Montag, 8. November 2021

Mit dir den Frieden leben

Predigt zu Micha 4, 1-5

I.
Aus dem Buch des Propheten Micha:

Am Ende der Tage wird es geschehen:
Der Berg mit dem Haus des Herrn steht felsenfest.


Am Ende der Tage wird es geschehen:
Meine Träume werden wahr.
Nichts kann mich dann noch umwerfen.
Felsenfest ist endlich mein Glaube, dass diese Welt eine gute Zukunft hat.
Wenn ich dann bete, bin ich mir sicher, dass Gott mich hört.
Am Ende der Tage gibt es CO2-freie Flugzeuge, die mir erlauben, ohne schlechtes Gewissen zu fliegen.
Und die Ärztinnen wissen, wie sie den Krebs besiegen.
Am Ende der Tage ist mir egal, wenn andere über mich urteilen.
Denn ich weiß dann auch tief in mir drin, dass ich geliebt bin. So wie ich bin.
Am Ende der Tage…

II.
Der Berg mit dem Haus des Herrn steht felsenfest.
Er ist der höchste Berg und überragt alle Hügel.

Ich gehe auf den Wallberg und schaue auf die Stadt.
Ich sehe den Stadtkirchenturm und das Rathaus.
Die Spitze vom Zeltdach der Thomaskirche.
Die Hinterhöfe in der Weststadt und die Hochhäuser vom Haidach,  
die bunten Blätter vom Büchenbronner Wald.
Ich stehe auf dem Wallberg und unter meinen Füßen sind die Trümmer der Stadt,
die Trümmer einer Nacht voller Bomben,
eines Krieges, der nicht nur die Gebäude zerstört hat.
Trümmer einer Generation, die den Krieg bejubelt hat und dann seine Opfer beweinte.
Nun überragt der Wallberg alle Hügel.
Wenn ich dort stehe, schaue ich weit.
Und ich wünsche mir, dass wir alle noch viel weiter sehen.
Bis an das Ende der Tage.
Damit wir wissen, was wir jetzt zu tun haben.

III.
Dann werden die Völker zu ihm strömen.
Viele Völker machen sich auf den Weg und sagen:
Auf, lasst uns hinaufziehen zum Berg des Herrn,
zum Haus, in dem der Gott Jakobs wohnt!
Er soll uns seine Wege weisen.
Dann können wir seinen Pfaden folgen.


Am Ende der Tage suche ich mit dir gemeinsam danach, was für die Welt gut ist.
Statt aufeinander einzudreschen.
Statt sich auszustechen oder auf das eigene Recht zu pochen.
Gemeinsam tun wir alles dafür, dass CO2 eingespart wird. Und zwar richtig.
Gemeinsam - alle Staaten der Welt - retten wir Flüchtlinge in Seenot.
Bringen sie unter und geben ihnen eine neue Heimat.
Ja, wir tun uns zusammen, damit alle genug zum Leben haben.
Muslime und Jüdinnen, Christinnen und Jesiden, Gläubige und Nichtgläubige.

Am Ende der Tage gibt es keine falschen Propheten mehr.
Keine, die wie vor über 80 Jahren einen „gesunden Volkskörper“ propagieren.
Keine, die Synagogen, Moscheen und Kirchen schänden.
Und keine, die zwischen wertem und unwertem Leben unterscheiden.

Am Ende der Tage lebe ich mit dir den Frieden
und für mich riecht er nach Rosen und Lavendel, nach Zitrone und Thymian.

IV.
Auf, lasst uns hinaufziehen zum Berg des Herrn,
denn vom Berg Zion kommt Weisung.
Das Wort des Herrn geht von Jerusalem aus.
Er schlichtet Streit zwischen vielen Völkern.
Er sorgt für das Recht unter mächtigen Staaten, bis hin in die fernsten Länder.


Am Ende der Tage wird das Recht wiederhergestellt.
Wie bei Malala, Friedensbotschafterin der UN, 24 Jahre alt.
Als  Schülerin in Pakistan schrieb sie in ihrem Blog davon,
dass auch sie das Recht habe, in die Schule zu gehen.
Sie hatte vom Tagebuch der Anne Frank gehört und ihre Wünsche und Träume veröffentlicht.
Die Taliban versuchten sie zum Schweigen zu bringen und schossen ihr in den Kopf.
Aber sie wurde gerettet - in England. Und sie ist nun lauter als je zuvor.

Am Ende der Tage wird das Recht wieder hergestellt.
Und ich bin froh, dass Gott es immer wieder tut.

V.
Dann werden sie Pflugscharen schmieden aus den Klingen ihrer Schwerter.
Und sie werden Winzermesser herstellen aus den Eisenspitzen ihrer Lanzen.


Manchmal scheint das Ende der Tage nah.
Wie in den 80er Jahren:
In Westdeutschland große Friedensdemos gegen die Aufrüstung der Supermächte.
Blockaden vor Mutlangen und Sitzwachen in Heidelberg.
In Ostdeutschland musste man subtiler vorgehen:
Schwerter zu Pflugscharen - einst von den Sowjets vor das UNO-Gebäude gestellt.
Nun als Protestzeichen gegen die Wehrerziehung und das Säbelrasseln, aufgenäht auf Jacken.
"Schwerter zu Pflugscharen" ging um die Welt.

