Samstag, 13. August 2016

Wäre ich gegangen? Notwendige Begegnungen zwischen Verfolgern und Verfolgten

Predigt zu Apostelgeschichte 9,1-20
 

Saulus verfolgte immer noch die Jünger des Herrn
und drohte ihnen mit Gefängnis und Hinrichtung.
Er ging zum Obersten Priester
und bat um eine schriftliche Vollmacht für die Synagogen in Damaskus.
Dort wollte er die Anhänger des neuen Weges aufspüren.
Er wollte sie, Männer wie Frauen, festnehmen und nach Jerusalem bringen.

Auf dem Weg nach Damaskus, kurz vor der Stadt,
umstrahlte ihn plötzlich ein Licht vom Himmel.
Er stürzte zu Boden und hörte eine Stimme, die zu ihm sagte:
»Saul, Saul, warum verfolgst du mich?«
Er fragte: »Wer bist du, Herr?«
Die Stimme antwortete: »Ich bin Jesus, den du verfolgst.
Doch jetzt steh auf und geh in die Stadt.
Dort wirst du erfahren, was du tun sollst.«

Den Männern, die Saulus begleiteten, verschlug es die Sprache.
Sie hörten zwar die Stimme, doch sie sahen niemand.
Saulus erhob sich vom Boden.
Er öffnete die Augen, aber er konnte nichts sehen.
Seine Begleiter nahmen ihn an der Hand und führten ihn nach Damaskus.
Drei Tage lang war Saulus blind.
Er aß nichts und trank nichts.

In Damaskus lebte ein Jünger namens Hananias.
Dem erschien der Herr und sprach ihn an: »Hananias!«
Hananias antwortete: »Hier bin ich, Herr!«
Der Herr sagte: »Steh auf! Geh in die Gerade Straße
und frage im Haus von Judas nach Saulus aus Tarsus.
Sieh doch! Er ist dort und betet.
In einer Erscheinung hat er einen Mann namens Hananias gesehen.
Der kam zu ihm und legte ihm die Hände auf, damit er wieder sehen konnte.«
Hananias antwortete:
»Herr, ich habe schon viel von diesem Mann gehört.
Er hat deinen Heiligen in Jerusalem viel Böses angetan.
Und jetzt ist er mit einer Vollmacht von den führenden Priestern hierhergekommen.
Er soll alle festnehmen, die deinen Namen anrufen.«
Aber der Herr sagte zu ihm: »Geh nur hin!
Denn gerade ihn habe ich mir als Werkzeug gewählt.
Er soll meinen Namen bekannt machen –
vor den Heiden und ihren Königen wie vor dem Volk Israel.
Ich werde ihm zeigen, wie viel er leiden muss, weil er sich zu mir bekennt.«

Da machte sich Hananias auf den Weg und ging in das Haus.
Er legte Saulus die Hände auf und sagte:
»Saul, Bruder, der Herr hat mich gesandt –
Jesus, der dir auf dem Weg hierher erschienen ist.
Du sollst wieder sehen können und mit dem Heiligen Geist erfüllt werden.«
Sofort fiel es Saulus wie Schuppen von den Augen und er konnte wieder sehen.
Er stand auf und ließ sich taufen.
Dann aß er etwas und kam wieder zu Kräften.

Danach verbrachte Saulus einige Zeit bei den Jüngern in Damaskus.
Er verlor keine Zeit und verkündete in den Synagogen:
»Jesus ist der Sohn Gottes.«


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I.
Steh auf, geh zu deinem Feind,
zu dem, der dir Angst macht.
Geh zu ihm und lege ihm die Hände auf.
Segne ihn - und lass ihn neu sehen.

Wäre ich gegangen?
Hätte ich mich das getraut?
Hananias weiß, was das für einer ist, dieser Saulus.
Der die Christen verfolgt.
Die Anhänger des neuen Wegs, wie sie auch genannt werden.
Der sich alle Vollmachten holt, damit er gegen sie vorgehen kann.
Der sogar deswegen nach Damaskus gekommen ist,
den weiten Weg von Jerusalem nicht gescheut hat.
Saulus - einer, der nicht akzeptieren kann,
dass die Jesus-Anhänger einen anderen Weg gehen.
Einer, der auch vor Gewalt nicht zurückschreckt.
Wobei er sich wohl seine Hände nicht selber schmutzig macht.

Ausgerechnet zu dem soll Hananias gehen.
In das selbe Haus. In den selben Raum.
Ihm gegenüber treten. Ihm nahe kommen. Ihn segnen.
Ihm ein Bruder werden.
Und nach langem Zögern tut er es.
Hätte ich das auch gekonnt?

II.
Immerhin, Saulus ist aus der Bahn geworfen.
Er kann nichts sehen.
Abhängig von seinen Begleitern.
Ja, er liegt förmlich am Boden.
3 Tage lang geht das schon so.

3 Tage außer Gefecht gesetzt.
Was macht das mit einem Macher wie Saulus?
Ob er an Jona denkt?
Der wurde vom Fisch verschluckt, wo er auch nichts sehen konnte.
Wo ihm nur noch das Beten blieb. Sonst nichts.
Jona war auf dem falschen Weg.
Der Fisch hat ihn auf den richtigen gespuckt.
Und trotzdem hat er noch nicht wirklich verstanden, was Gott von ihm wollte.
Versteht Saulus, was Gott von ihm will?


