Sonntag, 28. Oktober 2018

Ein Zelt für meine Seele

Predigt für eine besondere Kirche
70 Jahre Auferstehungskirche in Pforzheim
 

Vorinformation: Die Auferstehungskirche in Pforzheim ist die erste "Notkirche" in Deutschland, die nach dem 2.Weltkrieg eingeweiht wurde. Nach den Entwürfen von Otto Bartning wurden 48 Kirchen dieser Art in kürzester Zeit errichtet. Bartning sprach dabei von der "Gestalt aus der Kraft der Not". Mithilfe von Montagebauelementen aus Holz und den Trümmersteinen vor Ort wurde die Kirche durch Profis und Gemeindeglieder errichtet. Dadurch ist jede Kirche, trotz der vorgefertigten Montageelemente ein Unikat und strahlt Geschichte und Erlebtes aus. Vor 2 Jahren wurde beantragt, dass die "Notkirchen" zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt werden. Weitere Infos dazu unter https://www.ekiba.de/html/aktuell/aktuell_u.html?&m=31&artikel=3377&cataktuell=407

Aus Psalm 84:
Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth!
Meine Seele verlangt und sehnt sich
nach den Vorhöfen des Herrn;
mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.
Der Vogel hat ein Haus gefunden
und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen –
deine Altäre, Herr Zebaoth, mein König und mein Gott.
Wohl denen, die in deinem Hause wohnen;
die loben dich immerdar.
Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten
und von Herzen dir nachwandeln!
Wenn sie durchs dürre Tal ziehen,
wird es ihnen zum Quellgrund,
und Frühregen hüllt es in Segen.
Sie gehen von einer Kraft zur andern
und schauen den wahren Gott in Zion.

I.
Den Schlüssel halb gedreht
und schon macht das Schloss ein vertrautes Klick
und die Tür geht auf.
Ein vertrauter Geruch empfängt mich, die Katze maunzt.
Ich ziehe die Schuhe aus, hänge den Mantel auf,
lege den Schlüssel auf die Kommode.
Zuhause - ein gutes Gefühl.

Ich gehe in die Küche, stell die Kaffeemaschine an
und hole Milch aus dem Kühlschrank.
Die Katze liegt auf dem Sofa. Ich setze mich dazu. Endlich.
Angekommen.
Zuhause sein - gut so.

Dort ist im Kühlschrank immer etwas da,
womit ich schnell was kochen kann.
Und im Keller die Flasche Wein.
Zuhause: da sind Menschen, die sich auf mich freuen.
Und manchmal auch die Katze.
Sie mag meinen Mann zwar lieber,
aber ich darf ihr auch das Futter zubereiten.
Zuhause: da dürfen alle meine Gedanken sein -
die leichten und die schweren.
Da kann ich frustriert vor mich hin schimpfen,
eine oder zwei Tränen verdrücken oder auch mehr.
Da kann ich alles aussprechen und denken.
Ungeschminkt. 
Zwischen Bücherregal, Lieblingsfilmen
und Erinnerungstücken von unseren Reisen
komme ich, kommt meine Seele zur Ruhe.

Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth.
Meine Seele verlangt und sehnt sich
nach den Vorhöfen des Herrn,
mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.
Der Vogel hat ein Haus gefunden
und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen.


II.
Ein Zuhause - das braucht meine Seele.
Wo das Herz entspannt schlagen kann
und die Augen nicht alles wachsam beobachten müssen,
weil sie sich schon auskennen.
Weil mir das vertraut ist.

Es gibt Zeiten, da musst du dein Zuhause verlassen.
Und vielleicht weißt du nicht, wie lange du weg bist
oder ob das für immer ist,
Dann nimmst du etwas mit, was deiner Seele Ruhe gibt.
Was dir Halt gibt.
Ein Foto. Ein Stein.
Vielleicht das erste Freundschaftsband.
Oder die Konfirmationsbibel.
Oder ein kleines Kreuz.
Du kannst es in die Hand nehmen oder du siehst es an.
Und Bilder kommen hoch, die dich lächeln lassen.
Oder auch weinen.

Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten
und von Herzen dir nachwandeln!
Wenn sie durchs dürre Tal ziehen,
wird es ihnen zum Quellgrund,
und Frühregen hüllt es in Segen.
Sie gehen von einer Kraft zur andern….



III.
Vor 73,5 Jahren hatten die Menschen in Pforzheim ihr Zuhause verloren.
Wie in so vielen Städten in Europa.
20 Minuten genügten in Pforzheim.
Und zurück blieben Trümmer und Tod.
Und verlorene Seelen.
Verlorene Seelen, die keine Ruhe fanden
und deren Ruhe vor der Zerstörung ihrer Häuser schon trügerisch war.
„So wandeln wir nicht nur immer wieder stumm durch die Wüstenei dieser zerstörten Stadt, sondern jeder von uns ist in der eigenen Seele in Wüste und Verlassenheit geraten.“
So Otto Bartning.
„Wir sind nun Kenner der Wüste geworden.“

Wenn die Seele nicht zur Ruhe kommen kann,
wird sie krank.
Und verbittert.
Sie weiß nicht mehr, wo Gott ist
oder ob es überhaupt noch einen Gott gibt.
Weil sie ihn nicht mehr spüren kann.

