Predigt an Karfreitag zu Johannes 19
(mit Anleihen an meine Predigt von vor 4 Jahren und in Teil 3 an Formulierungen von Anna-Luise Amthor und Melanie Pollmeier - DANKE!!)
1.
Er trägt selber das Kreuz - hinaus aus der Stadt.
Niemand hilft ihm.
Hier bei Johannes ist kein Simon von Kyrene wie bei Matthäus.
Hier muss Jesus das Kreuz, das ihm den Tod bringt, selber tragen.
Allein.
Ausgeliefert.
Pilatus hat ihn ausgeliefert. Der römische Statthalter.
(Und auch wenn Johannes ihn weichzeichnet und als Unschuldigen darstellt: er ist es nicht. Er hat das Urteil gesprochen.)
Ausgeliefert den religiösen Gegnern. Dem Volk. Den Soldaten.
Ausgeliefert an die Welt. Von Pilatus und allen Tyrannen dieser Welt.
Dem Spott ausgeliefert und dem Mobbing. Dem Neid und dem Hass.
Ausgeliefert der Willkür. Des Spiels mit der Macht. Von einem, der die Macht hat.
Wer ausgeliefert wird, hat keinen Einfluss mehr darauf, was mit ihm passiert.
Kann sich nicht wehren. Ist machtlos. Trägt sein Kreuz selber.
In den Gefängnissen dieser Welt. In den Folterkammern. Auf den Hinrichtungsplätzen.
Ausgeliefert den Tiefen des Mittelmeeres, dem Gefängnis in El Salvador oder den Bomben auf die eigene Stadt.
Ausgeliefert an die Gleichgültigkeit, die Angst, der Verzweiflung.
Man könnte meinen, dass es ein Gottloser ist, der hier ausgeliefert wird.
So wie wir urteilen über Abgeschobene, Gefangengenommene, Bestrafte, Erschossene.
Aber es ist kein Gottloser. Es ist Gott selbst, der sich ausliefern lässt.
Gott lässt sich von einem König in das Dorf Bethlehem schicken.
Sie lässt sich die Tür vor die Nase schlagen: hier ist kein Platz für dich.
Gott lässt sich in einen Futtertrog legen. Er lässt sich in die Flucht schlagen.
Gott lässt sich abführen und bespucken, verleugnen und verraten.
Lässt sich foltern und ans Kreuz schlagen.
Gott lässt sich ausliefern.
Gott hat sich als Mensch ausgeliefert.
Ganz und gar. Ohne Abstriche.
Und trägt das Kreuz selber. Ein menschlicher Gott. Ein leidender Gott.
2.
Er trägt sein Kreuz selber. Nackt und bloß. Geschlagen und geschunden.
Ohne Mantel. Den haben die Soldaten und spielen um ihn.
Jesus ist für sie uninteressant geworden.
Er zählt nicht mehr. Eine Nummer. Mehr nicht.
Was er hat, ist interessant, nicht was er ist.
Dass da eine Mutter ist, die um ihn weint - eine Freundin, die um ihn trauert.
Dass er liebt und geliebt wird.
Dass er Träume hat und Hoffnungen.
Dass er leben will.
Lieben. Lachen. Tanzen. Umarmen. Glauben. Weinen. Staunen. Zweifeln. Sich freuen.
Das alles interessiert nicht.
Man blendet aus, dass hier ein konkreter Mensch stirbt.
Rückt von ihm ab. Weicht aus.
Wir können sowieso nicht alle aufnehmen, sagen manche über die Flüchtlinge.
Selbst denen wir es versprochen haben: was soll’s?
Die Toten in Myanmar - wer kann sie schon zählen.
Die vielen Namenlosen, die sich nun vor der amerikanischen Polizei verstecken müssen.
Die vielen Kinder, die in christlichen Heimen misshandelt wurden.
Die vielen Familien in den Trümmern dieser Welt.
Zahlen. Nummern. Wenn überhaupt.
Jesus ist heute die Nummer 3. Wird in die Mitte platziert. Da hängen schon 2 andere.
3.
Einer von vielen. Uninteressant.
Aber der Mantel ist für die Soldaten interessant.
Denn er ist wertvoll. In einem Stück gewebt.
Die Geschichte dieses Mantels interessiert sie nicht.
Das Gewand, das Jesus durch die Jahre begleitet hat, als er durch das Land zog.
Auf dem Stoff hatten Kinder gesessen, wenn er erzählte.
Der Saum war feucht geworden vom Wasser des Sees.
Der Staub der langen Wanderungen hatte sich in den Fasern festgesetzt.
Jesus hatte sich darin zusammengerollt,
als er im Rumpf des Schiffes schlief, während draussen ein Sturm tobte.
Er wurde berührt von der seit Jahren menstruierende Frau,
unrein und ausgestossen, und sie ersehent Heilung.
Der Mantel riecht noch nach Fisch und nach dem Rauch des Feuers am Abend.
