Sonntag, 8. März 2020

Frauennamen

Predigt zum Weltfrauentag
(mit riesengroßem Dank an Birgit Mattausch, dieser wunderbaren Predigerin, deren Worte ich weitergeschrieben habe)

1. Womens march

3 Jahre ist es her.
Da zogen die Frauen nach Washingthon. Women’s march.
Am Tag nach der Einführung von Donald Trump.
Whoopi Goldberg war dabei und Yoko Ono. Scarlett Johansson und Ashley Judd.
Eine Liste von Namen.
Pinkfarbene Wollmützen auf dem Kopf. Pussyhats.
Mit Zipfeln rechts und links. Wie Katzenohren.
Weil da einer an der Macht gekommen ist, der meint, Frauen einfach angrabschen zu können.

Der beschimpfte seine Konkurrentin Hillary Clinton als böse, widerliche, schmutzige Frau.
Nasty woman.
Und der Senatorin Elizabeth Warren erteilte man fast zeitgleich Redeverbot.
Aber sie hielt sich nicht daran.
#Nevertheless, she persisted.

Über eine Million Menschen waren damals in Amerika auf der Straße.
Weltweit demonstrierten mindestens 2 Millionen Menschen.

Mittlerweile ist die Bewegung nicht mehr so stark. Aber es gibt sie noch. Jahr für Jahr.
Und sie ist lernfähig.
Gott sei Dank haben sie sich von Frauen im Vorstand getrennt,
die antisemitisch unterwegs waren.

Ja, sie geht weiter, diese Bewegung:
Kennt ihr den pinky swear? (1)
Mit dem nimmt Elizabeth Warren kleinen Mädchen mit 2 kleinen Fingern das Versprechen ab:
„Ich will Präsidentin werden, weil Mädchen das tun!“

2. Text

Und es begab sich danach,
dass er von Stadt zu Stadt und von Dorf zu Dorf zog
und predigte und verkündigte das Evangelium vom Reich Gottes;
und die Zwölf waren mit ihm,
dazu etliche Frauen, die er gesund gemacht hatte von bösen Geistern und Krankheiten,
nämlich Maria, genannt Magdalena, von der sieben Dämonen ausgefahren waren,
und Johanna, die Frau des Chuza, eines Verwalters des Herodes,
und Susanna und viele andere, die ihnen dienten mit ihrer Habe.      
(2)


3. Eine Liste von Namen

Eine Liste von Namen.
Namen von Frauen, die sich auf den Weg machen.
Die sich nicht aufhalten und nicht abhalten lassen.

Ich stelle mir vor, mein Name stehe in der Liste.
Der Liste der Freundinnen Jesu. Der Liste des Lebens.
Mein Name und der meiner Mutter: Hedi.
Und der meiner Großmutter. Ich habe sie nie kennengelernt.
Aber ich weiß, dass sie 4 Töchter und 1 Sohn großgezogen hat
und sie weigerte sich, das Mutterkreuz der Nazis anzunehmen.
Ja, ich stelle mir vor, ihr Name stünde in der Liste: Erna.
Und der meiner Schwester: Sibylle.
Und mein Name.
Und die Namen der Großmütter der Großmütter.
Und der Name meiner Tochter: Nele.
Und der Name meiner Schwiegertochter: Maddie.
Und vielleicht der Name meiner Enkelin,
von der ich noch nichts weiß und ob sie mal geboren wird.
Namen, die ich nicht mehr weiß. Und Namen, die ich noch nicht weiß.
Sie stünden in der Liste des Lebens und des Aufbrechens.
In der Liste der Freundinnen Jesu.
Zusammen mit  Maria, genannt Magdalena.
Mit Johanna.
Und Susanna.
Eine Liste, so lang wie von hier bis zum Mond und zurück.

4.  Den gefallenen Helden

Bis vor kurzem standen im allgemeinen nur Männer in Listen.
Zum Beispiel so:
Weltkrieg 1914 bis 18:
Den tapferen Söhnen in Dankbarkeit
Unseren gefallenen Kameraden
Den gefallenen Kriegern
Den gefallenen Helden
In ehrendem Andenken


Und auch die Bibel verfährt so:
Noah, Abraham, Ismael, Isaak.
Sie sind die Söhne von Vätern. Und sie sind die Väter von Söhnen.
Frauennamen? Fehlanzeige. Frauengeschichten? Am Rand.
Wenn sie da sind, dann halb vergessen.
Oder wisst ihr, wie die von Abraham und Sarah verstossene Hagar in der Wüste Gott nennt?
Oder kennt ihr die Namen der beiden Hebammen, die den Pharao austricksten?
Nein?

5. Zwinkern zwischen den Buchstaben

Aber heute - am Weltfrauentag - lesen wir sie laut,
die vergessenen und überlesenen Namen, wenigstens ein paar:
Maria, genannt Magdalena.
Johanna, Frau des Chuza.
Susanna und die anderen.
Hinter dem Schleier der Buchstaben und der Jahrhunderte zwinkern sie mir zu.

Sie dienten Jesus mit ihrer Habe.
So Luther übersetzt und dabei wahrscheinlich an reiche Frauen mittleren Alters gedacht,
die in ihren Häusern blieben und an ihrem Platz.
Und die - so meinte er wohl - unterstützen Jesus und die Männer um ihn hauptsächlich finanziell.
Tatsächlich aber bedeutet das griechische Wort ὑπαρχόντων
nicht nur finanziellen, materiellen Besitz.
Es meint alles, was ein Mensch hat und kann. (3)
Sie dienten Jesus mit allem, was sie hatten und was sie konnten.

