Montag, 25. Februar 2019

Brief an den Frieden

Beitrag vom 24.2.2019 zum Poetry- und Preacherslam in der Markuskirche 
anlässlich des Gedenktags zur Bombardierung Pforzheims (23.2.)

Gestern hab ich dich gesehen.
Auf dem Marktplatz.
Da standest du auf der Bühne
Hand in Hand mit Ahmet und Eylem,
mit Selina und Andrew und mit Bernhard.

Und  mittendrin bei den vielen auf dem Platz,
da hab ich dich auch gesehen.
Mit der Kerze in der Hand.
Ihr Licht vor dem Wind schützend.
Hast du auch so gefroren wie viele von uns?
Und was hast du gedacht,
als die Glocken läuteten -
In den 20 Minuten?
(20 Minuten sind wirklich lang - da kommen viele Gedanken!)

Ich habe gestern an dich gedacht.
Es geht dir nicht gut.
Weil immer noch Bomben fallen.
Die immer noch Städte zerstören.
Und die immer noch Menschen töten.
Und weil immer noch Bomben hergestellt werden.
Und Panzer und Minen und Waffen.
Und weil damit immer noch sehr sehr viel Geld verdient wird.
„Man hat ja noch niemals versucht, den Krieg ernsthaft zu bekämpfen.“
(Kurt Tucholsky)

Du musst ertragen, dass in deinem Namen gefoltert wird.
Da sitzt du mit deinen Schwestern „Freiheit“ und „Gerechtigkeit“ in einem Boot.
Man benutzt euch, um Mauern zu bauen und Uniformen anzuziehen.
Der Krieg wird zu einem Spiel,
an Bushaltestellen und in Schulen wird dafür geworben.
Heute wieder.
Obwohl wir doch mal sagten: Nie wieder.

Führen und Folgen?
False flag?
Fortress for freedom?
Fauler Frieden?
Friedliche Folter?
Fakenews und Furcht?
Nein, das bist du nicht. Frieden.

Vielleicht bist du klein. Unscheinbar.
Vielleicht auch altersschwach.  Oder mickrig.
Vielleicht hast du graue Haare oder Falten.
Vielleicht bist du auch immer noch zu jung.
Aber du trägst keine Uniform und kein Gewehr.
Du verträgst keinen Hass und keine Gewalt.
Du bist zart und verletzlich und warm.
Und wir brauchen dich.
Immer. Und immer wieder.

Ich vermisse dich,
wenn menschenverachtende Fackelträger auf dem Wartberg stehen.
Wenn in ihrem Deutschland kein Platz ist für geflüchtete Menschen.
Ich vermisse dich, wenn diese auch noch als friedlich deklariert werden.
Nur weil sie sich an die Ordnung halten - und ruhig sind.
Das bist nicht du.
Und ich - ich fang an zu frieren.

Ich vermisse dich, wenn Maria vom Kulturhaus Hassmails bekommt,
weil sie ein Konzert gegen Rechts veranstaltet.
Ich sorge mich um dich, wenn Lügen verbreitet werden
über das ach so gefährliche und heruntergekommene Pforzheim.
Man hetzt auf rechten Seiten gegen Menschen,
die keine deutschen Eltern haben.
Hetzt gegen Künstler, die dagegen halten.
Und ich - ich fang an zu frösteln.

Bitte, verkriech dich nicht.
Verkriech dich nicht vor dieser Kälte, die sich in unserem Land ausbreitet.
Krieche lieber in unsere Herzen.
So wie beim Konzert gegen Rechts vor 11 Tagen.
Oder wie vorgestern hier beim Poetry-Slam.

Und so wie gestern auf dem Marktplatz.
Da hab ich dich gesehen.
Auf der Bühne
Hand in Hand mit Ahmet und Eylem,
mit Selina und Cebrail und mit Bernhard.
Und mit der Kerze in der Hand.
Ihr Licht vor dem Wind schützend.
Da warst du da.

