Sonntag, 17. April 2016

Wunderbare Leichtigkeit des Seins: tanzende Töne, Jesus mittendrin und die Liebe in der Welt

Predigt zu 1.Joh 5,1-4 
 
(Mit Anklängen an das wunderbares Stück "Wie im Himmel" vom Pforzheimer Stadttheater und Dank an Bettina Schlauraff für ein paar Gedanken)

Wer glaubt:
Jesus ist der Christus,
hat Gott zum Vater.
Und wer seinen Vater liebt,
liebt auch seine Geschwister,
die ja denselben Vater haben.

Ob wir die Kinder Gottes lieben,
erkennen wir daran:
Wir lieben Gott
und halten seine Gebote.
Denn unsere Liebe zu Gott äußert sich darin,
dass wir seine Gebote halten.

Und es ist nicht schwer,
seine Gebote zu halten.
Denn jeder, der Gott zum Vater hat,
besiegt die Welt.
Dabei ist es unser Glaube,
mit dem wir diesen Sieg über die Welt erringen.

I.
Es ist nicht schwer, sagt Daniel.
Daniel, der Meisterdirigent, steht vor dem Dorfchor.
Gestern im Theater.
Er zweifelt, ob das geht mit denen.
Sie zweifeln, ob das geht mit ihm.
Aber nun sind sie da.
Und suchen den Himmel.
Suchen Töne, die schon längst da sind.
Wollen himmlische Töne finden.
Klingen lassen.

Es ist nicht schwer, sagt Daniel trotzdem.
Ihr werdet die Töne finden, die in euch sind.
Und die Töne werden euch finden.
Wenn ihr daran glaubt.
Wenn ihr eure Zweifel loslasst.
Wenn ihr seid, die ihr seid.

II.
Es ist nicht schwer,
schreibt einer in einem Rundschreiben,
den wir Johannesbrief nennen.
Es ist nicht schwer,
die richtigen,
die himmlischen Töne zu finden.
Die Töne klingen zu lassen, dass ihr zu Gott gehört.
Dass ihr zu Jesus Christus gehört.
Ihr werdet die Töne finden, die in euch sind
und die euch zueinander führen.
Und die Töne werden euch finden.
Wenn ihr daran glaubt.
Wenn ihr eure Zweifel loslasst.
Wenn ihr seid, die ihr von Gott her seid.

Es ist nicht schwer,
schreibt er, nennen wir ihn Johannes.
Schreibt für Menschen,
die nicht mehr wissen, wo sie hingehören.
An Männer und Frauen, die sich fremd fühlen,
in einer Umgebung, wo ihr Glaube nicht Fuß fasst.
Sie wollen mit dieser Welt nichts zu tun haben,
halten sich raus,
schotten sich ab,
ziehen sich zurück.
Jesus ist in meinem Herzen.
Das genügt. Mehr brauche ich nicht.
Und die Welt kann mir gestohlen bleiben.

III.
Die Welt kann mir gestohlen bleiben.
Das denkt Daniel, als er in sein Heimatdorf zurück kehrt.

Die Welt kann mir gestohlen bleiben.
Auch ich ertappe mich bei diesem Gedanken.

Da werden Gruselgeschichten erzählt von Flüchtlingen.
So wie im Januar von Lisa, die angeblich vergewaltigt wurde.
Und diese Lügengeschichte treibt 700 Menschen auf unseren Marktplatz.
Und sie treibt Tausende in die Arme der AFD.
Die Welt kann mir gestohlen bleiben.
Lasst mich in Ruhe damit. Ich will es nicht mehr hören.
Das denke ich dann.
Du auch?

Da führt ein übergroßes Haushaltsdefizit in Pforzheim vielleicht dazu,
dass ausgerechnet bei den Armen und Bedürftigen gespart werden muss.
Dabei hat Pforzheim die dritthöchste Millionärsdichte in Deutschland.
Das ist doch verrückt.
Ach, lasst mich in Ruhe damit.
Das denke ich dann. Will es nicht wirklich hören.
Weil es mir Angst macht.
Die Welt soll mir doch gestohlen bleiben.

