Sonntag, 16. September 2018

Das Trotzdem buchstabieren. Da kommt noch was.

Predigt zu Apostelgeschichte 12,1-11 

Mit großem Dank an Anne Gidion (1), Friederike Goedicke (2) und Michael Greßler (3) für das Zuverfügung stellen von Worten (4).

(Als Lesung wurde die Auferweckung des Lazarus gelesen (Johannes 11))

Um diese Zeit legte der König Herodes Hand an einige von der Gemeinde,
sie zu misshandeln.
Er tötete aber Jakobus, den Bruder des Johannes, mit dem Schwert.
Und als er sah, dass es den Juden gefiel, fuhr er fort
und nahm auch Petrus gefangen.
Es waren aber eben die Tage der Ungesäuerten Brote.

Als er ihn nun ergriffen hatte, warf er ihn ins Gefängnis
und überantwortete ihn vier Abteilungen von je vier Soldaten, ihn zu bewachen.
Denn er gedachte, ihn nach dem Passafest vor das Volk zu stellen.
So wurde nun Petrus im Gefängnis festgehalten;
aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott.

Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte,
schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt,
und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis.
 

Und siehe, der Engel des Herrn kam herein und Licht leuchtete auf in dem Raum;
und er stieß Petrus in die Seite und weckte ihn und sprach:
Steh schnell auf! 

Und die Ketten fielen ihm von seinen Händen.
Und der Engel sprach zu ihm: 

Gürte dich und zieh deine Schuhe an!
Und er tat es.
Und er sprach zu ihm: Wirf deinen Mantel um und folge mir!
Und er ging hinaus und folgte ihm
und wusste nicht, dass das wahrhaftig geschehe durch den Engel,
sondern meinte, eine Erscheinung zu sehen.
Sie gingen aber durch die erste und zweite Wache
und kamen zu dem eisernen Tor, das zur Stadt führt;
das tat sich ihnen von selber auf.
Und sie traten hinaus und gingen eine Gasse weiter,
und alsbald verließ ihn der Engel.
 

Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach er:
Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt
und mich aus der Hand des Herodes errettet hat,
und von allem, was das jüdische Volk erwartete.

(Apostelgeschichte 12,1-11)

I.
„Wir wurden in unterirdische Zellen gesperrt,
gemeinsam mit anderen Terrorverdächtigen.
Dort blieben wir 13 Tage.“

Peter Steudtner erzählt mit seinem schwedischen Kollegen Ali Gharavi von ihrer Gefangenschaft in der Türkei (5). Die beiden Menschenrechtler wurden zusammen mit anderen Aktivisten von einem Seminar abtransportiert. Einfach so.

„Die erste Woche teilte ich mir die Zelle mit mutmaßlichen IS-Anhängern.
Es waren gläubige Menschen, sie beteten, rezitierten den Koran.
In der zweiten Woche kamen Gefangene dazu, von denen es hieß,
sie würden den Prediger Fethullah Gülen unterstützen;
es waren Professoren und Anwälte.
(...)
Dort brannte das Licht die ganze Zeit.
Ich habe in den zwei Wochen auf der Polizeistation so gut wie nicht geschlafen,
auch weil ich Angst hatte, dass man uns Gewalt antun würde.“

II.
Jakobus wird umgebracht.
Einfach so.
Der König Herodes wollte es so.
Und das Volk hatte Spaß daran.
Sie werden dagestanden haben –
und sie haben gebrüllt und gejohlt und applaudiert.
»Die Christen müssen weg! –
Sie gehören nicht zu uns.«

Und weil manche Mächtige
den sogenannten »Volkswillen«
höher achten als das Recht,
macht Herodes weiter.
Der Beifall der Straße ist ihm sicher.
Jetzt ist Petrus dran.

III.
Und in jener Nacht, als ihn Herodes vorführen lassen wollte,
schlief Petrus zwischen zwei Soldaten, mit zwei Ketten gefesselt,
und die Wachen vor der Tür bewachten das Gefängnis.


Wie kannst Du schlafen, Petrus?
In Fesseln geht das doch nicht.
Bist Du erschöpft genug?
Wächter, Soldaten – da sind lauter Herodes-Leute.
Und Du kannst trotzdem schlafen?
Hast Du Schmerzen? Morgen ist der Tag. Morgen wirst Du vorgeführt.
Übst Du nicht, was Du sagen kannst?
Die Anklage steht. Wer wird Dich verteidigen?
Jacobus haben sie getötet, Deinen Freund.
Ohne Anklage, ohne Prozess, einfach so.
Die halten sich an gar nichts.
Das wird bei Dir nicht besser werden.
Wie kannst Du schlafen? Wie kannst du schlafen, Petrus?

