Montag, 8. April 2024

Ein Mehr an Leben - oder was Billy Elliot, Jack, Thomas und Jesus verbindet....


Predigt zu Johannes 20, 19-21.24-29

Es war Abend geworden an diesem ersten Wochentag nach dem Sabbat.

Die Jünger waren beieinander und hatten die Türen fest verschlossen.

Denn sie hatten Angst vor den Behörden.

Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: »Friede sei mit euch!«

Nach diesen Worten zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite.

Die Jünger freuten sich sehr, als sie den Herrn sahen.

 

Thomas, der auch Zwilling genannt wird, gehörte zum Kreis der Zwölf.

Er war nicht bei ihnen gewesen, als Jesus gekommen war.

Die anderen Jünger berichteten ihm: »Wir haben den Herrn gesehen!«

Er entgegnete ihnen:

»Erst will ich selbst die Wunden von den Nägeln an seinen Händen sehen.

Mit meinem Finger will ich sie fühlen.

Und ich will meine Hand in die Wunde an seiner Seite legen.

Sonst kann ich das nicht glauben!«

 

Acht Tage später waren die Jünger wieder beieinander.

Diesmal war Thomas bei ihnen.

Wieder waren die Türen verschlossen.

Da kam Jesus, trat in ihre Mitte und sagte: »Friede sei mit euch!«

Dann sagte er zu Thomas:

»Leg deinen Finger hierher und sieh meine Hände an.

Streck deine Hand aus und leg sie in die Wunde an meiner Seite.

Sei nicht länger ungläubig, sondern komm zum Glauben!«

Thomas antwortete: »Mein Herr und mein Gott!«

Da sagte Jesus zu ihm: »Du glaubst, weil du mich gesehen hast.

Glückselig sind die, die mich nicht sehen und trotzdem glauben!«


1.    Jack kann es nicht glauben
 
Jack kann es nicht glauben.
Sein Sohn Billy, 11 Jahre alt, will Balletttänzer werden!
Alle Männer der Familie Elliot haben boxen gelernt. Die Zeiten sind hart. In den 80er toben die Arbeitskämpfe in Durham. Die Zechen sollen geschlossen werden. Sie haben Angst um ihre Arbeitsplätze. Und darum streiken sie und haben eigentlich nichts, außer ein paar Cent.
Aber boxen – das soll jeder Junge können. Schließlich wird einem nichts geschenkt und dann muss man sich wenigstens wehren können. Also geben die Väter von Durham ihre letzten 50 Cent, damit ihre Söhne in der Boxhalle trainieren können, so wie sie früher.
 
Eines Tages kommt Mrs Wilkinson, die Balletlehrerin, zu Jack und schlägt ihm vor, Billy auf die Royal Ballet School zu schicken. Billy hatte schon eine Weile bei ihr gelernt, ohne dass Jack es wusste.

Jack ist fassungslos.
Während Billys großer Bruder Tony von der Polizei zusammenschlagen wird, lernt Billy ausgerechnet: tanzen. Heimlich. Statt zu boxen. "Du hast dich um Grandma zu kümmern, während wir kämpfen!" - brüllt Jack seinen Sohn an. Und er tobt und schlägt um sich und seine Fäuste treffen Billy.
 
Jack kann nicht glauben, dass Billy ein Tänzer ist. Es passt nicht in sein Bild von Billy,
es passt nicht zu dem, was sie als Familie durchmachen.
Es passt nicht dazu, dass sie das von der toten Mutter geerbten Klavier zerhacken müssen, um Brennholz zu haben. Es passt nicht zur Brutalität der Polizei und nicht zur Dunkelheit der Zechen. Es passt nicht zum Ruß, der über Durham liegt, und den Schnee in ein matschiges Grau verwandelt. (1)
 
2.    Thomas kann es nicht glauben
 
Thomas kann es nicht glauben.
Jesus, der Freund, der Lehrer, soll leben. Die anderen Jünger und Jüngerinnen haben ihn angeblich gesehen. Der so elend am Kreuz starb und das vor allen Augen – der soll leben? Und er wurde doch dann in das Grab von Josef von Arimathäus gelegt… Das passt nicht.
Es passt nicht in die Welt, die Thomas kennt. Es passt nicht zum unerbittlichen Handeln der römischen Soldaten. Es passt nicht zum Blut, zum Schmerz, zum Grau der Tage. Nicht zu den enttäuschten Gesichtern derer, die gehofft hatten, dass nun endlich alles anders wird. Und immer noch verkriechen sie sich hinter dicken Mauern.
Dass Jesus leben soll, das passt nicht zu den Tränen der Frauen, die die ganze Zeit unter dem Kreuz waren. Nicht zu der Angst, die die Jesus-Freunde immer noch haben - dass es auch sie treffen könnte.
Thomas ist kein Ungläubiger, auch wenn er oft so genannt wird. Aber er ist auch kein Leichtgläubiger, kann nicht einfach so glauben, was seine Freunde ihm erzählen.
 
Ich verstehe Thomas gut.
Jesus lebt? Da müsste doch die Welt auf dem Kopf stehen, alles anders sein.
Die Angst verflogen - alle Türen offen. Die Tränen getrocknet. Kein Tod mehr. Kein Leid mehr.
Aber die Welt ist weiterhin wie sie ist. Die Türen sind und bleiben verschlossen.
Wieso merke ich nichts davon, dass Jesus lebt?
 
3.    Thomas begreift
 
Und plötzlich ist er da, der Auferstandene.
Steht vor Thomas - so wie 8 Tage vorher bei den anderen. Steht vor ihm - offensichtlich können Mauern und verschlossene Türen ihn nicht draußen halten. Es gibt keine Grenzen mehr, kein drinnen und draußen, Himmel und Erde verschwimmen. Wunden und Wunder gehen ineinander über. Die Schwelle zwischen Tod und Leben überschritten. Die Welt, wie Thomas sie kannte, bröckelt.

Aber es reicht noch nicht. „Erst will ich selbst die Löcher von den Nägeln an seinen Händen sehen. Mit meinem Finger will ich sie fühlen. Und ich will meine Hand in die Wunde an seiner Seite legen.“
Zeigt mir seine Narben, sagt Thomas zu den anderen. Lasst mich begreifen, was geschehen ist.
Lasst es mich spüren. Berühren. Fleisch und Blut, Haut und Haar.
Kein Geist. Sondern Mensch. Der Mensch Jesus.
 
Und Jesus lässt es zu. Er zeigt Thomas seine Narben. Und das genügt.
Jesus zeigt sich ungeschützt, mit all den Spuren, die das Leben und der Tod hinterlassen haben.
Zeigt sich, wie er ist. Unverstellt. Echt.
Und das lässt Thomas glauben.
Jesus ist kein Geist, der mit ihm nichts zu tun hat.
Sondern vielleicht sogar mehr Mensch denn je und damit ganz nah.
 
4.    Jack begreift
 
Und plötzlich ist er da. Billy, der 11jährige Junge, steht in der Boxerhalle vor seinem Vater. Beide haben nicht damit gerechnet, dass sie sich hier treffen. Draußen und drinnen verschwimmen. Sie sind erschrocken. Wird der Vater wieder prügeln?
 
Billy fängt an zu tanzen. Alles lässt er raus - seine Wut, seine Trauer, seine Angst, seine Tränen.
Er tanzt wie noch nie. Und Jack begreift auf einmal, wen er da vor sich hat.
Es ist Billy, den er doch von klein auf kennt und liebt und den er doch nun zum ersten Mal richtig sieht.
Mit seinen Narben auf der Seele und seiner Wut im Bauch. Er lässt sich berühren, obwohl er nur zuschaut.
Denn Billy hat sich gezeigt. Ohne Mauern. Ohne Panzer. Ungeschützt, unverstellt, echt.
 
5.    Ein Mehr an Leben
 
Damit ist der Damm gebrochen. Jack erkennt, was Billy braucht.
Und für die ganze Familie beginnt ein neues Leben.
Immer noch voller Tränen und Zweifel. Nicht wissend, ob Billy es schaffen wird.
Sie gehören zusammen und niemand kann sie auseinander treiben, noch nicht mal das Grau in Grau von Durham oder die gnadenlose Dunkelheit der Zechen.
Billy wird ein großer Tänzer, der die Herzen berührt und seinem Vater die Tränen in die Augen treibt.
Ja, sie beginnen zu glauben, dass es mehr gibt. Ein Mehr an Leben.
Und obwohl so viel dagegen spricht: das Leben lohnt sich und hat alle Liebe verdient.
 
Ein Mehr an Leben….
Auch Thomas beginnt zu glauben. Mein Herr und mein Gott - mehr kann ein Mensch nicht bekennen, wenn er Jesus begegnet.

Mit seiner Geschichte macht er zahllosen anderen Mut.
Mir jedenfalls ist Thomas sehr nahe.
Wenn ich mich nicht einfach vertrösten lassen will, habe ich Thomas an meiner Seite.
Wenn ich mich danach sehne, Jesus begreifen zu können, bin ich in den Spuren von Thomas.
Wie er will ich mich berühren lassen und will berühren.
Wie er brauche ich diesen lebendigen Jesus, der mir seine Narben zeigt.
Dieser Jesus ermutigt mich dazu, selber meine Narben offenzulegen, echt zu sein, mich nicht zu verstellen. Auf Tuchfühlung zu gehen mit Menschen, die mich lieben und die ich liebe.
Unsere Welt braucht es, dass die Grenzen zwischen Himmel und Erde, zwischen Tod und Leben fallen.
Ein Mehr an Leben – und es lohnt sich, obwohl so viel dagegen spricht.
Und ich möchte glauben, dass dies geschieht.
 
6.    Ich glaube
 
Ich kann es glauben.
Ich glaube, dass ein boxender Junge Tänzer wird.
Ich möchte glauben, dass jeder Mensch frei leben kann – echt und unverstellt. 
Ich klammere mich daran, dass das eines Tages geschieht.
 
Das Holz vom Klavier wird nicht zum Heizen gebraucht, sondern lässt Musik erklingen.
Die Arbeit laugt die Menschen nicht mehr aus.
Und alle tanzen auf der Straße mit Boxerstiefeln und Ballettschuhen.
 
Ich will glauben, dass die Welt nicht so bleiben muss, wie sie ist.
Ich möchte glauben, dass ein machtbesessener Präsident nicht einfach einen Krieg anzetteln kann,
sondern Parlament und Ministerinnen ihn stoppen.
Ich möchte glauben, dass die Welt nicht auf eine Terroristenbande wie die Hamas hört,
sondern auf die misshandelten jungen Frauen, die einfach nur tanzen wollten.
Ich klammere mich daran, dass das eines Tages geschieht.
 
Und ich spüre meine Narben und sehe deine Wunden.Und ich glaube, dass das wichtig ist.
Wir begreifen, dass wir Gottes Kinder sind und unser Leben hat alle Liebe verdient.

Lahme gehen, Blinde sehen, Tote stehen auf.
Und ja, Gottes Liebe zum Leben ist stärker als alles andere.
Das glaube ich.
Und das hoffe ich – mit Billy und Jack und mit Thomas.
Amen.

(1) Billy Elliot - I will dance. Aus dem Jahr 2000. Absolut empfehlenswert!
https://de.wikipedia.org/wiki/Billy_Elliot_%E2%80%93_I_Will_Dance

Freitag, 29. März 2024

Es schreit zum Himmel


Kreuzestod, Kindesmissbrauch und Einsamkeit

Predigt zu Matthäus 27, 33-56 

(mit Dank an die "Predigtbuddies" mit Holger Pyka für die Anregung (1)
und großem Dank an Detlev Zander, der seine Geschichte so offen und mutig erzählt!)

 Bibeltext s.u. (2)

Achtung: Triggerwarnung Gewalt und Missbrauch!

1. Der Schrei zum Himmel

Es schreit zum Himmel.
Da wird einer zum Gespött der Leute.
Angespuckt. Verhöhnt. Erniedrigt. Gequält.
Matthäus lässt nichts aus. Weder den Schmerz, noch die Einsamkeit.
Und auch nicht die brutale Gemeinheit aller drumherum.
Und wie der Teufel einst in der Wüste (Matthäus 4) verspotten sie ihn mit ihrem
„Wenn du der Sohn Gottes wärest, dann…“
Nein, es gibt kein „dann“ für Jesus. Nicht jetzt. Nicht hier am Kreuz.
Nicht mit der Dornenkrone und dem Blut und den Nägeln im Fleisch.
Ohnmächtig wie nur einer ohne Macht sein kann.
Ausgeliefert den Folterern und denen, die sich daran ergötzen.
Für diese ist das alles nicht mehr als ein Spektakel.
Draußen vor der Stadt und doch für alle sichtbar.
Da ist kein „es ist vollbracht“, kein Ausblick ins Paradies, kein „Vater, vergib“.
Nur nackte Gewalt. Sie schreit zum Himmel.
Und er, Jesus, schreit zum Himmel.
Wer hört ihn?

2. Das Schreien der Alleingelassenen

Es schreit zum Himmel.
Und ich höre das Schreien der Kinder, die in evangelischen Kinderheimen gefoltert wurden.
In unseren Häusern.
Ich höre Detlev Zander, der im SWR-Nachtcafé von Korntal erzählt.
Nicht weit weg von hier.
Wie er dort als 4jähriger seinen Peinigern ausgeliefert war  -
im Fahrradkeller, während oben drüber gebetet wurde.
Detlev schrie zum Himmel.
Und niemand hörte ihn.

Ich aber höre von ihm, wie er noch 40 Jahre später verhöhnt wird.
Du scheinst ja ein gutes Gedächtnis zu haben.
Du willst ja nur Geld.
Du willst unsere Kirche zerstören.

Diese Stimmen waren lauter als die von Detlev.
Sie wurden gehört. Detlev nicht.

Ja, es schreit zum Himmel.
Und es gehört zur nackten Gewalt, dass niemand hört.
Dann bist du allein mit deinem Leid.
Das ist Methode.

So sagte vor 3 Jahren Alexei Navalny (3):
"das ist das Wichtigste, was dieser Machtapparat,
was unser ganzes System solchen Menschen sagen will:
“Du bist allein. Du bist ein Einzelgänger.”
Zuerst Angst einjagen und dann zeigen, dass du allein bist. (…)
Ja, die Sache mit der Einsamkeit ist sehr wichtig.
Es ist ein sehr wichtiges Ziel dieses Regimes. (….)
Wissen Sie, die Burschen, die den Gefangenentransport bewachen, sind tolle Jungs,
und meine Wächter im Gefängnis sind auch okay – aber sie reden nicht mit mir.
Es wurde ihnen wohl verboten. Sie sagen nur gelegentlich etwas Dienstliches.
Und das ist eben auch so eine Sache, damit ich mich ständig einsam fühle.“


3. Der Himmel reagiert

Es schreit zum Himmel.
Doch der Himmel hört auf Jesus und reagiert. Und zwar laut!
Er reagiert mit Erdbeben und zerbrechenden Felsen und offenen Gräbern.
Und mit Dunkelheit.

Im Talmud heisst es:
Wenn der König trauert, löscht er die Lampen aus.
Wenn Gott trauert, löscht er Sonne und Sterne.

Gott trauert. Und seine Trauer legt sich über das ganze Land.
Was da am Kreuz geschieht, bleibt nicht unbemerkt,
es kann nicht unbemerkt bleiben.

Unfassbares Leid - wir versuchen wegzusehen.
Es soll nicht bemerkt werden. Niemand soll hören.
Ja, die Hinrichtung von Jesus findet zwar öffentlich statt,
aber doch draußen vor der Stadt,
weit weg vom Leben innerhalb der Stadtmauern Jerusalems.
Dieser Tod hat mit uns nichts zu tun, will man damit sagen.
Er gehört nicht zu uns. Lasst ihn draußen.
Schaut hin, aber lasst es nicht in euch hinein. Nicht in euer Herz.


Doch Gott lässt das nicht zu.
Gott hört. Gott sieht. Und wird laut.
Wenn jemand auf so brutale Weise ums Leben kommt und gequält wird,
macht Gott das Licht aus. Lässt es donnern und blitzen.
Und die Gewalt da draußen trifft ins Mark, mitten ins Zentrum.
Der Vorhang zum Allerheiligsten zerreißt.
Wenn einem Menschen Leid zugefügt wird,
fällt die Grenze zwischen draussen und drinnen in sich zusammen.
 
Am Kreuz schreit es zum Himmel und Gott schreit stumm zurück:
ich bin da und sehe, was geschieht.
Ich bin da, bei meinem Kind.
Wenn es zum Himmel schreit, schreit auch der Himmel.
Und es bleibt nicht unbemerkt. Es wird aufgedeckt.

4. Gott hört und andere auch

Und das ist die Botschaft von Matthäus für mich heute.
Neben den vielen Botschaften vom Kreuz,
die in unseren Liedern und Traditionen immer wieder auch gesagt werden,
ist das heute die Botschaft für mich:
Unfassbare Grausamkeit, unfassbare Ungerechtigkeit bleibt nicht verborgen.

Gott sieht hin und tut was.
Gott ist da und trauert und schreit
und Gott sorgt dafür, dass auch wir hinsehen und handeln.


Ja, Matthäus erzählt so viel Brutales und Unversöhnliches.
Denn das ist das Kreuz auch und wir müssen aufpassen,
dass wir es nicht schön reden, auch wenn es kaum auszuhalten ist.

Aber Matthäus erzählt noch mehr.
Da sind nicht nur die Folterer und die Verhöhnenden und die johlende Menge.
Matthäus erzählt auch von Menschen, die anders sind,
die da sind und da bleiben, die hinhören und was tun.

Da ist einer, der will dem sterbenden Jesus helfen und ihm zu trinken geben.
Da ist einer, der erkennt, dass er Gottes Sohn vor sich hat und sagt es laut.
Und das sind die Frauen, Maria Magdalena und die anderen.
Die sind die ganze Zeit da. Bei ihm, ihrem Freund, ihrem Lehrer, ihrem Jesus.
Sie sind da und sie bleiben da und lassen sich nicht wegscheuchen.
Sie sind auch später noch da, als alle anderen weg sind.

Ja, wenn es zum Himmel schreit, schreit Gott nicht nur,
sondern macht dich fähig, mitmenschlich zu sein.
Gott macht, dass du nicht wegläufst, sondern bleibst.
Gott macht dich stark genug, den Schmerz auszuhalten.
Und die Geschichte zu erzählen, damit sie nicht vergessen wird.

5. Ich schreie mit

Es schreit zum Himmel und Gott schreit mit.
Und ich bitte Gott, dass er auch mich mitschreien lässt.
Dass Gott mich stark macht, da zu sein und hinzusehen.
Und menschlich zu sein.
Zu trinken zu geben und die Wahrheit laut zu sagen.
Ich bitte Gott darum, dass ich die Kraft und den Mut habe,
mich für die einzusetzen, deren Leid verborgen wird.

Menschen wie Detlev Zander brechen das Schweigen.
Sie sagen laut, was im Folterkeller des Kinderheimes passiert ist.
Sie klagen an, dass unsere Kirche das ermöglicht hat.
Sie lassen sich nicht aufhalten, als unsere Kirche das vertuschen will.
Sie lassen sich verspotten und verhöhnen und geben dennoch nicht auf.
Und sie lassen auch jetzt nicht zu, dass wir wegschauen oder ihr Leid kleinreden.
Es schreit zum Himmel und wir sollten das Schreien endlich hören.

Menschen wie Alexei Navalny brechen das Schweigen.
Sie lassen sich nicht mundtot machen.
Sie lassen sich nicht verbannen in die Einsamkeit.
Sie können nicht verhindern, dass das Regime sie tötet.
Aber sie lassen nicht zu, dass man ihr Sterben vertuscht.
Und andere Menschen stehen auf, ermutigt von ihnen, 
und gehen zur Trauerfeier und es kommen so viele,
dass die Polizei sie nicht wegschicken kann.
Sie schreien zum Himmel und wir sollen ihr Schreien hören - und mitschreien.

6. Gott schreitet ein

Gott schreit vom Himmel als es zum Himmel schreit. Am Kreuz.
Und die Ewige schreitet ein. Wenigstens bei diesem einen, bei Jesus.
Sie lässt ihn nicht im Tod.
Dieser Verhöhnte, dieser Gequälte, dieser Hingerichtete und Weggeworfene
ist und bleibt ihr Kind.
Der zu Unrecht Getötete wird rehabilitiert.
Jetzt gibt es kein „Wenn du der Sohn Gottes wärest, dann…“ mehr.
Sondern nur noch „Du bist mein geliebter Sohn, ohne wenn und aber.“
Endlich. Endlich.
Himmlische Gerechtigkeit.

Auch wir sind Gottes Kinder.
Aber: Diese himmlische Gerechtigkeit steht für uns noch aus.
Das Böse ist noch da.
Und so schreit Gerechtigkeit für den einen nach der Gerechtigkeit für alle,
die immer noch unschuldig leiden.
Und das bleibt erstmal so. Es schreit weiterhin zum Himmel.

Und darum ist es an uns, da zu sein,
- als Christen und Christinnen, als Mitmenschen.
Unter dem Kreuz.
Hinsehen, aufdecken, mitschreien.
Jetzt und heute und morgen und die nächsten Monate.
Das ist unsere Aufgabe. Die Botschaft vom Karfreitag:
Wir schreien zum Himmel für alle, die niemand hören will.
Und für sie rufen wir:
Mein Gott, warum hast du sie verlassen?
Wir sorgen dafür, dass ihr Schreien gehört wird.
Und der Himmel wird antworten.
Amen.


(1) https://www.podcast.de/podcast/2689573/die-predigtbuddies

(2) 

33Und als sie an die Stätte kamen mit Namen Golgatha, das heißt: Schädelstätte, 34gaben sie ihm Wein zu trinken mit Galle vermischt; und da er’s schmeckte, wollte er nicht trinken. 35Als sie ihn aber gekreuzigt hatten, verteilten sie seine Kleider und warfen das Los darum. 36Und sie saßen da und bewachten ihn. 37Und oben über sein Haupt setzten sie eine Aufschrift mit der Ursache seines Todes: Dies ist Jesus, der Juden König. 38Da wurden zwei Räuber mit ihm gekreuzigt, einer zur Rechten und einer zur Linken. 39Die aber vorübergingen, lästerten ihn und schüttelten ihre Köpfe 40und sprachen: Der du den Tempel abbrichst und baust ihn auf in drei Tagen, hilf dir selber, wenn du Gottes Sohn bist, und steig herab vom Kreuz! 41Desgleichen spotteten auch die Hohenpriester mit den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: 42Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen. Er ist der König von Israel, er steige nun herab vom Kreuz. Dann wollen wir an ihn glauben. 43Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, wenn er Gefallen an ihm hat; denn er hat gesagt: Ich bin Gottes Sohn. 44Desgleichen schmähten ihn auch die Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren. 45Von der sechsten Stunde an kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde. 46Und um die neunte Stunde schrie Jesus laut: Eli, Eli, lama asabtani? Das heißt: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?47Einige aber, die da standen, als sie das hörten, sprachen sie: Der ruft nach Elia. 48Und sogleich lief einer von ihnen, nahm einen Schwamm und füllte ihn mit Essig und steckte ihn auf ein Rohr und gab ihm zu trinken. 49Die andern aber sprachen: Halt, lasst uns sehen, ob Elia komme und ihm helfe! 50Aber Jesus schrie abermals laut und verschied.