Und nach der Liebe seiner Mutter Maria, die ihn wohl einst webte.
Alles, alles in diesem einen Stück Stoff, ein Kleid der Liebe und des Lebens,
ungenäht, von oben an gewebt in einem Stück.
4.
Jesus hat diesen Mantel nicht mehr, sondern nur noch das Kreuz.
„Nur“ - ach, wenn es nur ein "Nur" wäre.
Aber das Kreuz ist alles.
Alles Leid, alle Kälte, aller Hass, alle Angst.
Alle Tränen. Alle Einsamkeit. Alle Wut. Alle Ohnmacht. Alle Sinnlosigkeit.
Alles das trägt Jesus.
Und er erträgt, was keiner ertragen kann, aber viel zu viele ertragen müssen.
Jesus weint die Tränen der gedemütigten Kinder
Jesus klagt mit palästinensischen und israelischen Müttern und Vätern.
Die Schläge der Peiniger im großen Gefängnis in El Salvador graben sich in seine Haut.
In Stich gelassen schleppt er sich weiter wie die afghanischen Frauen.
Mit dem Kreuz.
5.
Jesus hat nur noch das Kreuz.
Aber am Ende ist Jesus nicht allein.
Und das ist für mich das Tröstlichste an dieser Szene.
Der Gottverlassene ist nicht verlassen.
Denn da sind die anderen, die ihn lieben.
Die Marias, die Mutter von Jesus und der eine von den Freunden ist auch da:
er steht Jesus besonders nahe.
Sie stehen da - fassungslos, voller Angst, verzweifelt, todtraurig.
Aber sie stehen für ihn da. Lassen ihn nicht in Stich.
Folgen seinen Spuren. Tragen seine Liebe weiter.
Leiden mit ihm. Trauern um ihn. Sind an seiner Seite.
Und sie stehen zusammen da. Und auch darauf kommt es an.
Der Sterbende spricht zu ihnen:
Ihr gehört zusammen. Bleibt beieinander.
Tragt zusammen, was für eine allein zu schwer ist.
Sein Liebesmanifest im Tod. Seine Botschaft am Kreuz.
Die Liebe hört nimmer auf.
Ihr seid nicht allein. Ich bin bei euch. Und ihr seid bei mir.
So bleibt beieinander und nehmt die Liebe mit.
Tröstet die, die um ihre Liebsten trauern. Nehmt sie in den Arm.
Bleibt beieinander und lasst euch nicht gegenseitig ausspielen.
Seid wachsam für die, die ins Nichts geschickt werden.
Lasst sie nicht in Stich. Auch wenn ihr gerade nicht mehr tun könnt, als da zu sein.
Unterm Kreuz. Für sie.
Sie brauchen euch. So wie Jesus euch braucht. Damit er nicht allein ist.
6.
Es ist vollbracht. Die letzten Worte von Jesus.
Vollbracht.
Ein Wort, das ich nie wirklich verstehe.
Will es mich vertrösten? Alles ist gut so? Alles soll so sein?
Kein Mensch kann das wirklich wollen. Und kein Gott.
Aber nun ist es da, dieses Wort: vollbracht.
Und ich schaue aufs Kreuz, das die Vertikale und die Horizontale zusammenführt.
Himmel und Erde und die ganze Welt.
Alles das kommt zusammen in diesem Kreuz und unter und an dem Kreuz.
Es ist vollbracht. Es ist alles.
Und ich schaue auf diesen Ausgelieferten und Gedemütigten,
auf den, der noch im Sterben Liebende zusammen bringt.
Er sorgt dafür, dass da welche beieinander stehen. Einander halten und stützen.
Dass sie in seinen Spuren weiter gehen.
Sein Tod reißt nicht auseinander, sondern führt zusammen.
Dieses Kreuz führt Gott da hinein, wo es dunkel ist.
Wo nichts mehr ist. Wo alles auseinander bricht.
Wo wir an unser Ende kommen -
ausgeliefert und gedemütigt und nackt und voller Wunden und Narben.
Da ist Gott.
Bei den Müden und Erschöpften, den Verzweifelten und Ausgepowerten,
den Verprügelten und Kraftlosen und Eingesperrten - da ist er: der Liebende.
Er bleibt mit seiner Liebe. Er hält das aus, was ich nicht mehr aushalte.
Und er hält mich aus. Ist bei mir. Voll und ganz.
7.
Jesus trägt selber das Kreuz und stirbt am Kreuz und umarmt die ganze Welt.
Es ist vollbracht.
Dieses ausgelieferte, gedemütigte, nackte, liebende Leben ist vollbracht.
Da ist kein Makel und kein Scheitern, auch wenn die anderen das so sehen.
Es ist ganz. Ganz und gar. Es ist vollständig.
Wie das Gewand, um das die Soldaten würfeln.
Alles was vorher Liebe war ist immer noch voller Liebe.
Und die Liebe geht mit in den Tod. Sie bleibt.
Voll und ganz.
Amen.
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