Freitag, 15. April 2022

Vater, vergib - weil ich es nicht kann

Karfreitagspredigt zu Lukas 23, 33 - 49

1.
Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Jesus vergibt - bedingungslos, zuerst.
Jesus vergibt den Mördern. Den Attentätern. Den Bombenlegern.
Den Vergewaltigern. Den Hinrichtern.
Den Brutalen. Den Gaffern. Den Spöttern. Den Gemeinen.
Jesus vergibt, wo ich es nicht schaffe.

Vater, vergib.
Ein Wanderprediger im Winkel des römischen Reiches hängt wegen Hochverrats am Kreuz.
Man erträgt es nicht, dass einer auftaucht, der Herzen an sich bindet.
Der sagt: ‚Liebe deine Feinde.’ und das auch so meint.
Der Menschen aus ihren Zwangsjacken heraus-liebt bis sie tanzen können.
Der die Himmelssprache beherrscht, die Zauberworte aus der anderen Welt:
„Steh auf und geh.“  oder „Dein Glaube ist groß – sei gesund.“

Das ertragen sie nicht. Das halten sie für gefährlich.
Wehrkraftzersetzend. Moralschädigend. Freiheitsliebend.
Und darum demütigen sie ihn, verspotten, machen klein, zerstören.
Töten.

2.
Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.
Doch - sie wissen, was sie tun:
Sie wissen, dass sie zahllosen Menschen das Leben nehmen.
Und damit einem Kind ihre Mutter rauben, einer Frau ihren Mann,
dem Geliebten seinen Geliebten, dem Vater seine Tochter.

Sie wissen, was sie tun.
Sie wissen, dass sie Zivilisten erschießen und auf der Straße liegen lassen.
Sie wissen, dass Menschen im Mittelmehr ertrinken,
weil sie ihnen nicht helfen oder die Boote sogar zurück pushen.
Sie wissen, dass sie Menschen in die Flucht jagen und deren Heimat zerstören.
Sie wissen, dass Bomben auf eine Stadt keinen Frieden bringen.
Sie wissen, was sie Kinderseelen antun, wenn sie sie missbrauchen.
Sie wissen, dass sie einen Unschuldigen ans Kreuz nageln.
Sie wissen, was sie tun.

3.
Vater vergib -
„Father forgive“ -
Der Dompropst von Coventry lässt 1942 diese Worte in die Mauer der Kathedrale meißeln.
Deutsche Bombenangriffe hatten die Kathedrale kurz zuvor zerstört.
Dazu ein Kreuz aus Zimmermannsnägeln,
die hatten die Balken der mittelalterlichen Kathedralendecke zusammengehalten.
Ein Kreuz aus Nägeln - zwei Worte.
Ihr kennt diese Geschichte. Und diese zwei Worte.
Father forgive - Vater vergib
Überreste der Zerstörung als Zeichen der Vergebung und der Versöhnung.

Vater vergib -
Und viele von euch kennen auch die Geschichte von Marjorie Frost.
Vor 30 Jahren kam sie nach Huchenfeld.
Wo 1945 ihr Mann ermordet wurde.
Und nun steht da einer, der beim Abendmahl in Tränen ausbricht.
"Ich war einer von den Hitlerjungen, die ihn getötet haben."
Nach dem Gottesdienst ist er weg.
Marjorie sucht nach ihm.
"Ich will ihm sagen, dass ich ihm vergeben habe."
Vater vergib.

4.
Vater vergib -
die ersten Worte am Kreuz - wie eine Überschrift.
Denn darum geht es: um Vergebung, um Versöhnung,
um Heil inmitten allen Unheils, um Beziehung inmitten aller Beziehungslosigkeit,
um die ausgestreckte Hand, um Liebe inmitten allen Hasses.

Vater vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!
Vergib denen,  die meinen Tod verantworten und ihn inszenieren.
Vergib ihnen, obwohl sie ihre Schuld nicht eingestehen.
Vergib den Soldaten und den Hohepriestern, den Politikern und den Gaffern, den Mördern,
den Spöttern, den Feiglingen, denen die noch Jahrhunderte später in meinem Namen töten:
sie alle zeigen keine Reue, und dennoch:
Vater, vergib ihnen.

5.
Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!
Gott vergibt zuerst und nicht erst am Schluss. Gott vergibt bedingungslos.
Setzt neue Kräfte frei. Kräfte des Himmels. Schon immer.
Fischer trauen sich ganz Neues.
Frauen ziehen ihre Zwangsjacken aus und verschwenden ihr Salböl.
Berufsmäßige Betrüger am Zolltisch drehen sich um 180 Grad.
Freunde teilen Brot und Wein, obwohl sie alles andere als gute Freunde sind.

