Dienstag, 12. Oktober 2021

I wonder how

25 Jahre Ordination und Popgeschichte

Rede zum Ordinationsjubiläum - gehalten am 11.10.2021

 

I wonder how, I wonder why
Yesterday you told me 'bout the blue, blue sky

And all that I can see is just a yellow lemon tree
(1)

Lemon tree von Fools Garden. Ein Nummer-1-Hit von 1996, dem Jahr, in dem wir ordiniert wurden.
Ein Song der gute Laune macht, obwohl er Langeweile beschreibt - und den Wunsch, mehr sehen zu wollen, als den yellow lemon tree, (der nur ins Lied geraten ist, weil er so gut klingt.) Ein Gute-Laune-Song aus einer Dazwischenzeit. Und ich finde, das passt zu uns. Auch wir waren so ein Fools Garden - ein Garten der Närrinnen und Narren im Predigerseminar.


Wir waren Narren und Närrinnen, die keine Sicherheit mehr hatten, ob sie übernommen werden würden. Unsicherheit war wie eine Decke, die sich über unser Selbstbewusstsein legte. Gemeinsam wärmten wir uns mit ihr. Und gemeinsam versuchten wir, sie wieder abzuschütteln, was uns nicht wirklich gelang. Aber es gelang uns, immer wieder die gute Laune zu finden: mit der Suche nach dem blue blue sky und wenn wir doch nur einen lemon tree sahen, wollten wir wenigstens die Zitronen genießen. Sauer und herb und saftig.

(So gönnten wir uns Gedichtabende mit viel Rotwein, Parodien auf die Vogelleidenschaft von Herrn Barié und drehten sogar einen Film, an den sich heute nur noch wenige erinnern. I wonder how….)

1996 - Es war Zeit Abschied zu nehmen. Time to say goodbye (2). Goodbye zu den Kurskolleg*innen, zum Lernen in der Gruppe und Gott sei Dank auch zu den Prüfungen, die manche von uns vollkommen übermüdet ablegten. Und wir fühlten uns wie candle in the wind (3) - viel zu viele beruflichen Lichter wurden ausgeblasen. Wir gehörten zu den Jahrgängen, in denen weniger als die Hälfte in den Dienst übernommen wurden. Das prägt uns. Mehr als uns lieb ist. Und ich bin sicher: das prägt auch unsere Kirche bis heute.

Nun, die wir hier sind, gehörten zu den Glücklichen (oder manchmal auch Unglücklichen), die es geschafft haben. Nicht alle blieben im Pfarramt. Manche scheiterten. Einer starb.

Yesterday you told me 'bout the blue, blue sky.
And all that I can see Is just a yellow lemon tree

Nein, das stimmt so natürlich auch nicht. Wir haben mehr gesehen als den yellow lemon tree. Wie Forrest Gump liefen wir den Marathon - hoffend, dass alles gut wird. My heart will go on(4) und klammerte sich mit Leonardo di Caprio an einer Holzplanke fest. Das Kirchenschiff versank nicht wie die Titanic. Aber es folgten viele Neuanfänge. Und das macht uns ja auch aus, uns Narren und Närrinnen, dass wir Neuanfänge gestalten. Und die Welt dreht sich weiter...

Do you believe?(5) - Glaubst du? Das fragte Cher 1998.
Ja, ich glaube, dass unser Beruf der schönste der Welt ist. Jedenfalls kann ich mir keinen Besseren vorstellen - trotz aller Zweifel. It’s my life(6) - schreit Bon Jovi trotzig in die Menge. It’s now or never. Lass auch du dich nicht niederdrücken, sondern bleibe aufrecht. Mach es wie Maria Maria(7), die Carlos Santana  an die Westside Story erinnert, und ich denke an die beiden Marias im Neuen Testament: die mit dem revolutionären Lobgesang und die, die am Grab steht und von den Engeln ins Leben geschickt wird.

Ins Leben geschickt…. - das wurden wir, aber nicht allein. Vor 25 Jahren wurde uns zugesagt, dass Gott uns beisteht in allem, was wir tun und sagen und lassen und lieben. Wir sind berufen - berufen ins Leben. Whenever. Wherever(8). Gott traut uns zu, dass wir das gut und richtig machen. Und dass wir am richtigen Platz sind.

Und diese Zusage brauchen wir. Ich zumindest, die Närrin, könnte ohne diese Zusage nicht weitermachen. Denn der Mensch heißt Mensch - Weil er vergisst, weil er verdrängt(9). I’m only human after all - don’t put the blame on me.(10)

Am meisten zweifle ich ja an mir selber und an der Welt. Can you practice what you preachin’? (11) fragten 2003 Black eyed peas. Father, Father, Father help us. Send some guidance from above. Where's the love?

Where’s the love? Ja, wir suchen nach der Liebe, die die Welt heilen könnte. Wir suchen sie und wir versuchen sie zu leben. Wir scheitern an ihr und wir entdecken doch auch ihren Schimmer. Sie ist ja da. Und die Sehnsucht nach ihr ungebrochen. Love Generation(12) - das sind wir und das wollen wir sein. Denn dazu sind wir ordiniert.

Wir sind vom selben Stern(13). Und damit meine ich nicht das Predigerseminar. Sondern das, was Ich-und-Ich besingen. Wir alle sind aus Sternenstaub - In unseren Augen war mal Glanz - Wir sind noch immer nicht zerbrochen - Wir sind ganz.

