Samstag, 24. Dezember 2016

Gott drückt dir sein Kind in die Arme

Predigt zu Jesaja 9,1-6 (Heiligabend 2016)
(mit Dank an Martina Reister-Ulrichs für die Grundidee und an Jörg Breu, der mir noch ein paar Verbesserungsvorschläge gemacht hat)

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht,
und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude.
Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte,
wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.
Denn du hast ihr drückendes Joch,
die Jochstange auf ihrer Schulter
und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians.
Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht,
und jeder Mantel, durch Blut geschleift,
wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.

Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ist auf seiner Schulter;
und er heißt
Wunder-Rat,
Gott-Held,
Ewig-Vater,
Friede-Fürst;
auf dass seine Herrschaft groß werde
und des Friedens kein Ende
auf dem Thron Davids und in seinem Königreich,
dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit
von nun an bis in Ewigkeit.
Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.


I.
Gott drückt dir sein Kind in die Arme.
Heute. Einfach so. Und ohne dich zu fragen.
Du hattest gar keine Chance, dich dagegen zu wehren.
Und nun ist es da.

Du schaust es an und weißt gar nicht so richtig, was du damit anfangen sollst.
Es ist dir wehrlos ausgeliefert.
Wehrt sich nicht gegen deine Zärtlichkeit.
Duldet es, dass du es verhätschelst und verkitscht und ganz harmlos machst.
Und sogar, dass du es vergisst.

Du hast eigentlich gar keine Zeit für dieses Kind.
Deine Wohnung ist nicht aufgeräumt.
Die Karte an die Patentante noch nicht geschrieben.
Der Streit mit dem Chef geht dir noch nach.
Und all die furchtbaren Bilder von Berlin und Aleppo.
Was soll da dieses Kind?
Aber Gott hat es dir in deine Arme gelegt.

Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ist auf seiner Schulter


II.
Gott drückt dir ihr Kind in die Arme.
In die Arme, die so gerne umarmen.
Die du hängen lässt, wenn du nicht mehr kannst.
Und die du zeigst, wenn du die Ärmel hochkrempelst.
In deine Arme.

Gott drückt ihr Kind in Arme,
die im Pflegeheim eine Greisin aufrechtsetzen, damit sie den Weihnachtsbaum im Gang sehen kann.
In Arme, die voll bepackt sind mit Geschenken für die Nichten und Neffen.
Aber auch in Arme, die nicht wissen wohin mit sich, weil da keiner ist, den sie umarmen können.
Gott drückt ihr Kind in Arme,
die verschränkt sind und nichts mit ihm zu tun haben wollen.
In Arme, die sich nach oben recken und um Hilfe rufen.
In Arme, die in diesen Tagen Blumen und Kerzen an den Breitscheidplatz bringen.
In Arme, die Maschinengewehre über die Schulter legen.

Gott drückt ihr Kind in die Arme der Welt.
Eine Welt, wo Kinder keinen Platz haben.
Wo sie still sein müssen und unauffällig.
Karrierepläne liegen schon in der Wiege und alles ist perfekt geplant.
Für die Erwachsenen, nicht für das Kind.
Oder sie spielen zwischen den Trümmern in Aleppo.
Sie haben sich daran gewöhnt - auch an die traurigen Gesichter der Großeltern.
Oder sie warten mit ihrer kleinen Schwester am Grenzzaun von Griechenland.
Oder sie klammern sich an die wackeligen Ränder vom Boot, das sie über das Mittelmeer bringen soll.

Gott legt sein Kind in die Trümmer von Aleppo,
in das Flüchtlingslager in Griechenland
und in das Boot auf den Wellen des Mittelmeeres.
Gott legt sein Kind in die allzu perfekten Betten von Reihenhäusern
und in die Intensivstation vom Klinikum mit ihren Beatmungsgeräten.
Gott macht keinen Unterschied.
Ihr Kind gehört überall hin. Und auch dorthin, wo es nicht hingehört.

Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ist auf seiner Schulter


III.
Ja, es passt nicht in diese Welt. Hat noch nie hineingepasst.
Nicht zu Jesajas Zeiten.
Nicht zu Marias Zeiten und zu Josefs auch nicht.
Es trägt fremde Namen, die so gar nicht zu ihm passen.
Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.

