Dienstag, 2. November 2021

Wir lassen keine Menschen ertrinken

 

Beitrag zum Reformationsgespräch 2021

Man lässt keine Menschen ertrinken. Punkt.
Das ist kein Satz aus der Bibel, sondern aus einer Predigt von Sandra Bils.
Und ich stimme ihm uneingeschränkt zu.
Wir Christen und Christinnen können doch gar nicht anders als zustimmen.

Warum?
Ich glaube, jede Christin, jeder Christ kennt die Geschichte vom barmherzigen Samariter (1).
Sie gehört sozusagen zu unserer DNA.
Der Samariter zieht den unter die Räuber gefallenen aus dem Graben,
und versorgt ihn so gut, dass er wieder gesund wird.
Dabei fragt er nicht, warum er die gefährliche Straße gegangen ist,
was er vorher gemacht hat, was er glaubt und woher er kommt.
Er tut es einfach. Aus Nächstenliebe.

Seenotrettung ist ein Akt der Nächstenliebe.
Menschen in Not zu helfen - das gehört zu unserem Auftrag als Christen und Christinnen.
Geh hin und tu desgleichen, sagt Jesus zum Schriftgelehrten.

Menschen in Not zu helfen - das ist ja Aufgabe von eigentlich allen Menschen.
Und ja, es ist deshalb im Grunde eine staatliche Pflicht.
Aber die europäischen Staaten erfüllen diese Pflicht nicht.
Und solange sie das nicht tun, braucht es die zivile Notrettung.
Wir können uns nicht zurücklehnen und sagen: das sollten andere machen, nicht wir.
Der Samariter sagt ja auch nicht: das soll der Rabbi oder der Levit machen. Nicht ich.
Er tut es einfach. Er rettet.

Er rettet damit nicht die Welt.
Und das tun wir auch nicht, wenn wir ein Schiff ins Mittelmeer schicken.
Wir retten nicht die Welt. Wir lösen damit nicht das Problem der Flüchtlingsströme.
Aber wir retten Menschen. Von Gott geschaffene, von Gott geliebte Menschen.

Die schwangere Frau, die ihr Kind in einem sicheren Land zur Welt bringen will.
Der Vater, der seinen Kindern eine Zukunft schenken möchte.
Der Sohn, der von seiner Familie nach Europa geschickt wird, damit wenigstens er überleben kann.

Menschen, die lieben.
Menschen, die weinen und lachen.
Menschen mit einer Geschichte und hoffentlich mit einer Zukunft.
Menschen, die es wert sind, ein gutes Leben zu haben.
Und wir fragen nicht, ob sie die Rettung verdient haben oder nicht.
Spätestens seit der Reformation fragen wir nicht mehr, ob eine Rettung verdient ist oder nicht….

Erst letztens sagte wieder jemand zu mir:
Naja, Seenotrettung ja. Aber dann sollten sie wieder zurück geschickt werden.
Und ein anderer sagte:
Okay, Seenotrettung ja. Aber doch nicht die Wirtschaftsflüchtlinge.
Und ein Gemeinderat sagte: Seenotrettung ja, aber bitte nicht nach Pforzheim holen (2).
Lauter Ja-Aber-Sätze, Seenotrettung? ja, klar - aber….

Mal abgesehen davon, dass Libyen eben kein sicheres Land ist,
wohin man Geflüchtete zurück schicken kann -
und abgesehen davon, dass es bei der Rettung nicht darauf ankommt, warum jemand in Gefahr ist, -
bei solchen Ja-aber-Sätzen kommt mir Paulus in den Sinn.
Ich glaube, der kann ja-aber-Sätze genauso wenig leiden.

Paulus  hat ein Lied geschrieben. Das fängt so an:
Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte der Liebe nicht,
so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle.
(3)

Vielleicht müsste es heute anders weitergehen:

- Wenn ich das beste Grundgesetz der Welt hätte und hätte der Liebe nicht,
weil ich meine, dass es nicht für alle gilt, dann wäre es das Papier nicht wert.
- Wenn ich Recht hätte mit meiner Meinung,
dass die Menschen, die fliehen, nicht verfolgt würden, sondern „nur“ Hunger litten -
und ich hätte der Liebe nicht und lasse sie deshalb im Stich, so wäre dieses Rechthaben nichts nütze.
- Wenn ich mir allen Wohlstand erarbeitet hätte und hätte der Liebe nicht, um diesen Wohlstand zu teilen, so wäre ich arm.

Wir haben aber die Liebe. Denn wir sind geliebt.
Und wir fragen nicht, ob jemand die Liebe verdient hat.
Auch die geflüchtete schwangere Frau ist von Gott geliebt. Ist genauso wertvoll wie ich.
Und das gilt auch für den Vater und für den Sohn.
Jeder Mensch ist wertvoll.

Und deshalb lassen wir keine Menschen ertrinken.
Sondern wir geben ihnen, was sie brauchen. Nämlich das Leben.
Und wenn das niemand sonst tut, muss das eben die Kirche tun.
Ohne wenn und aber.
Punkt.

(1) Lukas 10, 25 - 36
(2) https://bnn.de/pforzheim/pforzheim-als-sicherer-hafen-fuer-fluechtlinge-afd-und-uwe-hueck-kritisieren-katja-mast   
https://seebruecke.org/sichere-haefen
(3) 1. Korinther 13


1 Kommentar:

  1. "Wir lassen keine Menschen ertrinken."

    Wer wollte da widersprechen? Ich nicht.

    "Wir Christen und Christinnen können doch gar nicht anders als zustimmen."

    Wer wollte da widersprechen? Ich nicht.

    Ich habe gerade mal gegoogelt, wie viele Menschen jährlich im Mittelmeer ertrinken. In den letzten Jahren waren es ca. 1500, in der Hochphase 2015/2016 zwischen 5000 und 6000. (Beim zweiten Aufrufversuch wollte mir die entsprechende Seite ein kostenpflichtiges Abo aufdrängen, deswegen zitiere ich hier nur die Größenordnung).

    Daraus soll jeder seine eigenen Schlüsse ziehen.

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