Nach dem Fall der Mauer war die Hoffnung groß:
Der kalte Krieg hat sich endgültig erledigt, hoffte man.
Die großen Mächte der Welt haben doch nun verstanden,
dass ein Krieg mit den heutigen Waffen für alle tödlich wäre - für alle.
Es wurden sogar Abrüstungsvereinbarungen getroffen.
Schwerter zu Pflugscharen.

Und doch rasseln sie weiter mit den Säbeln und nicht mit den Winzermessern.
Russland und Weißrussland, Afghanistan und Sudan.
Und immer wieder Israel und Palästina,
ausgerechnet dort, worauf der Prophet Micha all seine Hoffnung setzt.

Wie lange dauert es noch bis zum Ende der Tage?

VI.
Dann wird es kein einziges Volk mehr geben,
das sein Schwert gegen ein anderes richtet.
Niemand wird mehr für den Krieg ausgebildet.


Malala überlebte die Schüsse und vor allem ein Satz von ihr ist um die Welt gegangen:
„Ein Kind, eine Lehrkraft, ein Stift und ein Buch können die Welt verändern“.
Die Unesco gründete den Malala-Fond.
Der soll weltweit das Recht auf Bildung durchsetzen.
Schwerter zu Schreibstiften und Büchern.
Am Ende der Tage gibt es keine Waffenexporte mehr, sondern Stiftexporte.

Vielleicht findest du das naiv?
Damit bist du nicht allein.
Und auch mir fehlt oft die Phantasie, ob es wirklich anders gehen kann.
Ob es wirklich eine Welt ohne Schwerter und Panzer geben wird.
Aber es gibt Menschen, die darüber intensiv nachdenken.
Sie entwickeln Szenarien wie es uns gelingen kann, ohne eine Armee zu existieren.
Sicherheit neu denken - sagen sie. (1)
Sie sagen: Für den Frieden brauchen wir keine Waffen,
sondern Bildung und die gerechte Verteilung von Wasser und Energie.
Wir brauchen echte und viele Gespräche - auch zwischen den Religionen - und gute Justizgerichte.
Eine Weltgemeinschaft, die Polizisten schickt und keine Soldaten.
Alles das und viel mehr - aber es geht. Sagen sie.
Nicht erst am Ende der Tage.

Und ja, ich will ihnen glauben. Diesen Propheten des Friedens.
Vielleicht spricht Micha aus ihnen?

VII.
Jeder wird unter seinem Weinstock sitzen und unter seinem Feigenbaum.
Niemand wird ihren Frieden stören.


Am Ende der Tage wird niemand unseren Frieden stören.
So soll es sein.

Wie wär es?

Auf dem Marktplatz wird getanzt - zu Gitarre und Geige, Trommeln und Gesang.
Kebba, der hier vor einer Woche in der Stadtkirche war, tanzt mit.
Er ist aus Gambia hierher geflohen und hat nun einen Ausbildungsplatz.

Die wenigen (!) Autos auf den Straßen sind so langsam,
dass jedes Kind die Straße alleine überqueren kann.
Überall Blumen. Und Lebensmittel werden nicht weggeworfen, sondern geteilt.
Die Synagoge braucht keinen Polizeischutz mehr, weil es niemanden mehr gibt, der sie bedroht.

Auf dem Lindenplatz spielen wir zusammen Boccia.
Wir ärgern uns nicht über die Kreidemalereien auf der Turmwand,
sondern malen zusammen mit den Kindern Blumen und Schmetterlinge.
Der nächste Regen wischt sie wieder ab.

Und dann gehen wir auf den Wallberg, unseren Berg Zion, und schauen auf die Stadt.
Unter unseren Füßen die Trümmer des Krieges.
Und wir wissen, dass wir den Frieden gelernt haben und niemand kann ihn uns wegnehmen.
Weil wir dort gemeinsam stehen und wissen, dass wir uns brauchen.
Ja, wir - verschiedene ganz unterschiedliche Menschen.
Gläubige und Nichtgläubige, Muslime, Jesidinnen, Jüdinnen, Christen.

VIII.
Am Ende der Tage wird es geschehen:
Aus Kriegsschiffen werden Rettungskreuzer, aus Landminen Bleistiftminen.
CO2-freie Flugzeuge lassen uns die Welt entdecken.
Wir lernen, weil wir lernen wollen - so wie wir sind.
Und wir leben den Frieden.
Für mich riecht er nach Rosen und Lavendel, nach Zitrone und Thymian.

Den Frieden leben - ich fang schon mal damit an.

Denn der Herr Zebaot hat es so bestimmt.
Noch rufen viele Völker, jedes zu seinem eigenen Gott.
Wir aber leben schon heute im Namen des Herrn, unseres Gottes,
für immer und alle Zeit.


Amen.