51Und siehe, der Vorhang im Tempel zerriss in zwei Stücke von oben an bis unten aus. Und die Erde erbebte, und die Felsen zerrissen, 52und die Gräber taten sich auf und viele Leiber der entschlafenen Heiligen standen auf 53und gingen aus den Gräbern nach seiner Auferstehung und kamen in die heilige Stadt und erschienen vielen. 54Als aber der Hauptmann und die mit ihm Jesus bewachten das Erdbeben sahen und was da geschah, erschraken sie sehr und sprachen: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen! 55Und es waren viele Frauen da, die von ferne zusahen; die waren Jesus aus Galiläa nachgefolgt und hatten ihm gedient; 56unter ihnen war Maria Magdalena und Maria, die Mutter des Jakobus und Josef, und die Mutter der Söhne des Zebedäus.

(3) https://sinnundgesellschaft.de/alexej-nawalnys-schlusswort/


Mittwoch, 13. März 2024

Augenblicke der Wahrheit

Von einem feigen Petrus und einer feigen Kirche und dass das nicht so bleiben muss

Predigt zu Lk 22*

Simon ist ein mutiger Mann.
Als Fischer direkt von den Booten weg zum Jünger von Jesus berufen.
Galiläer durch und durch – sein Akzent verrät das.
Und er erkannte früh, wer Jesus ist.
Dafür bekommt er von Jesus den Ehrentitel „Petrus“ – Stein, Fels.
Jesus traut ihm viel zu.

Auch jetzt ist Simon Petrus mutig, zumindest am Anfang.
Nachdem Jesus abgeführt wurde, wagt er sich als einziger nahe heran an den Ort,
wo Jesus verhört werden soll.
Mitten in den Hof des Hohepriesters setzt er sich zu Fremden ans Feuer.
Keiner seiner Freunde und Freundinnen ist bei ihm. Er ist alleine dort.
Aber das ignoriert er.
Denn er möchte aus der Nähe mitbekommen, wie es mit Jesus weitergeht.
Und ihm vielleicht sogar helfen?
Er hat es ja versprochen.

2. Augenblick der Wahrheit

Doch in was für eine Gesellschaft ist er da geraten?
Tuschelnde Stimmen. Blicke treffen ihn, die ihn genau ansehen – mustern – kritisch beäugen.
Das ist er: der Augenblick der Wahrheit.

Offensichtlich hat sich Petrus selbst übernommen –
er ist der ganzen Situation nicht gewachsen.
Zunächst tuschelt die Magd zu den anderen „Dieser war auch mit ihm.“
Petrus wehrt sich: „Frau, ich kenne ihn nicht“.
Und dann geht das noch zweimal so.
Er windet sich und leugnet selbst da, wo es nichts zu leugnen gibt.
Ein schöner Felsen ist das, der unter kritischen Blicken und tuschelndem Flüstern 
und ganz allein unter Fremden immer mehr ins Wanken kommt!
Dabei hätte Petrus es doch ahnen können:
Binnen weniger Tage hat sich seine Welt komplett verändert.
Binnen weniger Stunden sieht sein Leben ganz anders aus.
War er vor kurzem noch Jünger eines gefeierten Rabbis und Heilers,
hält die Politik seinen besten Freund nun für einen Verbrecher.
Und das ist auch für Petrus gefährlich.
Hat er es erst jetzt realisiert?

3. Feigheit

Und ja, da ist er, der Augenblick der Wahrheit.
Aus dem mutigen Simon ist der feige Petrus geworden.
In dem Moment, als er merkt, was passiert ist, ist es zu spät.
Jesus schaut ihn an. Der Hahn kräht.
Der Augenblick der Wahrheit tut weh. So weh, dass er sich nur noch schämt.
Allein im Hof mit der Wahrheit und mit sich selbst.
Was hab ich nur gemacht?

Ein Augenblick der Wahrheit ist für unsere Kirche der 25. Januar in diesem Jahr:
die ForuM-Studie wurde der Öffentlichkeit vorgestellt** -
die Studie, die das jahrzehntelange Versagen der evangelischen Kirchen in Deutschland
im Umgang mit sexualisierter Gewalt durch ihre Mitarbeiter dokumentiert.
Weggeschaut, ignoriert, weggehört, lächerlich gemacht, geschwiegen -
alles das haben viel zu viele in unserer Kirche gemacht,
obwohl Betroffene sich an sie gewandt haben.
Statt sich auf ihre Seite zu stellen und ihnen zu glauben,
hat die Kirche sogar die Täter geschützt.
Denn es waren ja die "netten", die "tollen", die "charismatischen" Pfarrer und Leiter -
"nein, der doch nicht. Das musst du dir ausgedacht haben.
Und wir müssen doch auch an ihn denken."

Und so ging es weiter und weiter und jahrzehntelang passierte - nichts.
"Wir sind nicht zuständig. Nein, ich bin es nicht."
Und auf einmal kräht der Hahn. Und Jesus schaut uns an.

Ja, unsere Kirche war feige
und hat ausgerechnet die unter uns in Stich gelassen, die ihr vertraut haben.
Und wir müssen sehr aufpassen, dass wir dasselbe nicht wieder tun.
Indem wir uns rausreden:
"ach, das war doch früher so. Heute haben wir das im Griff.
Und schließlich gab es das woanders ja auch. Das ist doch ein gesellschaftliches Problem.
Und in den Vereinen ist das noch viel schlimmer."

Und so gehen die Relativierungen weiter.
Dabei hat der Hahn schon längst gekräht
und jetzt muss Schluss sein mit diesen Ausflüchten und Verweigerungen.

4. Beistehen

Simon Petrus macht es uns vor.
Jetzt weicht er nicht mehr aus, sondern weint.
Große Worte, große Gesten helfen nicht weiter.
Nur noch Tränen. Nur noch echt sein. Nur noch da sein.
Auf dem Hof der Wahrheit.
Die eigene Feigheit anschauen.

Ich hätte ihm gewünscht, dass er da im Hof nicht alleine gewesen wäre.
Ich stelle mir vor, Maria Magdalena wäre auch dabei gewesen.
Am Feuer, als das Dienstmädchen über Simon spricht:
Der da war auch mit ihm zusammen!
Und Simon sagt: Ich kenne ihn gar nicht.

Und Maria Magdalena tritt ans Feuer und sagt:
Ich kenne ihn und dieser Jesus ist der gütigste Mensch, den ich kenne.
Und aus dem Schatten tritt Levi in den Feuerschein und sagt:
Ja, er hat mich dazu gebracht, dass ich all meinen Besitz geteilt habe!
Und so fasst sich auch Simon ans Herz und sagt:
Ihr habt recht, ich kenne ihn auch. Ich kenne ihn sehr gut.
Und noch besser kennt er mich. Und darüber bin ich froh.
Vielleicht hätte Simon das gebraucht?
Dass da noch andere mit ihm stehen und er nicht alleine ist?
Dann hätte er vielleicht seinen Mut wieder gefunden.

5. Andere stärken

Er hat es dann ja verstanden.
Das war ja der Auftrag von Jesus an ihn:
Stärke deine Brüder und Schwestern!
Steh ihnen bei. Stell dich an ihre Seite. Richte sie auf. Tu dich mit ihnen zusammen.

Und vielleicht brauchte er genau diesen Tiefpunkt im Hof des Hohepriesters:
Die Erkenntnis: Alleine bin ich nicht stark genug.
Ich bin auch nicht besser als die anderen.
Und trotzdem hält Jesus an mir fest.
Jesus schaut mich an, sieht mein Versagen, meinen Kampf, meine Tränen, meine Feigheit.
Trotzdem traut er mir zu, ein Felsen zu sein und andere zu stärken.
Und genau das muss ich nun tun.

Ja, Simon Petrus schämt sich aus tiefstem Herzen für seine Feigheit
und sein Wegducken und gerade darin ist er ein Vorbild.
Er hört schließlich auf, feige zu sein.
Und geht dafür sogar ins Gefängnis.

6. Augenblicke der Wahrheit

Der Augenblick der Wahrheit kann dich einsam machen.
Der Augenblick der Wahrheit treibt dir die Tränen der Scham in die Augen.
Der Augenblick der Wahrheit kann dir aber auch die Augen öffnen
und du weißt, was zu tun ist.

Für unsere Kirche ist der Augenblick der Wahrheit gekommen.
Und auch wir wissen, was zu tun ist.
Zuhören, aufdecken, hinsehen, ehrlich sein,
und Entschädigung zahlen.
Und alles dafür tun, dass Betroffene von Gewalt nie wieder in Stich gelassen werden.
Das ist bei weitem noch nicht alles. Aber es ist dran.
Es ist dran, endlich mit der Feigheit aufzuhören.
Das Gute ist: wir sind nicht alleine unterwegs. Und Jesus traut uns das zu.

7. Mutig sein

Der Augenblick der Wahrheit führt ins Licht.
Für Simon Petrus ist die Nacht vorbei.
Der Morgen bricht an. Rosarot.
Der letzte Blick von Jesus gilt ihm.
Und er weiß, dass er nicht allein ist.

Und auch du bist dann nicht allein.
Jesus sieht dich an.  
Und auch dein Morgen bricht an. Rosarot.

Und da sind die Schwestern und Brüder,
die du stark machst und die dich stark machen.
Zusammen tretet ihr ein für alles, was unseren Freund und Bruder Jesus ausmacht:
für seine Liebe zu den Menschen.
In den nächsten Wochen und Monaten wird euer Mut gebraucht.
Und ihr seid nicht allein.

Mit euch ist der Friede, welcher höher ist als all unsere Vernunft.
Er bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

*) Lukas 22, 24 - 34 und 54 - 62

Die Jünger begannen darüber zu streiten, wer von ihnen der Wichtigste war.
Aber Jesus sagte zu ihnen::
»Die Könige herrschen über ihre Völker, und die Machthaber lassen sich Wohltäter nennen.
Aber ihr sollt nicht so sein:
Sondern wer unter euch der Wichtigste ist, soll sein wie der Geringste –,
und wer führen will, wie einer, der dient.
Wer ist denn wichtiger? Der zu Tisch liegt und isst oder der ihn bedient?
Natürlich der zu Tisch liegt! Doch ich bin unter euch wie einer, der dient.
Ihr habt mit mir durchgehalten, wann immer ich auf die Probe gestellt wurde.
So gebe ich euch Anteil an der Herrschaft, die mein Vater mir übertragen hat:
In meinem Reich sollt ihr an meinem Tischessen und trinken.
Ihr sollt auf Thronen sitzen und über die zwölf Stämme Israels Gericht halten.«

Simon, Simon! Sieh doch:
Der Satan hat sich von Gott erbeten, euch durchzusieben wie den Weizen!
Aber ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhört.
Wenn du dann wieder zu mir zurückgekehrt bist, sollst du deine Brüder und Schwestern stärken.«

Petrus entgegnete Jesus:
»Herr! Ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis zu gehen – ja, sogar mit dir zu sterben!«
Aber Jesus erwiderte:
»Das sage ich dir, Petrus:
Noch bevor heute der Hahn kräht, wirst du dreimal abstreiten, dass du mich kennst.«
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Die Männer nahmen Jesus fest, führten ihn ab
und brachten ihn in das Haus des Hohepriesters.
Petrus folgte in einiger Entfernung.
In der Mitte des Hofes brannte ein Feuer, um das sich einige Leute versammelt hatten.
Petrus setzte sich mitten unter sie.
Ein Dienstmädchen sah Petrus dort im Schein des Feuers sitzen.
Sie musterte ihn aufmerksam und sagte: »Der da war auch mit ihm zusammen!«
Petrus stritt das ab und sagte: »Ich kenne ihn gar nicht, Frau!«
Kurz darauf sah ihn jemand anderes und sagte: »Du gehörst auch zu denen!«
Aber Petrus erwiderte: »Mensch, ich doch nicht!«
Etwa eine Stunde später behauptete ein anderer:
»Ganz bestimmt gehört er zu denen! Er kommt doch auch aus Galiläa.«
Aber Petrus stritt es wieder ab: »Mensch, ich weiß überhaupt nicht, wovon du sprichst.«
Im selben Moment, während er noch redete, krähte ein Hahn.
Der Herr drehte sich um und blickte Petrus an.
Da erinnerte sich Petrus an das, was der Herr zu ihm gesagt hatte:
»Noch bevor heute der Hahn kräht, wirst du dreimal abstreiten, mich zu kennen.«
Und Petrus lief hinaus und weinte heftig.


