Dienstag, 28. Dezember 2021

Mehr Gutes als du denkst

 Der kleine Lord und die Gotteskinder dieser Welt

Predigt zu Weihnachten

(mit großem Dank an Holger Pyka, mit dem ich zu nächtlicher Stunde die Ideen gesponnen habe, und von dem ich auch einige Formulierungen teile (insbesondere die, die die Filmhandlung erzählen))

1. Gutes Herz?

„Keiner in der ganzen Welt hat so ein gutes Herz wie du, Großvater,
das weiß ich ganz bestimmt.“

Cedric, der kleine Lord Fauntleroy, schaut mit großen Augen seinen Großvater an, den Earl of Dorincourt. Der Diener nebendran verzieht sein Gesicht. Für mich die Schlüsselszene in dem Film, der seit 1980 an keinem Weihnachten fehlen darf: „Der Kleine Lord“. Ein Film, wo es eigentlich viel mehr um den alten Earl geht als um den kleinen Lord Fauntleroy.

Der Earl ist ein steifer alter Griesgram. Seine Untergebenen fürchten ihn, sein riesiges Schloss ist kalt und verwaist. Seine beiden Söhne sind tot, es gibt aber einen Enkel: Cedric, auch Ceddie genannt. Ausgerechnet. Ceddies Vater hatte eine bürgerliche Amerikanerin geheiratet - ist nach New York ausgewandert und hat dem Schloss und dem Earl den Rücken zugekehrt, dem er nicht mehr gut genug war. Der Earl ist verbittert, kann die Welt im Allgemeinen und Amerikaner im Besonderen nicht ausstehen. Trotzdem lässt er Cedric aus Brooklyn holen, damit er ihn zu seinem Nachfolger machen kann. „Ich muss einen Barbaren erziehen“, schnaubt er nach der ersten Begegnung mit seinem Enkel über einem Glas Sherry.  Er ahnt an diesem ersten Abend noch nicht, was mit ihm in den nächsten Wochen passieren wird.

2. Kinder Gottes

Im 1. Brief des Johannes lesen wir (1. Johannes 3, 1-2):
Seht doch, wie groß die Liebe ist, die der Vater uns geschenkt hat:
Wir heißen Kinder Gottes, und wir sind es tatsächlich.
Doch diese Welt weiß nicht, wer wir sind. Denn sie hat Gott nicht erkannt.
Ihr Lieben, jetzt sind wir Kinder Gottes.
Aber was wir einmal sein werden, ist noch gar nicht sichtbar.
Wir wissen jedoch: Wenn es offenbar wird, werden wir Gott ähnlich sein.
Denn dann werden wir ihn sehen, wie er ist.


3. Das weiß ich ganz bestimmt

In dir ist mehr Gutes als du denkst, denn du bist ja ein Kind Gottes.
Das ist kein frommer Spruch und nicht nur so daher gesagt.
Es verändert dich. Es befreit deine Seele, sich wirklich zu zeigen.

Wie das gehen kann, zeigt Cedric, der kleine Lord. Er freut sich unbändig auf den ihm unbekannten Großvater. Selbst die ersten steifen Begegnungen mit dem Earl lassen ihn nicht zweifeln, dass der Earl ein gutes Herz hat.

Eines Tages beim Frühstück kommt der Dorfpfarrer ins Schloss Dorincourt. Er kommt auf Bitten des Bauern Higgins, der mit der Pacht im Rückstand ist und Medizin für seine Kinder kaufen muss.
„Higgins war und ist immer in Schwierigkeiten, weil er ein schlechter Farmer ist“
, macht der Earl unmissverständlich klar und wendet sich wieder seinem Frühstück zu.
„Sollte ihm die Farm genommen werden, muss die Familie Hungers sterben“,
sagt der Pfarrer.
Der Kleine Lord, der die ganze Zeit über aufgeregt von einem zum anderen geguckt hat, mischt sich ins Gespräch ein: „Mein Großvater wird das nie und nimmer erlauben!“ Der Großvater verzieht das Gesicht. „Wir haben einen Philantropen in unserer Mitte“, schnaubt er. Sein Enkel geht um den großen Tisch herum, stellt sich hinter ihn und legt ihm die Hände auf die Schulter. Der Großvater verzieht das Gesicht bei so viel un-englischer, so un-aristokratischer Nähe, aber der Kleine Lord sagt mit dem ganzen Ernst und der ganzen Überzeugungskraft eines Zehnjährigen:
„Keiner in der ganzen Welt hat so ein gutes Herz wie du, Großvater,
das weiß ich ganz bestimmt. Ich weiß, du wirst Higgins helfen. Das steht sowieso fest.“


Das sind die Momente, wo das Herz auftaut. Das Herz vom alten Earl und meines auch.
Hier sagt einer: In dir ist mehr Gutes als du denkst. Das steht sowieso fest.
Du bist ein Kind Gottes. Die Welt weiß es noch nicht.
Du selbst vielleicht auch nicht. Aber ich weiß es. Es steht sowieso fest.
Irgendwann sagt der alte Earl unter Tränen zu seinem Anwalt:
„Ich bin kein Mensch zum Gernhaben. Und doch… er vermag mich gernzuhaben.“

4. Jesus, der kleine Lord

Jesus, der große kleine Lord in der Krippe, der konnte und kann das auch:
Gernhaben, bei wem es allen anderen sonst schwerfällt. Sehen, was sonst keiner sieht.
Das Gute, das Gotteskind in der Seele. Das, was sowieso feststeht, obwohl es niemand zu hoffen wagt.

So sieht er Zachäus (Lukas 19) auf dem Baum. Ein korrupter Zollbeamter, über den alle die Nase rümpfen, weil er sie übers Ohr haut. Jesus erkennt in ihm nicht nur jemanden, über den man im Himmel ein Freudenfest feiert, sondern auch den, zu dem man sich unbedingt mal zum Essen einladen muss. Und das allein krempelt diesen Zachäus so um, dass er auf einmal alles teilt, was er hat. Er braucht seinen Schutzpanzer aus Kälte und Geld und Macht nicht mehr. Er ist frei zu lieben und zu leben wie - wie ein Kind Gottes.

Das hat der kleine große Lord Jesus geschafft, der wie Cedric keine Berührungsängste kennt. Inmitten der kaputten und verqueren Welt sieht er eine neue Welt schon anbrechen. Wasser wird zu Wein, Kranke werden geheilt, Armen wird das Evangelium verkündet. Und das alles fängt in einem Stall an und mit Hirten und Engeln und einem Kind in der Krippe. Einem Gotteskind.

5. Kraft der Veränderung

„Keiner in der ganzen Welt hat so ein gutes Herz wie du, Großvater,
das weiß ich ganz bestimmt.“
Cedric verändert den alten griesgrämigen hartherzigen Earl. Die Seele vom Earl schält sich heraus aus der Bitterkeit und er fängt an, seine Welt mit anderen Augen zu sehen. Sieht die Not seiner Pächter unterhalb von seinem Schloss und nimmt sich ihrer an. Selbstkritisch sagt er zum kleinen Lord: "Wenn du Earl sein wirst, sei verantwortungsvoller, als ich es gewesen bin.“ Er lernt Fußballspielen mit einer Blechdose und holt Cedrics Mutter ins Schloss. Und am Ende lädt er alle zu einem Weihnachtsfest ein. Der bisher so kalte und traurige Festsaal wird mit Tannengirlanden und Kerzen geschmückt. Die Tische biegen sich unter Truthähnen und Spanferkeln, helles Gelächter hallt durch den Raum, am Tisch sitzen nicht nur seine amerikanische Schwiegertochter, sondern auch ein Schuhputzer aus Brooklyn, der Pfarrer aus dem Dorf, die Bediensteten des Schlosses und sogar Mr. Higgins, der verschuldete Pächter.
Und der ehemals so kühle Earl sagt mit leicht feuchten Augen:
„Das ist das fröhlichste Weihnachtsfest, das ich gefeiert habe.“


In dir ist mehr Gutes als du denkst, denn du bist ja ein Kind Gottes.
Das Kind in der Krippe lässt jedenfalls genauso wenig locker wie Cedric, der kleine Lord. Es bahnt sich seinen Weg durch unsere Herzen wie durch das Schloss von Dorincourt. Und es verändert uns, weil es das Gute sieht. Das Gotteskind in mir und in dir.

Zu schön, um wahr zu sein? Vielleicht. Aber sowas passiert immer wieder.

Als meine Tochter 4 Jahre alt war, hat sie mich gelehrt, ganz anders und neu auf meinen Vater zu schauen. Meine Mutter war alleinerziehend, mein Vater war lange der, der meine Mutter sitzen ließ. Es gab zwar immer wieder gemeinsame Ausflüge, aber herzlich war das Verhältnis zwischen ihm und mir nie. Kurz vor seinem Tod bat er mich, ihn zu besuchen. Mein Mann überredete mich, der Bitte nachzugeben. Und so gingen wir hin. Für meine Tochter war das aufregend. Endlich würde sie ihren Opi kennenlernen. Sie strahlte ihn an. Für mich war er der Mann, der mir fern war und fremd. Für sie war es der Opi, der ihr ein tolles Buch schenkte. Sie umarmte ihn mit kindlicher Liebe und kindlichem Vertrauen.
Meinen Vater hat sie nicht verändert, aber mich. Ich sah in seinen Augen das Glück über seine Enkeltochter. Und vorsichtigen Blicke zu mir, als wollte er um Verzeihung bitten. Mein Herz wurde weicher. Meine Seele öffnete sich für ihn.

6. Befreiung

Vielleicht hast du sowas auch schon mal erlebt?

Und vielleicht kann diese unsere Welt das auch erleben, dass sie verwandelt wird, dass die Seelen weit werden? Ich jedenfalls hoffe mit aller Kraft meines kindlichen Herzens darauf. Und vielleicht wird die neue Welt so sein wird wie Weihnachten auf Schloss Dorincourt. Da ist die strenge Sitzordnung aufgehoben, da sitzen hohe Herrschaften und Untergebene Seite an Seite. Leute, die noch in der letzten Woche in München Polizisten über den Haufen rannten, schenken diesen Wein ein und gemeinsam prosten sie sich zu.  Ein Bewohner des Eutinger Tals (das ist unsere "Earls Lane") reicht dem Oberbürgermeister eine Putenkeule. Geflüchtete vom Lager an der griechischen Grenze finden hier auch noch Platz und von irgendwoher erklingt Streichermusik. .

Naiv? Zu schön um wahr zu sein. Vielleicht.

Aber ich versuche, Jesus zu glauben, wenn er zu mir sagt:
Keiner in der ganzen Welt hat so ein gutes Herz wie du, das weiß ich ganz bestimmt.“
Denn ich bin ein Kind Gottes. Und du bist ein Gotteskind.
Und wenn es offenbar wird, werden wir Gott ähnlich sein. 

Fang darum schon mal mit mir an, du kleiner Lord in der Krippe.
Befreie meine Seele mit deiner Liebe.
Amen.



 

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