Der erneute Krankenhausbesuch der Freundin.
Die Aussichten stehen schlecht.
Die Chemo hat sie schwach gemacht.
Die hin und her geschobenen Millionen wegen der WM in Deutschland.
Oder die Arbeiter in Katar, die wegen der zukünftigen WM in Löchern hausen.
Die Kinder am Zaun von Idomeni.
Die fragwürdigen Ergebnisse mit Istanbul.

Ich will es nicht mehr hören.
Tür zu.
Schotten dicht.
Bettdecke über den Kopf.
Oder eine Liebesschnulze auf DVD anschauen.
Oder wie Daniel der Welt entfliehen.
Die Welt kann mir gestohlen bleiben.

IV.
Aber auf Dauer geht das nicht.
Sagt Johannes.
Und das weiß ich auch.
Die Welt kann mir nicht gestohlen bleiben.
Denn ich bin ein Teil von ihr.
Ich gehöre zu ihr.
So wie ich zu Gott gehöre.

Wer glaubt:
Jesus ist der Christus,
hat Gott zum Vater.
Und wer seinen Vater liebt,
liebt auch seine Geschwister,
die ja denselben Vater haben.


Jesus ist keine Idee, kein Gedanke.
Jesus ist ein richtiger Mensch.
Und nur so ist er der Messias.
Einer, der mittendrin ist.

Mittendrin in diesem Chaos,
und dort, wo es ganz ordentlich zu geht.
Unter der Bettdecke
und in der Küche, wo das Geschirr immer noch schmutzig herumsteht.
Jesus ist mittendrin,
wo Alte weinen,
und Junge tanzen
und Liebende sich umarmen.
Jesus zieht sich auch mal zurück,
in die Wüste oder auf ein Boot oder einen Berg.
Und heute würde er vielleicht auch mal eine Liebesschnulze sehen
und mit Daniel in das Heimatdorf zurückkehren.
Warum auch nicht?

Aber dann geht er wieder in die Welt,
und ist ganz und gar da.
Sie bleibt ihm nicht gestohlen.
Und er verdammt sie nicht.
Denn sie ist es, die seine Liebe braucht.
Sie ist es, die ihn hören muss.
Ihn und seine Töne der Liebe.
Die Töne der Freiheit und der Leichtigkeit.
Die Töne des Friedens.
Gottes Töne.

V.
Und so wie die Welt zu Gott gehört,
gehörst auch du zu Gott.
Und die Welt gehört zu dir.
Diese schwierige, anstrengende
und doch auch so bezaubernde Welt.
Du machst die Tür zu,
oder steigst auf ein Boot
oder du gehst in die Wüste.
Die Welt gehört trotzdem zu dir.
Und du zu ihr.
So wie Daniel zum Dorf gehört.
Und das Dorf zu ihm.
Und beide sind Teil der Welt.

Wer seinen Vater liebt,
liebt auch seine Geschwister,
die ja denselben Vater haben.


Du kannst die Welt nicht in Stich lassen,
nicht links liegen lassen.
Sie kann dir nicht egal sein.
Denn sie braucht Gottes Liebe.
Die unglaubliche Leichtigkeit seiner Liebe.
Die hohen Töne und die tiefen Töne,
die Sopranstimmen und die Bassstimmen,
die Stimmen dazwischen auch, Alt und Tenor.
Die krächzenden Stimmen und die glockenhellen.
Alle diese Stimmen, die von Gottes Liebe singen,
die Welt braucht sie.
Sie braucht dich.
So wie du bist mit deinen Brüchen und Narben,
mit allem, was du mitbringst.

VI.
Ob wir die Kinder Gottes lieben,
erkennen wir daran:
Wir lieben Gott
und halten seine Gebote.
Denn unsere Liebe zu Gott äußert sich darin,
dass wir seine Gebote halten.
Und es ist nicht schwer,
seine Gebote zu halten.