**) Siehe www.forum-studie.de

Freitag, 1. März 2024

Dass so etwas nie wieder geschieht.....


 Ansprache anlässlich des Gedenktags der Zerstörung Pforzheims am 23. Februar
(1)
 

„Wenn ich heute zurückdenke, dann kann ich nur hoffen
und beten, dass so etwas nie wieder geschieht!“ 


Das sagte eine Zeitzeugin vor 3 Jahren (2).
Am 23. Februar 1945 war sie 12 Jahre alt.
Sie und ihre Familie lebten im Norden der Stadt. 
Ihr Haus hatte keinen Keller, also versteckten sie sich, so gut es ging,
in einem Graben im Garten. 
Die Angst, dass es sie erwischen würde, ist immer noch präsent.
Wie auch das Weinen der Mutter.
Denn da waren ja noch die 2 Schwestern unten in der Stadt, als die Bomben fielen.
Sie haben sie in den Trümmern nie gefunden. 



„Dass so etwas nie wieder geschehe“.

Nie wieder - wie ein Stoßgebet. 

Ein Auftrag an die Menschen damals und heute:
Lebt den Frieden. Nicht den Krieg. Und lernt aus dem, was uns passiert ist. 



Und ja, wir haben gelernt. 

Wir haben ein Grundgesetz, das auf dem Boden der Menschenrechte fußt. 

„Dass so etwas nie wieder geschehe.“ 

Die Stadt Pforzheim ist wieder aufgebaut und sie ist größer als je zuvor. 

Die Freundschaften mit Menschen in aller Welt tun uns gut. 

Unsere Stadt ist bunt und international und lernt jeden Tag neu,
wie es gehen kann mit dem Frieden.
 
Aber Narben sind sichtbar – alleine hier auf dem Hauptfriedhof -
und die Narben in den Seelen der Zeitzeugen tun immer noch weh.
Wir wissen, wie unsere Vorfahren hinein verstrickt waren in Schuld und Gewalt. 

Und es gibt wieder Krieg in Europa.

Und ja, alles das mahnt uns: Nie wieder.




Wir lernen den Frieden und jeden Tag fühlt er sich neu an. 

Er riecht nach gefüllten Zwiebeln, die mir Wajida, meine jesidische Nachbarin, vorbei bringt,
duftet nach Thymian und Zitrone.
Aus dem Irak ist Wajida hierher geflohen und hat hier ein neues Zuhause gefunden. 

Das alles teilt sie mit mir, wenn sie mir ihre dampfende Schüssel reicht. 



Wir lernen den Frieden -
er klingt nach kyrillischen und arabischen Buchstaben,

und nach Saz, der kurdischen Gitarre mit ihrem langen Hals, deren Töne miteinander verschwimmen.  

Er schmeckt nach dem Hummus meiner jüdischen Glaubensgeschwister, 

zu dem sie mich an Chanukka einladen. 

Gemeinsam zünden wir die Kerzen am Chanukka-Leuchter an
und wir teilen unsere Sorgen um den Frieden in Israel und Gaza
zusammen mit unseren muslimischen Freunden.
In der Vesperkirche teilen wir Zeit, Essen und Frieden mit Alten und Jungen.

Und die Kinder in der Pforzheimer Kita der Religionen leben jeden Tag diesen Frieden.
Irenicus heißt die Kita. Irenicus - Der Friedensbringer.

Wir leben hier in einer Stadt und wissen so wenig voneinander. 

Aber wir brauchen uns. Immer wieder machen wir uns das klar. 

Und so tasten wir uns vor und lernen uns kennen. 

Wir machen auch Fehler. Und lernen daraus. 

Immer wieder lernen wir, wie es gehen kann mit dem Frieden.

Und wir spüren genau: nie wieder ist jetzt.


Im Vers 9, vom 85. Psalm heißt es:

„Ich will hören, was Gott zu sagen hat. Er redet vom Frieden. 

Er verspricht ihn seinem Volk und seinen Frommen. 

Doch sie sollen nicht mehr zurückkehren zu den Dummheiten der Vergangenheit!“




Nehmt den Frieden ernst, sagt Gott. 
Passt auf ihn auf.
Gebt der Liebe Raum und nicht dem Hass. 

Verbindet euch, statt euch gegeneinander aufhetzen zu lassen. 

Sagt ja zu Menschenrechten, die allen gelten, ja zur Demokratie,
und sagt nein zum nationalistischem Albtraum. 

Geht respektvoll miteinander um,
auch mit denen,
die anders sind, anders lieben, anders glauben. 



Ja, nehmen wir den Frieden ernst,
denn es gibt sie, die den Frieden bedrohen. 

Sie wiederholen die "Dummheiten der Vergangenheit". 

Sie überfallen die Ukraine. Sie ermorden Menschen in israelischen Kibbuzim.
Sie opfern ihre eigene Bevölkerung im Gaza und im Iran und in Russland.


Es gibt sie, die die Dummheiten der Vergangenheit wiederholen:

Sie bedrohen die Synagoge und die Moscheen hier.
Bereiten den Boden für Hass und Gewalt. 

Und jedes Jahr kommen sie auf den Wartberg mit ihren Fackeln.
Immer wieder am 23. Februar. 

Nie wieder ist jetzt!



Und wenn es uns ernst ist mit dem Frieden,
dann stehen wir auf gegen diese Dummheiten der Vergangenheit.

Immer wieder. 

Wir sagen laut, dass wir nur miteinander leben können und wollen,
- ohne den Hass der Ewiggestrigen. 

Wir stellen uns vor die, die bedroht werden.

Wir lassen den Frieden nicht nur auf der Zunge zergehen, sondern köcheln ihn weiter.
Mit allen Zutaten, die bei den Menschen in unserer Stadt zu finden sind.
Das gibt uns Kraft.
Kraft für den Frieden.
Kraft für unsere Demokratie.

„Wenn ich heute zurückdenke,
dann kann ich nur hoffen und beten, 
dass so etwas nie wieder geschieht!“  


Ja, ich bete mit der Zeitzeugin um den Frieden für unsere Stadt und unser Land. 

Ich bete um einen Frieden, der größer ist als unser zerbrechliches Wir. 

Dieser Friede soll uns zusammenbringen aus Nah und Fern, 

mit unseren Sprachen und Gerüchen und Tönen.
Zu diesem Frieden gehören meine jesidische Nachbarin
und mein jüdischer Glaubensbruder, 
mein alevitischer Freund
und natürlich unsere Zeitzeuginnen.


Ich will diesen Frieden lernen - mit euch und über alle Trümmer hinweg. 

Immer wieder. Denn nie wieder ist jetzt.



(1) Am  23.2.1945 wurde Pforzheim durch Bomben der britischen Luftwaffe innerhalb von 20 Minuten zerstört. 80% der Innenstadt lag in Trümmer, nahezu ein Drittel der damaligen Bevölkerung kam ums Leben (ca 17.600 Menschen). Bis heute ist dieses traumatische Ereignis präsent. Und leider wird es durch rechte und rechtsextreme Gruppen geschichtsrevisionistisch interpretiert bishin zu einer sog. "Fackelmahnwache" auf dem Wartberg am Rand der Stadt.
Jedes Jahr rund um den 23.2. gibt es seitens der Stadt und ihrer Bevölkerung zahlreiche Veranstaltungen, die das Gedenken auf vielfältige Weise gestalten.
Wichtig dazu ist die sog. "Pforzheimer Erklärung" (https://www.pforzheim.de/stadt/stadtgeschichte/gedenken-friedenskultur/gedenktage/23-februar/erklaerung-zum-23-februar-2023.html)
Meine Rede habe ich auf dem Hauptfriedhof gehalten.

(1) https://www.pz-news.de/pforzheim_artikel,-Tod-im-Feuersturm-Video-Interview-mit-Zeitzeugin-Therese-Ratzenberger-zum-23-Februar-1945-_arid,1415026.html

Dienstag, 6. Februar 2024

Manchmal lässt du auf dich warten, Gott

Predigt zu Markus 4

1.
Wo bist du, Gott?
Wir bitten dich, dass dein Reich kommen möge. Jedes Mal in diesem Gottesdienst.
Dass du da bist, dass wir dich spüren, dass wir mit dir eins sind, im Einklang mit der Schöpfung.
Und dann schlage ich die Zeitungen auf oder höre im Radio
oder lese im Netz von jungen Männern, die im Iran hingerichtet werden,
weil sie für die Freiheit von Frauen kämpfen.
Oder von AfDlern, die offen davon sprechen, die Parteiendemokratie abschaffen zu wollen.
Ich höre von Familien, denen das Geld fehlt für die Klassenreise ihres jüngsten Kindes.
Oder ich höre Detlev Zander, wie er von sich und den vielen Menschen spricht,
die in unserer evangelischen Kirche sexualisierte Gewalt erfahren haben
und die nie gehört wurden.
Wo bist du, Gott? Wo bleibst du? Wann kommst du endlich?

Jesus erzählt von dir auf seine Weise (Markus 4):
»Mit dem Reich Gottes ist es wie bei einem Bauern.
Er streut die Körner auf das Land,
dann legt er sich schlafen und steht wieder auf –
tagaus, tagein.
Die Saat geht auf und wächst – aber der Bauer weiß nicht, wie das geschieht.
Ganz von selbst bringt die Erde die Frucht hervor.
Zuerst den Halm, dann die Ähre und zuletzt den reifen Weizen in der Ähre.
Wenn das Getreide reif ist, schickt er sofort die Erntearbeiter los,
denn die Erntezeit ist da.«


2.
Du lässt auf dich warten, Gott!
Und ich muss mich in Geduld üben. Oje!
Dein Wort ruht in der Erde und ich muss das aushalten.
Die Samen hast du gelegt.
Worte zur Nächstenliebe und Fremdenliebe.
Worte der Hoffnung, dass alles gut werden kann.
Das Wissen, dass jeder Mensch von dir geliebt ist und eine Würde hat,
egal woher er kommt und wen sie liebt.
Worte, dass es nicht gerecht ist, wenn Menschen in Armut leben.
Ja, diese Samen hast du gelegt, und ich streue sie weiter.

Und ja, auch ich habe meinen Anteil daran.
Ich lege die Hände nicht einfach in den Schoß. Ich streue weiter.
Ich widerspreche, wo Menschen das Netz mit Hass überfluten.
Ich versuche mit denen ins Gespräch zu kommen,
die alles, was schief läuft, auf die Ampel schieben oder auf die Medien oder auf die Migranten.
Ich spende für Brot für die Welt.
Ich gehe sogar demonstrieren.
Und unterstütze die Vesperkirche.
Samen für das Reich Gottes.
Nicht damit ich besser da stehe oder mich gut fühle,
sondern damit die Welt zu einem besseren Ort wird.
Ein Ort, wo alle spüren, dass du da bist. Oder bald da bist.
Den Boden bereiten.

3.
Ja, du lässt auf dich warten, sagt Jesus.
Und ich merke, dass ich nicht immer Samen streuen kann.
Ich kann nicht alles. Und das ist gut so.
Schlafen und ruhen sind genauso wichtig wie streuen und ackern.
Pause machen. Ausruhen. Loslassen. Überhaupt: lassen. Nicht immer nur tun.
Das ist schwer heutzutage.
Und zugleich werden immer mehr Menschen auf dazu gezwungen.
Sie können nicht mehr. Werden krank. Oder einfach nur müde.
Und manche dürfen auch nicht.
Packerinnen bei Klingel verlieren ihre Arbeit.
Oder Flüchtlinge dürfen oft nicht arbeiten.

