Sonntag, 11. September 2022

Ich bin dann mal weg - zwei Gottsucher, die Gott finden und überrascht werden

Predigt zu Elija und Hape Kerkeling*

1.Teil: Elija

Sein Name ist Programm.  Elija - das heißt: Mein Gott ist allein Jahwe, niemand sonst.
Und dafür tritt er vor gut 2.800 Jahren ein, wie keiner sonst -
dafür nimmt er sogar blutige Opfer in Kauf.
Heute würden wir ihn als Fanatiker sehen, und in der Tat geht es für ihn um Leben oder Tod.
Es gibt nur ein Entweder-Oder, keine Zwischentöne. Kennen wir gerade, nicht wahr?
Jedenfalls gibt ihm dieses Entweder-Oder Power,
so viel, dass er als Sieger gegen seine Gegner, die Baalspriester, hervorgeht.
Aber dann geht er zu weit und lässt sie umbringen.
Das Ringen um die göttliche Wahrheit endet mit einem Blutbad.
Auch das kommt mir bekannt vor. 


Nun ist Elija selbst in einer schwierigen Lage.
Klar, dass die Königin Isebel auf der Gegnerseite diese Taten nicht ungesühnt lassen will.
„Das lasse ich mir nicht gefallen“ - lässt sie ihm ausrichten.
„Ich werde mich an dir rächen, spätestens morgen.“
Elija bangt um sein Leben.

Hört selbst, wie es im 1.Buch der Könige geschrieben steht:
Da packte Elija die Angst, und er floh, um sein Leben zu retten. In Beerscheba an der Südgrenze von Juda ließ er seinen Diener zurück und wanderte allein weiter, einen Tag lang nach Süden in die Steppe hinein. Dann setzte er sich unter einen Ginsterstrauch und wünschte sich den Tod herbei. „Herr, ich kann nicht mehr“, sagte er. „Lass mich sterben! Ich bin nicht besser als meine Vorfahren.“ Dann legte er sich unter den Ginsterstrauch und schlief ein.
    Aber ein Engel kam und weckte ihn und sagte: „Steh auf und iss!" Als Elija sich umschaute, entdeckte er hinter seinem Kopf ein frisches Fladenbrot und einen Krug mit Wasser. Er aß und trank und legte sich wieder schlafen. Aber der Engel des Herrn weckte ihn noch einmal und sagte: „Steh auf und iss! Du hast einen weiten Weg vor dir!“ Elija stand auf, aß und trank und machte sich auf den Weg. Er war so gestärkt, dass er 40 Tage und Nächte ununterbrochen wanderte, bis er zum Berg Gottes, dem Horeb kam. Dort ging er in die Höhle hinein und wollte sich darin schlafen legen.
    Da hörte er plötzlich die Stimme des Herrn: „Elija, was willst du hier?“ Elija antwortete: „Herr, ich habe mich leidenschaftlich für dich, den Gott Israels und der ganzen Welt, eingesetzt; denn die Leute von Israel haben den Bund gebrochen, den du mit ihnen geschlossen hast... Nun bin ich allein übriggeblieben, und nun wollen sie auch mich noch töten.“
   Der Herr sagte: „ Komm aus der Höhle und tritt auf den Berg vor mich hin! Ich werde an dir vorübergehen!“ Da kam ein Sturm, der an der Bergwand rüttelte, dass die Felsbrocken flogen. Aber der Herr war nicht im Sturm. Als der Sturm vorüber war, kam ein starkes Erdbeben. Aber der Herr war nicht im Erdbeben. Als das Beben vorüber war, kam ein loderndes Feuer. Aber der Herr war nicht im Feuer. Als das Feuer vorüber war, kam ein ganz leiser Hauch. Da verhüllte Elija sein Gesicht mit dem Mantel, trat vor und stellte sich in den Eingang der Höhle. Und Gott sprach zu ihm: „Geh den Weg zurück, den du gekommen bist!“ (1. Könige 19)


2.Teil: Kerkeling und der Camino

Sein Name steht für Programm. Hape Kerkeling steht für Unterhaltungsprogramm - und das seit fast 40 Jahren. Kaum jemand in Deutschland, der ihn nicht kennt. International berühmt geworden als einer, der als Königin von Holland oder als Horst Schlämmer auftrat, steht er in den 90er und Nuller Jahren voll im Geschäft und setzt alle Power ein, die er hat.
Auch er nimmt Opfer in Kauf: seine Gesundheit. Seine Ganz-oder-gar-nicht-Haltung in Bezug auf seine Arbeit führt zu einem Hörsturz und dem Verlust der Gallenblase. Diese Erfahrung zwingt ihn zu einer Pause, damit er weiterleben konnte.
„Ich will mal weg!“ sagt er sich und macht sich 2001 tatsächlich auf den Weg - aber nicht nach Mallorca oder auf die Malediven, wie damals die meisten eher vermutet hätten, sondern auf den Pilgerweg nach Santiago di Compostela, einmal quer durch Spanien.
      