Und darum konnte den Pforzheimer Seelen
und allen, die als Geflüchtete dazu kamen,
nichts besseres geschehen,
dass Christen und Christinnen im Ausland das erkannten.
Und Geld gaben.
Ausgerechnet die ehemaligen Feinde gaben Geld,
mit dem Notkirchen gebaut werden sollten.
Ruheplatz für verlorene Seelen.
Ein Zelt in der Wüste.

Der Vogel hat ein Haus gefunden
und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen


IV.
Die Not hat dieses Gotteshaus gestaltet.
Trümmersteine geben ihm von außen ein Gesicht.
Das Kruzifix aus der zerstörten Stadtkirche hier drinnen.
Und bei Trümmersteinen und Kruzifix
sind und bleiben die Spuren der Zerstörung zu sehen.
Ihre Erinnerungen kommen mit in dieses Gotteshaus.
Und mit ihnen die Bilder an Vergangenes,
die dich weinen lassen und vielleicht auch lächeln..

Dieses Haus ist ein Zelt.
Bartning selber nannte es „Zelt in der Wüste“.
Ein Zelt in der Wüste schützt vor Kälte und wilden Tieren.
Aber es ist nichts Bleibendes.
Es führt mir vor Augen: ich bin immer noch unterwegs.
Und ich bleibe es.
So auch hier.
In der inneren und äußeren Wüste wurde ein Zelt errichtet.
Damit meine Seele zur Ruhe kommt.
Aber wissend:
Ich bleibe Wandernde, Pilgerin, Nomadin, Gottsucherin,
Und manchmal auch Fliehende.

Und auch wenn ich hier unbedingt bleiben will,
weiß ich doch, dass ich wieder raus muss.
Obwohl ich vielleicht genau hier die Geborgenheit spüre,
nach der ich mich im Grunde meiner Seele sehne,
kann ich nicht bleiben.
Kraft schöpfen, ja.
Zur Ruhe kommen. Ja.
Aber nicht bleiben.
Ein Zelt ist keine Dauerwohnung.

Wohl den Menschen, die dich für ihre Stärke halten
und von Herzen dir nachwandeln!
Wenn sie durchs dürre Tal ziehen,
wird es ihnen zum Quellgrund,
und Frühregen hüllt es in Segen.


V.
Gott selbst ist unterwegs
Die Wolken- und Feuersäule in der Wüste, die voranzieht.
Er wohnt nicht in einem unerschütterlichen, bombensicheren Gebäude,
sondern in einem Menschen, dem Jesus aus Nazareth.
Der zog zu Lebzeiten umher
und starb draußen vor den Toren in der Fremde.
Gott zieht mit mir unbehausten Menschen durch die Wüste,
durch die innere und die äußere.

Wohl denen, die in deinem Hause wohnen;
Ja, auch ich sehne mich danach,
ganz bei Gott zuhause zu sein.
Doch ich wohne noch nicht bei Gott.
Ich bleibe im dürren Tal, unterwegs.
Aber Gott geht mit mir.
Ist mir so ganz nah.
Und ist in mir.
Auch und gerade in der Wüstenei meines Lebens.

Und dorthin schickt er mich auch wieder hinaus.
Er gibt mir Worte mit,
alte und unbequeme,
die mich Mensch sein lassen
und mir auch da draußen ein Zuhause geben.

Gott schickt mich hinaus,
dass ich ihn dort suche, wo ich ihn nicht vermute.
In den Trümmern und den Spuren von Schmerz und Leid.
In den Tränen der alten Frau auf dem Friedhof
und im Lachen des kleinen Mädchens,
wenn es auf der Mauer hier draußen balanciert.
Gott könnte gerade auf einer Bank am Waisenhausplatz sitzen
und mit einer syrischen Familie Karten spielen.
Er hockt sich vielleicht im Benckiserpark zu den Obdachlosen und hört ihnen zu.
Und ich bin sicher:
er haust in Griechenland mit den geflohenen Familien in ihren Zelten
und er weint mit den Juden und Jüdinnen in Pittsburgh.

Und ja, dort und in diesen Menschen Gott zu spüren,
das ist wie nach Hause zu kommen.
Aber manchmal habe ich nur eine Ahnung davon.

VI.
Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth!
Meine Seele verlangt und sehnt sich
nach den Vorhöfen des Herrn;
mein Leib und Seele freuen sich in dem lebendigen Gott.


Ich wohne noch nicht bei Gott.
Aber ich bin mit ihm unterwegs,
weil ich weiß, dass er mit mir geht.
Ich weiß, dass meine Seele nur mit ihm zur Ruhe kommt.