IV.
Vielleicht wusstest du um die Gebete deiner Gemeinde.

die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu Gott

Da waren welche, die ließen dich, Petrus, nicht allein.
Waren bei dir im Gebet, im Lied.
Vielleicht haben sie dich umgeben wie einen Schutzmantel.
Oder wie eine Wolke, die dich zärtlich berührte.
Vielleicht waren sie das Kissen, auf das du deinen Kopf legtest.
Und gaben dir das Vertrauen zurück,
das bestimmt auch du in den dunkelsten Nächten verloren hast.

Peter Steudtner und sein Freund Ali Gharavi erzählen:
"Wir bekamen keine ausländischen Zeitungen,
wir hatten kein Fernsehen und kein Internet.
Aber wir konnten einmal die Woche eine Stunde lang mit unseren Anwälten sprechen -
auf diese Weise haben wir von der Solidarität der Menschen in Deutschland erfahren."
Und Steudtner ergänzt:
"Meine Berliner Kirchengemeinde hielt jeden Abend eine Andacht für mich ab.
Ich setzte mich zur selben Zeit in den Hof
und sang die Lieder, die sie auch sangen:
"Wachet und betet", "Der Himmel geht über allen auf", "We shall overcome“."

V.
Die Gemeinde in Jerusalem und die Gethsemanegemeinde in Berlin:
Sie haben einfach gebetet.
Immer wieder und immerzu.
Denn sie haben diesem Türen öffnenden Gott geglaubt.

Sie haben geglaubt:
Gott kann ein Volk durchs Meer führen.
Sie haben geglaubt:
Blinde sehen und Lahme können gehen,
Armen wird das Evangelium gepredigt,
und sogar Tote stehen auf.
Das geht! Wegen Jesus.

Sie haben Gottes Botschaft geglaubt, die heißt:
„Doch! Es geht anders!“
Gottes Geschichte mit der Welt ist noch nicht vorbei.
Gott ist da. Jetzt.

VI.
Ich kann das nicht immer glauben.
Die Wirklichkeit hält mich zu sehr fest.
Die Türen bleiben verschlossen. Ketten fallen nicht einfach ab.
Gespräche verstummen. Mächtige sind wie sie sind.
Und machmal brüllt das Volk hässlich auf der Straße,
Und ich kann nichts dagegen machen.
Und damals war es genauso:
Jakobus - tot. Petrus - im Gefängnis.

Manchmal bleiben mir die Worte im Hals stecken, Gott.
Es reicht dann nur für ein stummes Kyrie.

Und ich frage Gott: Müsste nicht alles viel einfacher sein?
Mit deinen Heerscharen von Engeln, mit Wundern und überhaupt?

Ich wünsche mir einen Engel, der meine Nacht hell macht.
Einen Engel für jeden, schon bei der Geburt an die Seite gestellt.
In vertrauter Gestalt, wie man zu Petrus Zeiten glaubte.
Kein Schutzengel, aber ein Begleiter – vom Höchsten persönlich.

Einen Engel, der „Fürchte dich nicht sagt“.
Und dabei auch die Hassenden überzeugt.
Ketten löst, Aufbrüche vorbereitet, ans verschont werden erinnert.

Einen Engel, der die Sehnsucht nach Frieden stärkt.
Hühnersuppe kocht und Kranke pflegt.
Nach einem, der Pause drückt, wenn mir alles zu viel wird.
Beim Aufstehen hilft.
Und mitten in der Woche Blumen vorbei bringt.
Und Träume wahr werden lässt.

VII.
Ja, Gott: Auferstehung, mittendrin, versprichst du.
Dass die Liebe größer ist als aller Hass.
Und dass der Tod keine Macht hat.
Lazarus. Er steht auf. Lebt.
Petrus vertraut dem Wort, folgt dem Engel und kommt frei.
Beide Geschichten erzählen von deiner Art, „schon jetzt“ zu sagen,
Sie buchstabieren dein Trotzdem.
Und ich bin mittendrin mit meinem Kleinglauben.