Okay, das ist nicht dasselbe wie bei dem Bauern, von dem Jesus erzählt.
Aber manchmal fühlt es sich vielleicht genauso an:
Ich. Kann. Nichts. Tun.

Ich kann nichts ändern.
Und wenn ich das Gefühl habe, dass alles vergeblich ist.
Meine Stimme zählt nichts. Rechte Ideologie wird immer lauter.
Die Armen werden noch ärmer. Und die Abschiebungen gnadenloser.

Ja, du lässt auf dich warten, Gott.
Und das halte ich manchmal nur schwer aus.

4.
»Mit dem Reich Gottes ist es wie bei einem Bauern.
Er streut die Körner auf das Land,
dann legt er sich schlafen und steht wieder auf –
tagaus, tagein.
Die Saat geht auf und wächst – aber der Bauer weiß nicht, wie das geschieht.“


Manchmal weiß ich auch nicht, wie was geschieht.
Dass seit 3 Wochen die Menschen auf die Straße gehen, um die Demokratie zu verteidigen.
Dass ein iranischer Sänger doch wieder frei kommt.
Dass 50 deutsche Unternehmen die Viertagewoche testen.

Ja, manchmal wissen wir nicht, wie was geschieht.
Als vor 25 Jahren Maria Trautz und Christel Rieke in Pforzheim die Idee mit der Vesperkirche hatten
und anfingen, diese Idee umzusetzen, hätten sie auch nicht gedacht, wie groß sie werden würde.
Wieviele helfen würden, wieviele spenden würden,
wieviele her kommen und sich auf diese Zeit freuen.
Die Saat, die sie gelegt hatten, ging auf und sie wussten nicht, wie ihnen geschah.

Als ich letztes Jahr am 15. Oktober
mit über 20 anderen aus den verschiedenen Religionen unserer Stadt in der Synagoge war,
um unseren jüdischen Freunden zu zeigen, dass wir an ihrer Seite sind,
war es wie ein „ich weiß nicht, wie das geschieht“.
Denn es war wie ein Wunder.
8 Jahre vorher wäre das so noch nicht möglich gewesen.
Damals - vor 8 Jahren - gab es hasserfüllte Gazademos und brennende Davidssterne.
Und nun - letzten Oktober - waren wir gemeinsam da:
Muslime, Jesiden, Aleviten, Christen. Als Freunde und Freundinnen.
Die Saat, über Jahre gelegt -
viele Gespräche, viele Besuche, viel Lachen, viel Streit, viel gemeinsam Essen,
viel Zuhören und sogar getanzt haben wir zusammen -
und nun ging die Saat auf:
wir waren und blieben beieinander -
auch als sich um uns herum die Welt spaltete in pro Gaza und pro Israel.

5.
Auch wenn es wichtig ist, die Saat zu kennen, die wir streuen:
Es ist gut, dass wir manchmal nicht wissen, warum was gedeiht.
Dass nicht alles erklärbar ist oder nicht alles einfach zu machen.
Das Stück Wunderhafte macht zumindest mich demütig.
Ich weiß ja, dass es nicht an mir alleine liegt, ob eine Saat aufgeht.
Ich brauche andere Menschen dazu, die mitsäen und ackern.
Manchmal muss es einfach der richtige Zeitpunkt sein.
Und du musst da sein, Gott....

Ich bin dankbar, dass Correctiv nun aufgedeckt hat,
was die AfD Menschenverachtendes denkt und sagt - auch wenn mir vieles nicht neu war.
Aber auf einmal haben es alles gehört.
Ich bin dankbar, dass es nun diese ForuM-Studie gibt,
die aufdeckt, wie in meiner geliebten evangelischen Kirche jahrzehntelang weggeschaut wurde,
als Pfarrer ihre Macht missbraucht haben.
Auch wenn es weh tut: wir müssen hinschauen und hinhören und ernst nehmen, was da passiert ist.
Und dann das Richtige tun: Betroffene entschädigen und Täter bestrafen.
Auch wenn es verjährt ist.
Da haben viele Menschen viel Saat gelegt und nun geht sie auf.
Und das ist gut so.

6.
Auch wenn ich manchmal nicht weiß, wie was geschieht:
ich kann den Boden bereiten.
Ich kann Samen streuen. Ich kann Pause machen. Und ich kann hinsehen.
Und dann entdecke ich auch, wenn etwas wächst und da ist.
Und wenn die Zeit reif ist, dass was passiert.
Und ich entdecke dich, Gott.
Mitten drin. Mitten in meinem Leben. Mitten in meiner Welt.

Hier an den Tischen der Vesperkirche. Und im Hefezopf.
Und bei Brot und Kelch im Abendmahl.
Im richtigen Wort zur richtigen Zeit, das mich ermutigt.
In der Sprachnachricht von meinem Freund Michael, der mir zeigt, wie nah er mir ist -
trotz der vielen 100 Km zwischen uns  .
In den Blumensträußen am Straßenrand zwischen Neuhausen und Schellbronn.
Und im leidenschaftlichen Streit mit meinen jüdischen Freunden.
Ja, auch in der Studie zur sexualisierten Gewalt, weil endlich die Betroffenen zu Wort kommen.
Worte, die lange in der Erde ruhten. Viel zu lange.

Ja, da bist du, Gott. Auch wenn du immer wieder auf dich warten lässt.
Und ich entdecke dich, wenn es Zeit ist.
Und ich weiß nicht, wie das geschieht.
Aber ich will, dass mir das nichts ausmacht. Sondern dass ich auf dich vertraue.

Ich säe die Saat, ich schlafe und wache, esse und trinke,
ich halte meine Augen und Ohren offen,
und es kommt der Moment, da wächst die Saat.
Da wird sie grün und stark.
Weil du sie wachsen lässt.
Tun und Lassen und wach sein.
Und dann bist du da, Gott.
Ja, jetzt bist du da.
Amen.

Montag, 15. Januar 2024

Gnade gegen Gift


Von stärkender Musik, müden Händen und trotzigen Feiern
Predigt zu Hebräer 12 und zur Kantate "Wie schön leuchtet der Morgenstern" von Johann Kuhnau

1.
Kommt ihr Völker! Kommt und huldigt diesem Kind!
Leichtfüßig, mit aufstrebenden Tönen und Koloraturen.
Wasser wird zu Wein, ein Fest wie eine Hochzeit.
Kommt mit tanzenden Schritten, denn Gott ist da.
In diesem Kind, das wir seit drei Wochen feiern.
Engel auf den Feldern singen. Hirten wird es hell.
Ein Stück vom Himmel mitten in der Welt.

Zu fröhlich? Zu hell?
Ich gestehe, mir tut diese Fröhlichkeit gut, diese hellen Töne, die Schönheit der Musik.
Mit tut es gut, heute nochmal ein Stück Weihnachten zu haben.
Denn ja, es ist ja noch Weihnachten,
auch wenn die meisten ihren Weihnachtsbaum schon entsorgt haben.
Hier (in der Stadtkirche) erinnern wir daran, dass noch Weihnachten ist. (seht den Baum!)
Und die Kantate heute erinnert daran.
An dieses Kind, an die Engel, an die Hirten - an den Glanz, der die Nacht erhellt.

2.
Ja, es tut mir gut, weil der Rest der Wochen so gar nicht weihnachtlich ist.
Demonstrationen von Landwirten, die von Populisten instrumentalisiert werden.
Die Ampel muss weg - Schilder und Erschießungswünsche gegen Politikerinnen,
Und viel zu viele ignorieren das und finden es sogar gut.
Deportationspläne von AfD und Werteunion,
Israel wird von der Eishockey-WM ausgeschlossen.
Ein Teil meiner Freunde und meiner Familie überlegt, auszuwandern,
weil sie sich nicht mehr sicher fühlen.

„Alle Himmel sind sein eigen, wie sollt‘ sich nicht vor ihm die ganze Erde neigen.“
Ja, diese Zuversicht von Johann Kuhnau wünsche ich mir.
Mir fällt sie gerade schwer.

3.
Damit befinde ich mich in guter Gesellschaft.
Offensichtlich fehlte Christen und Christinnen am Ende des 1. Jahrhunderts
auch diese fröhliche unbeschwerte Zuversicht.
Denn im Hebräerbrief heißt es:
Macht die müden Hände und die erlahmten Knie wieder stark!
Und schafft für eure Füße gerade Pfade.
Denn was lahm ist, soll nicht auch noch fehltreten, sondern geheilt werden.


Ihr habt einen Berg vor euch, sagt der Hebräerbrief.
Euer Weg als wanderndes Gottesvolk ist anstrengend.
Da können die Beine schon mal zittrig werden, wenn es steil wird
oder die Angst zu groß ist, dass man ausrutscht.
Gut ist es, wenn ihr dann nicht alleine seid, sondern euch gegenseitig unterstützt.

Und aufeinander achtet.

4.
Was das heißt, sagt der Hebräerbrief so:
Bemüht euch um Frieden mit allen Menschen.
Achtet darauf, dass niemand zurückbleibt und so die Gnade Gottes verliert.
Lasst keinen Spross aus einer giftigen Wurzel aufgehen.
Sonst richtet sie Unheil an, und viele werden durch sie vergiftet.


Ja, es gibt sie, diese giftgewordenen Pflanzen.
Es gibt sie, diese toxischen Sätze und Parolen.
Wenn Hass gesät wird. Wenn Neid geschürt wird.
Wenn man sich über eine mehrgewichtige Frau lustig macht.
Wenn man einer Familie mit arabischem Namen keine Wohnung vermietet.
Wenn eine Transfrau zusammengeschlagen wird.
Wenn man sagt, dass Geflüchtete hierher kommen, um sich die Zähne machen zu lassen.

Alles das meint der Hebräerbrief, wenn er sagt:
Eine giftige Wurzel richtet Unheil an.
Das Gift derer, die Angst schüren, vergiftet gerade unsere Gesellschaft.

Umso wichtiger ist es, sich um den Frieden zu bemühen und für einander da zu sein.
Sich gegenseitig zu stärken, zu stützen und niemanden in Stich lassen.
Die Gnade Gottes gilt allen. Sorgt dafür, dass dies auch alle, die es brauchen, spüren.

Es geht um geschwisterliche Solidarität - nicht mehr und nicht weniger.
Dass wir nicht zulassen, dass es Menschen 2.Klasse geben soll.
Denn Gottes Gnade gilt allen. Gott ist für alle Mensch geworden.

(Oder wie es in der Kantate heißt:
O Wundersohn, dein überirdisch Wesen
hat sich zum Thron den irdschen Leib erlesen,
damit der Mensch, die Erde zu deinem Himmel werde.
)

5.
Johann Kuhnau hat seiner Kantate übrigens einen ganz besonderen Akzent verliehen.
Philipp Nicolai besingt in seinem Choral „Wie schön leuchtet der Morgenstern“
die innige Zweierbeziehung mit seinem Jesus.
Die Welt bleibt dabei außen vor.

Dagegen betont Kuhnau mit den Texten zwischen den Choralversen,
dass Gott in die Welt hineinkommt, nicht nur in das Herz des Beters.
Gott kommt in die Welt und diese Welt wird nicht verdrängt oder verniedlicht.
Kuhnaus Kantate spricht von schlechter Krippe und dem Stall als Herberge,
spricht von Niedrigkeit, die nicht verklärt wird.
Und eben in dieser Niedrigkeit, in dieser Welt ist Gott zu finden.
Nirgendwo sonst.