Und darum bin ich im Unterwegssein sehr froh über Oasen.  
Orte, wo ich Kraft tanken kann.
Wie in dieser Kirche hier.
Das Zelt für meine Seele.  Ein Zuhause, wo gut sein ist.
Hier dürfen alle meine Gedanken sein -
die leichten und die schweren.
Hier kann ich meine Wut vor Gott bringen.
Hier kann ich Brot und Wein mit euch teilen
und eine oder zwei Tränen verdrücken oder auch mehr.
Hier bin ich zuhause
Mit meiner inneren Wüste.  Ungeschminkt.
Mit den Kratzern auf meiner Seele.
Die erkenne ich am Jesus hier wieder (Kruzifix).
Eine Not-Kirche, wo meine Not Platz hat.
Und meine Freude auch.
Und wo mein Herz entspannt schlagen kann.

Dieser Gott hat uns ein Zelt gebaut,
Mit den Trümmern der Stadt
und der Kraft und der Liebe der Menschen.
Hier schöpfen wir Kraft, tanken auf,
Beten und singen - still und laut.
Und bekennen uns zu diesem Gott,
der in den Wüsten des Lebens zu finden ist.

Von hier nehme ich mit, was mir Halt gibt.
Ein Wort. Ein Liedvers. Ein Gebet vielleicht.
Ja, und dann kann ich auch wieder hinaus gehen.
Und mit Gott unterwegs sein.
Amen.

Sonntag, 21. Oktober 2018

Raben, Ackerblumen und 6/8-Takt

Predigt zu Matthäus 6,25-34 
und zur Kantate BWV 138 "Warum betrübst du dich mein Herz"*

(mit besonderem Dank an Holger Pyka (v.a. III + IV) und Michael Greßler (v.a. I) für ihre Formulierungsimpulse)
Textpassagen in Blau sind der Kantate entnommen. Den vollständigen Text der Kantate hänge ich unten an.


Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen und trinken werdet;
auch nicht um euren Leib, was ihr anziehen werdet.
Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung
und der Leib mehr als die Kleidung?


Seht die Vögel unter dem Himmel an:
Sie säen nicht, sie ernten nicht,
sie sammeln nicht in die Scheunen;
und euer himmlischer Vater ernährt sie doch.
Seid ihr denn nicht viel kostbarer als sie?

Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen könnte,
wie sehr er sich auch darum sorgt?

Und warum sorgt ihr euch um die Kleidung?
Schaut die Lilien auf dem Feld an, wie sie wachsen:
Sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.

Ich sage euch, dass auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit
nicht gekleidet gewesen ist wie eine von ihnen.

Wenn nun Gott das Gras auf dem Feld so kleidet,
das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird:
Sollte er das nicht viel mehr für euch tun, ihr Kleingläubigen?

Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen:
Was werden wir essen?
Was werden wir trinken?
Womit werden wir uns kleiden?

Nach dem allen trachten die Heiden.
Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.

Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes
und nach seiner Gerechtigkeit,
so wird euch das alles zufallen.

Darum sorgt nicht für morgen,
denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen.
Es ist genug, dass jeder Tag seine eigene Plage hat.


I.
Manchmal sind sie schon morgens da.
Die Sorgen.
Grau stehen sie am Bett.
Und einen grauen Schleier legen sie dir um den Tag.
Die Sorge um den kranken Ehemann:
schlägt die Therapie endlich an?
Die Sorge um den Freund:
wird er tatsächlich abgeschoben,
wie es der Brief von gestern ankündigt?
Oder die Sorge um dein Land
und ob die Demokratie noch stark genug ist.
Alles das kann so nach dir greifen,
dass du nichts anderes mehr denken kannst.
„Ach Sorgen, werdet ihr denn alle Morgen und alle Tage wieder neu?“
So könntest du mitklagen.

Ganz schlimm wird es, wenn du das Gefühl hast:
Ich muss das alles alleine tragen.
Wenn du keinen Gott an deiner Seite spürst.
Und dann singst du mit gebrochener Stimme mit:
„Ich bin verlassen, es scheint,
als wollte mich auch Gott bei meiner Armut hassen.“


II.
„Dein Vater und dein Herre Gott, der steht dir bei in aller Not.“
Ach, lieber Johann Sebastian Bach - das kommt mir zu schnell.
Ja, ich weiß, du folgst den Worten Jesu:

Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen:
Was werden wir essen?
Was werden wir trinken?
Womit werden wir uns kleiden?
Nach dem allen trachten die Heiden.
Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.


Ich ärgere mich über diese Worte.
Empfinde sie als zynisch.
Und neige dazu, darin die typischen Worte eines Wanderpredigers zu hören.
Einer, der eben umherzieht.
Und dessen Jünger und wahrscheinlich vor allem die Jüngerinnen
nach was zu essen für alle schauen.