Nur mit dir gibt es eine Zukunft.
Und die heißt:
Wir leben. Wir leben zusammen. Wir leben miteinander.
Voller Respekt. Und mit allen Unterschieden.
Aber wir wissen, dass wir uns brauchen.

Ja, gestern warst du da, lieber Frieden.
Auf dem Marktplatz.
Mit dem Licht in der Hand.
Zitternd vor Kälte. Warm im Herzen.
Gestern warst du da.
Und heute bist du hier.
Und morgen?
Ich halte Ausschau nach dir.

Sonntag, 10. Februar 2019

Seenotrettung und ein Gott, der da ist

Predigt zu Markus 4,35-41 (Sturmstillung)
 
Im dazugehörigen Gottesdienst habe ich C., eine junge Frau von 31 Jahren, getauft. Sie erzählte mir im Gespräch, was sie in den letzten 6 Jahren durchgemacht hat und wie sie zum Entschluss gekommen ist, sich taufen zu lassen. (Und natürlich habe ich sie gefragt, ob ich das so in der Predigt ansprechen darf). Ihren Taufspruch aus 1.Kor 15,10 hat sie sich selbst gewählt: Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin. Im Gottesdienst habe ich sie gesiezt, aber hier möchte ich "du" zu ihr sagen. Mich hat ihre Geschichte und ihre Entschlossenheit sehr berührt.

Da ich diesen Gottesdienst sehr kurzfristig angenommen habe, war ich froh über die guten Inspirationen und Wörter-Angeboten die ich von folgenden Personen bekommen habe: Friedericke Goedicke, Elisabeth Rabe-Winnen, Michael Greßler und Herbert Grönemeyer (im Text mit blau markiert). Irgendwie ist dadurch was Gemeinsames entstanden. Danke euch!


Text von Markus 4,35-41 siehe unten (1)

I.
Sie sind unterwegs im Boot.
Fahren zur anderen Seite des Sees.
Schnell weg von hier.
Endlich ankommen.
Endlich mal wieder zur Ruhe kommen.
Auch Jesus scheint erschöpft zu sein.
So viele, die was von ihm wollten.
Und so viel, was er zu sagen hatte.

Jesus legt sich hin und schläft.
Seine Freunde werden es schon packen.
Er vertraut sich ihnen an.
Er, der Retter, schläft.
Auf dem alle Hoffnung ruht, ruht selbst.

II.
Anders die Seenotretter im Mittelmeer.
Sie ruhen nicht freiwillig.
Sie werden zur Ruhe gezwungen.
Die Mission Lifeline wartet im Mittelmeer mal wieder,
überhaupt retten zu dürfen.
Europa macht die Schotten dicht.
Und dennoch machen sich viele auf den Weg
zum anderen, zum rettenden Ufer.
Gerade jetzt unter denkbar schlechtesten Bedingungen.
Und die Seenotretter dürfen nicht rausfahren.

III.
Jesus fährt raus mit seinen Freunden.
Es waren noch andere Boote bei ihm.
Andere Boote.
Boote auf dem See Genezareth, Boote auf dem Mittelmeer.
Kleine Boote, mal mehr, mal weniger seetüchtig.

Am Anfang denken sie, alles geht gut.
Der See ist ruhig. Das Ufer in Sicht.
Alles im Griff.

Aber der Wind dreht sich.
Der Himmel heult.
Hohe Wellen. Graue Wogen.
Stürzen von Tal zu Tal. (2)
Plötzlich wird aus ruhigen Handgriffen Hektik.
Eigentlich sind die Jünger erfahrene Fischer.
Sie kennen die Tücken des Sees.
Aber diesmal ist es anders.
Es ist richtig dunkel, keine Sterne mehr zu sehen.
Gischt im Gesicht, die Hände kalt.
Die Gewalten gegen sich.
Der Kurs geht verloren – das Selbstvertrauen auch.
Selbst die geübtesten Fischer haben jetzt Angst.

Sie beten, schreien, flehen.
Jesus?
Er merkt es nicht – sie müssen ihn wecken.