6.
In einer Woche beginnt hier die Vesperkirche.
Vor 24 Jahren fand sie das erste Mal statt.
Lasst uns Zeichen setzen, dass niemand alleine sein muss. So hieß es damals.
Lasst uns dafür sorgen, dass wenigstens vier Wochen lang alle genug zu essen haben.
Lasst uns wenigstens vier Wochen lang Wärme schenken und miteinander essen und trinken.
Und ja, diese Kirche soll der Ort dafür sein.

Vier Wochen sind nicht viel.
Und ja, eigentlich sollte die Vesperkirche nicht nötig sein.
Eigentlich sollten alle immer genug zu essen haben, immer eine warme Wohnung.
Niemand sollte einsam sein. Aber noch ist das so.
Und solange das so ist, brauchen wir sowas wie die Suppenküche und wie die Vesperkirche.
Einen Ort, wo müde Hände und wankende Knie gestärkt werden.
Eine Zeit, wo niemand zurückbleibt.
Eine Geste, dass die Gnade Gottes bleibt und allen gilt.
Ein Stück vom himmlischen Jerusalem.
Einen Ort, wo Gott sichtbar wird.

7.
In der Niedrigkeit leuchtet ein Strahl von seiner Göttlichkeit -
so singt der Tenor in Kuhnaus Kantate.
Wo müde Hände und wankende Knie gestärkt werden, wird Gott sichtbar, sagt der Hebräerbrief.
Ihr seid auf dem Weg mit Gott - und eigentlich seid ihr schon längst angekommen.
Dort, wo es hell ist,
wo Gnade vor Recht ergeht,
wo Engel den Hirten singen und Weise vor einem Kind knien.
Und jetzt geht ihr zurück vom Stall in den Alltag und das ist mühsam,
aber das Kind in der Krippe geht mit euch mit.
Und mitten auf eurem Weg, in eurer Müdigkeit und Erschöpfung,
da hört ihr Worte, die euch Mut machen und aufrichten:

"Ihr seid bereits zu dem Berg Zion gekommen und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den  vielen tausend Engeln und zur Festversammlung."

Wasser ist bereits zu Wein geworden.
Das Fest der Liebe Gottes feiert ihr bereits.
Hier in der Kirche vier Wochen im Jahr und jede Woche in der Suppenküche.
Ihr feiert es, wenn ihr den toxischen Parolen des Hasses widersprecht.
Ihr feiert es, wenn ihr die schönsten Kantaten singt.
Ihr feiert es, wenn ihr zusammenkommt und mit Respekt begegnet.
Ihr feiert es, wenn ihr euch an die Seite derer stellt, die aus dem Land verjagt werden sollen.

8.
Mir macht das Mut.
Mir machen die Worte vom Hebräerbrief Mut.
Und eine Kantate wie die von Johann Kuhnau tut mir gut.

Denn Gott ist da.
Jesus ist da. Jesus ist hier.
Und ich feiere mit ihm.
Gerade dann, wenn der Weg mühsam ist und die Hände müde sind.

Ich lasse mich anstecken von Gottes Liebe zur Welt
und dann lasse ich die süße Musica ganz freudenreich erschallen,
Singe, springe, jubiliere, triumphiere und danke meinem Gott, dass er bei mir ist.
Auch und gerade jetzt.
Amen.




Mittwoch, 27. Dezember 2023

Wie eine Feder

Was der Film "Forrest Gump" mit Weihnachten zu tun hat

Predigt zum 2. Weihnachtstag 2023

1. 

Eine Feder treibt im Wind. Wirbelnd zieht sie ihre Bahnen über der Stadt und landet fast auf der Schulter eines Fußgängers, wird beinahe vom Auto überfahren und fällt schließlich auf die abgewetzten dreckigen Schuhe von Forrest Gump. Der sitzt an einer Bushaltestelle und wartet. Forrest hebt die Feder auf. Sanft hält er sie zwischen Daumen und Zeigefinger und betrachtet sie neugierig, fasziniert. Dann öffnet er seinen kleinen Reisekoffer, holt ein Buch heraus, öffnet es an der Stelle, wo viele Wolken zu sehen sind, legt die Feder sanft hinein und schließt den Koffer wieder. Eine Frau setzt sich neben ihn und beginnt ein Buch zu lesen. Er begrüßt sie und stellt sich vor. Ich bin Forrest, Forrest Gump. Die Frau nickt ihm freundlich zu und liest weiter.

2.

Doch Forrest redet weiter. Erzählt von seiner Mutter und ihrer Pralinenschachtelweisheit.
Und von ihrer Wärme und wie sie ihm Mut gemacht hat. Dass er gut so ist, wie er ist. Er, der nicht so richtig in diese Welt zu passen scheint. Mit seiner Naivität und seinem kindlichen Blick auf das Leben. Er freut sich an den kleinen Dingen wie zum Beispiel die Feder, die zu ihm vom Himmel fällt. Er ist absolut ehrlich und spielt nie mit fiesen Tricks. Verweigert jegliche Manipulationen und überrascht genau damit seine Umwelt. Bei alledem versucht er beharrlich - und meistens rennend - das Wertvollste, Heiligste und Verletzlichste eines Menschenleben zu behüten: die Liebe. Die Liebe ist der rote Faden in seinem komplizierten Leben: die Liebe, die er von seinen Mitmenschen empfangen hat und die er weitergibt. Er glaubt felsenfest an das Gute im Menschen und dass alles im Leben einen Sinn ergibt.

(Feather-Theme z.B. https://www.mytravelingpiano.com/video/forrest-gump-soundtrack/)

3.

Als ich den Film vor 29 Jahren im Kino sah, hab ich hinterher geheult wie ein kleines Kind. Mit seiner naiven Verletzlichkeit hat Forrest mich im Innersten berührt. Als Kind wurde ich oft belächelt für meine Träumereien. Tollpatschig und verträumt - irgendwie nicht geeignet für diese raue Welt - so hieß es oft. Und ja, meine Mutter sorgte sich um mich, ob ich mich überhaupt durchsetzen könnte. Sie selber wurde oft für ihre Gutgläubigkeit ausgelacht. Es scheint bei uns in den Genen zu liegen. 

Manchmal kommt es auch jetzt noch vor, dass ich belächelt werde, nicht ernstgenommen, weil ich nicht fassen kann, was Menschen sich gegenseitig antun. Und weil ich mich nicht damit abfinden will. Ja, ich weiß, auf viele wirke ich eher tough. Aber diese naive, gutgläubige, verträumte Seite ist auch ein Teil von mir. Und ich mag diese Seite, auch wenn sie manchmal untergeht.

Forrest Gump hat das alles wieder anklingen lassen. Er sagt mir: es ist gut so, wie du bist. Auch wenn die Welt es dir manchmal schwer macht. Es ist gut, dass es eine zarte, leichte Seele gibt - wie eine Feder. Manchmal umher wirbelnd und vielleicht wird sie sogar überrollt? Oder sie landet auf dem Schuh genau des Menschen, der sie zu würdigen weiß. Der sich an ihr erfreut und sie schützt und bewahrt.

4.

Forrest Gump scheint nicht in diese Welt zu passen. Und doch hat er sie verzaubert. Forrest hat eine Wirkung auf die Menschen um ihn herum gehabt, ohne es zu wollen. Die Art und Weise, die Haltung, mit der er auf die Welt schaut, verändert die Welt. Und das gehört für mich zu Weihnachten. Der Glaube an das Gute im Menschen, seine unerschütterliche Liebe ausgerechnet zu Jenny, die ihn immer wieder in Stich lässt, seine Freundschaft zu Bubba und Lieutenant Dan - alles versehrte, zutiefst verletzte Menschen, für die er einfach da ist, selbst im Tod - das ist wie Weihnachten.

5.

Ja, das ist Weihnachten ohne Christbaumkerzen und Gänsebraten, ohne Glitzerlametta und Jubelchor. Es ist Weihnachten in der Tiefe, Weihnachten, wenn nach 3 Tagen das Aufräumen anfängt und der Alltag beginnt und man sich fragt: Gilt sie denn immer noch, die Botschaft von Weihnachten? Der Engelruf „Fürchtet euch nicht!“ - der Friedensgruß für alle Menschen. Was bleibt von Weihnachten übrig, wenn die Lieder verklungen sind, die Panzer wieder rollen und die Raketen wieder geschossen werden?

Dass Gott mit seiner Liebe in der Welt ist, das bleibt. Forrest Gump ist einer, für den die Liebe auch dann nicht aufhört, als Jenny stirbt. Sein Blick auf die Welt ist auch dann noch voll mit Liebe und Staunen und Wohlwollen. Wer liebt, schaut anders auf die Welt und entdeckt überall die Spuren der Liebe. Die Spuren von Gottes Herrlichkeit. Schwer wie die Trauer und leicht wie die Feder. Und Forrest ist überwältigt, dass ausgerechnet er einen Sohn hat.

Liedstrophe: 
Da wo die tiefsten Schatten sind, lässt Gottes Licht sich sehn. Noch ist es klein - so wie das Kind, vor dem die Hirten stehen. Sie haben nichts als nur verzagte Herzen mitgebracht. Aber Gott hat den Himmel aufgemacht in der Nacht. Gott hat heute seinen Himmel aufgemacht.

6.

Gott hat seinen Himmel aufgemacht und ein Kind in die Krippe gelegt. Dieses Kind wird wie alle Kinder wachsen und es wird staunen über das Leben, über Federn und Tiere, über Sterne und tiefe Geschichten. Es wird das Gute in den Menschen sehen und über das Böse weinen. Es passt nicht in diese Welt und die Welt wird es nicht verstehen. Aber die Welt wird nicht mehr wie vorher sein.

Gott hat seinen Himmel aufgemacht und hat Engel zu Nobodys geschickt, zu Menschen mit Schwielen an den Händen und jeder Menge Sprüchen auf Lager. Zu Menschen, die man nicht ernstnimmt, die keine Lobby haben. Damals auf den Feldern. Heute bei Amazon, in den Flüchtlingslagern oder an den Außengrenzen Europas. Zu ihnen schickt Gott Engel, die ihnen die Angst vor dem Morgen nehmen. Wie goldene Federn wirbeln sie über den Feldern und lassen gerade diese Nobodys spüren: Auf euch kommt es an, egal ob man es euch zutraut oder nicht. Ihr seid genau richtig. Die Welt braucht euch, so wie ihr seid.

7.

Gott hat seinen Himmel aufgemacht für alle, die eigentlich nur das Gute in anderen Menschen sehen wollen. Die nicht mit Bösem rechnen und ehrlich bis in die Haarspitzen sind. Die dafür belächelt werden oder für dumm gehalten. Die ihre offenen Flanken zeigen und sich nicht schützen. Menschen wie Forrest. Kinder. Träumerinnen. Tänzer.

Gott hat seinen Himmel aufgemacht und eine Feder fliegen lassen. Auch für mich. Und für dich. Vielleicht ist sie golden und strahlt, vielleicht ist sie weiß wie bei Forrest Gump, vielleicht ist sie aber auch taubengrau. Und ich möchte wie Forrest diese Feder in die Hand nehmen und betrachten. Und stell dir vor, dass Gott dich wie die Feder in die Hand nimmt. Gott sieht dich an freut sich an dir wie Forrest. Sammelt dich behutsam auf, wenn du dich vom Leben hin und her geworfen fühlst. Ich wünsche dir diesen zarten, liebevollen Blick auf dein Leben, das nicht gerade federleicht ist. Und ich weiß, dass dieser Blick aus der Krippe kommt. Von diesem Kind, das von Gott dort hineingelegt wurde. Verletzlich und klein und viel zu gut für diese Welt.

8.

Am Ende des Films bringt Forrest seinen Sohn zum Schulbus. Jenny ist gestorben. Forrest muss sich um seinen Sohn alleine kümmern. Mit seiner ganzen naiven, ehrlichen und großen Liebe sorgt er für ihn. Als sie auf den Bus warten, öffnet er das Buch, das die Feder beherbergte und die Feder fällt heraus. Ein Wind wirbelt sie auf, als der Schulbus losfährt. 