Namen eines Hoffnungsträgers, der die Sehnsucht gar nicht tragen kann.
Namen einer Welt, die keine Chance bei uns hat.
Denn es ist kein Held des Krieges, kein Triumphator,
kein Reiter auf hohem Ross mit Pauken und Trompeten,
sondern ein Friedensbringer.
Einer, der auf dem Esel kommt.
Der mit seiner Familie sogar fliehen muss ins ägyptische Exil.
Und letztlich und nackt und bloß am Kreuz stirbt.
Gott selbst.
Das Gotteskind.

Und gerade weil es nicht in diese Welt passt, kommt es in diese Welt.

Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ist auf seiner Schulter.


IV.
Gott drückt dir sein Kind in die Arme.
So verletzlich - nur so kommt es in dein Herz.
Und du weißt: Auf dieses Kleine kommt es an.
Auf das Kleine in dir. Auf das Zarte. Das, was dich angreifbar macht.
Du musst nicht tun, als seist du stark.
Du musst keine Waffen tragen.
Du brauchst keine Rolle mehr zu spielen.
Du kannst einfach nur das Gotteskind sein.
Mit der ganzen Liebe, die da ist und die zu dir kommt.

Dieses Gotteskind in deinen Armen, in deinem Herzen, passt nicht in diese Welt.
Und so kannst du diese Welt nicht lassen, wie sie ist.
Da soll es keine Bombentrümmer geben,
und keine ertrinkenden Flüchtlinge.
Keine Mörder, die unschuldige Menschen töten auf Weihnachtsmärkten.
Und auf der Intensivstation soll keiner alleine sein.

V.
Gott drückt dir ihr Kind in deine Arme
und es passt nicht in diese Welt,
aber es verändert sie.
Und darum ist es egal, ob dein Wohnzimmer aufgeräumt ist oder nicht.
Du machst dich auf den Weg zur mürrischen Nachbarin und schenkst ihr eine Blume.
Vielleicht bleibt sie mürrisch. Vielleicht aber wird sie lächeln.
Oder du überlegst dir, wen du noch heute zum Essen einlädst.
Oder wenigstens anrufst. Und dann tust du es.

Und auf Rechthaberei hast du keine Lust mehr.
Weil das Gotteskind in deinen Armen ist, hast du keine Angst.
Schaust mit ihm zusammen neugierig auf alles Neue und Fremde.
Du lässt dir auch keine Angst machen, auch nicht von Terroristen,
sondern freust dich auf die Menschen, denen du begegnest.

Mit dem Gotteskind im Arm nimmst du allen Mut zusammen,
und sagst laut:
Hilfe für Fremde und Notleidende ist kein Luxusgut,
das wir uns nur gönnen,
wenn wir es uns leisten können.
Du sagst es laut, aber mit Liebe.
Das Kind in deinen Armen lässt nicht zu,
dass Menschen, die Hilfe brauchen, gegenseitig ausgespielt werden.

Es lässt dich weinen, wenn du an die zwölf Menschen denkst,
die brutal ermordet wurden am vergangenen Montag
und an die, die sie liebhaben.
Es lässt dich weinen, wenn du die Bilder aus Syrien siehst,
und es sind Tränen der Trauer und der Liebe
über jedes Kind Gottes, das durch Gewalt stirbt.
Juden, Christen, Muslime und alle anderen.
Gotteskinder - wie du.

Du merkst, dass dieses Kind in deinen Armen zwar zart, aber überhaupt nicht harmlos ist.
Es verändert dich.
Wird die Mächtigen vom Thron stoßen
und die Niedrigen erheben
Es wird zerbrechen daran.
Und leben.
Mit dir und für dich.
Und für diese Welt, in die es nicht hineinpasst und doch gehört.
Wie kein anderes Kind der Welt.

Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ist auf seiner Schulter.


VI.
Gott drückt dir sein Kind in die Arme.
Du schaust es an und es nimmt dich ein.
Voll und ganz und mit Haut und Haaren.
Dich, du Gotteskind. Mit Licht im Herzen.
Es verändert dich. Du öffnest deine Arme.
Und du veränderst die Welt. Mit diesem Kind.

Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ist auf seiner Schulter;
und er heißt
Wunder-Rat,
Gott-Held,
Ewig-Vater,
Friede-Fürst;
auf dass seine Herrschaft groß werde
und des Friedens kein Ende .

Amen.

Sonntag, 11. Dezember 2016

Es muss sein - auch 2017

Predigt zu Lukas 3,1-14
(geändert und aktualisiert zum 3.Advent 2017)

mit Dank an Michael Greßler, Silke Wolfrum, Peter Michael Schmudde und Martina Servatius für einige Formulierungen

Im fünfzehnten Jahr der Herrschaft des Kaisers Tiberius,
als Pontius Pilatus Statthalter in Judäa war
und Herodes Landesfürst von Galiläa
und sein Bruder Philippus Landesfürst von Ituräa und der Landschaft Trachonitis
und Lysanias Landesfürst von Abilene,
als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren,
da geschah das Wort Gottes zu Johannes,
dem Sohn des Zacharias (und der Elisabeth),
in der Wüste.
 

Und er kam in die ganze Gegend um den Jordan
und predigte die Taufe der Buße zur Vergebung der Sünden,
wie geschrieben steht im Buch der Worte des Propheten Jesaja (Jesaja 40,3-5):
»Es ist eine Stimme eines Predigers in der Wüste:
Bereitet den Weg des Herrn, macht seine Steige eben!
Alle Täler sollen erhöht werden,
und alle Berge und Hügel sollen erniedrigt werden;
und was krumm ist, soll gerade werden,
und was uneben ist, soll ebener Weg werden,
und alles Fleisch wird das Heil Gottes sehen.«

Da sprach Johannes zu der Menge,
die hinausging, um sich von ihm taufen zu lassen:
Ihr Otterngezücht,
wer hat euch gewiss gemacht,
dass ihr dem künftigen Zorn entrinnen werdet?
Seht zu, bringt rechtschaffene Früchte der Buße;
und nehmt euch nicht vor zu sagen:
Wir haben Abraham zum Vater.
Denn ich sage euch: 

Gott kann dem Abraham aus diesen Steinen Kinder erwecken.
Es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt;
jeder Baum, der nicht gute Frucht bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen.

Und die Menge fragte ihn und sprach:
Was sollen wir nun tun?
Er antwortete aber und sprach zu ihnen:
Wer zwei Hemden hat, der gebe dem, der keines hat;
und wer Speise hat, tue ebenso.
Es kamen aber auch Zöllner, um sich taufen zu lassen, 

und sprachen zu ihm:
Meister, was sollen denn wir tun?
Er sprach zu ihnen:
Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist!
Da fragten ihn auch Soldaten und sprachen:
Was sollen denn wir tun?
Und er sprach zu ihnen:
Tut niemandem Gewalt noch Unrecht
und lasst euch genügen an eurem Sold!


I.
Muss das sein?
Da macht man sich auf den Weg in die Wüste.
Heißer Sand unter den Fußsohlen. Ständig Durst.
Alles verschwitzt. Aber es ist die Sehnsucht, die einen hier raus bringt.
Hierher zu Johannes, dem Täufer.
Sich von ihm taufen lassen. Dann wird alles besser. Ganz bestimmt.
Und dann:
Wüste Publikumsbeschimpfung.
Ihr Otterngezücht. Ihr Schlangenbrut. Was denkt ihr, wer ihr seid?

Muss das sein? Muss das heute sein? Mitten im Advent?
Dieser Johannes ist kein Schokoladenweihnachtsmann,
kein lieblicher Engel und kein Kurrende-Sänger.
Johannes ist ein harter, unbequemer, sperriger Kerl.
Wenn Johannes auftritt, ist erstmal alles andere als eitel Sonnenschein.
Johannes stört.
Er ist die Gegendemonstration zu unserem Ruhebedürfnis.
Er ist  eine Zumutung.

II.
Muss das sein?
Ja, nicht immer muss das sein. Aber vielleicht gerade heute.
Vielleicht gerade in diesem Jahr,
in dem Angela Merkel Bundeskanzlerin ist
und Sigmar Gabriel deutscher Außenminister,
Und in Pforzheim ein neuer Oberbürgermeiste gewählt wurde.
In diesem Jahr, in dem israelische Fahnen abgefackelt werden.
Und Synagogen wieder in Brand gesteckt.
Und in dem Flüchtende in Libyen als Sklaven gehalten werden.
In diesem Jahr, da ergeht das Wort des Herrn.
An uns. Eine Zumutung.