Keiner von uns lebt von der Hand in den Mund.
Und ich bin froh, dass wir ein soziales System haben,
In ihm können auch die Armen zumindest überleben.
Zu mehr reicht es aber auch selbst in unserem Land für viele nicht.
Wenn eine Alleinerziehende fragt:
Wie soll ich die Klassenfahrt meiner Tochter bezahlen?
Dann sage ich nicht: Nach all dem trachten die Heiden…. Darum sorge dich nicht.

Ich ärgere mich über diese Worte.
Und gerade deshalb sind sie wohl auch wichtig.
Jesu Worte reißen mich raus aus dem grauen Schleier meiner Sorgen.
Wirbeln wie ein Wind den Nebel auf.

Und sie unterbrechen meine Betriebsamkeit,
die kennt nichts anderes mehr als
das immer mehr, immer sicherer, immer weiter.
Versicherungen. Absicherungen. Geld verdienen.
Für eine gute Rente arbeiten bis zum Umfallen.
Keine Unsicherheiten zulassen.

Sorgen groß machen und politisch instrumentalisieren,
Grenzen zu. Mauern hoch.
Und besorgt auf die Straße gehen.
Sorgen klingen besser als Neid oder Missgunst oder Kleingeist.
Auf Sorgen muss man hören. Auf Neid nicht.
Da reißt Jesus die Maske ab von unserer kleinbürgerlichen Ängstlichkeit.


III.
Ja, es gibt ein Sorgen, das unfrei macht.
Es wird zum Gefängnis
und schneidet dich ab von der Welt und den Menschen um dich herum.
Ein Sorgen, das Einzelne und ganze Gesellschaften in sich verkrümmt.

Dieses Sorgen macht unfrei, weil es aus Irrtümern geboren wird:
Dass in diesem Leben irgendeine letzte, absolute Sicherheit zu haben ist
und dass wir es in der Hand haben.
Aus dem Volksmund kennen wir die Parolen:
Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott.
Jeder ist seines Glückes Schmied,
und ein bisschen Unsterblichkeit kann sich jeder schaffen,
indem er ein Haus baut, ein Kind zeugt, einen Baum pflanzt
oder ein Buch schreibt.
Aber das ist letztendlich Blödsinn.

Wer ist unter euch,
der seines Lebens Länge eine Spanne zusetzen könnte,
wie sehr er sich auch darum sorgt?


Die wichtigen Dinge im Leben sind weder käuflich noch sonst wie zu sichern.
Binsenweisheit.

Das weiß der Neunjährige,
der unsterblich in seine Sitznachbarin aus seiner Klasse verliebt ist -
aber noch nicht mal eine ganze bunte Tüte vom Kiosk
noch das Versprechen, ihr jeden Tag den Schulranzen zu tragen,
kann sie dazu bewegen,
seine Freundin zu werden.

Das weiß auch die erfolgreiche Geschäftsfrau
mit viel Geld auf dem Konto,
als ihr der Arzt mit ernstem Gesicht eine Diagnose übermittelt,
in der das schlimme Wort „unheilbar“ vorkommt.

Und das wissen auch die vielen Familien in Sulawesi,
deren Dörfer vom Tsunami weggeschwemmt wurden.
Das Warnsystem hat versagt.
Aber ihre Häuser hätten sie in jedem Fall verloren.
Ganze Moscheen und Kirchen sind eingekracht.

Interessanterweise können aber gerade die Ärmsten der Welt
mit dieser Unsicherheit des Lebens besser umgehen als wir,
die wir meinen alles im Griff zu haben.

IV.
Euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.

Glaube ich ihm das?
Glaube ich Jesus,
dass da einer ist,
der mich in diesem ganzen unsicheren Lebenswahnsinn hält und trägt?

Ja. Ich will ihm das glauben.
Obwohl oder gerade weil Jesus so anders klingt als die besorgten Stimmen,
die gerade so laut sind
und die nach Mauern und Sicherheiten und Abschottung schreien
- auch in mir.
Ich will ihm glauben, diesem Wanderprediger voller Gottvertrauen,
und mein Blick folgt seinem ausgestreckten Zeigefinger
und fällt auf Vögel, die scheinbar schwerelos den Himmel durchziehen
und auf Blumen, die das Feld bedecken.

Und bei genauerem Hinsehen entdecke ich:
es sind nicht irgendwelche Vögel und nicht irgendwelche Blumen.
Genau ist es nicht zu erkennen, aber es sind wahrscheinlich Raben,
auf die Jesus da zeigt,
Raben - diese  schwarzen Biester,
bei uns als Diebe und Unglücksboten verschrien
und im alten Israel als unrein betrachtet.
Aber die eine oder andere sieht die Vögel
und denkt vielleicht an die alten Geschichte vom Propheten Elia:
Den versorgen ausgerechnet die Raben auf seiner Flucht mit Brot und Fleisch.
Ausgerechnet die Raben, denen keiner irgendetwas zugetraut hätte.
Außer Jesus:
der hält dann vielleicht noch ganz andere Überraschungen bereit.