IV.
Du, C., kennst die großen grauen Wogen,
die über dir hereinbrechen können.
Du weißt, wie es ist, wenn man nicht mehr weiter kann,
sich ausgeliefert fühlt.
Die flehentliche Bitte „Herr, hilf“.
Und die Angst, zu versinken
und nicht mehr ans rettende Ufer zu gelangen.
Auch du musstest ihn wecken.
Zunächst den Arzt, der dir nicht glauben wollte, dass du Hilfe brauchst.
Dann Gott.
Du hast ihn geweckt.
Energisch.
Mit anderen Worten als die Jünger von Jesus.
Aber vermutlich genauso verzweifelt.

V.
Die Jünger rütteln Jesus wach.
Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?
Und es ist gut, dass sie ihn wecken.
So wie es gut war, dass du, C., Gott geweckt hast.
Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?
Kein frommes Gebet.
Kein: Dein Wille geschehe.
Manchmal braucht es andere Worte.
Verzweifelte, laute Worte.

Wo bist du denn nur, Gott?
Du schläfst - und ich sterbe vor Angst.
Oder vor Traurigkeit.
Oder ich bin wirklich am Sterben. Todkrank.
Oder in Lebensgefahr wie die auf ihren Booten im Mittelmeer.
Wach endlich auf!

Übernimm die Wacht,
Bring mich durch die Nacht.
Rette mich durch den Sturm.
Fass mich ganz fest an.
Bis ich mich halten kann.
Bring mich zu Ende.
Lass mich nicht wieder los.


Ja, betet ruhig so.
Betet genau so.
Weckt Jesus!
Weckt Gott!
Ruft. Schreit, wenn ihr müsst.
Rüttelt ihn auf.
Packt seine Schultern.

VI.
Und er stand auf und bedrohte den Wind
und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme!
Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille.


Schweig. Verstumme.
Worte wie Rettungsringe.
Mitten im Sturm ein „Ich bin da“
Mitten im Dunkel merken - mein Schreien wird gehört.
Es gibt jemanden, den ich wecken darf.
Mitten in der Angst ein „Fürchte dich nicht!“.
Mitten drin ist Gott da.
Für mich.
Im Auge des Sturms.
Mit im Boot.
Gott ist mit auf allen Booten.
Gegen den Sturm und gegen die Angst der Nacht.

VII.
Auch für dich, C., war da dieser andere Moment:
Das kleine rettende Gebet.
Eine Hand, die dich stützte.
Ein Wort, das gut tat.
Jemand, der zuhörte.
Da war es dann da, dieses Gefühl, oder besser die Gewissheit:
Ich bin nicht allein.
Gott lässt mich nicht im Stich.
Er sitzt mit mir in einem Boot und hält mich.
Durch seine Gnade bin ich, was ich bin.
Durch seine Liebe.
Durch seine Zuneigung, für die ich nichts tun muss,
nicht anders sein muss.
In seinen Augen bin ich richtig so, wie ich bin.
Ich bin es ihm wert, dass mich die dunklen Wellen nicht verschlingen.
Rettendes Gnadenwort.

VIII.
Schweigt, ihr tosenden Wellen.
Verstumme, du wilder Sturm.
Gesprochen von dem einen, der mit im Boot sitzt.
Der an meiner Seite sitzt.
Sätze, die ich brauche, wenn mich die Wogen überwältigen.

Und dieser spricht weiter und fragt mich und dich:
Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?
Ich höre keinen Vorwurf,
ich höre eher ein Staunen:
Du hast Angst?
Ich habe geschlafen, weil ich dir zutraue,
dass du das Boot durch die Wellen führst.
Dass du es schaffst.
Ich vertraue dir.
Hab keine Angst.

Was seid ihr so furchtsam?
Da höre ich auch Zuspruch und Trost:
Fürchte dich nicht, ich komm‘, wenn du rufst. Immer.
Ich gehe nicht weg – nicht des Nachts, nicht im Sturm.
Wenn du mich nicht siehst, such mich.
Vielleicht musst du mich wecken – aber ich bin da.
Du bist mein geliebtes Kind.
Und ich bin dein Gott.
Auch im Dunkeln. Gerade dann.

