Sonntag, 20. Dezember 2020

Brief an Maria

Impuls zum 4. Advent zu Lukas 1, 26 - 56

Dazu empfehle ich diesen Song (nach der Werbung):
https://www.youtube.com/watch?v=GdeMcOHLHoo


Liebe Maria,
deine Begegnung mit dem Engel Gabriel berührt mich.
Erst erschrickt er dich.
Dann scheint er dich doch überzeugt zu haben, dass alles gut ist.
Beides kenne ich.

Aber da ist noch mehr:
eine plötzliche (und vermutlich auch ungewollte) Schwangerschaft.
So etwas verunsichert jede Frau, erst recht eine so junge Frau wie dich.
Du warst ja mal gerade 15 Jahre alt oder so.
Damals üblich, aber heutzutage hättest du noch ganz andere Pläne,
als mal eben ein Kind zur Welt zu bringen.

Gabriel spricht von Gnade und Gott,
und dass du und dein Kind dabei eine wichtige Rolle spielen.
Ich bin sicher, das hätte mich auch erschreckt.
Denn wer will schon wirklich ein „besonderes“ Leben.
In den Glamour-Zeitschriften klingt das oft so attraktiv,
aber wir beide wissen doch: das ist alles andere als schön.
Zu viele kritische Blicke,
zu viel Lauern, wann man ein falsches Wort sagt -
das ist nichts, was du dir wünscht und schon gar nicht deinem Kind.
Was hat dich dazu gebracht, dem Engel zu glauben?

„Ich bin bereit“, sagst du.
Ehrlich, deine schnelle„Bereitschaft“ hat mir lange Probleme bereitet.
Warst du doch deshalb Prototyp einer gehorsamen und bereitwilligen Frau,
die ich bestimmt nicht sein will.
„Maria, die Fromme“ - ein Bild der gottesfürchtigen, demütigen Mutter.
Dabei bist du doch so viel mehr,
nämlich die, die was zu sagen hat!

Du bist die, die ein Lied anstimmt, das durch die Welt geht.
Es preist die Kleinen, die Hungrigen und dass Gott die Mächtigen vom Thron stürzt.
Ein kraftvolles Lied einer kraftvollen Frau.
Du bist die, die unter schwierigen Umständen ein Kind zur Welt bringt
und dabei sehr aufnahmebereit ist für die Botschaft der Engel.
Und du bist die, die mit ansehen muss, wie ihr Sohn stirbt, und das auch aushält.
Du bist eine starke Frau mit weitem Herzen.
Eine Frau wie alle Frauen dieser Welt:
stark und schwach zugleich.
Gedemütigt und stolz.
Eine, der man eine Rolle zuweist
und die es doch schafft, diese Rollen zu durchbrechen.

Alles das hat Gabriel, der Engel wohl erkannt,
denn er nennt dich „Begnadete“.
Ja, Maria, du 15jährige unsichere junge Frau,
du bist begnadet,
denn du bist die Wegbereiterin für Gottes Barmherzigkeit,
für seinen Sanftmut und seine Gnade -
gerade so, wie du bist. Danke dafür!

Sonntag, 6. Dezember 2020

Liebe in die Stiefel - Predigt zu Nikolaus

Predigt zum 6. Dezember 2020, 2.Advent

(Die Grundidee zu dieser Predigt stammt von der wunderbaren Anne Gidion: Aufbau und Struktur und viele Textteile, die ich neu zusammengesetzt und ergänzt habe. Danke, liebe Anne!)

I

Da ist einer, der rettet in Seenotgeratene vor dem Ertrinken und Arme vor der Hungersnot.
Da ist einer, dem fällt ein reiches Erbteil zu.
Er behält es nicht allein für sich, sondern gibt den Armen was ab. Still und heimlich.
Wirft  große Goldklumpen durch die Fenster von drei jungen Frauen und trifft ihre Stiefel.
Ihr Vater hätte sie schon fast zur Prostitution geben müssen.
Doch nun haben sie genug Mitgift und sind frei.
Nikolaus.

