Dienstag, 22. April 2025

Eine große Sause

Kaschnitz und Jesaja und das Leben nach dem Tode

Predigt am Ostermontag*

I.
Glauben Sie fragte man mich

An ein Leben nach dem Tode

Und ich antwortete: ja.


Und ich stimme Marie Luise Kaschnitz zu:
auch ich glaube an ein Leben nach dem Tod.
Glaube, dass Jesus auferstanden ist und dass ich auferstehen werde.

Gestern morgen auf dem Wallberg in der Morgensonne.
Ich höre von weggerollten Felsen,  die das Grab verschlossen haben
und nun den Weg frei geben. 
Und von dem sauber zusammengelegten Schweißtuch des Auferstandenen,
das zeigt, dass was Neues beginnt.
Ich singe gerne die Osterchoräle.
Das Jubeln fiel mir gestern leicht, auch wenn die Stimme noch müde war.
Das Herz war warm. Die Augen klar gewaschen.
Wir sprachen von Osteraugen. Genossen den neuen Morgen. Frohe Ostern.

Ja, ich glaube, dass Jesus auferstanden ist.
Und die Kraft des Auferstandenen stärker ist als alle Bosheit.
Seine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Ja, das glaube ich.

II.
Aber da sind auch die Nachrichten aus der Ukraine und aus dem Kongo.
Aus Italien und den USA.
Tote durch Krieg, Unglück, Gewalt. Immer immer wieder. Es hört nicht auf.
Eine versprochene Osterruhe wird gebrochen.
Ein amerikanischer Präsident hat keinerlei Achtung vor dem Gesetz.
Die Opportunisten lachen sich gerade ins Fäustchen.
Wie ein Schleier legen sich diese Nachrichten über meine Osterfreude.
Über mein  Osterlachen.

Und trotzdem denke ich, fühle ich: Nein, jetzt erst recht!
Wenn Ostern nicht auch jetzt wahr ist, dann ist es nie wahr.
(Dass heute morgen der Papst gestorben ist,
nachdem er gestern noch den Ostersegen der Welt zugesprochen hat -
das könnte kaum passender sein, auch wenn sein Tod traurig ist.)

Ostern ist doch mehr als Frühlingssonne und Blumenrausch.
Ostern ist auch mehr als ein „Jetzt ist alles gut und das Leben geht weiter“.  
Aber was? Wie?

III.
Die Worte von Kaschnitz tragen mich weiter:
Glauben Sie fragte man mich

An ein Leben nach dem Tode

Und ich antwortete: ja

Aber dann wusste ich
Keine Auskunft zu geben

Wie das aussehen sollte

Wie ich selber

Aussehen sollte

Dort

Ich wusste nur eines

Keine Hierarchie

Von Heiligen

auf goldenen Stühlen sitzend

Kein Niedersturz

Verdammter Seelen

Nur

Nur Liebe frei gewordene

Niemals aufgezehrte

Mich überflutend
Kein Schutzmantel starr aus Gold

Mit Edelsteinen besetzt

Ein spinnwebenleichtes Gewand

Ein Hauch

Mir um die Schultern

Liebkosung schöne Bewegung

Wie einst von tyrrhenischen

Wellen

Wie von Worten die hin und her

Wortfetzen

Komm du komm

Schmerzweb mit Tränen besetzt

Berg- und Talfahrt

Und deine Hand

Wieder in meiner

So lagen wir 

Lasest du vor - Schlief ich ein - Wachte auf

Schlief ein - Wache auf

Deine Stimme empfängt mich

Entläßt mich und immer

So fort

Mehr also, fragen die Frager

Erwarten Sie nicht nach dem Tode?

Und ich antworte

weniger nicht.


IV.
Und ich will eigene Worte dazu legen. Stammelnd. Suchend - wie Kaschnitz:
Auch mir fällt es leichter zu sagen, was das Leben nach dem Tod nicht ist:
Schüsse und Todesschreie haben da keinen Platz. Lügen auch nicht.
Da gibt es keine Atemnot und keine Chemotherapie.
Und die Frage: Hast du meine Liebe verdient?  Die wird dort nicht gestellt.
Meine Hände zittern dort nicht mehr - oder doch?
Ich höre dort bestimmt kein „das kannst du ja sowieso nicht“.

V.
Aber ich will mehr als das.
Ich will alles verstehen, was ich jetzt nicht verstehe.
Ich will meine Mutter und meinen Onkel wieder in die Arme schließen
und ihnen sagen, was ich versäumt habe, zu sagen:
Wie dankbar ich ihnen bin und dass ich ohne sie nicht die wäre, die ich bin.
Ich will mich wieder mit meiner Schwester versöhnen und alle Gedanken mit ihr teilen.

Ich will Erdbeeren und Spargel in allen Variationen und alle Gedichte auswendig können.
Neue Wortschöpfungen will ich erobern.
Und die schönste Musik des Himmels hören -
eine geniale Mischung aus Bach und Lord of the Lost und Coldplay vielleicht.
Und selber alles laut mitsingen.