III.
Gerade jetzt brauchen wir so eine Zumutung!
Wir brauchen Menschen, Boten Gottes, Propheten,
die ihren Finger in die Wunde der Welt legen,
dorthin, wo wir lieber nicht so genau hinschauen.

Der Weg wird bereitet, jetzt.
Jetzt - im Advent - heißt es:
hingucken und wegschaffen, was da noch quer in der Landschaft liegt:
Tote Steine und Staub, den wir mitschleppen.
Bäume, schön anzusehen, doch ohne eine Frucht, weil sie nur Fassade sind;
Und am liebsten würden wir sie liegen lassen. Oder einfach nicht hinsehen.
Was sollen wir auch sonst tun?

IV.
Aber du kannst der Welt nicht aus dem Weg gehen, sagt Johannes.
Und du kannst Gott nicht ausweichen.
Denn dieser Gott kommt.
Hierher und heute.
Und wenn du denkst, dass du ja sowieso auf der richtigen Seite stehst:
täusch dich nicht.
Wenn du denkst, dass du ja den richtigen Glauben hast
oder das richtige Parteibuch
oder genügend Einfluss auf die Entscheidungsträger:
Täusch dich nicht.
Und wenn du denkst,
du kannst ignorieren,
dass Hass und Menschenverachtung unser Zusammenleben gefährden:
dann täusch dich nicht!
Gott kommt.
Bereite ihm den Weg. Räum weg, was im Weg steht.
Denn nichts ist sicher.
Und am Ende entscheidet Gott.

V.
Muss das sein?
Johannes, du störst unser adventliches Ringen um etwas mehr Ruhe.
Du stellst alles in Frage, was uns Sicherheit gibt.
Der Weg muss eben sein, denn der Heiland wird zu allen Menschen kommen.
Zu allen.
Nicht nur zu uns, die wir uns auf der richtigen Seite wähnen.
Nein, auch zu denen, auf deren Kosten wir leben.
Oder die wir nicht hier haben wollen.
Oder die stören.
Oder zu denen, die nicht wissen, ob sie ihre Familie hierher holen können.

Was krumm ist soll gerade werden.
Ganze Täler sollen erhöht werden.
Berge und Hügel sollen erniedrigt werden.
Deine Worte sind wie der Wüstensand im Weltgetriebe.
Sie knirschen. Sie reiben.
Sie sind laut, wo wir unsere Ruhe haben wollen.
Und wo es sich nur um uns selbst dreht.

Aber sie lassen auch hoffen.
Darauf, dass es geht.
Dass Gott kommt.
Und dass es besser wird mit uns.

VI.
Was sollen wir denn tun?
Eine bange Frage.
Denn das Wort vom Zorn Gottes steckt in den Knochen
Das Bild von der zerstörerischen Axt geht nicht mehr aus dem Kopf.

Was sollen wir denn tun?
Das ist auch eine gute Frage.
Kein „Da kann man halt nichts machen“ mehr.

Und du, Johannes, antwortest.
Überraschend.
Der große Zeigefinger wird zur offenen Hand.
»Wer zwei Hemden hat, der gebe dem,
der keines hat; und wer Speise hat, tue ebenso. …
Fordert nicht mehr, als euch vorgeschrieben ist! …
Tut niemandem Gewalt oder Unrecht …«


Nichts Unmögliches.
Nur das, was die Liebe gebietet.
Das, was du schaffen kannst.
Kein radikaler Verzicht auf das Schöne.
Aber teile, wovon du mehr als genug hast.
Von deiner Zeit. Oder deinem Brot. Oder deinem Geld.
Oder gebe ein oder zwei Euro mehr aus,
damit die Näherin in Bangladesh wirklich was davon hat.
Sei fair und bereichere dich nicht auf Kosten der anderen.
Genügsamkeit statt gierigem Verlangen.
Ist das alles?
Warum nicht?