So einen hätte ich gerne hier bei uns. Heute. In Europa.
Gerne wieder an der türkischen Küste oder auf den griechischen Inseln oder in Libyen oder in Syrien.
Gerne auch hier in Pforzheim.

Einer, der weitere Schiffe losschickt
und Flüchtlinge aus wackeligen Booten im Mittelmeer rettet.
Einer, der die Lager auf Lesbos und Samos befreit
und  Zelte nach Kroatien bringt und warme Schlafsäcke.
Einer, der den Obdachlosen ein Dach über dem Kopf gibt, ohne dass sie sich benehmen müssen.
Er bezahlt die Heizung, damit sie wieder läuft.
Und er wirft seine Goldklumpen in die Gaststätten und Tagungshäuser und Theater,
die kurz vor dem Ruin stehen.

II.

Nikolaus, komm ins Haus. Was bringst du uns heute?
Hören wir auf Prophetenworte für uns heute am Nikolaustag. Worte von Jesaja (1):

Der Geist Gottes des HERRN ist auf mir, weil der HERR mich gesalbt hat.

Da ist jemand ausgestattet. Vorbereitet.

Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen,

„Gute Botschaft". Was ist das? Ehrliche Frage. Nikolaus 2020. Ich versuch es mal:

Es gibt eine Zukunft für dich und für die Schiffbrüchigen und für die Frierenden auch.
Für die Sorgenvollen und die Traurigen.
In dieser Zukunft ist irgendwann wieder Frühling und Sommer
und wir dürfen uns umarmen und sitzen im Warmen und lachen laut auf.
Und wir teilen unser Brot. Ja, es geht weiter und du bist nicht allein.

III.


Er hat mich gesandt, die zerbrochenen Herzen zu verbinden.

Jemand wird wieder lieben, der sich das jetzt gerade nicht vorstellen kann.
Du vermisst jemanden ein ganz kleines bisschen weniger.
Du stehst am Grab und es ist nicht mehr so, als ob jemand Dein Herz in Stücke schneidet.
Du weinst nicht mehr, wenn du dich an ihn, an sie erinnerst,
sondern die Erinnerung zaubert dir ein Lächeln auf dein Gesicht.
Es wird wärmer in deinem Bauch. Und diese Wärme erreicht dein Herz.

IV.

Er hat mich gesandt, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit.

Der Tag kommt, wo du deine Freunde wieder treffen darfst, auch alle auf einmal.
Der Tag kommt und du kannst rausgehen, wann du willst,
unmaskiert, du zeigst dein Gesicht und dein Herz, ohne Angst.

Und noch schöner wird es für die,
die gerade im Abschiebegefängnis sitzen und Angst haben, abgeholt zu werden.
Ihre Anwälte haben Erfolg und die Politik zeigt Erbarmen
und sie werden hier gebraucht und haben Familie und Freunde hier und dürfen bleiben.
In Freiheit.


zu verkündigen den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen;

Die Käfige für die politischen Gefangenen im Theater drüben haben keine Bedeutung mehr (2).
Die Amnesty-Befreiungsaktionen haben Erfolg.
So wie die Goldaktion von Nikolaus für die drei jungen Frauen.

Und ja, auch wir dürfen raus. Zum Gruschtelmarkt und in den Biergarten.
Zu Pfingsten das Familienfest. Und das Tauffest können wir auch endlich feiern.

V.

zu verkündigen ein gnädiges Jahr des HERRN

Es wird besser werden, dies neue Jahr,
nicht morgen vielleicht und auch nicht übermorgen, aber es kommt – es kommt.
Die Tage werden wieder länger werden. Die Sonne wieder wärmer.
Und du darfst mir die Hand geben und ich dir auch.
Deine Tochter besucht dich und der Bodensee bringt sein Wasser auf Temperatur.

