Sonntag, 24. Dezember 2017

Risse heilen und zuhause sein

Predigt zu Heiligabend 2017 
(zu Hesekiel 37,24-28)

I.
Wohnen will ich bei dir.
Spricht der Ewige.
Und er steht vor meiner Tür.
Ich will bei dir einziehen, sagt er.
Ein Dach über den Kopf.
Ein Bett wäre gut. Mit einer Decke und einem Kissen.
Ich weiß, ich hab dich nicht gefragt.
Und ich sehe dir an, dass du noch nicht weißt, was du davon halten sollst.

Du hast noch das Geschirrtuch in der Hand.
Und schaust etwas überrascht.
Dein Blick schweift durch deine Wohnung.
Aufgeräumt hast du auch nicht.
Aber glaube mir. Das macht nichts.

Ja, ich will bei dir wohnen, sagt er. Heute nacht.
Und nicht nur für ein paar Tage.
Dein ganzes Leben lang und mehr.
Und ich weiß, dass bei dir Platz genug ist.
In deinem Herzen.

II.
Wohnen will ich bei dir.
Ich setze mich an deinen Tisch.
Du holst 2 Gläser und schaust mal eben, was du da hast.
Tee oder Wein. Ach, einfach Wasser tut es auch.
Komm, setz dich und erzähl von dir.

Erzähl mir davon, wie du jeden Tag auf das Geräusch vom Schlüssel gewartet hast.
Früh am Abend.
Dann bist du zur Tür gerannt und hast dich in die Arme von deiner Mutter geworfen.
Endlich war sie wieder zuhause. Nach einen langen Arbeitstag.
Müde sah sie aus. Aber auch glücklich dich zu sehen.
Ich war übrigens dabei. Aber ich glaube, du hast das nicht wirklich gemerkt.

Erzähl mir, wie ihr Sonntags in Barmbek zum Bahnhof gerannt seid,
um zum Onkel nach Othmarschen zu fahren - ans andere Ende der Stadt.
Lachend und außer Atem habt ihr euch in Sitze geschmissen.
Dann die Skatkarten rausgeholt und die 45 Minuten Skat gespielt.
Du, dein Bruder und deine Mutter.
Du hast dich darauf gefreut, viel mehr als auf das Essen beim Onkel.
Fast wie ein Zuhause, diese Bummelstrecke quer durch Hamburg
Ich bin immer mitgefahren. Und bin da übrigens auch gerne.

Erzähl mir davon, dass es dir nicht schnell genug gehen konnte,
von Zuhause wegzuziehen.
Und du hast dich so geschämt deswegen.
Denn es ist doch dein Zuhause gewesen.
Aber irgendwann war es an der Zeit, dass du gehen musstest.
Trotzdem bleibt da dieses „Ich habe etwas verloren-Gefühl“.
Ein haarfeiner Riss in der Seele.

Erzähle mir davon, dass du keine Lust hattest,
wieder in das alte Zuhause in Barmbek zu fahren.
Selbst an Weihnachten nicht.
Es war dir zu eng geworden.
Und in die alte Rolle wolltest du auch nicht mehr schlüpfen.
Und doch:
der Geruch in der Küche, der nach Zimt und Rotkohl und Kaffee,
der machte auch dein Herz wieder warm.

Und ja, erzähle mir davon,
wie du 8 Stunden mit dem Zug durch die Bundesrepublik gefahren bist,
um dich von deiner Mutter zu verabschieden.
Vom Bodensee nach Hamburg.
Die längsten 8 Stunden deines Lebens.
Du wusstest nicht, ob sie noch so lange warten konnte.
Und dann warst du bei ihr. Bruder und Schwester auch.
Und ich war auch da.
Und sie atmete noch
und war doch schon längst auf dem Weg in ein ganz anderes Zuhause.
Ja, sie durfte gehen.
Aber doch ist da was verloren für dich.
Ein Zuhause weniger.
Ein Riss in der Seele mehr.