Es ist nicht schwer.
Denn du trägst Gott im Herzen,
diesen Gott,
wo du die bist, die du bist,
und der, der du sein willst.
Diesen Gott, der dir Flügel verleiht.
Seine Liebe trägst du mit dir
und behältst sie nicht für dich.
Das geht nicht.
Denn sie drängt hinaus.
Sie drängt dich hinaus.
Dort, wo die anderen sind mit ihren Brüchen und Narben.
Dort, wo du einfach das tust, was ansteht.
Das, was du kannst.
Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Und du machst deine Augen auf
und öffnest deine Ohren
und dein Herz.
Und dann lächelst du der gestressten Verkäuferin zu,
oder du schreibst einen Brief für einen Gefolterten,
oder du besuchst einen, der Angst hat vor den Flüchtlingen,
oder du widersprichst dem Hetzer im Bus,
der an Fremden kein gutes Haar lässt.
Du kümmerst dich um die,
die dein solidarisches Herz brauchen,
und deine Stimme.
Die Töne der Liebe statt Schreie der Angst.
Das sind die Gebote.

Unsere Welt braucht dich,
sie braucht diese unglaubliche Leichtigkeit des Seins.
Es ist nicht schwer,
sagt Johannes.
Wir ahnen,
es ist nicht immer leicht.
Aber mit Gottes Liebe in deinem Herzen geht es leichter.
Sie ist stärker als das, was dir entgegen steht,
stärker als deine Vergeblichkeiten und deine Schwächen,
stärker sogar als deine Sterblichkeit,
stärker als die Tür, die du schließen willst.

VII.
Es ist nicht schwer.
In Indien, bei unserer Partnerkirche,
habe ich diese Leichtigkeit gespürt.
Wo traurige Kinder wieder lachen können,
Kinder, die von der Welt ausgeschlossen werden.
Sie lachen wieder,
weil sie von unseren Schwester und Brüdern zu hören und spüren bekommen,
wie wertvoll sie sind.

Ich habe diese Leichtigkeit der Liebe gespürt,
als sich so viele von euch für mich eingesetzt haben:
ihr habt mir Briefe geschrieben,
mir gute Worte gesagt,
und auch anderen das gesagt.
Ihr habt mir gezeigt,
dass ich vor Lügengeschichten keine Angst haben muss.

Ich spüre diese Leichtigkeit,
wenn ich unsere Chöre hier höre.
Diese hohen und tiefen Töne der Freiheit und des Friedens.
Sie berühren mich im Herzen.
Durch sie spüre ich, wie großartig und wunderschön diese Welt ist.

Und auch Daniel, der Meisterdirigent, hat sie gespürt,
die Leichtigkeit der Liebe.
Und die Dorfbewohner auch.
Wie im Himmel kommen sie zusammen.
So wie sie sind.
Mit ihren Brüchen und Narben und Ängsten.
Sie öffnen ihre Herzen füreinander,
schützen sich,
stärken sich,
singen zusammen.
Und entdecken Neuland.
Eine wunderbare Leichtigkeit von neuen, himmlischen Tönen.
Und sie überwinden, was sie eingeengt hat.
Mit ihrer Liebe.
Mit Gottes Liebe.

VIII.
Es ist nicht schwer,
die Liebe zu leben,
weil wir zu Gott gehören,
sagt Johannes.

Es ist nicht schwer
,
die Töne der Liebe zu singen,
denn sie sind da,
sagt Daniel.

Es ist nicht schwer,
Liebe zu geben,
weil wir geliebt sind,
sagen die indischen Geschwister.

Es ist nicht schwer,
sagen viele von euch.

Und so sage auch ich mir selbst und dir:
es ist nicht schwer.
Ich darf die sein, die ich bin,
und du auch.
Gottes Welt braucht meine und deine Liebe.
Wir leben sie
und tanzen sie
und zeigen sie,
singen sie
und widersprechen durch sie.

Und das tun wir
mit Gottes wunderbarer Leichtigkeit des Seins
Sie ist in uns.
Jetzt und allezeit.