Und ja, es gibt diese klaren Momente. Wo alles richtig ist und gut und wir sind eins mit uns und unserer Ordination und unserer Welt. Vielleicht ist das dann nicht gleich die perfekte Welle, der perfekte Tag (14). (ich mag das Wort perfekt auch nicht) Aber es gelingt dann zu sagen: Ich bin hier - ich bin frei.

Dazu sind wir ordiniert: Ganz zu sein. Frei zu sein. Die Liebe Gottes zu leben und zu verkündigen. Narren und Närrinnen Gottes (vgl. 1. Kor. 4,10). Dafür müssen wir kein Poker face(15) aufsetzen, sondern bauen mit Cassandra Steen eine Stadt aus Glas und Gold, wo jedes Morgenrot und jeder Traum sich lohnt(16). Und das Herz schlägt dazu wie eine Dschungeltrommel(17). Wir rufen uns zu: „Hey, soul sister!“(18) Die soul brothers umarmen wir und tanzen happy(19) mit Pharrell Williams - diverser geworden und uns an Vielfalt freuend.  Wir bezeugen die Liebe Gottes, die sich nicht Grenzen und Zäune hält, weder an Kirchengesetze (manchmal) noch an Datenmengen.

Wir sind
geboren um zu leben(20) - mit den Wundern jeder Zeit - und das somewhere over the rainbow(21) Wir haben hier ja keine bleibende Stadt, aber ich bin doch froh, dass wir auf dem Weg zu ihr schon etwas vorangekommen sind. Und dass wir weiterhin fragen „Where is the love?“

25 Jahre Ordination. Und das nächste mal feiern wir das in 15 Jahren. Eines Tages werden wir alt sein, Baby (22) und an all die Geschichten denken, die wir hätten erzählen können. Und ich hoffe, dass wir sie auch wirklich erzählen werden, weil wir sie erlebt haben. Denn wir sind jetzt ja mittendrin. Wir verändern jetzt. Wir gestalten jetzt. Wir sind jetzt da. Life will pass me by if I don't open up my eyes(23)

Schauen wir hin und leben - und erinnern wir uns an unsere Träume, die wir vor 25 Jahren hatten und hoffentlich noch neue, die dazu gekommen sind.

Vielleicht drehen wir uns im Kreis. Running in circles(24) mit Post Malone.Vielleicht haben wir das Gefühl, dass es an der Zeit ist, loszulassen. Time to let it go. Und ja, das haben wir ja immer wieder tun müssen in den letzten 25 Jahren.

Aber heute halten wir an. Hören uns zu und halten es wie Namika:
Je ne parle pas français
(25). Aber bitte red weiter
. Alles, was du so erzählst, hört sich irgendwie nice an.  Und die Zeit bleibt einfach stehen.


25 Jahre. 1996 ordiniert. Und die Jahreslosung von damals sagt, dass es weiter geht. Wir sind nicht „gar aus“ und Gottes Barmherzigkeit hat noch kein Ende. (Klgl 3,23) Unsere Berufung hat auch noch kein Ende. Wir sehen nicht nur den
yellow lemon tree, sondern auch den blue blue sky. Wir bleiben berufen, Narren und Närrinnen Gottes zu sein. Wir fragen uns, wie und warum was passiert und halten aus, dass wir manchmal nicht wissen, wo wir sind. Aber wir sind da und bleiben da und zwar ganz.

Wir singen trotzig und aufrecht das gute Leben in diese Zeit hinein.
Ein Hoch auf das, was vor uns liegt
(26) - Dass es das Beste für uns gibt

Ein Hoch auf das, was uns vereint - Auf diese Zeit

Ein Hoch auf dieses Leben - Auf jetzt und ewig

Auf einen Tag  - Unendlichkeit

Und dafür lassen wir uns heute segnen.



[1] Lemon tree; Fools garden 1996

[2] Time to say goodbye; Andrea Bocelli + Sarah Brightman1997

[3] Candle in the wind; Elton John 1997

[4] My heart will go on; Celine Dion 1998

[5] Believe; Cher 1998

[6] It’s my life; Bon Jovi 2000

[7] Maria Maria; Carlos Santana 1999

[8] Whenever wherever; Shakira 2002

[9] Mensch; Herbert Grönemeyer 2002

[10] Human; Rag’n bone man 2016

[11] Where is the love; Black eyed peas 2003

[12] Love Generation; Bob Sinclair 2006

[13] Vom selben Stern; Ich und Ich 2007

[14] Perfekte Welle; Juli 2004

[15] Poker Face; Lady Gaga 2009

[16] Stadt; Cassandra Steen 2009

[17] My heart is beating like a jungle drum; Emilíana Torrini 2009

[18] Hey soul sister; Train 2009

[19] Happy; Pharrell Williams 2013

[20] Geboren um zu leben; Unheilig 2010

[21] Over the rainbow; Neucover von Israel Kamakawiwoʻole 1993 / Superhit aber erst 2010

[22] One day baby, we’ll be old, Asaf Avidan 2012

[23] Wake me up; Avicii 2013

[24] Circles; Post Malone 2020

[25] Je ne parle pas français; Namika 2018

[26] Auf uns; Andreas Bourani 2014