IX.
Ja, es gibt einen, den kann ich rufen.
Rufen, damit er den Sturm stillt.
Einer, der aufsteht – für mich.
In den Stürmen und Wartezimmern dieser Welt.
Einer, den ich wecken darf.
Der lässt sein bequemes Kissen liegen und ist da, für mich.
Sitzt hier an den Tischen der Vesperkirche.
Hält die runzligen Hände der alten Menschen in Pflegeheimen.
Und er wartet mit den Seeleuten auf der Mission Lifeline darauf,
dass sie endlich rausfahren dürfen.

Und mich schickt er auch los.
Aufs Meer, auf den See.
Hin zu den anderen Booten, die da noch sind.
Und fragt mich:
Hörst DU die, die schreien?
Stehst DU auf und tust, was in deiner Macht steht?
Tu es. Du bist auch dabei nicht allein.

Jesus ist mit im Boot.
Gott ist mit im Boot.
Er ist da, wo die Angst ist.
Im Boot und am Meeresgrund.
Geht mit.
Durch den Sturm, durch die Angst und in den Tod.
Und selbst er ist erschöpft.
Und er selbst fragt: Mein Gott, warum?
Wahrer Mensch.
Und wahrer Gott.

X.
Auf seinen Namen sind und werden wir getauft.
Damit wir mit ihm in einem Boot sind.
Und aufstehen und den Sturm zum Schweigen bringen.
Fragen und Zweifel - sie verstummen nicht.
Aber Gott bleibt.
Jesus bleibt.
Und ist da. Mitten im Sturm.
Und er sagt zu dir, liebe C.:
Durch Gottes Gnade bist du, was du bist.

Und zu uns allen:
Fürchtet euch nicht.

Amen.

(1)
Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: 
Lasst uns ans andre Ufer fahren.
Und sie ließen das Volk gehen
und nahmen ihn mit, wie er im Boot war,
und es waren noch andere Boote bei ihm.
Und es erhob sich ein großer Windwirbel,
und die Wellen schlugen in das Boot,
sodass das Boot schon voll wurde.
Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen.
Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm:
Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen?
Und er stand auf und bedrohte den Wind
und sprach zu dem Meer: Schweig! Verstumme!
Und der Wind legte sich und es ward eine große Stille.
Und er sprach zu ihnen:
Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?
Und sie fürchteten sich sehr und sprachen untereinander:
Wer ist der, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind!


(2) Aus "Land unter" von Herbert Grönemeyer vom Album "Chaos" von 1993

Montag, 4. Februar 2019

Non-Stop-Gottesdienst und Vesperkirche - gelebte Gnade

Was Kirchenasyl und das Reich Gottes miteinander zu tun haben...

Predigt zu 1.Korinther 1,4-9


I.
96 Tage hat er gedauert.
96 Tage Non-Stop-Gottesdienst in der Bethel-Kirche in Den Haag.
Organisiert haben den Dauergottesdienst die Pfarrer der Bethelkirche,
Jakob Korf und Axel Wicke.
Viele ökumenische Kollegen haben sich solidarisch erklärt.
Rund 600 Pfarrer beteiligten sich an der Aktion -
auch aus Deutschland und Belgien.
Sie kamen abwechselnd in die Bethelkirche, um dort zu predigen.
Denn so lange hier gepredigt wurde,
hatten staatliche Organe kein Recht die Kirche zu betreten.
Das schützte 96 Tage lang eine fünfköpfige armenische Familie.
Sie erhielt Kirchenasyl,
weil sie abgeschoben werden sollte.
Sie war in der Bethel-Kirche geschützt, solange gepredigt wird.