Amen.




Sonntag, 3. April 2016

Ein Gott mit Narben

Predigt zu Johannes 20,19-29, inspiriert von Michael Greßler, einem großartigen Prediger


Wichtige Vorbemerkung: Diese Predigt basiert in Idee, Aufbau, Anlage und zum nicht geringen Teil auch Worten auf einer wunderbaren Predigt von Michael Greßler, die er letztes Jahr gehalten hat. In meinen Vorbereitungen stieß ich auf seine Predigt, die genau die Gedanken formulierte, die ich mir vorher gemacht hatte. Ich habe sie deshalb als Grundlage genommen und bearbeitet. Das Original ist aber noch gut erkennbar. Ich habe lange überlegt, ob ich diese Predigt, die ich heute gehalten habe, überhaupt veröffentlichen sollte. Da mich aber mehrere Hörende darum baten, tu ich das nun ganz bewusst. Denn sie ist auch ein gutes Beispiel für die Predigtgemeinschaft, die ich mit vielen Kollegen und Kolleginnen in den sozialen Medien teile, und für dich ich sehr dankbar bin. Ich freue mich, dass auch meine Predigten anderen Kolleg/innen geholfen haben, ihre Predigten zu formulieren. Und hier war es mal umgekehrt. Das alles ist auch ein Wirken des Heiligen Geistes.
Angeblich gibt es beim Predigen kein CopyRight, aber ich möchte doch würdigen, wem ich meine Predigt im Wesentlichen verdanke: nämlich dem genialen Prediger Michael Greßler und am Schluss auch ein bischen was von Holger Pyka. Die Predigt von Michael stelle ich unten mit ein (er hat es mir erlaubt...). So hat jede/r, der/die will, einen kleinen Einblick in die Predigtwerkstatt...

I.
»Am Abend des ersten Tages der Woche,
waren die Jünger versammelt,
und die Türen waren verschlossen  …«


Am Abend desselben Tages
machst du die Tür hinter dir zu.

Du gehst in deine Wohnung und lässt alles andre draußen.
Die geschnittenen Hecken.
Die saubergewischte Haustreppe.
Die geputzten Fenster
und die Ostereier am Strauch im Garten.
Aber auch den Lärm.
Und die Nachrichten.
Von den Bomben in Lahore.
Und vom Tod.

Am Abend desselben Tages ziehst du dich aus.
Du hängst deine Sachen über den Stuhl.
Du gehst ins Bad und siehst dich im Spiegel.
So sieht dich sonst keiner.
Fassade weg. Kleider weg.
Ungeschminkt.
Du siehst deine Falten.
Und du siehst deine Narben.
Am Abend desselben Tages
legst du Deine Fassung ab.
Leib und Seele liegen bloß.

Türen zu. Und Fenster zu.
Vieles kannst du draußen lassen.
Doch manches wirst du nicht los.
Deine Narben nicht.
Deine Zweifel nicht.
Und deine Angst auch nicht.
Aber das muss ja keiner wissen.

»Am Abend des ersten Tages der Woche
waren die Jünger versammelt,
und die Türen waren verschlossen aus Furcht vor den Juden.
Da kam Jesus und trat mitten unter sie …«


Am Abend desselben Tages kommt Jesus.
Er fragt nicht.
Er kommt einfach.
Er kommt:
Ungefragt und ungebeten, unerwartet und unverhofft.
Er kommt hinter die verschlossene Tür.
Er tritt hinter die Fassade.
Einfach so.
Plötzlich ist er da. In einem Wort, das mitten ins Herz geht.
Und sagt: Friede sei mit dir.
Trotz deiner Furcht.
Und trotz deiner Zweifel.
Und obwohl du die Tür fest zu gemacht hast.

»Da kam Jesus und trat mitten unter sie
und spricht zu ihnen:
Friede sei mit euch!«


Er kommt, und er weiß, was ist.
Mit dir.
Und mit den anderen.
Er kommt und er kennt dich.
Er kommt, und er kennt deine Angst.
Deine Zweifel.
Und deine Narben, die kennt er auch.
Ihretwegen kommt er ja.