III.
Gestoppt im vollen Lauf.
Ausgebremst zum Stillstand.
Eine Freundin von mir brach sich beide Arme bei einem Fahrradunfall.
Wochenlang war sie abhängig.
Konnte kaum etwas alleine machen. Selbst das Anziehen ging nicht.
Jetzt, sagt sie, im Nachhinein, war das eine wichtige Zeit für sie.
Zu merken: ich kann nicht alles selber machen.
Ich MUSS auch gar nicht alles tun.
Es hängt nicht von mir alleine ab, ob etwas gelingt oder nicht.
Sich Hilfe holen. Andere bitten. Zugeben, dass etwas nicht geht.
Alles das hat sie üben können.
Und jetzt erinnert sie sich daran,
wenn die Gefahr besteht, dass sie wieder alles alleine machen will.
Wieder auf's falsche Pferd gesetzt.

IV.
Ist es das, was mit Saulus passiert?
Oder ist das noch zu harmlos?
„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“
Ja, Saulus war ein Verfolger.
Hat Andersgläubige verfolgt, und damit Jesus selbst.
Er war ein Fundamentalist.
Von der reinen Lehre durfte niemand abweichen.
Wer es doch tat, schadete der Glaubensgemeinschaft.
Aber er setzte damit auf‘s falsche Pferd.

„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“
Warum verfolgst du, dass ich die Liebe über alles stelle?
Warum verfolgst du, dass sie sogar wichtiger ist als jedes Gebot?
Warum verfolgst du, dass auch die Nicht-so-frommen einen Platz bei Gott haben?
Warum verfolgst du, dass Gott auch die Ungläubigen liebt?

„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“
Du denkst, dass die Christen den jüdischen Glauben verraten?
Dabei sind sie doch Juden, wie ich es auch bin.
Du willst deinen Glauben retten, indem du anderes Denken nicht zu lässt?
Wie ängstlich musst du sein?
Und ich weiß: damit stehst du nicht allein da!

V.
„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“
Ihr Christen, warum habt ihr mich verfolgt,
als ihr die Juden vertrieben, verbrannt, vergast habt?
Ihr IS-Terroristen, warum verfolgt ihr die Jesiden,
und die Christen und die Muslime, die euren Weg nicht gehen wollen
- und damit mich?
Ihr Schlächter von Boko Haram, warum verfolgt ihr mich?
Ihr Attentäter von St.Etienne, warum verfolgt ihr mich
und tötet einen Priester?
Du Breivik-Anhänger, warum verfolgst du mich
und erschießt 10 Menschen in München?
„Saul, Saul, warum verfolgst du mich?“

Kann denn die einzige Lösung nur der Tod der Verfolger sein?
Seid ihr Verfolger nur dann zu stoppen, wenn wir euch töten?
Und wenn wir euch hassen, wie ihr uns hasst?
Mir kommt das Grauen, wenn ich auf manche Internetseiten gehe,
von denen sich auch einige christlich nennen.
Hass gegen Muslime. Hass gegen Homosexuelle.
Hass gegen Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen.
Hass gegen Geflüchtete.

Und dann wünsche ich mir, dass dieser Hass gestoppt wird,
wie bei Saulus. Der Hass der Verfolger, der Hass der Hassenden.
Herunter vom hohen Ross, außer Gefecht gesetzt, abhängig, ruhig gestellt, nachdenken, beten.

VI.
Und dann, ja, dann soll auch ein Hananias kommen,
ihnen zum Bruder werden,
die Hände auf legen und sie ihren Weg neu sehen lassen.
Gott lässt sie dann auch sehen, dass es für ihren Hass keinen Grund gibt
und für ihre Angst auch nicht.
Gott befreit sie dann von ihrem fanatischen Alles-im-Griff-haben-wollen.
Er zeigt ihnen, wie sie lieben können, weil sie selber geliebt sind.
Er lässt sie neu auf die Welt schauen:
eine Welt, die schön genug und vielfältig genug ist, um sie zu erhalten.
Ja, so wie bei Saulus.

Saulus hat das Recht, ein anderer zu werden.
Er bleibt derselbe und ist doch anders als vorher.
Aber er ist ein befreiter Saulus.
Ein zur Liebe befreiter Bruder Saul,
der nicht mehr alles im Griff haben muss,
der weiß, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist.

VII.
Steh auf, geh zu deinem Feind,
zu dem, der dir Angst macht.
Geh zu ihm und lege ihm die Hände auf.
Werde ihm zum Bruder, zur Schwester.
Segne ihn - und lass ihn neu sehen.
Und für euch beide beginnt ein neuer Weg.

Wäre ich gegangen?
Hätte ich mich das getraut?
Hananias traut sich.
Ermutigt von Jesus, der sich seinen Feinden auslieferte.
Am Ende sehen sie beide. Sehen sich neu. Sehen Gott neu. (Danke an Philipp Rottach)

Ich bin froh, dass Hananias das geschafft hat.
Sonst wüssten wir vielleicht immer noch nicht von Jesus.

Ich weiß zwar nicht, ob ich das schaffe, was Hananias getan hat.
Aber ich weiß, dass jeder und jede das Recht hat,
eine andere, ein anderer zu werden.
Auch der Mensch, der mir Angst macht.
Und ich - und du auch.
Jeder hat das Recht, neu gesehen zu werden und selber neu zu sehen.

Ich hoffe, dass Jesus auch mich stoppt, wo es nötig ist, wenn ich wie Saulus bin.
Damit ich zur Besinnung komme, bete, höre, befreit werde.
Ich hoffe, dass dann ein Hananias da ist,
der mir die Hand auflegt und mich die Welt neu sehen lässt.
Und ich bete um die Kraft, aufzustehen wie Hananias,
Brüder und Schwestern neu zu erkennen -
und dem Hass mit Liebe zu begegnen, ja, mit Liebe und Mut.

Amen.