend dann wieder ganz andere Worte.
Fragwürdiges Jubiläum von Pegida.
Die schlimmsten Worte von Perincci
(die ich hier nicht zitieren werde!).
Fäkalworte.
Verletzende Worte.
Hassworte.
Schmähworte.
Menschenverachtende Worte.
Und er gefällt sich so in seinen Worten.
Genießt sie.
Obwohl sie voller Gift sind.
Und brand-gefährlich.
Nun sind endlich die Verlage aufgewacht.
Wollen seine Bücher nicht mehr.
Haben sie seine Worte früher nicht gelesen?
Die waren genauso voller Gift und Hass.
Da vergeht mir alles....

Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.

Und ich bin froh über Worte von Friedmann*:
"Wer Menschenhass ausspuckt,
und wer daneben steht, ohne zu reagieren,
macht sich mitverantwortlich,
wenn aus geistiger Brandstiftung brennende Häuser werden."

Zwischen Kermani und Perincci liegt nicht nur eine Welt,
sondern ein ganzes Universum.
Der eine faselt vom Abendland mit hohlen Phrasen
und giftigen Worten,
der andere verbindet Abendland und Morgenland
und gestaltet so eine Welt,
die lebenswert sein könnte.
Der eine spuckt und "kotzt",
der andere spricht und wählt und hält inne.
Der eine hasst,
der andere liebt.
Der eine ist hochmütig,
der andere demütig.

Und ich hoffe,
dass Liebe
und Demut
und Innehalten
und Respekt
sich durchsetzen.
Denn:
Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte werden nicht vergehen.

* http://www.friedenspreis-des-deutschen-buchhandels.de/819312/
*http://www.bz-berlin.de/deutschland/friedman-ueber-die-radikalisierung-des-braunen-mobs

Sonntag, 4. Oktober 2015

Aller Augen warten... - doch du siehst, was da ist

Predigt zu Markus 8,1-9 (Erntedank 2015)

Zu der Zeit, als wieder eine große Menge da war
und sie nichts zu essen hatten,
rief Jesus die Jünger zu sich und sprach zu ihnen:
Mich jammert das Volk,
denn sie haben nun drei Tage bei mir ausgeharrt und haben nichts zu essen.
Und wenn ich sie hungrig heimgehen ließe,
würden sie auf dem Wege verschmachten;
denn einige sind von ferne gekommen.

Seine Jünger antworteten ihm:
Wie kann sie jemand hier in der Wüste mit Brot sättigen?
Und er fragte sie: Wie viel Brote habt ihr?
Sie sprachen: Sieben.


Und er gebot dem Volk, sich auf die Erde zu lagern.
Und er nahm die sieben Brote,
dankte und brach sie
und gab sie seinen Jüngern, damit sie sie austeilten,
und sie teilten sie unter das Volk aus.
Und sie hatten auch einige Fische,
und er dankte und ließ auch diese austeilen.

Sie aßen aber und wurden satt
und sammelten die übrigen Brocken auf, sieben Körbe voll.
Und es waren etwa viertausend; und er ließ sie gehen.

„Aller Augen warten auf dich, Herre, und du gibest ihnen ihre Speise zu seiner Zeit; du tust deine milde Hand auf und sättigest alles, was da lebet, mit Wohlgefallen.“ (wird gesungen)

I.
Aller Augen warten auf dich, Jesus.
Sie kommen zu dir, hoffen auf dich.
Die Augen von über 4000 Menschen.
Auf deine Zauberworte warten sie.
Auf Worte, die eine neue Welt auftun,
die neu hinsehen lassen und neu hinhören.
Aller Augen warten auf dich,
und die Ohren öffnen sich für dich
wie beim Taubstummen, den du geheilt hast.
Ja, es geht nicht nur um schöne Worte.
Sie wollen Neues schmecken, fühlen, riechen, spüren -
ganz handfest und mit der Zunge und den Fingern und dem Bauch.

Aller Augen warten auf dich,
denn sie vertrauen dir.
Speise zu rechter Zeit - für den Bauch und das Herz und die Seele.
Ja, darauf warten sie.
Und sehen.
Aller Augen sehen, wie du dich berätst mit deinen Jüngern und Jüngerinnen.
Sie sehen das Gras, auf dem sie sitzen.
Sie sehen den fast leeren Korb neben sich.
Die vierjährige Lea wühlt darin und sucht hungrig nach einem Brocken Brot.
Das wird nicht mehr lange reichen.
Und sie sehen die Blasen an ihren Füßen von dem langen Weg hierher.
Aller Augen warten auf dich,
dass du ihnen gebest ihre Speise zu seiner Zeit.