»Da kommt Jesus und trat mitten unter sie
und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!
Und als er das gesagt hatte,
zeigte er ihnen die Hände und seine Seite.
Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.«


Jesus kommt durch die verschlossene Tür,
und er sagt einfach: »Friede sei mit dir«.
Und dann schlägt er seine Kleider zurück.
Er öffnet sein Gewand und legt es ab.
Er zieht sich aus vor dir.
Er zeigt dir, wie er ist.
Wie Gott ist.
Leib und Seele bloß.
Ohne, dass du ihn darum gebeten hättest.
Und er zeigt dir seine Narben.

»Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen.«

Und sie sehen: Der Herr hat Narben wie wir.
Jesus weiß, was das ist.
Jesus kennt die Schmerzen.
Er kennt unsere Furcht.
Er kennt unsere Zweifel.
Vor ihm brauchen wir uns nicht zu verstecken.
Und nicht zu schämen.

II.
»Da sprach Jesus abermals zu ihnen:
Friede sei mit euch!
Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
Und als er das gesagt hatte,
blies er sie an und spricht zu ihnen:
Nehmt hin den heiligen Geist!
Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen;
und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.«


Geht hinaus, sagt Jesus.Ich bin zu euch gekommen. Hinter eure Fassade.
Nun geht auch ihr.

Öffnet die verschlossene Tür.
Geht hinaus in die Welt.
Geht hin zu den Menschen.
Macht die Augen auf und schaut und geht.
Schaut genau hin.
Auch hinter die Fassaden.
Und legt den Finger in die Wunden dieser Welt.
Davon gibt es genug.

Nicht nur in Syrien und in Pakistan und in Brüssel.
Wunden gibt es auch da, wo ihr hingehen könnt.
Auch in eurer Stadt. In euren Straßen.
In der Gemeinde. Am Arbeitsplatz. Beim Fußball.
In der Zeitung. Im Internet.

Geht da hin. Schweigt nicht. Habt keine Scheu. Habt Mut.
Habt Geist. Habt Kraft. Habt klare Worte.

»Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen;
und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.«


Nennt das Böse böse.
Und nennt das Gute gut.
Geht hinter die verschlossenen Türen.
Lasst euch vom heiligen Geist führen.
Scheut euch nicht, unbequem zu sein.

Die Nachbarn wollen nicht hören,
dass Gottes Liebe allen Menschen gilt,
auch den Muslimen und den Flüchtlingen?
Sagt es trotzdem.

Die Arbeitskollegen wollen nicht wahrnehmen,
dass sie einer gefährlichen Politik folgen,
wenn diese Angst vor Fremden macht?
Sagt es trotzdem.

Die Mannschaftsfreunde merken nicht,
wie verächtlich sie über Frauen reden?
Sagt es ihnen.

Und um meiner Liebe willen: Vergebt.
Zeigt selber, wie es anders gehen kann:
mit Liebe und Glaube und Hoffnung.

»Welchen ihr die Sünden erlasst, denen sind sie erlassen.«

III.
Aber nach acht Tagen
sitzt du dann doch wieder hinter verschlossener Tür.
Ob du nun Thomas heißt oder nicht.

Du würdest so gern gehen in die Welt.
Mit klaren Worten. Und mutigen Taten.
Mit großer Kraft. Und mit lauter Vergebung.

Aber du hast weder Mut noch Kraft noch Klarheit.
Und der Zweifel nagt.
Und deine Narben tun weh. Nach wie vor.
Da hinter deinen verschlossenen Türen.

»Und nach acht Tagen
waren seine Jünger abermals drinnen versammelt,
und Thomas war bei ihnen. 

Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren,
und tritt mitten unter sie und spricht:
Friede sei mit euch!
Danach spricht er zu Thomas:
Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände
und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite …«


Jesus kommt wieder.
Er bleibt nicht weg.
Kein einmaliges Event, dass er da war vor 8 Tagen.
Auch verschlossene Türen und Herzen halten ihn nicht auf.