Und es sind auch nicht nur Lilien, auf die Jesus da zeigt,
sondern alle möglichen Sorten von Ackerblumen,
unkultiviert im wahrsten Sinne des Wortes,
wilde und freie Gewächse,
die sehen nicht nur schön aus,
sondern sie können auch nach ihrem Verblühen
von den armen Leuten genutzt werden,
um den Ofen anzuheizen.

Schaut Euch die Vögel am Himmel an
und lernt von den Blumen auf dem Feld
und seht mit eigenen Augen:
Wo man nicht vor der Sorge um das eigene Leben kapituliert,
da wachsen Flügel,
da blüht es bunt und schön.
Und dieses Leben ist so viel mehr als eine sichere Bank.

V.
Ja, ich glaube ihm das, diesem Jesus,
und ich lasse die Vögel und die Blumen zurück
und höre und sehe mich um in der Welt
und entdecke immer mehr Zeichen
und, wer weiß, vielleicht sogar Wunder.

Und dann sehe ich, dass das Reich Gottes aufblitzt.
Und das Grau der Sorgen weicht den Herbstfarben.
Hier und da.

Ich sehe, dass die Sea-Watch endlich wieder den Hafen von Malta verlassen darf
und hoffentlich sticht sie bald wieder in See, um Menschenleben zu retten.

Ich höre von einer ganzen Klasse:
die sammelt Geld, damit die Mitschülerin doch noch mitfahren kann.

Ich sehe die 240.000, die auf der unteilbar-Demo in Berlin waren
und die machten das „wir sind mehr“ sichtbar.

Und ich höre Töne im 6/8-Takt:
die trösten mich und machen mein Herz leichter.
„Auf Gott steht meine Zuversicht, mein Glaube läßt ihn walten.“

Das höre ich und du hörst es auch.
Und vielleicht willst du dann sogar durch die Kirche tanzen
und ihre bunten Fenster geben den gesungenen Worten recht.

VI.
Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes 

und nach seiner Gerechtigkeit, 

so wird euch das alles zufallen.

Ich glaube ihm diesem Jesus.
Ich will mich von seinem Vertrauen leiten lassen -
von seinem Vertrauen statt von meiner Sorge und Angst.

Ich glaube, dass Gott es gut mit mir und der Welt meint.
Und will genau hinschauen und hinhören:
wo blitzt das Reich Gottes auf und wo ist es zu hören?
Es ist da.
Dort, wo wir beide sind.

„Nun kann ich wie im Himmel leben.“

Das höre ich und nehme es mit.
Und meine Sorgen -
die lasse ich hier.

Amen.





*Text der Kantate:
1.
Warum betrübst du dich mein Herze?

Bekümmerst dich und trägest Schmerz


Nur um das zeitliche Gut?
   
        Ach, ich bin arm,
   
        mich drücket schwere Sorgen.
   
        Vom Abend bis zum Morgen


        währet meine liebe Not.
   
        Dass Gott erbarm!
   
        Wer wird mich noch erlösen
   
        vom Leibe dieser bösen
 und argen Welt?
   
        Wie elend ists um mich bestellt!
   
       Ach! wär ich doch nur tot.

Vertrau du deinem Herren Gott,
 der alle Ding erschaffen hat.

2.
Ich bin veracht'

der Herr hat mich zum Leiden
 am Tage seines Zorns gemacht

der Vorrat, hauszuhalten,
ist ziemlich klein

man schenkt mir vor den Wein der Freuden
 den bittern Kelch der Tränen ein.

Wie kann ich nun mein Amt mit Ruh verwalten,

wenn Seufzer meine Speise und Tränen das Getränke sein?

3.
        Er kann und will dich lassen nicht,
    

        er weiß gar wohl, was dir gebricht,
   
        Himmel und Erd ist sein!



Ach, wie?

Gott sorget freilich vor das Vieh,

er gibt den Vögeln seine Speise,
 er sättiget die jungen Raben,

nur ich, ich weiß nicht,
auf was Weise 
ich armes Kind 
mein bißchen Brot soll haben

wo ist jemand, der sich zu meiner Rettung findt?

   
        Dein Vater und dein Herre Gott,
 der dir beisteht in aller Not.


Ich bin verlassen,

es scheint,
 als wollte mich auch Gott bei meiner Armut hassen,

da ers doch immer gut mit mir gemeint.

Ach Sorgen,
 werdet ihr denn alle Morgen
 und alle Tage wieder neu?

So klage ich immerfort

Ach! Armut! Hartes Wort,
wer steht mir denn in meinem Kummer bei?

   
         Dein Vater und dein Herre Gott,
 der steht dir bei in aller Not.                 

4.
Ach süßer Trost! 

Wenn Gott mich nicht verlassen
 und nicht versäumen will,

so kann ich in der Stille
 und in Geduld mich fassen.