„Sogar eine Maus findet ein Haus,“
zitiert Pfarrer Korf einen Psalm.
„Wir handeln aus Nächstenliebe.
Wir verlieren auch nicht unseren Humor.
Wir predigen nur.“ (1)

II.
Paulus schreibt an die Gemeinde in Korinth:

Jedes Mal, wenn ich für euch bete,
danke ich meinem Gott für die Gnade,
die er euch durch Jesus Christus geschenkt hat.
Durch ihn hat er euch in jeder Hinsicht reich gemacht
– reich an ´geistgewirkten` Worten
und reich an ´geistlicher` Erkenntnis.
Er hat die Botschaft von Christus,
die wir euch gebracht haben,
in eurer Mitte so nachhaltig bekräftigt,
dass euch nicht eine von den Gaben fehlt,
die er in seiner Gnade schenkt.
Nun wartet ihr sehnsüchtig darauf,
dass Jesus Christus, unser Herr,
´in seiner ganzen Herrlichkeit` erscheint.
Gott wird euch die Kraft geben,
´im Glauben` festzubleiben,
bis das Ziel erreicht ist,
damit an jenem ´großen` Tag,
dem Tag unseres Herrn Jesus Christus,
keine Anklage gegen euch erhoben werden kann.
Ja, Gott ist treu; ´er wird euch ans Ziel bringen`.
Denn er hat euch dazu berufen,
´jetzt und für immer` mit seinem Sohn Jesus Christus,
unserem Herrn,
verbunden zu sein.
(2)

III.
Wir predigen nur. Sagt Pfarrer Korf aus Den Haag.
96 Tage gepredigt, um eine Familie zu retten.
Und sie haben es geschafft.
In der Nacht zum Mittwoch lenkte die niederländische Regierung ein.
Die Familie darf bleiben,
weil die Kinder in den Niederlanden aufgewachsen sind. (3)

„Gott hat die Botschaft von Christus, (…)
in eurer Mitte nachhaltig bekräftigt“

Diese Worte von Paulus reichen bis nach Den Haag.
Denn nichts anderes haben sie getan:
Die Botschaft von Christus gelebt, gebetet, gepredigt, verteidigt
bis zum Letzten.

„Denn ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir zu essen gegeben.
Ich bin durstig gewesen und ihr habt mir zu trinken gegeben.
Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.“
(4)

Diese Worte blieben nicht auf dem Papier.
Sie bekamen das Gesicht der vielen Helfer und Helferinnen,
der Pfarrer und der Musikerinnen.
Sie rochen nach frischem Brot und heißem Tee,
schmeckten nach Gemüseeintopf und Keksen.
Sie erfüllten die Choräle der Singenden
und schickten Twitter-Botschaften um die ganze Welt.
Ich bin eine armenische Familie gewesen
und ihr habt mich aufgenommen.

IV.
„Nun wartet ihr sehnsüchtig darauf,
dass Jesus Christus, unser Herr,
´in seiner ganzen Herrlichkeit` erscheint.“

Paulus spürt dieselbe Sehnsucht:
Dass das Reich Gottes wahr wird und spürbar.
Hier hat jeder Platz. Hier wird niemand abgeschoben.
Hier im Reich Gottes besitzen die Sanftmütigen das Erdreich,
Die mit dem reinen Herzen schauen Gott.
Und die Leidtragenden werden getröstet.
Diese Sehnsucht hat auch die niederländischen Geschwister getrieben.
„Selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit;
denn sie sollen satt werden.“
(5)

V.
Brot und Wein, Gebet und Predigt, Lied und Gemüseeintopf,
5 Betten, eine Küche, ein Hinterhof der Kirche -
Zutaten ihrer Sehnsucht,
dass Jesus „in seiner ganzen Herrlichkeit erscheint.

Zutaten des Gottes Reiches.
Die sehe und schmecke und rieche ich auch hier
- hier in der Stadtkirche in diesen Wochen.
Eine Vesperkirche, die 500 Menschen jeden Tag ein Zuhause gibt.
Wer in der Wohnung niemanden mehr hat:
hier gibt es Menschen, die zuhören.
Wer die Heizung nicht mehr bezahlen kann,
hier kann er sich aufwärmen.
Eine neue Frisur. Endlich wieder schönes Haar.
Ein Lächeln beim Kaffee.
Eine Partie Mensch-ärgere-dich-nicht mit einem Unbekannten.
Ein belegtes Brötchen für zuhause.
Hier wird sichtbar, dass es in unserer Stadt viel zu viel Armut gibt.
Dabei ist unser Land so reich,
dass es sich sogar Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe leistet.