Es sind die Maßstäbe, die gelten.
Das ist das Maß, an dem wir gemessen werden.
Das Maß der Liebe.
Und das ist immer noch eine Zumutung.
Weil wir uns selber das Maß oft genug nicht gönnen.
Gott verzichtet selber auf alle Ansprüche und Ränge.
Er ebnet alles ein, was uns von ihm trennt.
Räumt Steine und Müll und Schutt und Bäume aus dem Weg.
Und macht so alles möglich.
Aber dann kann es auch anders gehen.
Muss anders gehen.

VII.
Johannes, der Gegendemonstrant gegen unser Ruhebedürfnis,
er kommt mit der Politik der kleinen Schritte.
Der Traum von einer Welt, wie Gott sie will, soll Wirklichkeit werden.
Aber das passiert nicht von heute auf morgen, nicht Knall auf Fall,
sondern in mühsamer und manchmal auch müheloser Kleinarbeit.
Und statt vor den Bergen der unerledigten Ungerechtigkeiten zu erstarren,
lohnt es sich einfach anzufangen.

Einen Brief für Deniz schreiben, der seit über 300 Tagen im türkischen Gefängnis sitzt.
Einen Benefizkinonachmittag organisieren für Shawkat,
damit er seine Familie aus Syrien hierher holen kann.
Mit Trajan von Anwalt zu Anwalt gehen
und von Gericht zu Gericht
und nun darf er endlich bleiben.
Er hat ja schon längst eine Arbeit.
Beim nächsten Mal bei H+M fragen, ob sie auch faire Kleidung haben.
Und ... ja, Zeichen gegen Menschenverachtung setzen,
egal ob der Oberbürgermeister das passend findet oder nicht.*

VIII.
Es lohnt sich, anzufangen.
Es braucht nichts Unmögliches.
Nur das, was die Liebe gebietet.
Umso wichtiger, dass wir sie uns sagen lassen.
Diese Worte, die wie Sand im Weltgetriebe sind.
Die uns losschicken, zu lieben.
Verschwitzt und kleinmütig wie wir sind.
Aber voller Sehnsucht.

Gut, dass es Störenfriede wie Johannes gibt, die uns auf den Weg bringen.
Ein Weg der über Berge und durch Täler geht, hoch und tief.
Und durch die  Wüste, deren Sand uns die Fußsohlen verbrennt.

»Bereitet den Weg des Herrn.«
Muss das sein?
Ja, es muss sein.
Und es wird sein.
Und er, der Herr, wird bei uns sein.

Amen.

*) In der vergangenen Woche hat der Pforzheimer Oberbürgermeister öffentlich die seit 5 Jahren übliche und seit 3 Jahren intensivierte Praxis in Frage gestellt, am 23.2. (dem Tag der Zerstörung Pforzheims am Ende des 2.Weltkriegs) auch deutliche Zeichen gegen die rechtsextreme Instrumentalisierung des Gedenkens zu setzen.

Sonntag, 4. Dezember 2016

Zeichen der Zeit

Predigt zu Matthäus 24,1-14
(mit Dank für einige Formulierungsideen an Alexander Ebel und Birgit Mattausch)

I.
Zeichen der Zeit.
Ein Kirschzweig bleibt am Kleid der Barbara hängen
Auf dem Weg in ihr Gefängnis.
Gefoltert und zum Tod verurteilt bleibt ihr nicht mehr viel Zeit.
Aber sie hat ja diesen Zweig.
Den benetzt sie mit dem Wasser aus ihrem Trinknapf.
Als sie Wochen später abgeholt wird, um hingerichtet zu werden, blüht der Zweig.
“Du schienst tot, aber bist aufgeblüht zu schönem Leben.
So wird auch es auch mit meinem Tod sein.
Ich werde zu neuem, ewigen Leben aufblühen”.

II.
Zeichen der Zeit.
Blätter werden gelb, dann braun. Und sie fallen herab. Bedecken den Boden.
Irgendwann nur noch eine schwarze feuchte Masse.
Kahle Bäume. Kurze Tage. Lange Nächte. Winterzeit.
Aber wir hängen Lichter in die Bäume und Sterne an die Zweige.
Wir zünden Kerzen an.
Zeichen, die was anderes ankündigen.
Zeichen der Liebe - mitten im Winter.