III.
(Hesekiel 37, 24 - 28:
Mein Knecht David soll ihr König sein
und der einzige Hirte für sie alle.
Und sie sollen wandeln in meinen Rechten
und meine Gebote halten und danach tun.
Und sie sollen wieder in dem Lande wohnen,
das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe,
in dem eure Väter gewohnt haben.
Sie und ihre Kinder und Kindeskinder sollen darin wohnen für immer,
und mein Knecht David soll für immer ihr Fürst sein.
Und ich will mit ihnen einen Bund des Friedens schließen,
der soll ein ewiger Bund mit ihnen sein.
Und ich will sie erhalten und mehren,
und mein Heiligtum soll unter ihnen sein für immer.
Meine Wohnung soll unter ihnen sein,
und ich will ihr Gott sein,
und sie sollen mein Volk sein,
damit auch die Völker erfahren,
dass ich der Herr bin, der Israel heilig macht,
wenn mein Heiligtum für immer unter ihnen sein wird.


IV.
Wohnen will ich bei dir,
du mit deinen Rissen in der Seele und der Wärme im Herzen.
Ich komme zu dir und bin einfach da, sagt er.
Da, wo du lebst und liebst, weinst und lachst.
Du bist mein Zuhause. Ein anderes will ich nicht.
Und ich zeichne die Risse in deiner Seele nach und füge sie zusammen.
Sie werden immer sichtbar sein. Sie gehören ja zu dir.
Aber sie tun nur noch manchmal weh.

V.
Meine Wohnung bist du.
Ich wohne dort, wo es Risse gibt und Kratzer.
Und auch wo ein Mensch nicht weiter weiß.
Ich wohne in einem Stall mit lauter Tieren.
Dort komme ich zur Welt.
Bei einer jungen Frau und einem Mann, die im Niemandsland gelandet sind.
Und die flüchten müssen in ein anderes Niemandsland.
Und da sind noch andere dabei, die nichts zu sagen haben.
Die machen einfach nur ihre Arbeit auf dem Feld.
Und die Risse in ihrer Seele haben sie mitgebracht.
Ja, und hier im Stall mit dem Paar und dem Kind und den Tieren,
da spüren sie:
Sie sind mir so wichtig und so lieb, dass ich hier bin und hier wohne.
In diesem Stückchen Leben bin ich.
Im Atem der Tiere, die das Kind wärmen.
Und in der Liebe, die dieses Kind geschaffen hat.

VI.
Wohnen will ich bei dir.
Und dir erzählen von den anderen, wo ich auch wohne.
Von deiner Freundin, die sich von ihrem Mann getrennt hat, weil es nicht mehr ging.
Die Risse in ihrer Seele sind sehr groß.
Von Shawkat, der seine Familie nun kommen lassen kann,
aber dringend eine Wohnung sucht, damit sie auch alle Platz haben.
Und von den verzweifelten Flüchtlingen,
die in Libyen festsitzen und wie Sklaven gehalten werden.
Und wie sie Wärme deines Herzens brauchen.

VII.
Es sind zu viele Risse in der Welt.
Sie gehören geheilt.
Und danach sehnst du dich.
Nach Frieden und Geheilt sein.
Danach, dass alle ein Zuhause haben.
Und dass niemand heimatlos ist, auch nicht im Herzen.
Dieses Kind im Stall macht einen Anfang.
Es bringt die zusammen, die zerrissen sind:
Die Hirten und die Knechte und die Könige. Die Frau und den Mann.
Die Heimatlosen und die Angekommenen.
Ja, in diesem Anfang ist alles da.
Der Frieden, das Heilsein, alles das ist ganz klein da und ganz schwach.
Aber es ist da. Und es geht nicht wieder weg.
Es bleibt. Selbst der Tod kann es nicht vertreiben.

VIII.
Mein Kind.
Ich sitze an deinem Tisch, du hast das Geschirrtuch immer noch in der Hand.
Die Risse in deiner Seele - die betrachten wir beide liebevoll.
Wir zünden für sie eine Kerze an.
Sie feiern mit uns.
Das Heilwerden.
Das Wohnen in der Welt.
Wir sind beide daheim. Gott und Kind Gottes.
In dir sind wir zuhause.
Wir horchen auf den Schlüssel im Schloss,
wir spielen Skat in der Bummelbahn,
wir trauern zusammen.
Und wir wissen, dass das Zuhause da ist, wo die Risse wieder geheilt werden.
Auch heute abend.
Amen.