VI.
Korinth war keine perfekte Gemeinde,
unsere Stadtkirche ist es nicht
und die Bethel-Kirche in Den Haag auch nicht.
Aber alle sind getrieben von der Sehnsucht, dass Jesus sichtbar wird.
Dass spürbar wird: er ist unter uns.
Er, der die Hungernden und Dürstenden selig preist
und die Leidtragenden tröstet.
„Gott hat die Botschaft von Christus, (…)
in eurer Mitte nachhaltig bekräftigt“

Diese Worte von Paulus reichen bis nach Den Haag
und nach Pforzheim.
Damit wir nichts anderes tun:
Die Botschaft von Christus erbitten und predigen.
Und sie verteidigen bis zum Letzten.

„Jedes Mal, wenn ich für euch bete,
danke ich meinem Gott für die Gnade,
die er euch durch Jesus Christus geschenkt hat."

Ja, es ist gelebte Gnade, wenn Menschen hier Gottes Liebe spüren.
Und es ist gelebte Gnade, die in Den Haag spürbar war.
Denn die Liebe Gottes gilt allen Menschen.
Und sie stellt sich schützend vor sie.
Zur Not auch gegen staatliche Kräfte.

VII.
Die Korinther, an die Paulus schreibt, waren ziemlich zerstritten.
Er hat im ganzen Brief sehr viel an ihnen auszusetzen:
Wie sie mit den Armen in ihren Reihen umgehen.
Und wie überheblich sie sind in ihrem Glauben.
Dennoch entdeckt er auch unter ihnen Teilchen der Liebe Gottes.
Gnadenstücke, wenn sie Brot teilen.
Selbst wenn alles Stückwerk ist und dies sogar für alle Erkenntnis gilt:
Wo Liebe gelebt wird, ist Jesus da.
Und wenn die Sehnsucht nach dieser Liebe wach bleibt,
Dann ist das schon Grund zum danken.

Wir als Kirche sind nie vollkommen.
Wir machen Fehler.
Zum Teil auch wirklich unentschuldbare.
Jahrhunderte lang wurden Liebende gedemütigt.
Nur weil ihre Liebe nicht der Norm entsprach.
Man hielt Sklaverei für gottgegeben
und schaute weg, als Juden ermordet wurden.

Umso wichtiger ist es, dass wir uns nun an die Seite der Verfolgten stellen.
Dass wir Menschen schützen.
Und den Leidtragenden und Hungernden und Armen beistehen.
Für sie da sind.
Egal woher sie kommen
und was sie glauben und wen sie lieben.
Wenn dies geschieht - dieses Für-sie-da-sein,
dann bin ich dankbar.
Und darum bin ich dankbar für die Vesperkirche hier
Und dankbar für den 96-Tage-non-stop-Gottesdienst in Den Haag.

Sowas zeigt mir, dass Jesus da ist.
In kleinen Stücken wie im Brot
und wie in einer Tasse Kaffee
oder einer Non-Stop-Predigt,
die eine armenische Familie schützt.

„Wir handeln aus Nächstenliebe.
Wir verlieren auch nicht unseren Humor.
Wir predigen nur.“

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.


(1) https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.kirchenasyl-in-den-haag-dauergebet-statt-abschiebung.f11a5815-369a-4685-ad4e-cce055658c01.html
(2) 1. Korinther 1,4-9 nach "Neuer Genfer Übersetzung"
(3) https://www.ekhn.de/aktuell/detailmagazin/news/kirchenasyl-nach-3-monaten-dauergottesdienst-beendet.html
(4) Matthäus 25,35
(5) Matthäus 5,6