Wie kommt ein Komödiant und Entertainer dazu, den Jakobsweg, den Camino zu pilgern?
Kerkeling selbst sagt dazu:
„Was verspreche ich mir eigentlich von dieser Pilgerschaft? Ich könnte losziehen mit der Frage im Kopf: Gibt es Gott? Seit meiner frühesten Kindheit beschäftigt mich die Frage nach dem großen unbekannten Wesen. Als Kind hatte ich nie den leisesten Zweifel an der Existenz Gottes, aber als vermeintlich aufgeklärter Erwachsener stelle ich mir heute durchaus die Frage: Gibt es Gott wirklich? Was aber, wenn dann am Ende dieser Reise die Antwort lautet: Nein, tut mir sehr leid. Der existiert nicht. Da gibt es NICHTS. Könnte ich damit umgehen? Mit Nichts? Wäre dann nicht das gesamte Leben auf dieser ulkigen kleinen Kugel vollkommen sinnlos? Natürlich will jeder, mutmaße ich, Gott finden... oder zumindest wissen, ob er denn nun da ist...
Vielleicht wäre die Frage besser: Wer ist Gott? Oder wo oder wie? ...Nur: Wer sucht denn hier eigentlich nach Gott? Ich! Hans Peter Wilhelm Kerkeling, 36 Jahre, Sternzeichen Schütze, Aszendent Stier, Deutscher, Europäer, Adoptiv-Rheinländer, Westfale, Künstler, Raucher, Schwimmer, Autofahrer, Zuschauer, Komiker, Radfahrer, Autor, Kunde, Wähler, Mitbürger, Leser, Hörer...
Anscheinend weiß ich ja nicht mal so genau, wer ich selbst bin. Wie soll ich da herausfinden, wer Gott ist? Meine Frage muss also erst mal ganz bescheiden lauten: Wer bin ich? Also gut - als Erstes suche ich nach mir; dann sehe ich weiter. Vielleicht habe ich Glück und Gott wohnt gar nicht so weit weg von mir.“ (S.20-22)


Also begibt sich Herr Kerkeling auf die Suche nach sich selbst und nach Gott und macht sich auf den Weg. Und er ist allein und ziemlich bald frustriert. Der Weg ist alles andere als romantisch.
Es regnet wie aus Kübeln, der Rucksack zieht ihn zu Boden, seine Füße schmerzen. Er kann nicht mehr.

Kerkeling begegnet dann aber doch im richtigen Augenblick den richtigen Menschen, die ihn stärken oder wieder aufhelfen - so wie der Engel bei Elija. Und so wandert er weiter - trotz aller Zweifel, ob er es schaffen wird oder es überhaupt das Richtige ist, was er da tut.
Er ist froh, wenn er Menschen trifft, die ähnlich wie er ihre Zweifel haben. Mit Pilgern und Pilgerinnen, die selbstsicher und großspurig wissen, wo es lang geht, kann er nichts anfangen. Und im Laufe der Wanderung kommt er sich selbst und Gott immer näher.

Kerkeling spürt immer mehr, wie die Außenwelt des Jakobswegs sein Innenleben widerspiegelt:
sei es der steile Anstieg, die endlose Weite, oder z.B. der Kreuzgang eines Klosters, der ihn dazu bringt, seine eigenen Schattenseiten genauer zu betrachten. Bei Elija ist es der Ginsterbusch, die Wüste und die Höhle: Sich den Dornen des Lebens stellen, die Leere annehmen und die dunklen Abgründe. Die in ihm selbst.

Kann man nur dann Gott begegnen? Ich weiß es nicht.
Aber Elija ist erst nach diesen Konfrontationen mit sich selber statt mit den Baalspriestern reif für den Ewigen im Windhauch.