II.
Die Augen von vielen Tausenden warten auf Zauberworte.
Sie sitzen in den Flüchtlingslagern in der Türkei oder im Libanon
und hoffen, dass das Warten ein Ende hat.
Sie sitzen in den Hausruinen in Homs oder Aleppo
und werden die nächste Feuerpause nutzen, um zu gehen -
wie die anderen.
Sie warten auf das Endes des Krieges
und ahnen, dass sie noch lange warten müssen.
Und darum gehen sie dorthin, wo es sicher ist.
Kommen von ferne in unsere Stadt.

Ihre Augen warten auf eine neue Welt, eine Welt des Friedens.
Und sie sehen.
Sie sehen dankbar Menschen,
die an den Bahnhöfen Willkommenschilder hochhalten.
Sie sehen eine Kanzlerin, die „Wir schaffen das“ sagt.
Sie sehen Menschen,
die mit Decken und Kinderstiefeln vorbei kommen.
Sie sehen aber auch Polizisten,
die sie schützen müssen vor dem rechten Mob.
Sie sehen den jungen Mann neben sich mit der verletzten Seele:
der weiß nicht, wohin mit seinem Zorn und seiner Trauer.
Und vielleicht sehen sie sogar das Hakenkreuz,
das an ihrer Unterkunft geschmiert wurde.
Aller Augen warten auf dich,
dass du ihnen gebest ihre Speise zu seiner Zeit.


III.
Die Augen von vielen Deutschen warteten auf ihre Zeit,
auf diesen Zeitpunkt vor 25 Jahren.
Dass die Grenzen fallen.
Auch die inneren.
Es ging um mehr als das Begrüßungsgeld und die Bananen.
Gemeinsam essen können ohne Bespitzelung.
Gemeinsam feiern können ohne Visum.
Gemeinsam reden können ohne Zensur.
Gemeinsam an der Zukunft bauen.
Und sie kam die Zeit, ihre Zeit.
Aber nicht für alle war es die Speise, die sie brauchten.
Manche hatten das Gefühl, weniger Speise zu haben.
Und nicht alle aus dem Westen wollten teilen.
Können wir das noch nachempfinden?

IV.
Aller Augen warten auf dich, Jesus.
Und du sagst:
Mich jammert das Volk.

Ja, deine Augen schauen auf sie.
Auf die Wartenden und die Hungrigen.
Auf die Beladenen und die Fliehenden.
Auf die Suchenden und die Zweifelnden.
Auf die Sehnsüchtigen und die Ängstlichen.
Und es jammert dich.
Es macht dir was aus.
Du schaust nicht vorbei.
Denn du bist für alle da.
Auch für die Von-Ferne-Gekommenen.
Für Fatmir aus dem Kosovo: der möchte endlich als Koch arbeiten.
Für Bright aus Nigeria: der möchte nach 7 Jahren seine Familie wieder sehen.
Für Kefah aus Damaskus: sie möchte am liebsten wieder zurück.
Und für Heinz aus Rostock: er kommt mit seiner kleinen Rente nicht hin.

Gibst du ihnen ihre Speise zu ihrer Zeit?
Arbeit, Familie, Heimat, Rat?

V.
Aller Augen warten auf dich, Jesus.
Und sie sehen die ratlosen Gesichter deiner Jünger.
Und aller Ohren hören:
Wie kann sie jemand hier in der Wüste mit Brot sättigen?
Ja, wie, Jesus?

Ja, wie, Jesus?
Wie soll es gehen, dass Mauern nach über 25 Jahren wieder fallen?
Wie können Machthaber auf einmal auf Macht verzichten?
Wie kann der Krieg in Syrien ein Ende finden - und in Afghanistan?
Durch weitere Bombardierungen? Wohl eher nicht.
Wie können wir Boko Haram stoppen?
Und wie die Amokläufer?
Wie können wir zum Frieden beitragen statt zum Krieg?
Wie sollen wir so viele Flüchtlinge aufnehmen?
Wo sollen wir sie unterbringen?
Wie sollen unsere Behörden das schaffen? Wie unsere Polizei?
Wie sollen unsere Schulen all die Kinder aufnehmen?
Es sind viel zu viele.
7 Brote, was ist das schon?
Wir schaffen das nicht, Jesus.
Wir schaffen das nicht.