Und er zeigt dir noch einmal,
was er denn für ein Gott ist:
Ein Gott mit Narben.
Auferstanden.
Lebendig. Aber mit Wunden.

Nach acht Tagen – heute – kommt Jesus zu dir.
Er kommt verwundet.
Verwundet wie du selbst.
Und verwundet wie die Welt.

So ein Gott ist das.
Ein echter, ein ungeschminkter Gott.
Ein Gott mit Narben und Striemen.
Aber lebendig.

Mit Narben und Striemen und Wunden.
Von der Liebe.
Er hat geliebt, bis es wehgetan hat.
Dich und die ganze Welt.
Er hat geliebt, bis es geblutet hat.

Und er zeigt dir das.
Er schämt sich nicht dafür.
Er trägt seine Narben offen.
Und er lässt dich das fassen,
du, die du die Fassung verloren hast,
du, der du dich deiner Narben schämst,
und deiner Zweifel
und deiner Angst.

»Reiche deinen Finger her
und sieh meine Wunden,
und reiche deine Hand her
und lege sie in meine Seite«.


Du darfst Jesus anfassen.
Du darfst diesen Gott berühren.
Er ist dir ganz nah.
Und du erkennst, wer er ist.

»Mein Herr und mein Gott.« —

So ist Gott und nicht anders.
Ein Gott mit Narben und Wunden.
Ein Gott mit Tränen in den Augen.
Der die Berührung sucht.
Der sein Leben mit dir teilt.
Und dein Leben in den Arm nimmt.

Mitten in der Gruft.
Und in deinen verschlossenen Räumen.
Ein Gott, vor dem du dich nicht schämen musst.
Bei dem du ganz bist, die du bist und der du bist.
Schwach und stark.
Ängstlich und mutig.
Hoffnungsvoll und verzweifelt.
Gläubig und ungläubig.

IV.
„Da sprach Jesus abermals zu ihnen:
Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen:
Nehmt hin den Heiligen Geist!“


Öffne die Türen wieder.
Und wieder.
Und noch einmal.
Geh hinaus.
Geh mit deinen Wunden in die verwundete Welt.
Verstecke deine Narben nicht und versuche nicht, perfekt zu sein.
Lebe - die Liebe.
Lebe - mit diesem Gott mit Narben und Wunden.
Und sage, was gesagt werden muss.
Lege deinen Finger in die Wunde.
Du Furchtsamer, du Zweifelnde, du Kraftloser.
Jesus ist bei dir. In dir.
Ganz nah - so nah, dass du ihn berühren kannst.
Friede sei mit dir.

Amen.


Und hier die Original-Predigt von Michael:

»Narbenspiel«
Eine Predigt
zum Sonntag Quasimodogeniti,
12. April 2015 in Burgstall (Württemberg) 
   

Text: Joh 20,20-29; (Reihe 1)
                       
Evangelium
Am Abend des ersten Tages der Woche,
waren die Jünger versammelt,
und die Türen waren verschlossen
aus Furcht vor den Juden.

Da kam Jesus und trat mitten unter sie
und spricht zu ihnen:
Friede sei mit euch!
Und als er das gesagt hatte,
zeigte er ihnen die Hände und seine Seite.
Da wurden die Jünger froh, daß sie den Herrn sahen.

Da sprach Jesus abermals zu ihnen:
Friede sei mit euch!
Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
Und als er das gesagt hatte,
blies er sie an und spricht zu ihnen:
Nehmt hin den heiligen Geist!
Welchen ihr die Sünden erlaßt, denen sind sie erlassen;
und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.

Thomas aber, der Zwilling genannt wird,
einer der Zwölf, war nicht bei ihnen, als Jesus kam.
Da sagten die andern Jünger zu ihm:
Wir haben den Herrn gesehen.
Er aber sprach zu ihnen:
Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe
und meinen Finger in die Nägelmale lege
und meine Hand in seine Seite lege,
kann ich's nicht glauben.