Und auch Kerkeling erreicht seinen persönlichen Berg Horeb und begegnet Gott:
„Bei mir war es gestern so weit. Ich stehe mitten in den Weinbergen und fange aus heiterem Himmel an zu weinen. Warum, kann ich gar nicht sagen. Erschöpfung? Freude? Alles auf einmal? Weinen in den Weinbergen!? Ich muss gleichzeitig darüber lachen.
Ja, und dann ist es passiert! Ich habe meine ganz persönliche Begegnung mit Gott erlebt.
‚Yo y Tu‘ - ich und du - war am Anfang meiner Wanderung an der Grundschule zu lesen und das klingt für mich wie ein Siegel der Verschwiegenheit. In der Tat, was dort passiert ist, betrifft nur mich und ihn. Nur diese drei Worte: ‚Ich und du.‘ Die Verbindung zwischen ihm und mir ist etwas Eigenständiges.
  Um Gott zu begegnen, muss man vorher eine Einladung an ihn aussprechen, denn ungebeten kommt er nicht. Auch eine Form von gutem Benehmen. Wir haben die freie Wahl. Zu jedem baut er einen individuelle Beziehung auf. Dazu ist nur jemand fähig, der wirklich liebt.
  Ich werde hier von Tag zu Tag freier und das Hin und Her in meiner Gefühlswelt auf dem Camino ergibt plötzlich einen klaren Sinn. Durch alle Emotionsfrequenzen habe ich mich langsam auf die eine Frequenz eingetunt und hatte einen großartigen Empfang. Totale gelassene Leere ist der Zustand, der ein Vakuum entstehen lässt, das Gott dann entspannt komplett ausfüllen kann. Also Achtung! Wer sich leer fühlt, hat eine einmalige Chance im Leben! Gestern hat etwas in mir einen riesigen Gong geschlagen. Und der Klang wird nachhallen.... Eigentlich ist mein Camino hier beendet, denn meine Frage ist eindeutig beantwortet. Ab jetzt kann der Weg mir eigentlich nur noch Freude bereiten.“ (S. 240-241)


3.Teil: Elija und Kerkeling auf ihrem Weg

Zwei Menschen haben sich auf den Weg gemacht. Sie haben Gott gesucht und gefunden. Sie haben sich selbst ganz neu erlebt und somit sich selbst neu gefunden. Vielleicht ist das der Schlüssel dieser Wegerfahrung?

Elija, der fanatische und selbstsichere Gotteskämpfer muss erst ans Ende seiner Kräfte kommen,
um zu sich selbst zu finden. Er muss den Weg durch die Wüste gehen - den Weg zu sich selbst, den Weg durch das Nichts - er muss alles hinter sich lassen, nicht nur seine Diener, sondern auch seinen Anspruch, besser zu sein als die anderen. Sein Entweder-Oder und seinen Wahrheitsanspruch.
40 Tage und Nächte muss er gehen: 40 - eine heilige Zahl. 40 - der Zeitraum für Veränderung. 40 - die Zahl für Vollendung und Reife. Nach 40 Tagen ist Elija ein anderer geworden und begegnet Gott ganz neu.

Und Gott - ja, er erscheint dem kleingewordenen Elija so, wie der ihn in seiner Situation einzig wahrnehmen kann: nicht donnernd, bebend und gewaltig - das wäre er ja gewohnt gewesen -, sondern leise, ja, fast unscheinbar. Gott begegnet dem Schwachen als Schwacher.  Und darum kann der Schwache wieder stark werden und wieder aufbrechen.
    
Hape Kerkeling geht es ähnlich: Auch er wechselt seine Rolle und versteht selbst kaum noch, auf was er sich da einlässt. Auch er, der selbstsichere Entertainer muss loslassen, alles hinter sich lassen, muss den Weg durch die innere Wüste gehen, leer werden und ganz er selbst werden.
Auch er braucht über 40 Tage und Nächte bis zum Ziel und kann Gott ganz neu begegnen.
Gott begegnet dem frei gewordenen Kerkeling als ein freier und nicht festzuhaltender Gott. Und darum kann der Freigewordene sich auch wieder binden und Verantwortung übernehmen. Er steht mehr denn je zu seiner Homosexualität und trifft später dann mit 50 Jahren sogar die Entscheidung, dass er den ganzen Rummel nicht mehr braucht.

Und du - welchen Weg gehst du? Was ist deine Wüste, welches ist dein Camino?
Gelingt es dir loszulassen, das, was dich schwächt und klein macht, hinter dir zu lassen?
Wo sind deine Momente, wo du über dich nachdenkst und über Gott, - ist es hier, in der Kirche?
Oder im Wald? Oder im Lied?
Welche Engel stärken dich unterwegs und schicken dich wieder auf den Weg?

Unsere Welt braucht Menschen wie Elia und Kerkeling - Menschen, die nach Gott suchen und merken, dass ihre Bilder im Kopf womöglich nicht die richtigen sind. Unsere Welt braucht die Zweifelnden, Suchenden, Fragenden. Vielleicht jetzt mehr denn je. Sie braucht Menschen, die den Mut haben, schwach und verletzlich zu sein, frei zu sein für einen überraschenden Gott, für den menschlichen und leisen Gott.

Unsere Welt braucht Menschen, die das Leise hören, dem Zweifel Raum geben und den Lücken zwischen Entweder und Oder und die sich selbst nicht mehr so wichtig nehmen.
 
Gott meint es gut mit dir und öffnet dir den Horizont. Zieht bei dir ein und schickt dich los.
Auf den Camino. Zum Berg Horeb. In die Welt. 
Und irgendwo - da bin ich ganz sicher - irgendwo dort triffst du Gott.

Amen.



*Hape Kerkeling, "Ich bin dann mal weg!"

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