Und sie alle haben seine Liebe geschmeckt.
Und seine Zauberworte gehört:
vom Vater, der seinen heimkehrenden Sohn in die Arme nimmt,
vom Hirten, der sein Schaf sucht,
und vom Winzer, der auch die Spätgekommenen belohnt.
Von einem Gott, der immer zuerst da ist und immer kommt und immer wieder anfängt.
Ein Gott, der liebt was das Zeug hält und auf Teufel komm raus.

6.
Vater, vergib...
Einer hat dies schon immer gelebt und verkörpert.
Und dieser Eine geht dieses „Vater vergib“ bis zum Schluss - bis zum Kreuz.
Vater, vergib, das hört mit dem Tod nicht auf.
Das kann der Tod nicht in Frage stellen. Auch nicht die Richter und Henker.
Vater vergib - das gilt auch für die, die andere in den Tod reißen.

7.
Ich weiß nicht, ob ich das gerade kann. Vergeben.
Und ich kann es schon gar nicht von anderen erwarten. Dass sie vergeben.
Weder von den Juden, deren Großeltern von meinen Vorfahren ermordet wurden.
Noch von den Ukrainerinnen, die um ihre Brüder trauern.
In Coventry bauten sie gleich nach dem Ende des 2.Weltkrieges Brücken
zu den ehemaligen Feinden, zu uns Deutschen. Sie machten aus Feinden Freunde.
Und das war ein Geschenk. Für uns.  Nichts, was wir erwarten konnten.

8.
Ich kann nicht erwarten, dass man mir vergibt.
Aber ich kann selber um Vergebung bitten - für mich.
So wie der eine, der auch am Kreuz hängt.

Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.
Du bittest um Vergebung für mich, ohne dass ich darum bitten muss.
Du bist die Brücke zu Gott, zur Liebe, zur mir selbst, obwohl ich alle Brücken eingerissen habe.
Ich weiß, dass ich verloren bin.
Doch du kannst mich retten. Nur du mit deiner Liebe, die größer ist als meine Schuld.
Du kennst den Ort, wo ich wieder sein kann, wie Gott mich gedacht hat,
ohne Schuld, ohne Leid, ohne Schmerz. Mit dir an meiner Seite.
Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst.

9.
Da sucht einer die Nähe zu Jesus. Zur Liebe, zu Gott.
Und da antwortet die Liebe:
Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Heute. Nicht erst am Ende aller Tage. Nicht erst, wenn Gut und Böse gewogen wird.
Heute, nachher schon wirst du im neuen Garten Gottes sein.

10.
Jesus vergibt - bedingungslos, zuerst. So verwandelt sich dein Leben.
Jesus stirbt nicht, damit Gott uns vergeben kann,
sondern Gott vergibt radikal und lebt dies selbst noch am Kreuz.
Gottes Vergebung kommt nicht an ihr Ende, nirgendwo.
Liebe pur -  dort, wo es dunkel ist, wo wir am Ende sind,
Liebe und Nähe mitten in der Katastrophe, wo jeder von uns wegrennen würde,
wo Bomben eine Stadt zerstören,
wo russische Soldaten die Ukraine überfallen und Zivilisten ermorden
Mitten in der Höllenvision der Schädelstätte reißt Jesus das Paradies weit auf,
dort, wo alles dagegen spricht.
Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

11.
Ich gebe zu. Ich kann darauf nur hoffen.
Es fällt mir schwer, es zu sehen: den Neuanfang. den Frieden. die Liebe. das Paradies.
Jedenfalls jetzt. (vielleicht ist dieser andere, der Spötter am Kreuz, auch zu laut, zu stark?)
Ich kann es nur vorsichtig stammeln, dieses „Vater, vergib“
Ich klammere mich fest an diesen 2 Worten.
So wie ich mich an den Gekreuzigten klammere.
An ihn und seine Liebe, die am Kreuz nicht aufhört.
Ich klammere mich an die Geschichten, die die Zimmermannsnägel von Coventry schreiben
und an die Hand von Marjorie Frost.
Ich klammere mich an Jesus, der auch Henker und Menschenverächter zur Vernunft bringen kann.
An diesen Jesus, der vergibt, wo ich es nicht schaffe.

Er gibt niemanden auf. Mich nicht und dich nicht.
Und auch nicht die, die wissen, was sie tun.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

1 Kommentar:

  1. Liebe Frau Quincke,
    vielen Dank. Wunderbar und herzzerreißend, eine Überlebensration für die Seele.
    Und gut, dass es Ostern gibt. Frohe Ostern.
    Ein langjähriger Fan von Ihnen.

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