Ein gnädiges Jahr -
Gnade für alle, die denken, sie sind nicht gut genug, nicht schlau genug.
Für die, die ihr Wohnzimmer noch immer nicht aufgeräumt haben
und nicht wissen, was sie schenken sollen.
Gnade für alle, die Schuldgefühle haben,
und für die, die ihr Leben nicht in den Griff bekommen.
Sie können es Gott überlassen.

VI.


und zu verkündigen einen Tag der Rache unsres Gottes,

Rache... - Ich mag das Wort nicht. Es schmeckt nach Hass und Rauch und Elend,
lieber: Tag des Rechts.
Gott wird recht haben, es wird gerecht zugehen,
Idioten treten vom Amt zurück und Rücksichtslose denken nach.
Recht schafft er denen, die jetzt rechtlos sind. Sie richtet er auf.
Aber am wichtigsten: wir brauchen keine Rechthaberei mehr.
Kein Urteil, ob ich gut genug bin oder nicht. Gott schaut anders auf mich. Und auf dich.

VII.


zu trösten alle Trauernden,

Trost.
Trost brauche ich, wenn ich an die Frierenden auf Lesbos und in Kroatischen denke.
Den braucht der Freund, der um seine große Liebe weint, gestorben auf der Intensivstation.
Trost für die Nachbarin, die nicht mehr aufstehen kann
und keiner kümmert sich um ihre geliebten Blumen.
Trost für die Caféinhaberin, die nicht weiß, wie lange sie sich noch halten kann.
Und für den Sänger, der gerade nicht singen darf.
Trost braucht unser Land, das so zerrissen ist zwischen den Diskussionen,
welche Maßnahmen richtig sind, ob wir sie überhaupt brauchen
und wie wir die schützen, die unseren Schutz brauchen.

(einmal tief atmen)

VIII.

Ich freue mich im HERRN, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott;
 
Wir werden wieder singen!
Vom Tröster, der uns befreit und aufrichtet.
Meine Seele ist fröhlich in meinem Gott.
Die Seele singt vom Leben.
Sehnt sich nach Luft und Lachen.
Und sie kann Gott loben.
Maria, die schwangere junge Frau, die weiß, was Menschen beugt und biegt,
sie singt von dem, der sie befreit:
Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freut sich Gott, meines Heilands. (3)
Und sie legt ihre Zukunft in Gottes große Hände.

IX.

denn er hat mir die Kleider des Heils angezogen 

und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet, 

wie einen Bräutigam mit priesterlichem Kopfschmuck geziert 

und wie eine Braut, die in ihrem Geschmeide prangt.


Der Nikolaus ist da! Geschenketag für kleine und große Leute.
Und du wirst zum Nikolaus. Schenkst und tröstest, dass es nur so kracht.
Dein Lächeln, das bis in die Augen reicht und auch mit Maske zu sehen ist.
Leg die Geschenkeliste weg. Ruf jemand an. Verschick ein Foto.
Tanze in der Küche. Einfach so.
Lad jemand zum Waldspaziergang ein. Zu zweit oder zu dritt geht das ja.
Vergiss nicht, dir Gutes zu tun. Und anderen Gutes zu tun.
Drei Goldklumpen verändern das Leben. Liebe in den Stiefeln.
Und die Zukunft fängt jetzt an.

Amen


(1) Predigttext ist Jesaja 61,1-2 und 10. Alle violett kursiv gesetzten Zeilen sind aus dieser Textpassage.

(2) Das Stadtheater Pforzheim hat für die Beethoven-Oper Fidelio zum September 2020 gemeinsam mit Akteuren der Zivilgesellschaft 100 Käfige gestaltet und mit Figuren ausgestattet, die an heutige Verfolgte und politisch Gefangene erinnern sollen. Diese Käfige sollen im Stadtbild auftauchen.

(3) aus dem Magnifikat Lukas 1,46