Die Liebe ist schwer und leicht zugleich und sie wird gelebt.
Einfach gelebt. Golden oder weiß oder taubengrau. Mit Tränen und mit Lachen.
Staunend und zart und voller Geschichten und Narben.

Gottes Spuren. Weihnachtsspuren - wie eine Feder.
Behutsam in die Hand genommen und dann wieder frei gelassen.
Und wir gehen weiter ins Leben.

Amen.

 




Montag, 25. Dezember 2023

Weihnachtssehnsucht

Von Gotteskindern, Erwachsenen und einer großen Gottesfamilie

Predigt zu Galater 4, 4-7 

1.  Zwischen Sehnsucht und Überforderung
 
Weihnachten lässt niemanden kalt.
Manchen ist Weihnachten too much und sie fliehen.
Möglichst weit weg.
Dorthin wo es warm ist und möglichst keine Verwandten.

Manche können nicht genug von Weihnachten kriegen und fahren alles auf, was sie haben.
Die Wohnung blitzblank. Weihnachtsschmuck auf jeder Fensterbank.
Die Gans schon vor Wochen bestellt.

Und dazwischen bin ich.
Nur ein paar Fenstersterne haben es dieses Jahr an die Fenster geschafft
(und das auch erst gestern).
Aber der Käse fürs Raclette liegt seit 4 Tagen im Kühlschrank.
Die Krippe aus der Garage ist da, wenn auch staubig.
Irgendwo liegen noch Weihnachtskarten, die ich schreiben wollte.
Und meine Gedanken kreisen zwischen Geiseln und AfD-Bürgermeister,
zwischen dem kleinen Lord und Ottolenghi-Rezept.
Das bin ich. Und du vielleicht auch.
Irgendwie dazwischen.
Zwischen Sehnsucht und Überforderung -
auf dem Weg zum ganz eigenen Weihnachten.
 
2. Meine kindliche Sehnsucht


Ich bin ja kein Kind mehr.
Aber je älter ich werde, desto größer die Sehnsucht.

So richtig beschreiben kann ich sie gar nicht.
Ja, nach Frieden sehne ich mich natürlich.
Aber wie sieht er aus? Und kann er mal endlich nicht so verletzlich sein?

Und sehnst du dich auch nach Heilsein?
Dass die kleinen Risse in deiner Seele nicht mehr so weh tun.
Dass du zufrieden bist mit dir selbst.
Dass du dein Leben besser auf die Reihe kriegst.
Dass du dir selbst verzeihen kannst.

Und willst du auch wie ich endlich vertrauen können?
Ganz und gar und nicht nur ein bisschen.
Keine Angst mehr haben, dass jemand dein Vertrauen ausnutzt.
Überhaupt keine Angst mehr haben -
weder vor der Nacht noch vor deinen Gedanken,
weder vor bösen Menschen noch vor einer 4 Grad wärmeren Zukunft.

Und vielleicht sehnst du dich auch einfach nur danach, dass alles übersichtlich ist.
Ganz schlicht. Ganz einfach. Wesentlich.
Damit du hinterher kommst mit deiner Seele und deinem kaputten Knie.

Du bist kein Kind mehr,
aber das Kind in dir hat große Augen und ein großes Herz und will einfach geborgen sein.
 
3. Erwachsen sein


Als ich noch ein Kind war, wollte ich endlich erwachsen sein. Gerade auch an Weihnachten.
Endlich selbst bestimmen, wie es gehen kann.
Ich musste damals in die Christvesper und eine Predigt hören, die ich nicht verstanden habe.
Die Lieder mochte ich schon damals.
Aber der laute Gesang meiner Mutter neben mir war mir irgendwie peinlich.
Am 1. Weihnachtstag Verwandte besuchen,
Weihnachtskarpfen essen, den ich als Kind nicht leiden konnte
(und heute auch noch nicht).
Die Erwachsenen redeten und redeten.
Es ging oft laut zu,
nicht selten auch wurde es ungemütlicher, wenn vergangene Streitpunkte wieder hoch kamen,
oder weil wir pubertierenden Kinder keine Lust mehr auf diese Großfamilie hatten.
Manche meiner Freunde haben sich damals losgeeist
und sind zumindest am späten Heiligen Abend auf Kneipentour gegangen
(Ja, das ging!).
Irgendwie habe ich sie beneidet, hätte mich das aber nie getraut.
 
Und heute? Ich bin erwachsen. Kann selbst bestimmen. Und ich mache vieles anders.
In der Familie einigen wir uns meistens auf das Essen (ohne Karpfen).
Der Baum wird so geschmückt, wie ich das will (naja, meine Enkelin bestimmt mit).
Und ich singe immer noch gerne die Weihnachtslieder.

Aber vor allem spüre ich, dass ich manchmal gerne wieder Kind wäre.
Ich würde gerne wieder die Stimme meiner Mutter hören.
Würde‚ mich gerne wieder einfach treiben lassen.
Ohne Druck. Ohne alles richtig machen zu müssen.
 
Kennst du diesen Wunsch auch?
Keine Verantwortung übernehmen.
Die Tage sollen so endlos sein wie damals.
Schwarzweißfilme schauen.
Und diese warme stickige Luft auf der Haut spüren,
die lauten Stimmen der Erwachsenen vorbeiziehen lassen und nicht mitreden müssen.
Oder wie der kleine Lord alle Herzen verzaubern und alle sitzen vereint am Tisch.

Ist das die Ur-Sehnsucht? Wieder Kind zu sein?
Womöglich ein Kind zu sein, dass ich nie war und du auch nicht?
 
4. Gottes Kind



Dabei bist du ja ein Kind.
Ein ganz besonders geliebtes. Ein von Gott geliebtes Kind.
Mit Haut und Haaren, Runzeln und Falten,
geschminkt und ungeschminkt,
festlich gekleidet oder in bequemer Jogginghose,
mit gewaschenen Haaren oder dreckigen Fingernägeln - du bist ein geliebtes Kind.
Wertvoll, königlich, würdevoll, klug, schön, wichtig, unverzichtbar.
Gottes Kind. Du.

Und dafür musst du nichts tun. Nichts!
 
Paulus hat dazu was geschrieben
- noch bevor die Weihnachtgeschichte aufgeschrieben wurde -
die mit den Hirten und mit der Krippe, mit Maria und Josef und dem Kind im Stall,
mit den Engeln und mit Bethlehem...
Paulus kannte die Weihnachtsgeschichte noch nicht.
Und er schreibt ungefähr so*:



Als die Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn.
Der wurde geboren von einer Frau.
Ein Kind wie alle Kinder.

Dadurch machte Gott alle Menschen zu seinen Kindern.
Frei zu einem Leben, das ihrer Würde entspricht.

Auch du bist ein Kind Gottes.
Und du trägst das Erbe Gottes weiter.

 
5. Gottes Familie


Ob Weihnachten dich kalt lässt oder nicht:
Weihnachten verstrickt dich hinein in die Gottesfamilie.
Sie ist Patchwork pur.
Alleinerziehende, Stief- und Schwiegerkinder, Adoptiveltern und Pflegekinder,
Singles, Paare, Geschiedene, Verwitwete.
Eine unverheiratet Schwangere gehört genauso dazu wie der Träumer Josef,
harte Arbeiter genauso wie Büchernarren wie Flügelwesen.
Und diese Gottesfamilie hat so gar nichts von heiler, bürgerlicher, glücklicher Familienidylle.
Im Gegenteil.
 
In Gottes Familie musst du nicht brav den Erwachsenen zuhören,
sondern darfst deinen Mund auf machen.
Du musst keine Bedingungen erfüllen, um dazu zugehören.
Du darfst lieben, wen du willst.
Du musst nichts geputzt haben, auch keine Fenster.
Du musst keinen Weihnachtsbaum aufgestellt haben, keine Gans im Ofen.
Du kannst dich schwer tun mit Geschenken, schreibst vielleicht keine Weihnachtskarten,
schaltest das Radio vielleicht aus bei „Last Christmas“.
So wie du bist, bist du Kind Gottes.
Kind Gottes zwischen Sehnsucht und Überfordertsein.
 
6. Gottes Sehnsucht


Gott selbst ist ein Kind.
Sehnsüchtig nach Liebe.
Ein Niemand von Niemandseltern.
Geboren inmitten von Tiergestank, aufgewachsen in einem ganz normalen Dorf.
Und erwachsen geworden lebt dieses Kind Gottes Sehnsucht nach Liebe.
Berührt Augen und Ohren und Seelen von lauter Leuten, die nicht dazu gehören.
Aber für ihn sind sie Teil seiner Familie, seiner Gottes Familie.
Auf Du und Du mit Gott.
 
Und da sind sie nun, die Kinder Gottes:
Der Krankenpfleger, erschöpft und ausgelaugt.
Die jüdischen Geschwister hier in Pforzheim
und die, deren Liebsten als Geiseln ausharren müssen.
Die palästinensischen Kinder, geopfert von Terroristen,
weil sie deren Schulen als Versteck benutzen.
Die Frauen im Iran und Afghanistan, zum Schweigen gebracht.
Die jesidischen Geschwister, die aus Deutschland abgeschoben werden.
Die jungen Eltern, alleingelassen und übernächtigt.

Kinder der Gottesfamilie.
Deine Geschwister. Meine Geschwister. 

Wertvoll, königlich, würdevoll, klug, schön, wichtig, unverzichtbar. 

Sehnsüchtig und überfordert.

Wir haben uns diese Gottesfamilie nicht ausgesucht.
Aber Gott hat uns sehnsüchtig zusammengesucht.
Umarmt diese Welt wie der kleine Lord am Weihnachtsabend seinen Großvater.
 
7. Sehnsuchtsgeschichte


Und deine, meine Sehnsucht?
Die an Weihnachten besonders groß ist?
Die nach dem Heilsein und dem Vertrauen und dem Frieden?
Ich habe sie als Erwachsene.
Und ich habe sie als Gottes geliebtes Kind.
Die Sehnsucht bleibt bei mir - sie bleibt, egal wie alt ich bin.
Und manchmal öffnet dieses Sehnsucht Gottes mein Herz.
Wenigstens einen Spalt breit.
Und dann schau ich, was passiert.

Liebes Gotteskind,
mit unserer Sehnsucht sind wir nicht allein.
Sie kommt im Stall zur Welt, im Niemandsland, dort, wo heute Krieg ist.
Die Sehnsucht nach Heilsein, nach Vertrauen und Frieden -
sie ist klein und runzlig und menschlich.
Vielleicht ist sie auch ganz leise. Und kaum zu hören.
Vielleicht versteckt sie sich in den unaufgeräumten Ecken bei mir zuhause?
Vielleicht entdeckst du sie bei dir?
Deine Sehnsucht und Gottes Sehnsucht nach dir.
 
Diese Sehnsucht ist die gemeinsame Geschichte der Gottesfamilie, aller Kinder Gottes.
Sie ist unsere Geschichte. Unsere Weihnachtsgeschichte.
Sie lässt dich nicht kalt und mich auch nicht.
Gott strickt uns zusammen zu einer Familie.
Mit Hirten und Maria und Josef und Engeln.
Mit Tieren und Sternen und Fürchtet euch nicht.
Mit großen Augen und hellen Liedern.
Und einem warmen Herzen - voller Sehnsucht.
Amen.