Die Welt mag immerhin mich hassen,

so werf ich meine Sorgen 
mit Freuden auf den Herrn,

und hilft er heute nicht, so hilft er mir doch morgen.

Nun leg ich herzlich gern
die Sorgen unters Kissen

und mag nichts mehr als dies zu meinem Troste wissen:

5.
Auf Gott steht meine Zuversicht,
 mein Glaube läßt ihn walten.
   
Nun kann mich keine Sorge nagen,
 nun kann mich auch kein Armut plagen.
   
Bleibt er mein Vater, meine Freude
 er will mich wunderlich erhalten.


6.
So will ich auch recht sanfte ruhn.

Euch, Sorgen! Sei der Scheidebrief gegeben.

Nun kann ich wie im Himmel leben.

7.
        Weil du mein Gott und Vater bist,

        dein Kind wirst du verlassen nicht,

        du väterliches Herz!
        
Ich bin ein armer Erdenkloß,

        auf Erden weiß ich keinen Trost


Montag, 8. Oktober 2018

Scherbe der Erinnerung

Predigt zum 75. Jahrestag der Bombardierung Böblingens am 7.10.2018

I.
Nachmittags schien noch die Sonne. Damals.
Nachmittags waren die Böblinger auf ihren Baumäckern vor der Stadt
und ernteten Obst. *
Müde sank man abends ins Bett. Damals.
Auch unbesorgt.
Ja, es gab in jüngster Zeit immer mehr Fliegerangriffe auf Deutschland
und immer häufiger zogen feindliche Bomberpulks über die Stadt.
Und ja, der Flugplatz war im Visier der Alliierten.
Aber heute doch nicht.
Denn es hatte sich ein dichter, undurchdringlicher Nebel ausgebreitet.
Wie eine Tarnkappe hat er sich über die Stadt gelegt.
Er ließ den Gedanken an eine Gefahr gar nicht erst aufkommen.
Es war der 7. Oktober 1943.

Und dann bricht plötzlich gegen Mitternacht das Inferno los.
Kinder jagen barfuss und im Nachthemd die Treppen herab in die Keller.
Auf allen Seiten heulen Bomben herab,
explodieren mit ohrenbetäubendem Knall und zuckenden Blitzen.
Fensterscheiben bersten,
Dachziegel poltern in geräuschvollen Lawinen das Dach herab.
Brände flackern auf, Blitze zucken.
Heulen und Detonationen auf allen Seiten.
Und im Keller breitet sich Todesangst aus.
Kinder heulen und wimmern,
Frauen und Männer beten laut.
Sie schmiegen sich aneinander
und können sonst nichts tun.

Gott, sei mir gnädig, denn Menschen stellen mir nach;
täglich bekämpfen und bedrängen sie mich.
Wenn ich mich fürchte, so hoffe ich auf dich.
Sammle meine Tränen in deinen Krug;
ohne Zweifel, du zählst sie. (Ps 56, 2+9)


II.
Dauert es eine halbe Stunde?
Oder eine ganze?
Auf jeden Fall eine halbe Ewigkeit des Schreckens.
Kaum zu glauben, dass sie ein Ende hat.
Es braucht Zeit,
sich aus den Klauen der Todesangst zu lösen.
Sich wieder ins Freie trauen.

Schreckliche Bilder brennen sich ein ins Gedächtnis.
Die Trümmer. Die brennenden Balken.
Die Hitze. Der Brandgeruch, tagelang.
Die Stadtkirche ist zerstört. Der Schlossberg ein Trümmerfeld.
Und ganze Familien sind in den Kellern erstickt.
In Böblingen.
In Pforzheim. In Dresden.
In Hamburg. In Stuttgart. In Berlin.
In Coventry. In London. In Rotterdam.
Ein erbarmungsloser Krieg.
Angefacht von Menschenverächtern,
Denen zu viele,
viel zu viele Menschen in Deutschland folgten.

Gott, sei mir gnädig, denn Menschen stellen mir nach;
täglich bekämpfen und bedrängen sie mich.
Wenn ich mich fürchte, so hoffe ich auf dich.
Sammle meine Tränen in deinen Krug;
ohne Zweifel, du zählst sie. (Ps 56, 2+9)



III.
Böblingen war damals noch klein.
Aber nach dem Krieg wuchs die Stadt.
Menschen zogen hierher
und brachten ihre Geschichten mit.
Ihre Geschichten des Leids und des Krieges
und des Verlustes.
Und sie wurden aufgenommen von den Böblingern.
Obwohl nichts da war.