Sonntag, 10. Dezember 2017

Gott macht keine halben Sachen

Predigt zu Jesaja 35,3-10
2.Advent 2017 - Tag der Menschenrechte 

Der Gottesdienst wurde gemeinsam mit der Gruppe Amnesty Pforzheim und mit dem "Konfi-Club an der Stadtkirche" (= konfirmierte Jugendliche) gestaltet. Die Jugendlichen haben ein Gespräch zwischen 2 Engeln dargestellt, die sich über die Herkunft ihrer Engelsgewänder für Weihnachten unterhalten.*

I.
Maria muss aufpassen.
Eigentlich sollte sie sich freuen,
aber im Moment hat sie große Sorgen.
Noch darf niemand etwas wissen von dem Kind in ihrem Bauch.
Die Leute würden es nicht verstehen,
Naja, es ist unklar, wer der Vater ist.
Eine Schande ist das - das werden sie sagen.
Und das will sie nicht hören.

Aber auch sonst wird sie es geheim halten, solange es geht.
Denn wenn rauskommt, dass Maria schwanger ist,
Dann verliert sie sofort ihren Job –
in der Nähfabrik.
Normalerweise arbeitet sie dort zehneinhalb Stunden am Tag,
6 Tage die Woche, plus Überstunden.
Ob sie das überhaupt durchsteht im Laufe der Schwangerschaft?
Aber wer zu schwach für den Job ist, fliegt raus.
Ganz einfach.
Draußen warten schon hundert andere darauf, ihre Stelle einzunehmen.

Und das, obwohl es echt hart ist, dort zu arbeiten.
Während der Arbeit darf sie nicht mit Kolleginnen zu sprechen.
Sie sollen sich nicht gegenseitig ablenken.
Wenn man mal ehrlich ist, dann ist in der Fabrik eigentlich alles verboten.
Nicht einmal ein Bonbon dürfen die Frauen lutschen.
Und wer auf Toilette muss, braucht eine Erlaubnis.

Sie braucht den Job, besser den als keinen.
Sie braucht das Geld.
Aber die Chefs kümmert das nicht.
Sie werfen eine raus, wann immer sie wollen.
Wer krank wird oder aufmüpfig ist, muss sofort gehen.
Sonst wird die monatliche Quote nicht erreicht und der Profit nicht hoch genug.
Die großen Firmen aus Europa machen Druck.
Da bleibt keine Zeit für Gefühlsduseleien.
Nicht auszudenken,
wenn sie herausbekommen, dass Maria schwanger ist...

II.

(Jesaja 35,3-4:)
Stärkt die müden Hände
und macht fest die wankenden Knie!
Sagt den verzagten Herzen:
»Seid getrost, fürchtet euch nicht!
Seht, da ist euer Gott!
Er kommt zur Rache;
Gott, der da vergilt, kommt 

und wird euch helfen.«

III.
Hörst du das, Maria?
Du, Näherin in Bangladesch und in Kambodscha,
du Kind in den Minen von Kongo,
Hörst du das?
Stärkt die müden Hände!
Seht da ist euer Gott!
Er wird dir helfen.
Er tritt für dich ein, Maria,
und kämpft um deine Rechte.

Maria, du fragst vielleicht:
wo hilft er mir? Und wie?
Wie das Volk Israel damals erwartest du nicht mehr viel von Gott.
Wo ist denn dieser Gott? Ich sehe ihn nicht, sagst du.

Doch, Maria, er kommt.
Er ist schon zu sehen.
Er zeigt sich: im Kleinen, im Wenigen.
Und doch so wichtig und viel wirkungsvoller als wir denken.

Ja, er schreibt Briefe an deine Regierung
und nervt sie mit seinen Forderungen.
Und macht öffentlich, was mit dir passiert
und unter welchen Bedingungen du arbeiten musst.
Er sammelt Unterschriften
und er geht zu den Unternehmen.
Und er redet und redet
und tut alles dafür, dass wir hier umdenken.
Wir, die wir so reich sind
und 1 oder 2 € mehr für ein T-Shirt ausgeben können,
damit du wirklich was davon hast.

Ja, ich weiß, Maria,
das alles schafft nicht gleich den Himmel auf Erden.
Aber ich will mich anstecken lassen von diesem Gott.
Ich weiß, dass das, was ist, nicht alles sein kann.
Da ist mehr und es kommt mehr.
Eine andere Welt.
Eine gerechtere und eine liebevollere Welt.
Ja, dafür steht dieser Gott.
Und darum steht er zu dir, Maria,
und zu den anderen Näherinnen auch.