III.
Zeichen der Zeit bei Matthäus:
Und Jesus ging aus dem Tempel fort
und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels.
Er aber antwortete und sprach zu ihnen:
Seht ihr nicht das alles?
Wahrlich, ich sage euch:
Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.

Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm
und sprachen, als sie allein waren:
Sage uns, wann wird das geschehen?
Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt?
Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen:
Seht zu, dass euch nicht jemand verführe.
Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen:
Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen.
Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht.
Denn es muss geschehen. Aber es ist noch nicht das Ende.
Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben
und ein Königreich gegen das andere;
und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort.
Das alles aber ist der Anfang der Wehen.

Dann werden sie euch der Bedrängnis überantworten und euch töten.
Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern.
Dann werden viele zu Fall kommen
und werden sich untereinander verraten
und sich untereinander hassen.
Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen.
Und weil die Missachtung des Gesetzes überhandnehmen wird,
wird die Liebe in vielen erkalten.
Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig.
Und es wird gepredigt werden
dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt
zum Zeugnis für alle Völker,
und dann wird das Ende kommen.


IV.
Die Zeichen der Zeit machen mir Angst.
Die Zeichen unserer Zeit sind es, die mich umtreiben.

Da bleibt in Aleppo kein Stein mehr auf dem Anderen.
Der 15 jährige namenlose Junge muss weinend seine Mutter begraben
und die kleine Schwester kämpft im halbzerschossenen Krankenhaus ums Überleben.
Auf die Fliehenden fallen weitere Bomben.
Hilflos sehe ich Bilder und die Videos
und weiß nicht, was ich tun kann.
Und ich werde schamesrot,
wenn ich die Erfolgszahlen der baden-württembergischen Rüstungsindustrie sehe.
Zeichen unserer Zeit.

V.
In Pforzheim haben über 25 % die AfD gewählt,
in manchen Stadtteilen sind es über 50%.
Sie haben eine Partei gewählt, die mit der Angst hausieren geht.
Sie haben Angst, weniger zu haben als jetzt, weil Flüchtlinge da sind.
Sie haben Angst, nachts auf die Straßen zu gehen, weil Flüchtlinge da sind.
Sie haben vor dem Islam Angst, weil Flüchtlinge da sind.
Aber wenn man sich die Zahlen anschaut, weiß man, dass diese Angst unbegründet ist.
Niemand hat weniger, weil die Flüchtlinge da sind.
Es ist auf den Straßen nicht gefährlicher geworden.
Und „den“ Islam gibt es sowieso nicht, sondern Muslime, die sehr verschieden sind.
Außerdem gibt es auch christliche und jesidische Flüchtlinge.
Aber das alles spielt keine Rolle mehr. Man hat Angst.
Und will gefälligst ernstgenommen werden. Was auch immer das heißt.
Und so gewinnen die Populisten dieser Welt die Oberhand.
Und diese wollen Frauen zurück an den Herd schicken,
geben der Homolobby die Schuld an allem
und lassen Tausende im Meer ertrinken. Sind ja schließlich selber schuld.
Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen.
Zeichen der Zeit.

VI.
Die Liebe wird in vielen erkalten. So lesen wir bei Matthäus.
Erkaltete Liebe - ein Zeichen unserer Zeit
Eine Liebe, die sich in kahlen Ästen der Bäume verfängt.
Ihr Licht ist erloschen in Reihenhäusern und Eigentumswohnungen,
um deren Wertverlust man fürchtet, weil nebenan eine Flüchtlingsunterkunft entsteht.
Aber man verbrämt es mit der Sorge um Schulräume, die fehlen könnten.
Die Liebe ist erkaltet an den Stammtischen oder auch in der gepflegten Bar,
wo man sich über Kopftücher aufregt,
aber nicht darüber, dass es immer noch zu wenig Sprachkurse für die Neuangekommenen gibt.
Die Liebe ist erkaltet, wo man nicht mehr miteinander redet,
sondern übereinander,
und wo Bischöfinnen und Pfarrer verächtlich beschimpft und bedroht werden,
weil sie sich für den Dialog mit Muslimen einsetzen.
Zeichen unserer Zeit.
Zeichen auch für das Ende der Welt?