Ich möchte glauben.
Engel stoßen Türen auf.
Wolken tragen durchs Leben.
Gefangene kommen frei.
Flüchtlinge finden Heimat.
Träume werden wahr.
Und der Ängstliche findet den Mut wieder.

VIII.
…Und als Petrus zu sich gekommen war, sprach er:
Nun weiß ich wahrhaftig, dass der Herr seinen Engel gesandt
und mich aus der Hand des Herodes errettet hat,
und von allem, was das jüdische Volk erwartete.


Dein Traum ist Wirklichkeit geworden, Petrus.
Fühlst du dich wie Peter Steudtner nach seiner Freilassung?
„Ich bin glücklich, frei zu sein, meine Liebsten,
meine Familie wieder um mich zu haben.
Gleichzeitig bin ich nach wie vor unruhig.
Der Prozess gegen uns geht ja weiter.
Acht meiner Mitangeklagten leben in der Türkei.“

Ja, auch du, Petrus, weißt, dass nun nicht einfach alles gut ist.
Du und deine Schwestern und Brüder, ihr wurdet ja weiter verfolgt.
Aber du hast ihn gespürt: den Engel Gottes bei dir.
Die Gebete haben dich umhüllt.
Und darum bist du frei. Sogar mit Fesseln.

IX.
Ich möchte glauben wie Petrus.
Ich möchte das Trotzdem buchstabieren, das Gott der Welt entgegenstellt.
Und es tut mir gut, dass ich mit meinem Kleinglauben nicht allein bin.
Dass wir hier sind und beten.
Für uns und für die in den Gefängnissen und Lagern.

Und ich hoffe und erflehe,
dass Gott Engel schickt.
Die öffnen Türen und singen „we shall over come".
Himmlische Heerscharen und irdische Helferinnen.
Schon jetzt.
Betend. Schweigend. Tröstend.
Backend, wenn nichts mehr geht.
Brote schmierend und Wunder organisierend.

Mit diesen Engeln widerspreche ich dem Hass und der Hetze, in Jesu Namen.
Mit ihnen ist mein Trotzdem stärker als mein Kleinglaube.
Und sie flüstern mir beharrlich zu:
Probier es nochmal.
Du darfst hoffen. Da kommt noch was.
Und dann stehe ich auf.
Vom Sofa, vom Boden, ja sogar aus dem Grab.
Trotzdem.

X.
Ja, ich glaube:
Wir sind nicht allein auf der Welt.
Gott schickt tatsächlich Engel.

Gott schickt sie zu den Menschen früher.
Und heute.
Zu denen, die zu fragen wagen.
Und auch denen, die niemandem mehr trauen.
Engel, die in Gefängnisse kommen,
auf Konzerten mitsingen
und gegen das Ertrinken demonstrieren.
Engel, die zeigen wie Freiheit aussehen kann.
Die Licht mitbringen, wo es am dunkelsten ist.
Und uns erlauben, uns an Jesus zu klammern, wie an einen Strohhalm.

Mit diesen Engeln werden wir selber Licht sein.
Singen mit Peter Steudtner „We shall over come“.
Und wir ziehen uns mit Petrus die Schuhe an.
Und stehen auf.

Wir treten ins Freie und wissen:
Hier ist unser Platz. Gehen wir weiter.
Und unsere Gebete verändern die Welt.
Amen.

(1) Von Anne habe ich die wunderbare Passage von Teil III bekommen.

(2) Von Friedericke kommen besonders die Teile mit den Engeln, sowie der wunderbare und beflügelnde Gedanke des buchstabierten "Trotzdem"s...

(3) Von Michael kommen vor allem die Worte von Teil II.

(4) Alle drei haben selber wunderbare Predigten zu Apostelgeschichte 12 geschrieben und gehalten. Wir stellen uns regelmäßig unsere Texte zur Verfügung. Zum Teil hatte ich selber zunächst die Passagen formuliert, fand dann aber die meiner Freund*innen so viel besser, dass ich sie mit einbaute oder auch umwandelte. So ist was ganz Neues entstanden. Eine immer wieder faszinierende Erfahrung von Predigtwerkstatt, für die ich sehr dankbar bin.

(5) Die Zitate von Steudtner und Gharavi sind dem SPIEGEL-Interview mit den beiden entnommen (http://www.spiegel.de/spiegel/peter-steudtner-und-ali-gharavi-berichten-ueber-ihre-haft-in-der-tuerkei-a-1176415.html)