VI.
Aller Augen warten auf dich, Jesus.
Aber du lenkst unsere Augen auf das, was da ist.
Wieviel Brote habt ihr?
7 Brote und ein paar Fische.
Nicht mehr und nicht weniger.

Was habt ihr, fragst du.
Wir haben so viel hier in Deutschland.
Wir haben Wohnungen und Häuser.
Blumentöpfe und Gardinen vor den Fenstern.
Den Friseur um die Ecke und ein Auto vor dem Haus.
Weizen genug für alle und viel zu viel Fleisch.
Ja, wir haben genug zu essen.
Wir haben Schulen und jedes Kind darf dorthin gehen, egal ob Mädchen oder Junge.
Unsere Kinder müssen nicht arbeiten.
Sie dürfen spielen - auch draußen - und fragen nicht nach Religion oder Hautfarbe.
Wir haben Krankenhäuser und Sterbebetten.
Die meisten Menschen können arbeiten, manche arbeiten zu viel.
Wir haben Universitäten und Musikschulen,
wunderbare Kirchenmusik und jede Menge Bücher zuhause.
Auch wir haben Arme unter uns -
jedes Jahr in der Vesperkirche werden sie auch hier in der Stadtkirche sichtbar.

Aber:
Wir können leben!
Leben!
Leben ohne Grenzen,
leben ohne Angst vor Bomben.
Wir können lachen
und wir können weinen
und wenn eine Freundin stirbt, müssen wir das auch.
Wir haben so viel -
sogar den Abschied haben wir
und den Schmerz.
Auch der gehört dazu - wie die 7 Brote und die paar Fische.

VII.
Aller Augen warten auf dich, Jesus.
Aber du lenkst unsere Augen auf das, was da ist.
Seht, was ihr habt, sagst du.
Das ist nicht die neue Welt, nicht das Reich Gottes.
Aber in euren Augen und mit euren Händen kann es ein Teil davon werden.

Und dann tust du es, Jesus.
Du nimmst das, was wir haben, in deine Hände.
Du schaust mit den Augen der Liebe auf das, was da ist.
Und dann dankst du dafür.
Du dankst, gibst du es uns allen und wir teilen es.
Wie beim Abendmahl.
Und es reicht!
Ja, es reicht, obwohl es doch so wenig ist.
Eine Tür zum Reich Gottes.

7 Brote und ein paar Fische - das reicht.
Wir haben zu wenig Unterkünfte für die Einwanderer?
Schaut, was da ist.
Da sind doch Gemeindehäuser.
Vielleicht reicht es dann, erst mal. Auch wenn dann was ausfallen muss.

Wir haben zu wenig Begleiter für die Einwanderer?
Schaut, was da ist.
So viele Menschen in euren Gemeinden.
Vielleicht packen die mit an.
Und vielleicht reicht es dann, erst mal.

Wir haben Angst vor den Fremden, die hierher kommen?
Aber Gott kennt sie doch.
Lassen wir uns von ihm zu ihnen führen, damit wir sie kennenlernen.

Es sind zu viele? Wir zu wenige?
Es reicht, sagst du.
Sie sind gekommen. Und es kommen wohl noch mehr.
Aber Angst dürft ihr nicht haben.
Ihr habt doch 7 Brote und ein paar Fische.
Schaut, was da ist. Fangt an, sagst du.
Du sättigest alles, was da lebt, mit Wohlgefallen.
Uns wie die 4000 damals.

VIII.
Unsere Augen warten auf dich, Jesus.
Und du gibst uns Speise zur rechten Zeit.
Jetzt ist die rechte Zeit für die neue Welt.
Die Grenzen fallen immer noch - und das ist gut so.
Für das Reich Gottes gibt es keine andere Zeit.
Und das, was ihr habt, reicht noch für viel mehr.

So essen wir und teilen es untereinander.
Und mit den Menschen, die zu uns kommen.
Es reicht. Und alle werden satt.
Nicht wir schaffen das,
sondern du schaffst das, Jesus.
Du tust deine milde Hand auf
Und öffnest uns die Tür zur neuen Welt, zum Reich Gottes.
Wir brauchen nicht mehr zu warten.
Amen.