Dienstag, 24. Oktober 2023

Let it be - Loslassen, woran dein Herz hängt

Predigt im Rahmen der Predigtreihe "Was bleibt"
zu Mt 6, 19 - 34

I. Let it be

1968 ist für Paul McCartney ein unruhiges Jahr:
Die Konflikte innerhalb der Beatles nehmen immer mehr zu.
Wird es bald vorbei sein mit der Band?
Das Herzensprojekt seines Lebens. Die vielen großartigen Songs.
Die unglaublichen Konzerte. Der Riesenerfolg. Das alles soll bald nicht mehr sein?
Der Druck ist jedenfalls riesig.

Doch dann erscheint McCartney seine verstorbene Mutter Mary im Traum.
Paul hatte sie verloren, als er 14 Jahre alt war.
Später erzählt er: Mit sanfter und beruhigender Stimme sagte sie zu mir:
„Let it be!“. Lass es geschehen! Lass es los.
„Als ich aufgewacht bin, habe mich an das Klavier gesetzt und einen Song daraus gemacht“.

Es dauerte noch fast zwei Jahre, bis Let it be von den Beatles veröffentlicht wurde.
Es wurde zum Titellied ihres letzten Albums, sozusagen ihr Abschiedsgruß an die Welt.
Diese zwei Jahren waren kein gutes Ende einer phantastischen Band.
Aber der Song bleibt. Bis heute.
Mit seiner Botschaft: Es gibt schwierige Zeiten. Mit viel Streit und gebrochenen Herzen.
Aber damit bis du nicht allein. Es gibt ein Licht, das auch morgen noch scheint.
Was auch immer passiert. Words of wisdom. Let it be.

Let it be - Refrain instrumental

II. Widerspruch

Let it be - sind es wirklich „weise Worte“?
Words of wisdom in jeder Lebenslage?
Sind es Worte, die wir gerade jetzt brauchen?
Auf israelische Städte fallen Bomben, Zivilisten wurden ermordet.
Die Hamas missbraucht die palästinensische Bevölkerung.
Jüdische Freunde und Freundinnen leben in Angst - auch in Pforzheim.
Und im Netz tobt der Hass.
 Let it be?
Flüchtlinge gelten in Europa nur noch als Bedrohung. Die Rechten gewinnen Oberhand.
Der Golfstrom versiegt und die Gletscher schmelzen unaufhaltsam.
Let it be?

Manche machen das so. Let it be.
Lass mich in Ruhe damit. Hauptsache, mir geht es gut.
Ja, so lebt es sich "gut", bis es einen selber trifft.  

Und ja, diese Art von Let it be kennen wir auch aus unserer christlichen Tradition.
Du kannst ja sowieso nichts ändern. Gib dich zufrieden und sei still.

Und ja, einige, die das so sagen und sagten, berufen sich  sogar auf Jesus, wenn er sagt:

Macht euch keine Sorgen! Fragt euch nicht:
Was sollen wir essen? Was sollen wir trinken? Was sollen wir anziehen?
Um all diese Dinge dreht sich das Leben der Heiden.
Euer Vater im Himmel weiß doch, dass ihr das alles braucht.


Keine Panik. Immer mit der Ruhe. Nichts überstürzen.
So wurden und werden diese Worte zum Vertrösten benutzt.
Oder dafür, dass man ja, nichts ändern muss.
Let it be - heißt dann: Lass uns in Ruhe. Lass uns bloß nichts ändern.
Lass uns so weitermachen wie bisher.

Mich treibt das um. Dich auch?

Let it be - Refrain melancholisch anstimmen

III. Loslassen ist sinnvoll

Jesus will nicht vertrösten.
Jesus macht auch die Sorgenvollen nicht lächerlich.
Es geht gar nicht um die Sorgen, die ich mir um andere mache.
Es geht um die Sorgen, die ich mir um mich mache.
Um mein Hab und Gut. Um meine Gesundheit. Meine Privilegien.
Diese Sorgen kann man groß machen und politisch instrumentalisieren.
Grenzen zu. Mauern hoch. Mit dem Neid spielen.

Lasst es. Sagt Jesus.
Denn dieses Sorgen ist aus Irrtümern geboren.
Es gibt in diesem Leben keine letzte absolute Sicherheit. Punkt.

