Sonntag, 11. September 2016

Meinen Hass bekommt ihr nicht - Predigt gegen den Geist der Furcht

Predigt zu 2.Timotheus 1,7-10 - gehalten in der Stadtkirche in Pforzheim


I.
Jeden Mittwoch treffen sich geflüchtete und einheimische Menschen im Weltcafé.
Hier in Pforzheim am Schlossberg.
Ehrenamtliche und Ratsuchende.
Deutschsprechende und Deutschlernende.
Auch an der Kegelbahn unter der Matthäuskirche kommen junge Erwachsene zusammen:
welche, die hier geboren sind, und welche aus Syrien oder aus dem Irak.
Jeden Freitag. Einfach so. Reden. Spielen. Sich begegnen.
Auch nach Ansbach und Würzburg. Auch nach Nizza und Paris.
Nicht nur auch - gerade deshalb.
Und obwohl sich der Geist der Furcht ausbreitet und alles beherrschen will.
Aber: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht...

II.
Es liegt am Wesen des Angst-Geistes, dass er die Oberhand haben will.
Man kann mit dem Geist der Furcht Wahlen gewinnen,
Menschen jagen, Zivilisten bombardieren
und dafür sorgen, dass aus einem „Wir schaffen das“ ein „Merkel muss weg“ wird.
Der Geist der Furcht war schon seit jeher geeignet,
Menschen so sehr einzuschüchtern, dass sie auf billige Parolen hereinfallen.
Im Mittelalter war es die Angst vor der Hölle und vor dem Teufel.
Im dritten Reich war es die Angst vor den Juden und den Bolschewiken,
im kalten Krieg die Angst vor dem Kommunismus
oder auf der anderen Seite vor dem Kapitalismus.
Man jagte Hexen und Waldenser und Täufer,
Juden und Homosexuelle,
Kommunisten und Mauerflüchtlinge.
Seit 9/11 vor 15 Jahren wird Angst gegen den Islam geschürt,
und seit 2 Jahren wieder Angst gegen Menschen, die vor Krieg, Gewalt und Hunger fliehen.
Dieser Geist wirft sämtliche Menschlichkeit oder Nächstenliebe über Bord.
Fliehende Menschen sollen wieder selektiert werden
zwischen kultureigener und kulturfremder Herkunft. (1)
Der Geist der Furcht hat gerade richtig viel Auftrieb und sorgt für Kälte.
Aber: Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht....

III.
Furcht zu haben ist auch nicht nur falsch.
Denn das, was mich kaputt machen kann, ist ja gefährlich.
Der Tod ist beängstigend.
Gewalt macht Angst.
Krieg und Terror, blinder Hass - das ist alles zum Fürchten.
Aber ich will mich nicht von dieser Furcht beherrschen lassen.
Irgendwann fängt die Furcht an, mein Denken zu benebeln.
Der Moment, wo Liebe und Besonnenheit keinen Platz mehr haben,
Und der Punkt, wo die Furcht mich kraftlos macht - mutlos - ideenlos...

IV. (2)
Anfang 2. Jahrhundert.
Timotheus und seine Gemeindeglieder sind besorgt.
Wem sollen sie noch glauben?
Paulus ist schon lange tot.
Immer wieder kommen neue Lehrer in die Gemeinde.
Und sorgen für große Unruhe.
Droht vielleicht sogar eine Spaltung der Gemeinde? 
Außerdem bekommt die Gemeinde immer mehr Schwierigkeiten.
Sie fallen auf.
Je mehr Menschen sich zu ihnen bekennen,
und je mehr ihr Glaube öffentlich wird,
desto mehr müssen sie um ihre Sicherheit fürchten.
Droht uns das gleiche Schicksal wie Paulus?
Und sie halten sich fest an den Worten aus einem Brief,
den sie von einem Schüler von Paulus bekommen haben:

V.
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht,
sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Darum schäme dich nicht des Zeugnisses von unserm Herrn
noch meiner, der ich sein Gefangener bin,
sondern leide mit mir für das Evangelium in der Kraft Gottes.
Er hat uns selig gemacht und berufen mit einem heiligen Ruf,
nicht nach unsern Werken,
sondern nach seinem Ratschluss und nach der Gnade,
die uns gegeben ist in Christus Jesus vor der Zeit der Welt,
jetzt aber offenbart ist durch die Erscheinung unseres Heilands Christus Jesus:
Er hat dem Tode die Macht genommen
und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht
durch das Evangelium.
(2.Timotheus 1,7-10)


VI. (3)
Keine Furcht, sondern: Kraft, Liebe, Besonnenheit!
Beschenkt mit Gottes Geist - seit es mich gibt.
Und dieser Geist ist nicht irgendeiner
und schon gar keiner, der mich und andere das Fürchten lehrt.

Aber er ist eine Kraft, die mich bewegt.
Mich durchpustet und die Furcht aus unseren Herzen bläst.
Dieser Geist krempelt mich um.
Öffnet mir neue Perspektiven. Lässt mich hinstehen.
Lässt mich nicht nur Risiken, sondern auch die Möglichkeiten sehen,
doch ohne einfach blind drauflos zu fliegen.
Gott schenkt mir und dir mit seinem Geist
einen Denkraum ohne Angst.

Dieser Geist ist Liebe.
Ohne Liebe wird die Kraft blind
und verliert das Menschliche aus den Augen.
Liebe beginnt mit dem Hinsehen,
hin zu dem einzelnen Gesicht, das dich fragend anschaut.
Von dort aus sehen auch die großen Zahlen und Tabellen, die uns Angst machen, anders aus.
Liebe setzt sich dann fort
mit den kleinen, liebevollen Geschichten, die wir erzählen sollten,
Und damit, dass wir aufeinander zu gehen.