Und nach acht Tagen
waren seine Jünger abermals drinnen versammelt,
und Thomas war bei ihnen.
Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren,
und tritt mitten unter sie und spricht:
Friede sei mit euch!
Danach spricht er zu Thomas:
Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände
und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite,
und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!

Thomas antwortete und sprach zu ihm:
Mein Herr und mein Gott!
Spricht Jesus zu ihm:
Weil du mich gesehen hast, Thomas, darum glaubst du.
Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!


Die Gnade unsers Herrn Jesus Christus
und die Liebe Gottes
und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes
sei mit euch allen.


I. Hinter verschlossener Tür
 
»Am Abend des ersten Tages der Woche,
waren die Jünger versammelt,
und die Türen waren verschlossen  …«


Am Abend desselben Tages
machst du das Haus hinter dir zu.

Du gehst hinein und läßt alles andre draußen.
Die geschnittenen Hecken.
Die geputzten Fenster
und die Tür mit dem Osterkränzchen dran.
Die saubergewischten Fensterbänke.
Die frischgestrichene Fassade.
Alles picobello von außen.

Am Abend desselben Tages ziehst du dich aus.
Du hängst deine Sachen über den Stuhl.
Du gehst ins Bad und siehst dich im Spiegel.
So sieht dich sonst keiner.
Fassade weg. Kleider weg.
Du legst die Prothese ab.
Du siehst dich.
Ungeschminkt.
Du siehst deine Falten.
Und du siehst deine Narben.
Am Abend desselben Tages
legst du Deine Fassung ab.
Leib und Seele bloß.

Türen zu. Und Fester zu.
Vieles kannst du draußen lassen.
Und manches wirst du nicht los.
Deine Narben nicht.
Und deine Angst auch nicht.

»Am Abend des ersten Tages der Woche
waren die Jünger versammelt,
und die Türen waren verschlossen aus Furcht vor den Juden.
Da kam Jesus und trat mitten unter sie …«


Am Abend desselben Tages kommt Jesus.

Er fragt nicht.
Er kommt einfach.
Er kommt:
Ungefragt und ungebeten, unerwartet und unverhofft.
Er kommt hinter die verschlossene Tür.
Er kommt hinter die Fassade.

Unerwartet und ungefragt.
Aber nicht unwissend.
Er kommt. … Und er weiß.

»Da kam Jesus und trat mitten unter sie
und spricht zu ihnen:
Friede sei mit euch!«

Er kommt, und er weiß, was ist.
Mit dir.
Er kommt und er kennt dich.
Er kommt, und er kennt deine Angst.
Und deine Narben, die kennt er auch.
Ihretwegen kommt er ja.

»Da kommt Jesus und trat mitten unter sie
und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch!
Und als er das gesagt hatte,
zeigte er ihnen die Hände und seine Seite.
Da wurden die Jünger froh, daß sie den Herrn sahen.«


Jesus kommt, denn er kennt deine Narben.
Jesus kommt, denn er weiß, wie weh es tut.
Jesus kommt, damit du wieder froh wirst.

Er kommt, und er sagt einfach: »Friede sei mit dir«.
Und dann schlägt er seine Kleider zurück.
Er öffnet sein Gewand und legt es ab.
Er zieht sich aus vor dir.
Ohne, daß du ihn darum gebeten hättest.
Und zeigt dir seine Narben.

»Da wurden die Jünger froh, daß sie den Herrn sahen.«

Und sie sehen: Der Herr hat Narben wie wir.
Jesus weiß, was das ist. Jesus kennt die Schmerzen.

»Da wurden die Jünger froh, daß sie den Herrn sahen.«
Und ich wurde auch froh.

II. Hinaus in die Welt

»Da sprach Jesus abermals zu ihnen:
Friede sei mit euch!
Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.
Und als er das gesagt hatte,
blies er sie an und spricht zu ihnen:
Nehmt hin den heiligen Geist!
Welchen ihr die Sünden erlaßt, denen sind sie erlassen;
und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.«


»Geht hinaus«, sagt Jesus.
»Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.«
»Ich bin zu euch gekommen. Hinter eure Fassade.
Nun geht auch ihr.

