Sonntag, 28. März 2021

Eselreiter für die Welt

Predigt zu Palmsonntag 2021

(mit Anleihen aus Predigten von Bettina Schlauraff, Katrin Oxen und Michael Greßler)


 1. Johannes 12

Als am nächsten Tag die große Menge, die aufs Fest gekommen war,
hörte, dass Jesus nach Jerusalem kommen werde,
nahmen sie Palmzweige und gingen hinaus ihm entgegen und schrien:
Hosianna! Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn, der König von Israel!
Jesus aber fand einen jungen Esel und setzte sich darauf, wie geschrieben steht:
»Fürchte dich nicht, du Tochter Zion!
Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.«


2. Liedstrophe*

Tochter Zion, freue dich
Jauchze laut, Jerusalem
Sieh, dein König kommt zu dir
Ja, er kommt, der Friedensfürst
Tochter Zion, freue dich
Jauchze laut, Jerusalem


3. Das Friedens-Tier

Endlich ist es soweit.
In Jerusalem ist die Stimmung ziemlich angespannt.
Lange genug hatten die Menschen auf eine Veränderung gewartet.
Auf eine bessere Zukunft. Darauf, dass es wieder wie früher sein würde.
Dass alle gut leben können. Wieder frei sind.
Das mit den Römern und den vielen Unruhen - das kann doch nicht so weitergehen.
Ob dieser Jesus endlich die Wende bringt? Den Umsturz?
Vielleicht hat er ja noch ganz andere Ideen, wie sie aus dieser Misere rauskommen können?

Und da kommt er nun. Jesus.
Und er reitet auf einem Esel.
Das ist alles? werden sich viele denken.
Jesus auf einem Esel.

Vielleicht ist der Esel grau oder schwarz. Sanft, weich, genügsam, schlau -
störrisch ist er bestimmt, der Esel. Und jung.
Manche kluge Menschen in Jerusalem werden sich an den Propheten Sacharja erinnern.
Der sah den neuen König, der alles verändern sollte, auf einem jungen Esel.
Der, auf den sie alle Hoffnung setzten, sollte genau so kommen
- auf einem jungen Esel. Nicht anders.
Er sah den neuen König sogar als ein Kind.
Barfuß wahrscheinlich, mit einem Grashalm im Mund.

Jesus ist aber erwachsen. Und der Esel vermutlich sogar viel zu klein für ihn.
Ob die Füße auf dem Boden schleifen?
Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Viele werden enttäuscht sein.
Ist das alles?

Andere werden aber auch wissen:
auch wenn der Esel im Alltag gebraucht wird, ist er  durchaus auch ein königliches Tier.
Auch andere Könige nahmen den Esel, um mit ihm in eine Stadt zu reiten.
Und dann war klar: dieser König kommt in Frieden.
Der Esel, das Friedens-Tier.
Für die Menschen in Israel war der Esel ein Gegenbild
zu den Pferden mit den stampfenden Hufen und schnaubenden Nüstern vor den Streitwagen
oder mit gepanzerten Kriegern auf ihrem Rücken.

Jesus setzt sich auf den Esel.
Er schert sich nicht um Reichtum. Braucht die Stärke des Pferdes nicht.
Verzichtet auf Macht. Macht sich schwach. Macht sich kleiner als er ist.
Jesus ist kein starker Held. Kein unerschütterlicher Kämpfer.
Sondern einer, der anderen die Füße wäscht.
Er nimmt Kinder in den Arm und segnet sie.
Er weint um seinen Freund Lazarus und betet einsam im Garten Gethsemane.
Er wird verlassen und verraten und verleugnet - von seinen besten Freunden.
Er wehrt sich nicht dagegen, sondern setzt sich mit ihnen sogar an einen Tisch.
Und er weiß, wie es im Grab ist.
Es gibt kein passenderes Reittier für ihn als den Esel.
Sein ganzes Leben passt auf den Rücken des jungen Esels. Und sein Sterben auch.

Jesus, der Eselreiter.
Einer auf Augenhöhe.
Keiner, der über mir thront und auf mich herabschaut.
Nein, er setzt sich auf den Esel, setzt sich zu mir und schaut mir direkt in mein Herz.
Und in meine Seele, die nicht mehr weiß, was sie noch hoffen kann.
Und die vielleicht gar nicht versteht, ob wirklich sie gemeint ist. 
Er reitet in das verzweifelt-hoffende Jerusalem
und er reitet in mein verzweifelt-hoffendes Leben hinein.