Ich will Fingerspitzen auf meiner Haut spüren, die mir sagen, wie einzigartig ich bin.
Und ich will mit meinen Freunden voller Leidenschaft diskutieren - 
bis tief in die Nacht.
Wir werden nicht müde und wissen, dass wir alle Recht haben.
Wir sind uns einig, dass man Abendmahl auch mal mit Süßigkeiten feiern kann
und trotzdem gefällt es uns mit Brot besser.
Meine kranke Freundin ist gesund wie früher
und meine jesidischen Freunde wissen, dass sie hier endlich sicher hier leben können.
Mit meinen jüdischen und muslimischen Freunden feiere ich ausgelassen
den Frieden in Israel und Palästina. Ach, das wäre himmlisch.

Ich will mit Kindern und Alten in allen Sprachen und Farben lachen und spielen.
Ich will tanzen und meine Füße tun mir nicht weh.
Ich will mich drehen und mir wird nicht schwindelig.
Ich will Felsen erklettern und fliegen und mich dabei ganz leicht fühlen.
Und der Tod ist ein alter Freund, mit dem ich ab und zu im Gras liege
und wir schauen uns die Wolken an und entdecken ihre Formen und Farben.
Wir wissen, dass sie Teil der Ewigkeit sind und darum lassen wir sie ziehen.
Alles ist gut. Und ganz.
Und Frieden. Ja, alles ist Frieden.

VI.
Glauben Sie fragte man mich

An ein Leben nach dem Tode

Und ich antwortete: ja



Und ich höre dazu Worte von Jesaja:

Und der Herr Zebaoth wird auf diesem Berge allen Völkern ein fettes Mahl machen,
ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist.
Und er wird auf diesem Berge die Hülle wegnehmen,
mit der alle Völker verhüllt sind,
und die Decke, mit der alle Heiden zugedeckt sind.
Er wird den Tod verschlingen auf ewig.
Und Gott der Herr wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen 
und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen;
denn der Herr hat's gesagt.


VII.
Ich glaube, Jesaja und ich werden gute Freunde.
Eine große Sause bis in die Puppen.
Richtig richtig gutes Essen. Menschen aus nah und fern.
Und nichts mehr, was uns trennt.
Kein Schleier, keine Decke, - alles klar und offen.
Liebevolle Berührung. Zärtliches Tränenabwischen.
Gott reicht mir das Taschentuch und nimmt mich in den Arm.
Und die Gedemütigten werden aufgerichtet.
Leben nach dem Tod.
Maßloser Himmel.
Liebe pur.

VIII.
Und jetzt? 
Da ist die Lücke zwischen jetzt und dann.
Und die tut verdammt weh.
Die wird immer sein. Da wird immer was fehlen.

Darum klammere ich mich daran, dass Jesus bereits auferstanden ist.
Und ich bin überzeugt, dass Gott ihr Versprechen wahr macht:
Der Tod ist nicht das Ende. 
Auch für mich gibt es ein Leben danach.
Und was nach dem Tod kommt, ist so großartig, dass es mich beflügelt.

Ja, dieses Danach, das blitzt jetzt in mein Leben hinein.
Aller Unmenschlichkeit und Gewalt zum Trotz.
Der Auferstandene ist bei mir und lässt sich nicht mehr vertreiben.
Das Schweißtuch ist zusammengelegt. Es wird nicht mehr gebraucht.
Das Osterlicht ist da.  Und es blitzt herein. Jeden Tag.
Jesus sprach mal vom Sauerteig und vom Senfkorn,
die das Himmlische sichtbar machen.
Er brach Brot, damit wir den Himmel schmecken
und die Liebe bereits jetzt leben.

IX.
Also schau ich genau hin und achte auf die Osterlichtmomente.
Die kleinen Lichtfunken, die ich so leicht übersehe.
Die Freundin, mit der ich mich über hunderte Kilometer hinweg, verbunden fühle.
Der abendliche Chat mit einem Freund.
Die schamlos blühende Glyzinie vor meinem Fenster
und der wilde Tanz in der Küche beim Kochen.
Die mutigen Menschen hier in Pforzheim, die sich nicht einschüchtern lassen,
sondern beharrlich an einer gast- und menschenfreundlichen Stadt arbeiten.
Und das gemeinsame Gebet in alle vier Himmelsrichtungen auf dem Wallberg
am Ostermorgen. Wolkenleicht und erdenschwer.

In alledem spüre ich das, was noch kommen wird.
Das wird dann viel schöner und strahlender sein und ganz anders auch.
Und leichter.
Aber es trägt mich schon jetzt. Beflügelt. Macht mir Mut zum Leben.

Sie ist da, die Liebe  -
frei geworden
e
Niemals aufgezehrt  
Mich überflutend

Mehr also, fragen die Frager

Erwarten Sie nicht nach dem
Tode?

Und ich antworte

weniger nicht.


Auch nicht für jetzt.
Amen.


*Ich habe diese Predigt so ähnlich vor 6 Jahren gehalten und sie nun aktualisiert.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen