Montag, 26. November 2018

Zu (wenig) mutig?

Theologischer Impuls zum PERSPEKTIVWECHSEL unter dem Motto "Zu (wenig) mutig? Über den Umgang mit Risiken"

(Der Arbeitskreis Evangelischer Unternehmer*innen Württemberg bat mich um diesen Impuls am 20.11.2018)

I.
Vor 4,5 Jahren stand ich auf einem Übertragungswagen in Pforzheim.
23. Februar - der Gedenktag zur Zerstörung Pforzheims am Ende des Krieges.
Ein Tag, der - wie in Dresden - auch von Rechtsextremen missbraucht wird.
(Und seit Jahren gibt es in der Stadt Streit darüber, wie man dem begegnen soll:
gar nicht im Sinne des „stillen Gedenkens“ und sie einfach machen lassen
oder doch durch Protest?)
Vor 4,5 Jahren demonstrierten gegen diese Rechten friedlich mehrere 100 Menschen.
Und vor diesen Demonstrierenden hielt ich eine Rede.

Neben vielen anderen Worten sprach ich auch folgende:
„Pforzheim war keine unschuldige Stadt.“
Im Grunde war dieser Halbsatz trivial.
Und natürlich stand er nicht für sich,
sondern in einem Zusammenhang,
wo es um die Vorgeschichte zur Bombardierung ging,
die eben auch dazu gehört,
wenn man auf diese Katastrophe für Pforzheim und die vielen Zivilisten sieht,
die dabei unschuldig ums Leben kamen.
Aber dieser Satz „Pforzheim war keine unschuldige Stadt“ klebt seitdem an mir
und lässt mich nicht mehr los.
Mir war zwar vorher klar:
Ich mache mich unbeliebt. Viele wollen das nicht hören.
Aber ich hätte nicht geglaubt, dass dieser Satz tatsächlich ein Skandal sein würde
und mich deswegen viele in die Wüste schicken wollen, zumindest raus aus Pforzheim.

Zu mutig? War ich zu mutig gewesen?

II.
Ich habe es nie als Mut empfunden, auf diesem Übertragungswagen zu stehen.
Ich empfinde es auch nicht als mutig,
wenn ich predige und dabei auch deutliche Worte finde.
Ich tu es ja auch nicht, weil mir das besonderen Spaß macht
(oder weil es mir einen Kick gäbe - auch wenn mir das unterstellt wird).
Nein, ich tu es, weil ich ein Amt habe. Eine Verantwortung.
Und in dieser Verantwortung muss ich auch klar benennen und bekennen,
was evangelische Überzeugung ist.

Wo Menschen für minderwertig gehalten werden, muss ich laut Stop sagen.
Wo Menschenrechte mit Füßen getreten werden,
Wo Hass statt Nächstenliebe propagiert wird,
Wo Andersdenkende, Andersglaubende und Andersliebende diffamiert werden,
Muss ich einschreiten - mit Hilfe dessen, was ich kann: Mit dem Wort.
Die von Gott geschenkte Menschenwürde hat immer Vorrang -
auch vor meinem eigenen Kleingeist und Kleinmut.

Wenn ich darum was sage, empfinde ich das nicht als mutig,
sondern als meine Verantwortung für die Gesellschaft.
Vielleicht ist es tatsächlich einfach das, was jetzt sein muss.
Eine innere oder äußere Notwendigkeit, die mich dazu nötigt.
Ich tu etwas, von dem ich weiß, dass die Konsequenzen unangenehm sein können.
Für mich. Und vielleicht auch für andere.
Aber ich weiß, dass ich nicht anders kann,
wenn ich meine Grundüberzeugungen nicht verraten will.

Ist das wirklich mutig? Oder eher die Angst, zu wenig mutig zu sein?

III.
Vor 73 Jahren, im Oktober 1945, wurde (hier in Stuttgart)
die Stuttgarter Schulderklärung der Evangelischen Kirche in Deutschland abgegeben.
Anlass war der Besuch einer Delegation des Ökumenischen Rats der Kirchen.
Vieles in dieser Erklärung ist noch unscharf.
Die eigene Verflechtung in das Nazi-Reich konnte man da noch nicht wirklich zugeben.
Aber ein Meilenstein war folgender Satz:
„Wir klagen uns an,
daß wir nicht mutiger bekannt,
nicht treuer gebetet,
nicht fröhlicher geglaubt
und nicht brennender geliebt haben“


Dass wir nicht mutiger bekannt haben.…
Dieser Satz hat sich mir eingeprägt wie kaum ein anderer.
Nicht mutig genug bekannt...
Ja, im 3.Reich war es wirklich mutig, sich vor die verfolgten Juden zu stellen.
Es konnte das eigene Leben kosten.
Aber es gab sie: die mutigen Menschen.
Wir kennen auch ihre Namen:
die Geschwister Scholl, Dietrich Bonhoeffer, Martin Niemöller.
Und viele Namen kennen wir auch nicht.
Aber es gab sie.
Und darum ist es auch ein Affront gegen diese mutigen Menschen,
wenn man immer noch behauptet, dass man damals ja nicht anders konnte.
Doch. Man konnte.
Es fehlte aber den meisten, die das Unrecht erkannten, der Mut.
Auch unseren Kirchen.

Mut ist immer mit Angst verbunden. Sonst wäre es kein Mut.
Mut brauche ich dann, wenn es mich was kosten könnte.
Meinen Ruf. Meine Autorität. Mein Amt. Meine Macht. Mein Geld. Mein Leben.
Aber es gibt Situationen, da ist dann Mut gefragt.

IV.
In so einer Situation befindet sich Esther.
Ein ganzes Buch ist ihr in der Bibel gewidmet.
Esther hat eine Traumkarriere* hinter sich:
Geboren als Angehörige der jüdischen Exil­gemeinde in Persien,
wächst sie im Haushalt ihres Onkels auf.
Eine königliche Misswahl, die die neue Königin des persischen Königs küren sollte,
verschafft ihr einen „Beauty­Aufenthalt“ im Palast.
Sie sticht  alle Konkurrentinnen aus und wird persische Königin,
verschweigt jedoch ihren Migrations­hintergrund.
Später erfährt sie von einer Intrige gegen ihre Glaubensgeschwister:
Die jüdischen Exilanten werden beschuldigt,
die persische Leitkultur zu untergraben und die Einheit des Reiches zu gefährden.
Ein Pogrom steht bevor.

Nun ist Esther gefordert:
würde sie weiterhin schweigen
oder endlich ihren Mund auftun?
Ester tut ihren Mund auf.
Damit riskiert sie ihren eigenen Tod.
Aber sie gewinnt das Ver­trauen des Königs und verhindert den Pogrom.
Bis heute feiern Jüdinnen und Juden am Purimfest
das Geden­ken an Esters mutigen Einsatz.

Esther hätte sich gemütlich zurücklehnen können.
Aber sie tut es nicht.
Sie scheint die richtige Frau am richtigen Platz zu sein.
Und so fühlt sie sich verantwortlich für das Schicksal der Gefährdeten.
Sie sind ihr nicht egal.
Sie tut das, was not-wendig ist.

V.
Ja, es gibt Situationen, da ist dann Mut gefragt.

Ich möchte Ihnen noch von Hananias erzählen.
Wir lesen von ihm in der Apostelgeschichte (Kapitel 9).
Er lebt in Damaskus und soll eines Tages zum frisch erblindeten Saulus gehen:
bis dato vehementer Chris­tenverfolger.
Er soll in dasselbe Haus gehen.
Im selben Raum mit diesem Menschen sein,
der bis dahin Leute wie ihn gehasst hat.
Hananias soll diesem Saulus gegenüber treten.
Ihm nahe kommen. Ihm die Hand auf den Kopf legen, ihn segnen.
Und nach langem Zögern tut er es.
Hätte ich das auch gekonnt?

Ich weiß es nicht.
Aber ich wünsche es mir.
Denn aus solchen Begegnungen entsteht Neues, Bahnbrechendes.
Nur so geschieht Veränderung.
Und aus dem Verfolger wird ein Liebender.

VI.
Zu mutig? Zu wenig mutig?
Das wissen wir meistens erst hinterher.
„Fürchte dich nicht“ ist einer der häufigsten Sätze der Bibel.
Und einer ihrer Schlüsselsätze.
In einer Zeit, wo Ängste populistisch ausgenutzt und hochgepuscht werden,
ist dieser Satz besonders wichtig.

„Fürchte dich nicht.“
Das ist keine Zauberformel,
aber ein Gegen-Satz gegen alles, was mich kleinmütig macht.
Fürchte dich nicht. Egal was passiert, ich bin bei dir.
Wenn du dich zu schwach fühlst, bin ich bei dir.
Und wenn du dich was traust, bin ich auch bei dir.
Darum: Habe den Mut, das zu tun, was gerade richtig ist.

Gerade heute brauchen wir mutige Menschen.
Mutige Menschen sind keine Superhelden.
Sie sind auch zaghaft.
Manchmal haben auch sie zu wenig Kraft, um mutig zu sein.
Und auch sie sind voller Angst.
Aber sie lassen sich von dieser Angst nicht leiten.
Und halten sich an diesem „Fürchte dich nicht“ fest.

Irgendwann ist dann da dieser Moment, worauf es ankommt.
Dann wissen die Gotteskinder, dass sie sich nicht wegducken dürfen.
Menschen wie Esther und Hananias,
Wie die Geschwister Scholl und Dietrich Bonhoeffer. Wie Sie und ich.
Und wenn es nur 5 Worte auf einem Übertragungswagen sind.
Oder die segnende Hand auf dem Kopf des Verfolgers.

Unsere Welt braucht unseren Mut. Den kleinen und den großen.
Sie braucht uns.
Wie gut, dass wir da sind.




* Einige Formulierungen hierzu habe ich mir geliehen von einer Materialsammlung von "Kirche hoch 2", die mir freundlicherweise schon gezeigt wurden, obwohl sie noch nicht veröffentlicht sind.

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