VII.
Nein, es sind Zeichen einer Welt, die ist, wie sie ist.
Aber wir hoffen darauf, dass diese Welt, wie sie ist, zum Ende kommt.
Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig.
Und es wird gepredigt werden
dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt
zum Zeugnis für alle Völker,
und dann wird das Ende kommen.


Zeichen einer neuen Zeit.
Zeichen dafür, dass die Welt, wie sie ist, nicht bleibt, wie sie ist.
Da kommt ein Kind zur Welt -
zwischen Heu und Stroh, Staub und Dreck und tierischen Gerüchen.
Da kommt ein Kind zur Welt und Gelehrte machen sich auf, um dieses Kind zu sehen.
Der Vater des Kindes ist ein Träumer
und bleibt trotz vieler Peinlichkeiten an der Seite seiner Familie.
Seine Mutter, ein junges Mädchen wird zu einer Prophetin
und singt mit kraftvoller Stimme.
Das Kind wird zu einem Mann, der Blinde sehend macht, Taube hörend, Lahme gehend.
Und er lebt die Liebe, die Gott allen Menschen schenkt.
Er lebt diese Liebe noch am Kreuz und Gott bekennt sich zu ihm, der die Liebe ist.
Zeichen einer neuen Zeit.
Zeichen für das Ende einer Welt, die nicht so bleiben soll, wie sie ist.

VIII.
Es gibt Christen, die glauben, dass das Ende der Welt bevorsteht,
weil die Evangelische Kirche nun schwule und lesbische Paare traut
und weil der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm sein Brustkreuz verborgen hat.
Und vielleicht haben sie sogar Recht.
Aber anders, als sie denken.
Es sind dies Zeichen für das Ende dieser Welt.
Zeichen dafür, dass die Liebe sich Bahn bricht und aufblüht.
Wo Menschen sich lieben dürfen.
Wo Menschen auf das Rechthaben verzichten.
Und wo sie die Not der anderen sehen.

Ja, ich hätte gerne noch viel mehr Zeichen für das Ende der Welt.
Dass die Liebe eben nicht erkaltet ist.
Lachende Kinder, unbeschwert. Auch in Aleppo oder Jemen.

Jeder hat genug zu essen.

Nicht, dass es nichts mehr zu weinen gäbe
.
Aber dass es für jede Träne jemanden gibt, der sie auffängt und dich mit.

Friedensverträge werden geschlossen und gehalten.
Die Rüstungsindustrie sattelt um, weil sie für ihre Waffen keine Abnehmer mehr hat.

Niemand muss Angst haben.
Jeder Mensch findet eine Heimat und den Schutz, den er braucht.

Und Minderheiten kommen zu ihrem Recht,
ohne dass die Mehrheit an ihren Vorteilen festklebt.
Und die Engel singen zusammen mit uns im Chor.

Es wäre das Ende der Welt, wie wir sie kennen.

Zeichen einer neuen Zeit.

IX.
Das Ende der Welt, wie wir sie kennen, ist schon da.
Mit Christus.
Mit dem Kind im Stall.
Mit dem Sterbenden auf Golgotha.
Mit dem Auferstandenen, der bis zum Ende der Welt bei uns bleibt.
Und du zündest eine Kerze an - an diesen Tagen, die kürzer werden. Und kälter.
Liebe ist da. Klein und doch stark. Neu entfacht. Mitten im Winter.
Und du singst ein Adventslied.
Mit einer glühenden, eine hellen Liebe.

X.
Zeichen der neuen Zeit.
Ein Kirschzweig bleibt am Kleid der Barbara hängen.
Auf dem Weg in ihr Gefängnis.
Gefoltert und zum Tod verurteilt bleibt ihr nicht mehr viel Zeit.
Aber sie hat ja diesen Zweig.
Den benetzt sie mit dem Wasser aus ihrem Trinknapf.
Als sie Wochen später abgeholt wird, um hingerichtet zu werden, blüht der Zweig.
Und zeigt ihr:
Das Ende der Welt, wie wir sie kennen, ist schon da.
Liebe blüht auf, die längst verloren schien.
Sie macht dich selig.

Und der Friede, welcher höher ist als alle Vernunft, 
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.