Es gibt aber auch das andere Sorgen.
Das, das keine Veränderung will. Das Angst davor hat.
Sorge um das, was mir Sicherheit verschafft.
Diese Sorge lässt mich festhalten, was ich kenne und was ich mir erarbeitet habe.
Sie lässt mich an Ideen und Werten und Gedanken klammern.
An Bildern und Normen und Meinungen.
Aber die Welt dreht sich. Die Welt verändert sich.
Und das macht auch mir manchmal Angst.
Wenn ich nicht mehr weiß, wo oben und unten ist
und die Nachrichten sich überschlagen,
wenn ich meine eigenen Kinder nicht mehr verstehe,
weil sie vieles anders leben und anders ausdrücken.
Was bleibt von dem, was mir wirklich wichtig ist?
Ja, diese Frage kenne ich nur zu gut.

Als die Zeit der Beatles zu Ende ging, fiel es Paul McCarthy sehr schwer, das zu akzeptieren. 
Sein Lebenswerk löste sich auf. Das tat weh.

Loslassen ist kein Wellness-Programm a la simplify your life -
jedenfalls nicht, wenn ich loslassen MUSS.
Wenn ich aufgeben muss, was mir lieb und wichtig ist, dann ist das nun mal verdammt schwer. 
In der Kirche erleben wir es gerade.
So vieles, was wir loslassen müssen: womit wir großgeworden sind, was uns vertraut ist.
Und ja, wir haben Sorge, ob die Kirche auch in Zukunft noch für uns da ist. 


Loslassen ist schwer. Gerade viele ältere Menschen wissen davon ein Lied zu singen.
Zu viele Menschen, die man verloren hat.
Und wenn der vertraute Partner stirbt, tut das besonders weh.
Diese riesengroße Lücke.
Die Gedanken: hätte ich ihm doch noch dies gesagt.
Oder warum hab ich damals so viel mit ihm geschimpft?
Loslassen - ja, irgendwann, aber doch noch nicht jetzt. Noch zu vieles, was ungeklärt ist.

Oder wenn der Abschied vom eigenen Haus ansteht.
Wenn klar ist, es geht nicht mehr alleine.
Meine Mutter hat damals Jahre gebraucht,
um sich mit dem Schritt anzufreunden, ins Pflegeheim zu gehen.
Sehr lange konnte sie es nicht akzeptieren, dass sie sich nicht mehr selber versorgen kann.
Irgendwann war dann der Punkt da.
Als sie merkte, wir, ihre Kinder, lassen sie dann nicht allein.
Als sie es spürte, dass wir ihre Angst ernst nahmen.
Wir sind da, Mutti. Wir sind auch dann da.
Aber wir haben dann dort weniger Angst um dich. Verstehst du das?
Ja, das verstehe ich.
Und dann, ja, dann mussten auch wir sie gehen lassen. Ganz gehen lassen.
Sie ließ uns los und wir ließen sie los. Let it be. Lass es geschehen.

Was fällt dir schwer loszulassen, obwohl du merkst: es ist dran?

    Let it be, let it be, let it be, let it be
    There will be an answer, let it be
    Let it be, let it be, let it be, let it be
    Whisper words of wisdom, let it be


IV. Loslassen macht frei

Ach, wenn es doch leichter wäre: das Loslassen.
Wenn mir doch auch meine Mutter im Traum erscheinen würde. Let it be.
Aber Jesus zeigt auf die Vögel unter dem Himmel. Schau hin. Sieh ihre schwerelose Leichtigkeit.
Und sieh die Wiesenblumen auf dem Felde. Ihre verschwenderische Farbenpracht.
Schau dir das an, sagt Jesus. Und lerne: Du bist eingebettet in ein viel Größeres.
Eingebettet in Gott.
Diese Vögel dort - diese Raben. Die werden so oft übersehen. Aber sie sind Gott wichtig.
Diese Blumen da - wie oft lauft ihr achtlos vorbei. Aber sie sind Gott wichtig.
Lerne von ihnen und von Gott:
ihnen traut keiner was zu, aber ihnen wachsen Flügel und bunte Blüten.

Und ich lerne, dass ich fliegen und blühen kann.