Und sie zogen mit ihm. Durch Städte und Dörfer.
Durch Judäa und Galiläa. Sommers und Winters.
Sie schliefen unter dem Sternenhimmel. Mit Blick auf den großen Wagen und Kassiopeia.
Sie aßen sich satt in den Häusern der reichen Zöllner.
Sie sahen, wie Jesus sich Feinde machte und Freunde.
Hörten, wie die Blinden schrieen, wenn er ihr Dorf betrat.
Und sie saßen neben Jesus im Staub des Feldes, auf dem er redete vom Himmelreich.

6. Die Männer hinter und vor den Frauen

Was ist mit den Männern? Denke ich.
Chuza, der Verwalter des Herodes, zum Beispiel?
Hatte er genug Personal, um ohne seine Ehefrau Johanna zurecht zu kommen?
Wer legte nun seine Socken zusammen?
Und wer erinnerte ihn an den Geburtstag seiner Mutter?
Wer kümmerte sich um die Kinder, während Johanna mit Jesus um die Häuser zog?
Oder hatte sie die Kinder einfach mitgenommen?

Was ist mit den Männern? Denke ich.
Mit Petrus, Andreas, Johannes und den andern Jüngern?
Was dachten sie über Maria, genannt Magdalena? Später genannt die große Sünderin?
7 böse Geister hatte Jesus aus ihrem Frauenkörper vertrieben.
Ob die Männer es ihr noch ansahen? Und ob sie es ihnen ansah, dass sie es ihr ansahen?

7. Zeuginnen des Lebens

Maria, genannt Magdalena.
Johanna, Frau des Chuza.
Susanna und die anderen.
Ein paar Bibelseiten weiter stehen sie auf dem Berg des Todes
und sehen, wie Jesus ermordet wird.
Ein paar Bibelseiten weiter haben sie keine Tränen mehr,
ausgeweint am Kreuz und auf dem Friedhof.

Maria, genannt Magdalena.
Johanna, Frau des Chuza.
Susanna und die anderen.
Ein paar Bibelseiten weiter  sagt einer zu ihnen:
Fürchtet euch nicht. Am dritten Tage ist er auferstanden.

Maria, genannt Magdalena.
Johanna, Frau des Chuza.
Susanna und die anderen.
Ein paar Bibelseiten weiter sind sie die Zeuginnen des Lebens.
Apostelinnen, die nie jemand so genannt hat.
Noch ein paar Bibelseiten weiter sind sie fast vergessen.
Und ein paar Kirchenjahrhunderte später ist es, als hätte es sie nie gegeben.

8. Kommt her zu mir alle

Aber es hat sie gegeben und sie ist da, die Liste, und heute lesen wir sie laut.
Der Liste der Freundinnen Jesu. Die Liste des Lebens.
Ich stelle mir vor, mein Name steht da drauf und dein Name auch.
Und auch der von Hans und Michael –
mit den Frauen sind auch Männer unterwegs, ich will ja nicht so sein.
Unsere Namen stünden in der Liste.
In der Liste der Freundinnen und der Freunde Jesu. Freundinnen des Lebens.

Die Namen der Mütter der in Hanau erschossenen Jugendlichen stünden auch darauf. 
Und die der Frauen an der griechischen Grenze,
die alles aufgeben und versuchen um ihre Kinder in Sicherheit zubringen -
ohne gesehen zu werden.
Und die, deren Leben bedroht ist, weil sie diesen Frauen dort helfen.
Der Bundestag will von diesen Namen nichts wissen, sonst hätte er anders entschieden. (4)
(Ehrlich: ich schäme mich für unseren Bundestag!)
Aber Jesus sind ihre Namen nicht egal. Und mir auch nicht.
Und darum gehen Gott sei Dank Jünger und Jüngerinnen dorthin
und sie brauchen unsere Unterstützung.

Ja, sie alle gehören zur Liste der Freundinnen des Lebens.
Zusammen mit Maria, genannt Magdalena,
mit Johanna, Frau des Chuza
und mit Susanna und den anderen.
Zusammen mit den Namen von Sophie Scholl und Anne Frank,
von Angela Merkel und Greta Thunberg
und denen von Yoko Ono und Whoopi Goldberg und allen, die einen Pussyhat aufsetzen.
Ein Liste, so lang wie von hier bis zum Mond und zurück.

Unsere Namen stünden in der Liste.
Weil wir alle dem Leben dienen,
mit dem was wir haben und was wir können und was wir sind.
Wir sind nicht perfekt. Auch wir machen Fehler.
Auch wir sind manchmal auf dem falschen Weg.
Aber Jesus sagt zu uns:
Kommt her zu mir – alle. Grad wie ihr seid.
Mit Kind im Arm und Kind im Herzen.
Mit Falten am Hals und Metastasen in der Brust.
Mit zerschrammtem Herzen und 7 bösen Geistern und einem schlechtem Gewissen.
Und mit Schulden bei der Bank und auf der Seele.
Kommt her zu mir – alle. Grad wie ihr seid.
Und folgt mir nach.
Eure Namen werden nicht vergessen.
Amen.

(1) https://thehill.com/blogs/blog-briefing-room/news/456077-viral-photo-shows-elizabeth-warren-doing-pinky-promise-with
(2) Lukas 8,1-3
(3) Bibel in gerechter Sprache, S. 2316
(4) https://www.spiegel.de/politik/deutschland/bundestag-lehnt-aufnahme-von-5000-fluechtlingen-aus-griechenland-ab-a-75d31458-676a-4b5e-9159-e408d21adb32?fbclid=IwAR1LB5D7-TdttkgtPzIc58axGxKuRTgbNfp3___1Lt9A5FTHCniOAhWw18w