Und dieser Geist ist Besonnenheit.
Liebe kann blind machen.
Da braucht sie Besonnenheit, die sieht, die aufpasst, die hinschaut.
Nüchtern schauen, was jetzt der Fall ist.
Zahlen und Tabellen besonnen lesen und deuten.
Unaufgeregt zur Kenntnis nehmen, was jetzt zu tun ist.
Auch erkennen, dass das wir noch einen steinigen Weg vor uns haben.
Und deshalb den langen Atem einer liebevollen Besonnenheit brauchen.

VII.
Ein besonnener Mensch unserer Tage ist für mich Antoine Leiris.
Er hat seine Frau beim Anschlag im November 2015 in Paris verloren.
Er ist kein religiöser Mensch. Aber er schreibt:
„Es hätte auch ein Verkehrsrowdy sein können, der zu spät gebremst hätte,
ein Tumor, der ein bisschen bösartiger gewesen wäre als die anderen
oder eine Atombombe – entscheidend ist, dass sie nicht mehr da ist.
Die Waffen, die Kugeln die Gewalt,
all das ist nur Kulisse für die Szene, die sich eigentlich abspielt: ihr Fehlen.
(…) Wenn man einen Schuldigen zur Hand hat,
jemanden, auf den man seinen Zorn richten kann,
dann ist das wie eine halb offene Tür,
eine Möglichkeit, seinem Leid auszuweichen.
Und je abscheulicher das Verbrechen,
desto idealer der Schuldige,
desto legitimer der Hass. (4) 

Nein, ich werde euch nicht das Geschenk machen, euch zu hassen.
Auch wenn ihr euch sehr darum bemüht habt;
auf den Hass mit Wut zu antworten würde bedeuten,
derselben Ignoranz nachzugeben, die euch zu dem gemacht hat, was ihr seid.
Ihr wollt, dass ich Angst habe,
dass ich meine Mitbürger mit misstrauischem Blick betrachte,
dass ich meine Freiheit der Sicherheit opfere.
Verloren. Der Spieler ist noch im Spiel. (...)
Selbstverständlich frisst mich der Kummer auf,
diesen kleinen Sieg gestehe ich euch zu,
aber er wird von kurzer Dauer sein. (...)

Wir sind zwei, mein Sohn und ich,
aber wir sind stärker als alle Armeen dieser Erde.
Ich will euch jetzt keine Zeit mehr opfern,
ich muss mich um Melvil kümmern, der gerade von seinem Mittagsschlaf aufwacht.
Er ist gerade mal 17 Monate alt;
er wird seinen Brei essen wie jeden Tag,
dann werden wir gemeinsam spielen wie jeden Tag
und sein ganzes Leben wird dieser kleine Junge euch beleidigen,
indem er glücklich und frei ist.
Denn nein, meinen Hass bekommt ihr nicht und den meines Sohnes auch nicht. (5)

VIII.
Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht,
sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen
und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht
durch das Evangelium.


Der Geist Gottes ist bereits da.
Du musst ihn nicht erarbeiten.
Die Macht des Todes ist gebrochen.
Der Tod meldet sich mit seinem Geist der Furcht zwar immer wieder zurück.
Aber gib ihm nicht den Raum, den er beansprucht.
Sondern gib Raum dem Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.
Ich muss sterben, dichtet Dorothe Sölle,
aber das ist auch alles, was ich für den Tod tun werde.

Darum taufen wir Kinder und Erwachsene. (6)
Darum feiern wir Gottesdienst und singen wir Loblieder.
Darum nehmen wir Fremde auf
und lassen uns nicht verrückt machen vom Geist der Furcht.
Darum schaffen wir das auch, mit Liebe dem Hass zu begegnen.
Der Geist hilft uns dabei.

IX.
Als Mitte der 60er Jahre das Politbüro der DDR versucht hat,
aufmüpfige Stimmen zum Schweigen zu bringen,
schrieb Wolf Biermann ein Gedicht mit dem Titel „Ermutigung“.
Du lass dich nicht verhärten - singt er.
Du lass dich nicht verbittern - ruft er.
Du lass dich nicht erschrecken.
Und in der letzten Strophe:
Wir woll‘n es nicht verschweigen
in dieser Schweigezeit
Das Grün bricht aus den Zweigen
wir woll‘n das allen zeigen
dann wissen sie Bescheid.

Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht,
sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit.
Christus Jesus hat dem Tode die Macht genommen
und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht
durch das Evangelium.


Amen.

(1) So zur Zeit die Forderung der CSU (siehe z.B. http://www.sueddeutsche.de/politik/bayern-csu-will-vorrang-fuer-zuwanderer-aus-christlich-abendlaendischem-kulturkreis-1.3153027)
 (2) Für die Anregungen zu folgendem Abschnitt Danke an Sina Kaiser
(3) Danke an Silke Wolfrum und Juliane Rumpel für einige Formulierungen im folgenden Abschnitt
(4) aus Antoine Leiris, Meinen Hass bekommt ihr nicht, S.34-36
(5) ebd., S.59-61
(6) Vor der Predigt wurde ein kleines Mädchen getauft.

2 Kommentare:

  1. Sehr bewegende Worte von Antoine Leiris. Ich kannte das Schreiben noch nicht. Es hat mich tief berührt. Was für ein kluger, starker Mann!

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  2. Das ganze Büchlein ist sehr bewegend!

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