Eine Geschichte von denen, die kamen,
könnte die von Helga sein.**
Als kleines Mädchen ist sie bei ihrem Großvater.
In Böhmen.
Er schnitzt ihr eine Puppe.
Eines Tages bringt sie ihm Herbstzweige. Buntes Laub.
Er freut sich und steckt sie in einen Krug.
Das sieht vor dem Schnee schön aus.
Doch dann kommen 2 Soldaten.
Als der Großvater sie sieht,
schickt er die kleine Helga auf den Dachboden.
Woher die Soldaten kommen, weiß sie nicht.
Aber sie weiß, sie könnte sterben.
Im Arm hat sie nicht ihre Puppe,
sondern den Krug mit Herbstzweigen.

Nun duckt sie sich im Dunkeln.
Der eine Soldat lässt sich vom Großvater die Schuhe putzen.
Lacht ihn aus.
Und schickt den anderen ins Haus, um nachzuschauen,
Vielleicht ist da noch jemand?
Plötzlich fällt draußen ein Schuss.
Der Soldat draußen lacht. Helga fängt an zu weinen.
Und weiß: ihr Großvater ist tot.
Da sieht sie der zweite Soldat.
Schaut ihr in die Augen.
Und wie sie den Krug umarmt.
Er führt seinen Finger an seine Lippen
und flüstert: "Bleib ganz still."

Dann geht er langsam zurück.
Und stolpert.
Ein Schuss löst sich.
Helga lässt den Krug fallen, der in lauter Scherben zerfällt.
Der Soldat sammelt die Scherben ein und läuft runter.
Ich habe nur einen Krug zerschossen, ruft er.
Der andere lacht.
Zurück bleibt Helga.
Und eine Scherbe vom Krug,
die der Soldat übersehen hat.

Gott, sei mir gnädig, denn Menschen stellen mir nach;
täglich bekämpfen und bedrängen sie mich.
Wenn ich mich fürchte, so hoffe ich auf dich.
Sammle meine Tränen in deinen Krug….  (Ps 56, 2+9)


IV.
Helga kommt in den Westen. Wie so viele.
Hier baut sie ihr neues Leben auf.
Nach dem Krieg.
Und findet ein neues Zuhause.
Wie so viele.

Über das, was damals in Böhmen passiert ist,
verliert sie kein Wort.
Wie so viele.
Auch was vorher in Deutschland geschehen ist und zum Krieg geführt hat,
das schaut sie lieber nicht an.
Wie fast alle.
Nur die Scherbe vom Krug - die behält Helga.
Es ist das Letzte, was von ihrem Großvater blieb.

Und so kommen Menschen wie Helga hierher.
Aus den östlichen Gebieten.
Aus Siebenbürgen und von der Wolga.
Aus Böhmen und Pommern.
Sie müssen ihre Heimat verlassen.
Und es kommen Menschen aus Italien und Spanien und der Türkei.
Sie wollen hier arbeiten. Und werden gebraucht.

Alle sie kommen hierher und bringen ihre Geschichten mit.
Ihren Verlust. Ihre Trauer. Ihre Einsamkeit. Ihre Schuld.
Sie kommen hierher
und bauen die Stadt mit den Hiergeborenen auf und weiter.
Oft nicht gewollt und oft geschmäht,
weil sie kein Schwäbisch sprechen.
Und auch, weil man ja selbst nicht genug hatte.
Aber die Hinzugekommenen bleiben.
Verlieben sich. Heiraten. Bekommen Kinder.
Streiten sich. Versöhnen sich wieder.
Lachen. Weinen. Arbeiten. Schlafen.

Das Leben geht für alle weiter -
auch mit den Tränen im Gepäck.
Und die Erinnerung ist dabei - oft tief verschlossen.
Ganz tief unten im Herzen.
Dort tut die Narbe immer wieder weh.
Die Scherbe vom Krug.
Ein vergilbtes Schwarz-Weiß-Bild vielleicht.
Die Stimme der jüdischen Klassenkameradin,
die auf einmal weg war.
Die Locke von der Liebsten in Andalusien.
Die zerknitterte Bibel mit dem Goldrand.
Gerade noch gerettet.

Und die Erinnerungen blitzen auf.
Wie der Turmhahn - übrig von der alten Stadtkirche.
Oder wie die Trümmersteine mit den alten Jahreszahlen.
Mitten in den neuen Gebäuden.
Man hat sie mit eingebaut.
Wenn man genau hinschaut, sieht man sie.
Stolpersteine.
Reste der Erinnerung.

Zähle die Tage meiner Flucht,
sammle meine Tränen in deinen Krug;
ohne Zweifel, du zählst sie. (Ps 56,9)


V.
Gott zählt die Tränen.
Keine einzige übersieht er.

Gott setzt sich mit dir auf die Bank und hört dir zu.
Sie nimmt dich in den Arm und reicht dir ein Taschentuch,
wenn dein eigenes schon zu nass ist.

Gott weint mit -
Er verrät dich nicht.
Er sieht deine Angst in den Augen
und sagt, dass er den Krug zerschossen hat.
Und du fragst ihn,
warum er nicht auch deinen Großvater gerettet hat.
Und Gott weint um ihn, den gütigen Alten, der dir eine Puppe geschnitzt hat.