4. Johannes 12

»Fürchte dich nicht, du Tochter Zion!
Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen.«
Das verstanden seine Jünger zuerst nicht;
doch als Jesus verherrlicht war, da dachten sie daran,
dass dies von ihm geschrieben stand und man so an ihm getan hatte.
Die Menge aber, die bei ihm war,
als er Lazarus aus dem Grabe rief und von den Toten auferweckte,
bezeugte die Tat.
Darum ging ihm auch die Menge entgegen, weil sie hörte,
er habe dieses Zeichen getan.
Die Pharisäer aber sprachen untereinander:
Ihr seht, dass ihr nichts ausrichtet; siehe, alle Welt läuft ihm nach.


5. Liedstrophe*

Hosianna, Davids Sohn
Sei gesegnet deinem Volk
Gründe nun dein ewig Reich
Hosianna in der Höh’
Hosianna, Davids Sohn
Sei gesegnet deinem Volk

6. Eselreiter für die Welt

Hosianna, Davids Sohn.
Du Eselreiter.
Reite hinein in diese Welt, die dich braucht.
Reite zu den Kindern,
die endlich wieder unbeschwert mit anderen Kindern zusammen spielen wollen.
Reite zu den Jugendlichen, die Angst haben, ob sie ihren Schulabschluss schaffen.
Reite zu denen, die keine Arbeit haben.
Und zu den Müttern und Vätern,
die Fernunterricht, Job und Familie nicht mehr unter einen Hut kriegen.
Reite zu den Erntehelfern, die auf das Geld dringend angewiesen sind,
aber Angst vor den Infektionen haben.
Reite zu den Händlerinnen und Gastronomen, zu den Künstlern und Schauspielerinnen.
Komm in die Krankenhäuser und Altenheime.
Reite zu den Ärztinnen und den Krankenpflegern.
Komm zu denen, die einsam studieren.
Komm hinein in diese Stadt und in die Dörfer, in ihre Wohnungen und Häuser.

Verzweifelt-hoffend klammere ich mich an die guten Nachrichten.
Hoffe auf den Impfstoff für alle,
auf wärmeres Wetter und dass die Pandemie möglichst bald vorbei ist.
Verzweifelt sehe ich, dass meine Hoffnung zerbröselt,
weil irgendwo wieder was schiefgegangen ist.
Worauf kann ich noch hoffen?

Worauf kann ich noch hoffen?
Auf dich, du Eselreiter.
Aber du bringst nicht die Wende oder den Umsturz.
Du bist nicht der Lückenbüßer für das, was wir nicht schaffen.
Oder was andere verbocken.
Du kommst auf einem Esel und trägst meine Hoffnungsbrösel
und mit dir kommt der, der Tote aufweckt und Tränen trocknet und der alles neu macht.
Wenn es so weit ist.

Ja, auf dich hoffe ich.
Du kommst und dein Reittier verrät mir alles, was ich wissen muss.
Du stellst es an meine Seite. Sanft, leise atmend.
Und es trägt auch mich.
Es ist da, wenn ich ein Lied höre, das meine Nachbarin singt.
Es trägt mich im kleinen Video von meiner Enkelin.
Wenn ich mit meinem Sohn telefoniere. Oder mir ein Kollege eine Karte schickt.
Wenn ich sehe, was unsere Krankenschwestern und Ärzte in den Kliniken und in den Praxen leisten.

Wenn ich die Ostereier am Strauch aufhänge
und wenn meine Bundeskanzlerin mich um Verzeihung bittet und ich ihr das glaube,
dann atmet mich dein sanfter Esel an und wärmt mich,
auch bei diesen elenden Balkendiagrammen in den Nachrichten.
Nah bei mir, auch wenn ich traurig bin.

Du, Jesus, und dein Esel.
Wer müde ist, den tragt ihr ein Stück.
Und die Hoffnung habt ihr auch dabei.
Sie ist genügsam, in diesen Wochen besonders.
Keine heiter-perfekte Deko, keine große Reise, keine Menschenmenge -
anders als damals in Jerusalem.
Sie singt leise, eure Hoffnung, und mit Kinderstimme.
Sie singt, auch wenn ich selber stumm bin.
Ihre leisen und auch ihre störrischen Töne kommen zu mir und gehen mit mir.
Und sind sind da, auch und gerade wenn meine Hoffnung zu klein ist.

„Fürchte dich nicht, du Tochter Zion! Siehe, dein König kommt.“

Fürchte dich nicht, Welt.
Schau auf den Esel und schau auf den, der auf dem Esel sitzt.
Und grüße ihn, den Sohn Davids.
Er bleibt bei dir, immer.
Amen.

7. Liedstrophe*

Hosianna, Davids Sohn
Sei gegrüßet, König mild
Ewig steht dein Friedensthron
Du, des ew’gen Vaters Kind
Hosianna, Davids Sohn
Sei gegrüßet, König mild


* EG 13: Tochter Zion

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