*) Danke an Birgit Mattausch für die Anregung zur Übersetzung und zur Konzentration auf wenige Aussagen

Sonntag, 10. Dezember 2023

Mit kleiner Kraft ins Leben

Von offenen und verschlossenen Türen,
dem Seher Johannes und ganz viel Mut und Würde

Predigt zu Offenbarung 3, 7-11 am 2. Advent 2023


1 Geöffnete Türen

Schreib an den Engel der Gemeinde in Philadelphia:
„So spricht der Heilige, der Wahrhaftige, der den Schlüssel Davids hat. –
Was er öffnet, kann niemand wieder schließen.
Und was er schließt, kann niemand wieder öffnen. –
Er lässt euch sagen: Ich kenne deine Taten.
Sieh hin, ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand wieder schließen kann.
Du hast zwar nur eine kleine Kraft.
Aber dennoch hast du an meinem Wort festgehalten und hast meinen Namen nicht verleugnet.“


Die Tür zu Gott ist offen. Die Tür bleibt offen.
Vielleicht nur einen Spalt breit. Aber das genügt.

Für Johannes ist es mehr als ein Spalt.
Weit geöffnet sind seine Sinne. Weit offen die Tür zur Stimme Gottes.
Die hört er auf der Insel Patmos  - verbannt, geflohen, zurückgezogen.
So genau weiß das niemand.
Aber die Tür zu Gott ist offen und sie bleibt offen -
schreibt er nach Philadelphia, ein Ort im wirtschaftlichen Niedergang.
Eine Gemeinde mit kleiner Kraft.

Ich habe mal ein kleines Mädchen getauft.
6 Wochen nach der Geburt wurde es auf einmal ganz blau.
Ein unentdeckter Herzfehler. Eine Not-OP konnte das Mädchen retten.
Seitdem trägt es einen Herzschrittmacher.
Als es 12 Monate später getauft werden sollte, suchten sich seine Eltern dieses Wort aus:
Ich habe vor dir eine Tür geöffnet, die niemand wieder schließen kann.
Die kleine Kraft des Mädchens war groß genug für das Leben.
Und heute studiert sie Medizin.

Du hast nur eine kleine Kraft, aber dennoch hast du an meinem Wort festgehalten.
Du hast nur eine kleine Kraft, aber dennoch hast du überlebt.
Du hast nur eine kleine Kraft,
aber dennoch machst du jeden Morgen deinem Kind ein Frühstück.
Dennoch schreibst du den Gefangenen in Weißrussland jeden Tag einen Brief.
Dennoch besuchst du jede Woche deine kranke Nachbarin.
Dennoch stehst du jeden Morgen auf.

Es gibt viele, die sagen: das ist zu wenig. Das ist doch nichts.
Aber du weißt: wenn die Kraft klein ist, ist das viel.
Schon das Aufstehen kann viel sein.
Den Tag durchzustehen kann viel sein.
Und du klammerst dich an den, der dir die Tür offen hält, den Himmel aufreißt
Der im Stall zur Welt kommt. Der sein Brot mit dir teilt. Der in den Tod geht. Der aufersteht.

Die Tür bleibt offen. Vielleicht nur einen Spalt breit.
Die Stalltür, die Haustür, die Grabestür, die Tür zum Paradies.
Und der Himmel ist offen. Für dich.
Für dich mit deiner kleinen Kraft. Groß genug für das Leben.

2 Verschlossene Türen

Ich schicke nun einige Leute zu dir, die zur Versammlung des Satans gehören.
Sie bezeichnen sich selbst als Juden. Aber das sind sie nicht, vielmehr lügen sie.
Ich werde sie dazu bringen, dass sie zu dir kommen und sich vor deinen Füßen niederwerfen.
Sie sollen erkennen, dass ich dich geliebt habe.


Türen wurden zugeschlagen.
In Philadelphia rund um die erste Jahrhundertwende war es gefährlich für Jesus-Anhänger*innen.
Für die römischen Behörden waren sie Unruhestifter, die ständig für Aufruhr sorgten.
Sie galten sogar als Staatsfeinde, die die religiöse Verehrung der römischen Macht verweigerten.
Und damit waren nicht nur die Jesus-Anhänger*innen in Gefahr,
sondern auch ihre jüdischen Geschwister.
Sie waren ja Teil der jüdischen Gemeinde,
die weitgehend in Ruhe gelassen wurde, solange sie einigermaßen still hielten -
so wie es von den Juden und Jüdinnen Jahrtausendelang erwartet wurde.
Sogar noch mehr: es wurde erwartet, dass sie mit den römischen Behörden zusammenarbeiteten -
das beinhaltete sogar, Jesus-Anhänger anzuzeigen.
Was für ein Druck.
Dem konnten viele nicht standhalten.
Für den Seher Johannes geht das aber nicht:
Ihr dürft nicht still halten, ruft er.
Das Römische Reich ist ein Imperium des Satans.
Mit dem dürft ihr nicht paktieren! Wenn ihr das tut, seid ihr keine Juden!

Wie wurden diese Sätze in den letzten 2000 Jahren missbraucht!
Die Juden wurden zur Synagoge des Satans, zu welchen, die im Pakt mit dem Teufel standen.
Dafür wurden sie gedemütigt, verfolgt, gequält, ermordet.
Welche Schuld haben wir Christen und Christinnen auf uns geladen, indem wir das zugelassen haben.
Und in den letzten Wochen wieder ließen wir zu,
dass den Juden und Jüdinnen ihr Existenzrecht mit einem eigenen Staat abgesprochen wurde.
Auch Christen beteiligten sich daran,
dass die Ermordung von jüdischen Menschen verharmlost wurde.
Denn eigentlich seien ja sie die "Bösen". "Synagoge des Satans" hat Luther übersetzt.
Der alte Vorwurf. Mehr als 2000 Jahre alt.

Dabei versteht sich Johannes, der Seher, doch selber als Jude.
Die Jesus-Anhängerinnen damals waren auch Jüdinnen.
Nur hatten sie ein anderes Verständnis davon, was das Jüdisch-Sein bedeutet,
als die meisten anderen in der jüdischen Gemeinde.
Darum war die jüdische Gemeinde in Philadelphia am Zerreißen.
Sie war bedroht - von innen und besonders von außen, vom römischen Staat.
Und da ging es ums nackte Überleben.
Wie lange können wir uns gegenseitig unterstützen und schützen?
Wen ziehen wir mit hinein, fragten sich die Jesus-Anhänger?
Wie weit müssen oder können wir gehen mit der Abgrenzung vom römischen Machtsystem?
Oder sind wir schon Teil des satanischen Imperiums?

3 Standhaft bleiben

Johannes, der Seher, lobt die kleine, aufrechte Schar der Jesus-Anhänger*innen.
Ihr habt euch nicht einschüchtern lassen. Ihr geht keine falschen Kompromisse ein.
Gerade ihr mit eurer kleinen Kraft und eurer großen Treue: gerade euch liebt Gott.
Mögen die Türen durch die anderen zugeschlagen sein, zu Gott bleiben sie offen.
Er hält zu euch.

Du hast dich an mein Wort gehalten, standhaft zu bleiben.
Deshalb halte ich auch in der Stunde zu dir, wenn alles auf die Probe gestellt wird.
Sie wird über die ganze Welt hereinbrechen, um die Bewohner der Erde zu prüfen.


Standhaft bleiben - wenn das so einfach wäre.
Es geht ja hier nicht um Verzicht auf zu frühen Verzehr von Plätzchen.
Sondern um die tiefe Überzeugung, dass Gott alle Menschen lieb hat.
Und dass alle Menschen eine Würde haben:
groß und klein, arm und reich, dick und dünn, schwarz, braun oder rosa, männlich, weiblich, queer.

Halte ich an dieser Überzeugung auch fest, wenn es unbequem wird?
Wie sehr bewundere ich den Mut, den unsere christlichen Geschwister in der DDR hatten!
Hätte ich diesen Mut auch gehabt?

Aber auch jetzt, da ich als Christin alle Freiheiten habe:
Halte ich an der Liebe Gottes für alle fest, wenn mich diese Liebe was kostet:
meine Ehre, meinen Ruf, mein Geld?
Halte ich an der Menschenwürde fest, wenn die Wohnungen knapp werden oder der Strom?
Wenn die politische Mehrheit auf einmal umkippt
und selbst die Ampel-Regierung die Migrantinnen zu Menschen zweiter Klasse macht?
Wenn Politik auf Kosten der Ärmsten gemacht wird? Und gnadenlos ist?

Halte ich auch dann daran fest, wenn mich andere als Träumerin beschimpfen
oder als eine, die man aus dem Verkehr ziehen müsste?
Würde ich für meine Überzeugung von der Menschenwürde sogar ins Gefängnis gehen
wie Narges Mohammadi, die Friedensnobelpreisträgerin aus dem Iran?
Würde ich es tun? Hätte ich den Mut?

4 Aufrecht gehen

Ich komme bald.
Halte an dem fest, was du hast, damit dir niemand deine Krone nehme.


Du mit deiner kleinen Kraft, lass sie dir nicht klein reden.
Du mit deinem weiten Herzen, verschließe es nicht.
Du mit deiner Sehnsucht, halte sie wach.
Denn die Welt ist nicht zu Ende. Und Gott ist nicht am Ende.
Sondern kommt. Kommt ins Leben. In die Tränen. In das Lachen. In diese Welt.

Halte an dem fest, was du hast, damit dir niemand deine Krone nehme.
Meine Mutter war nie verheiratet.
Und als ich auf die Welt kam - in den 60ern - war das noch eine Schande.
Ein uneheliches Kind. Da lag von Anfang an ein Makel auf mir.
Der Pfarrer, der mich taufte, suchte genau diesen Satz für mich aus:
Halte an dem fest, was du hast, damit dir niemand deine Krone nehme.

Ich habe diesen Satz lange lange nicht verstanden.
Aber irgendwann wurde mir klar, warum der Pfarrer diese Worte für mich gewählt hatte:
Gott hat mir die Krone der Menschenwürde aufgesetzt.
Für ihn gilt nicht, was die Menschen der 60er Jahre über mich und meine Mutter sagten.
Für Gott gilt:
ich bin wertvoll. Ich bin geliebt.
Und meine Würde darf mir niemand absprechen oder rauben.

Seitdem ich das begriffen habe, gebe ich diesen Satz weiter:
Diese Botschaft von der Würde, die niemand rauben darf.
Von der Krone, die uns alle zu Königskindern macht - auch die mit kleiner Kraft.
Die Tür zum Palast Gottes bleibt immer offen.
Und das gilt - auch wenn die politischen Verhältnisse was anderes sagen.

5 Durch offene Türen gehen


»Schreib an den Engel der Gemeinde in Philadelphia:›

Das sagt Christus zu Johannes, dem Seher.
Und zu dir sagt Christus es auch.
Schreib an deinen Engel.
Setz dich und schau dich um -
so wie Johannes, der Seher, als er Gottes Stimme hört.

Lege dein Herz in den Brief. Das schwere Herz und das leichte auch.
Du darfst das. Johannes hat das auch gemacht.
Schreib von deinen Sorgen um die Armen dieser Stadt -
ob sie alles bezahlen können, das Essen, die Heizung, den Strom.
Deine Gedanken um die jüdischen Freunde und Freundinnen, die jetzt auch Kerzen anzünden.
Gottes Königskinder.
Schreib an deinen Engel von deinem Enkel und den Zauberhut, den du ihm schenken willst.
Seine ganz eigene Krone.
Schreib deinem Engel, dass vor 4 Tagen hier in der Stadtkirche Fatih Aygün erzählt hat,
wie heilig ihm, dem Muslim, der heilige Nikolaus ist.

Schreib deinem Engel von deinen Tränen und von deinem Lachen.
Schreib ihm von deiner Suche und deinen Fragen, deinen Zweifeln und deiner kleinen Kraft.
Und von den vielen offenen Türen.
Es gibt sie auch. Gott sei Dank.

Ja, schreib deinem Engel von deiner Hoffnung.
Denn Christus kommt. Und Christus wird dich aufrichten.
Und alle anderen Königskinder auch.
Er reißt die Türen weit auf.
Und du mit deiner kleinen Kraft wirst aufstehen, deine Krone zurechtrücken,
und durch die offene Tür gehen.
Ins Leben.