IV.
(Jesaja 35,5-7:)
Dann werden die Augen der Blinden aufgetan
und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch,
und die Zunge des Stummen wird frohlocken.
Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen
und Ströme im dürren Lande.
Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen,
und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein.
Wo zuvor die Schakale gelegen haben, 

soll Gras und Rohr und Schilf stehen.

V.
Gott macht keine halben Sachen.
Die Menschenwürde ist heilig.
Die Näherinnen bekommen so viel Geld für ihre Arbeit,
dass sie sich gesund ernähren können
und ihre Kinder in die Schule schicken können.
Niemand wird mehr sexuell belästigt.
Die Gefangenen der Terrorregime kommen frei
und es gibt keine Terrorregime mehr.
Gott macht keine halben Sachen.
Menschenrechte gibt es nicht im Sparangebot.
Oder nur scheibchenweise.
Sie gelten ganz.
Oder gar nicht.
Machen wir da mit?

VI.
(Jesaja 35,8:)
Und es wird dort eine Bahn sein
und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird.
Kein Unreiner darf ihn betreten;
nur sie werden auf ihm gehen;
auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren.


VII.
Shawkat hat in seiner Heimat Syrien Wirtschaftswissenschaften studiert.
Nur ein Semester fehlte noch - damals vor 2 Jahren.
Doch er erfuhr, dass sie ihn dann ins Militär einziehen würden.
Er flieht. Mit geliehenem Geld.
Und ohne seine Frau,
die war schwanger und konnte deshalb nicht mit.
Nun ist er hier.
Und kann seinen eigenen Sohn nicht aufwachsen sehen.
„In Deutschland klappt das mit dem Familiennachzug besser, als in anderen Ländern“,
hat man ihm damals gesagt.
Doch jetzt?
„Ich habe Pech gehabt“, sagt er.
Der Grund:
Im März 2016 wurde ein neues Asylpaket eingeführt
und seitdem dürfen Syrer ihre Familien nicht nachholen,
auch wenn sie selber hier bleiben dürfen.
Bis nächstes Jahr im März gilt das so.
Wann Shawkat seine Familie wiedersehen kann das weiß er nicht –
doch er hofft.

VIII.
(Jesaja 35,8-10:)
Und es wird dort eine Bahn sein
und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird.
Kein Unreiner darf ihn betreten;
nur sie werden auf ihm gehen;
auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren.
Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen;
sie sind dort nicht zu finden,
sondern die Erlösten werden dort gehen.
Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen
und nach Zion kommen mit Jauchzen;
ewige Freude wird über ihrem Haupte sein;
Freude und Wonne werden sie ergreifen,
und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.


IX.
Stärkt die müden Hände.
Seht, da ist euer Gott.
Stärkt die müden Hände von Shawkat.
Macht den Weg frei für seine Familie.
Denn es ist unrecht, dass sie hier nicht zusammen kommen können.
Hört auf damit, Flüchtlinge nach Afghanistan abzuschieben.
Macht Schluss mit euren Überlegungen, auch nach Syrien abzuschieben.
Sondern gebt den Fliehenden endlich ein sicheres Zuhause.
Sorgt dafür, dass die Näherinnen in Bangladesch endlich von ihrer Arbeit leben können.
Gebt den Minenkindern im Kongo eine gute Schulbildung.
Dann müssen sie auch nicht fliehen -
die Näherinnen nicht und die Kinder auch nicht..
Fragt in den Läden nach fairer Kleidung und fairen Smartphones.
Holt die politischen Gefangenen aus ihren Gefängnissen
in der Türkei und in Kambodscha.

Das geht nicht, sagt ihr?
Das, was ist, ist nicht alles.
Da ist mehr.
Da ist Gott.
Der kommt und macht keine halben Sachen.
Lässt Wasser in der Wüste sprudeln.
Obwohl das doch nicht geht.
Eigentlich.
Und Blinde sehen,
Lahme springen,
Stumme brechen ihr Schweigen.  
Seht auf und erhebt eure Häupter. (Lukas 21,28)
Fangt schon mal an mit der anderen Welt.
Denn Gott kommt.

Amen.

* Die Idee mit dem Gespräch zwischen den Engeln sowie der Einstieg in meine Predigt wurde einem Materialheft von amnesty entnommen: "Menschenrechte in der Wirtschaft" von 2013