Ich lerne, dass es mich freier macht,  wenn ich meine Sorgen um mich loslasse.
Und ich weiß, dass Jesus sie für mich trägt
Es macht mich freier, wenn ich nicht mehr festhalten muss, was mir Sicherheit gibt.
Wenn ich festhalte, sind meine Hände nicht frei.
Wenn ich loslasse, können meine Hände aber Neues empfangen.
Und ich frage mich, was wirklich wichtig ist für mich.

Woran hängt dein Herz, fragt mich Jesus?
An der Sicherheit, am Vertrauten?
An der Fernsehserie, am Kirchengebäude,
an deinem Haus, an deinem Geld?
Oder an denen, die dir ans Herz gewachsen sind?
An Worten, die dir gut tun?
An Worten voller Weisheit? An Musik? Am Frieden?

Luisa Neubauer von Fridays for future hat mal Words of Wisdom gefunden:
„Die großen Schätze der Welt gilt es nicht zu sammeln.
Es gilt sie zu beschützen.
Es ist der Planet, die Schöpfung, die alles bereitstellt, was wir brauchen.
Wir müssen uns, wie die Vögel nicht sorgen - eigentlich - denn es ist alles da,
vorausgesetzt, wir gehen achtsam damit um. Es ist alles da.“ (1)


Es ist alles da. Sagt auch Jesus.
Gott ist da.
Euer Vater im Himmel weiß doch, dass ihr das alles braucht.

Let it be - ganz leichtfüßig….

VI. Woran mein Herz hängt

Ja, das will ich dir glauben, Jesus:
Alles ist da. Und die Ewige ist da.
Ihr überlasse ich meine Sorgen.
Von ihr lerne ich, dass mir die Welt dennoch am Herzen liegen kann.
Dass meine Sorge um sie Ausdruck meiner Liebe ist.
Und auch diese Liebe teile ich mit Gott.
Ich will glauben, dass Gott bei mir ist und mit mir ist,
und egal, was ich loslassen muss: ich bin nicht allein.
Ich sehe die Vögel und die Blumen und höre und sehe mich um in der Welt
und ich entdecke immer mehr Zeichen, dass Gott da ist:

Ein Abschiedssong, der auch nach über 50 Jahren noch tröstet.
Meine Mutter, die in Frieden sterben durfte - und wir waren da.
Ich höre die Geschichten von Geflüchteten, die hier in Sicherheit leben:
Warvan aus dem Irak und Fatima aus Syrien und Olga aus der Ukraine.
Und ich erlebe, dass wir mit unserem Rat der Religionen
an der Seite unserer jüdischen Freunde und Freundinnen stehen.
Gestern waren wir in der Synagoge, haben zusammen geredet und zusammen gebetet.
Ihre Sorgen sind unsere Sorgen.
Das ist nicht viel. Aber es gibt meiner Sehnsucht Flügel.
Weil wir nicht alleine sind.
Und weil unsere jüdischen Freund*innen erfahren, dass sie nicht alleine sind.
Und ich sehe, dass wir beieinander stehen gegen den Hass, der unsere Welt kaputt machen will.

Und ja, bei alledem, was ich auf einmal wieder sehe, spüre ich mein Herz schlagen.
Bei den Menschen, die für mich da sind, und für die ich da bin.
Hörst du mein Herz schlagen, Jesus?

Strebt vor allem anderen nach seinem Reich und nach seiner Gerechtigkeit –
dann wird Gott euch auch das alles schenken.


Ja, ich will dir glauben, Jesus. Trotz alledem, das mir Sorgen macht.
Will Licht für diese Welt sein. Will fliegen und blühen. Zusammen mit den anderen.
Ich lege dir meine Sorgen hin. Und meine Sehnsucht nach Frieden.
Nach Heilung für die Menschen in Israel und in der Ukraine.
Ich lege dir mein Herz hin.
Du hörst es schlagen.  Ich lege es in deine Hände.
Let it be!
Amen.

(1) https://www.berlinerdom.de/fileadmin/user_upload/01_Startseite-Home/Mediathek/Predigten/Predigten_zum_Nachlesen/2021/2021-02-28_Fastenpredigtreihe_Neubauer.pdf?v=1614595629


Danke an Sina Kaiser für die Idee, die Predigt mit dem Song "Let it be" zu gestalen!