Die Frage bleibt.
Und eine Antwort gibt es nicht.
Gab es noch nie.
Außer die:
Gott steht immer auf der Seite derer,
die geschlagen und getreten, deportiert und getötet werden.
Gott selber wird getötet. Am Kreuz.
Von Henkern und Soldaten.
Von Bomben und Tretminen.
Von allem, was wir uns Menschen antun.

Aber er lässt es nicht beim Kreuz.
Und lässt es nicht beim Tod.
Sondern steht auf.
Zum Lebenstanz.
Mit denen, die für das Leben kämpfen.
Und mit denen, die dazu noch zu müde sind.
Ich sehe Gott,
wie er Nadia Murat nach ihren zahllosen Vergewaltigungen durch den IS ermutigt,
trotzdem darüber zu reden
und wie sie anderen Frauen Mut macht.
Und ich sehe Gott einen Freudentanz aufführen,
weil Nadia Murat dafür den Friedensnobelpreis bekommt.
Ich sehe Gott tanzen
zusammen mit ihrer toten Mutter
und den vielen Frauen, die gedemütigt wurden
und mit dem Großvater von Helga.

Zähle die Tage meiner Flucht,
sammle meine Tränen in deinen Krug;
ohne Zweifel, du zählst sie.
Dann werden meine Feinde zurückweichen,
wenn ich dich anrufe.
Das weiß ich, dass du mein Gott bist. (Ps 56, 9+10)


VI.
Gott zählt die Tränen und für Gott zählt jeder Mensch.
Und er führt Menschen zusammen, die einander brauchen
und sich die Augen öffnen.
Damit sie ihre Geschichten erzählen.
Und auch die Schatten nicht verschweigen.

Helga hat nach 70 Jahren den Krug wiedergefunden.
In einem Antiquitätenladen in Görlitz sieht sie ihn.
Wieder zusammengefügt.
Aber es fehlt ein Stück.
Ihr Scherbenstück.
Sie will den Krug gekaufen.
Aber der Besitzer Jakub verkauft ihn nicht.
Unverkäuflich - sagt er mit russischem Akzent.
Sie bietet 10.000 €.
Aber er geht mit ihr an einen Tisch.
Setzen Sie sich.
Und schenkt ihr Tee ein.
Erzählen Sie mir eine gute Geschichte, sagt er.
Denn wenn wir sie nicht erzählen, gibt es sie nicht.
Und Sie haben eine Geschichte mit diesem Krug.
Und dann fängt Helga an.
Stockend erst. Und die Tränen fließen.
Sie erzählt von ihrem Großvater und den Soldaten.
Vom Schnee und vom Herbstlaub und von diesem Krug.
Und dass da ein Soldat war, der sie nicht verraten hat,
der aber die Scherben aufsammelte
und selber Tränen in den Augen hatte.

Jakub nickt.
Nun können Sie den Krug mitnehmen.
Ich brauche ihn nun nicht mehr, sagt Helga.
Aber woher haben Sie den Krug?
Von meinem Vater, sagt Jakub.
Und Helga nimmt ihre Scherbe aus der Tasche
Und fügt sie zum Krug hinzu.

Zähle die Tage meiner Flucht,
sammle meine Tränen in deinen Krug;
ohne Zweifel, du zählst sie.


VII.
Deutsche Flüchtlinge und Gastarbeiter finden in Böblingen eine neue Heimat.
Hiergeborene und Dazugekommene machen Böblingen groß.
Menschen, die vor Hunger und Gewalt und Unterdrückung fliehen,
erfahren hier Schutz.
Die Kirche wird für sie alle zur „festen Burg“.***
Die Schattenseiten werden aufgedeckt.
Und ja, wir wollen alles dafür tun,
dass sowas nicht wieder passiert.
Und wir tanzen vielleicht mit Gott,
weil eine Jesidin den Friedensnobelpreis erhält.

Ihr alle bringt eure Geschichte mit.
Eure Scherben und Fotografien
und die Locken der Liebsten.
Eure Scham, eure Trauer und eure Hoffnung auf Frieden.
Und wir tragen das alles gemeinsam.
Miteinander.
Und mit Gott.

Ich habe dir, Gott, gelobt,  dass ich dir danken will.
Denn du hast meine Seele vom Tode errettet,  meine Füße vom Gleiten,
dass ich wandeln kann vor Gott im Licht der Lebendigen. (Ps 56, 13+14)


Amen.

* Im Wesentlichen entnommen aus: http://www.zeitreise-bb.de/boebl/boebl/gesch/angriff.html
** Die Geschichte von Helga stammt aus dem sehenswerten Kurzfilm "Eine gute Geschichte"  https://www.br.de/mediathek/video/kurzfilm-von-martin-christopher-bode-eine-gute-geschichte-av:5bb5d9eb72c1c30017131b65
*** Das evangelische Gemeindehaus in Böblingen hat den Namen "Feste Burg"