Geht hin. Geht hin in die Welt.
Geht hin zu den Menschen.
Macht die Augen auf und schaut und geht.
Schaut genau hin.
Schaut hinter die Fassaden.
Und legt den Finger in die Wunden dieser Welt.
Davon gibt es genug.

Auch da, wo ihr hingehen könnt.
Nicht nur in Syrien und in der Ukraine und in Afrika.
Da könntest du sagen: Was kann ich schon tun?
Wunden gibt es genug. Auch da, wo Du hingehen kannst.
Auch in unserem Land. Auch bei deinen Nachbarn.

Geht da hin. Schweigt nicht. Habt keine Scheu. Habt Mut.
Habt Geist. Habt Kraft. Habt klare Worte.«
»Welchen ihr die Sünden erlaßt, denen sind sie erlassen;
und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten.«

»Nennt das Böse böse.
Und nennt das Gute gut.

Geht hinter die verschlossenen Türen.
Mahnt und weist zurecht.

Und um meiner Liebe willen: Vergebt.«

»Welchen ihr die Sünden erlaßt, denen sind sie erlassen.«

III. Mein Herr und mein Gott
Aber nach acht Tagen
sitzt du dann doch wieder hinter verschlossener Tür.
Ob du nun Thomas heißt oder nicht.

Du würdest so gern gehen in die Welt.
Mit klaren Worten. Und mutigen Taten.
Mit großer Kraft. Und mit lauter Vergebung.

Aber du hast weder Mut noch Kraft noch Klarheit.
Manchmal.
Und deine Narben tun weh. Nach wie vor.
Da hinter deinen verschlossenen Türen.

»Und nach acht Tagen
waren seine Jünger abermals drinnen versammelt,
und Thomas war bei ihnen.

Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren,
und tritt mitten unter sie und spricht:
Friede sei mit euch!
Danach spricht er zu Thomas:
Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände
und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite …«


Nach acht Tagen kommt Jesus wieder.

Und er zeigt dir noch einmal,
was er denn für ein Gott sei:
Ein Gott mit Narben.

Auferstanden.
Lebendig. Aber mit Wunden.

Nach acht Tagen – heute – kommt Jesus zu dir.
Er kommt verwundet.
Verwundet wie du selbst.
Und verwundet wie die Welt.

So ein Gott ist das.
Ein echter, ein ungeschminkter Gott.
Ein Gott mit Narben und Striemen.

Mit Narben und Striemen und Wunden.
Von der Liebe.
Er hat geliebt, bis es wehgetan hat.
Dich und die ganze Welt.
»Also hat Gott die Welt geliebt«
Er hat geliebt, bis es geblutet hat.
Er trug deine Krankheit
und lud auf sich deine Schmerzen.

Und er zeigt dir das.
Er schämt sich nicht dafür.
Er trägt seine Narben offen.

»Reiche deinen Finger her
und sieh meine Wunden,
und reiche deine Hand her
und lege sie in meine Seite«.


Da wurde ich froh, daß ich den Herrn sah.
Diesen Herrn. Den mit den Wunden.
»Mein Herr und mein Gott.« —

Und nach acht Tagen …
Nach acht Tagen kommt Jesus.
Und du siehst:
Durch seine Wunden bin ich geheilt. –
Nach acht Tagen kommt Jesus.
Und er sagt:
»Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich dich.
Geh mit deinen Wunden in die verwundete Welt.
Ich gehe mit.«

Nach acht Tagen kommt Jesus. Dein Herr und dein Gott.
Und du weißt:
Er lebt. Und du sollst auch leben.
Amen.


Der Friede Gottes,
der höher ist, als alle Vernunft,
bewahre eure Herzen und Sinne
in Christus Jesus.

Lied: Wie schön leuchtet der Morgenstern (70,1-5;)