(1) https://www.sicherheitneudenken.de/

Dienstag, 2. November 2021

Wir lassen keine Menschen ertrinken

 

Beitrag zum Reformationsgespräch 2021

Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.
Das ist kein Satz aus der Bibel, sondern aus einer Predigt von Sandra Bils.
Und ich stimme ihm uneingeschränkt zu.
Wir Christen und Christinnen können doch gar nicht anders als zustimmen.

Warum?
Ich glaube, jede Christin, jeder Christ kennt die Geschichte vom barmherzigen Samariter (1).
Sie gehört sozusagen zu unserer DNA.
Der Samariter zieht den unter die Räuber gefallenen aus dem Graben,
und versorgt ihn so gut, dass er wieder gesund wird.
Dabei fragt er nicht, warum er die gefährliche Straße gegangen ist,
was er vorher gemacht hat, was er glaubt und woher er kommt.
Er tut es einfach. Aus Nächstenliebe.

Seenotrettung ist ein Akt der Nächstenliebe.
Menschen in Not zu helfen - das gehört zu unserem Auftrag als Christen und Christinnen.
Geh hin und tu desgleichen, sagt Jesus zum Schriftgelehrten.

Menschen in Not zu helfen - das ist ja Aufgabe von eigentlich allen Menschen.
Und ja, es ist deshalb im Grunde eine staatliche Pflicht.
Aber die europäischen Staaten erfüllen diese Pflicht nicht.
Und solange sie das nicht tun, braucht es die zivile Notrettung.
Wir können uns nicht zurücklehnen und sagen: das sollten andere machen, nicht wir.
Der Samariter sagt ja auch nicht: das soll der Rabbi oder der Levit machen. Nicht ich.
Er tut es einfach. Er rettet.

Er rettet damit nicht die Welt.
Und das tun wir auch nicht, wenn wir ein Schiff ins Mittelmeer schicken.
Wir retten nicht die Welt. Wir lösen damit nicht das Problem der Flüchtlingsströme.
Aber wir retten Menschen. Von Gott geschaffene, von Gott geliebte Menschen.

Die schwangere Frau, die ihr Kind in einem sicheren Land zur Welt bringen will.
Der Vater, der seinen Kindern eine Zukunft schenken möchte.
Der Sohn, der von seiner Familie nach Europa geschickt wird, damit wenigstens er überleben kann.

Menschen, die lieben.
Menschen, die weinen und lachen.
Menschen mit einer Geschichte und hoffentlich mit einer Zukunft.
Menschen, die es wert sind, ein gutes Leben zu haben.
Und wir fragen nicht, ob sie die Rettung verdient haben oder nicht.
Spätestens seit der Reformation fragen wir nicht mehr, ob eine Rettung verdient ist oder nicht….

Erst letztens sagte wieder jemand zu mir:
Naja, Seenotrettung ja. Aber dann sollten sie wieder zurück geschickt werden.
Und ein anderer sagte:
Okay, Seenotrettung ja. Aber doch nicht die Wirtschaftsflüchtlinge.
Und ein Gemeinderat sagte: Seenotrettung ja, aber bitte nicht nach Pforzheim holen (2).
Lauter Ja-Aber-Sätze, Seenotrettung? ja, klar - aber….

Mal abgesehen davon, dass Libyen eben kein sicheres Land ist,
wohin man Geflüchtete zurück schicken kann -
und abgesehen davon, dass es bei der Rettung nicht darauf ankommt, warum jemand in Gefahr ist, -
bei solchen Ja-aber-Sätzen kommt mir Paulus in den Sinn.
Ich glaube, der kann ja-aber-Sätze genauso wenig leiden.

Paulus  hat ein Lied geschrieben. Das fängt so an:
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht,
so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.
(3)

Vielleicht müsste es heute anders weitergehen:

- Wenn ich das beste Grundgesetz der Welt hätte und hätte der Liebe nicht,
weil ich meine, dass es nicht für alle gilt, dann wäre es das Papier nicht wert.
- Wenn ich Recht hätte mit meiner Meinung,
dass die Menschen, die fliehen, nicht verfolgt würden, sondern „nur“ Hunger litten -
und ich hätte der Liebe nicht und lasse sie deshalb im Stich, so wäre dieses Rechthaben nichts nütze.
- Wenn ich mir allen Wohlstand erarbeitet hätte und hätte der Liebe nicht, um diesen Wohlstand zu teilen, so wäre ich arm.

Wir haben aber die Liebe. Denn wir sind geliebt.
Und wir fragen nicht, ob jemand die Liebe verdient hat.
Auch die geflüchtete schwangere Frau ist von Gott geliebt. Ist genauso wertvoll wie ich.
Und das gilt auch für den Vater und für den Sohn.
Jeder Mensch ist wertvoll.

Und deshalb lassen wir keine Menschen ertrinken.
Sondern wir geben ihnen, was sie brauchen. Nämlich das Leben.
Und wenn das niemand sonst tut, muss das eben die Kirche tun.
Ohne wenn und aber.
Punkt.

(1) Lukas 10, 25 - 36
(2) https://bnn.de/pforzheim/pforzheim-als-sicherer-hafen-fuer-fluechtlinge-afd-und-uwe-hueck-kritisieren-katja-mast   
https://seebruecke.org/sichere-haefen
(3) 1. Korinther 13