Von Anfängen,
dem einen Wort und von Gotteskindern
Predigt zu Johannes 1 am Weihnachtsmorgen
1.
Im Anfang war das Wort.
Der Tag ist noch müde. Der Weihnachtsmorgen nach dem heiligen Abend. Geschenkpapier liegt noch herum, die Kerzen am Baum heruntergebrannt. Der Geruch vom abendlichen Raclette vermischt sich mit dem nach Wachs und Nordtanne. Die Weingläser stehen noch auf dem Tisch. Und die anderen schlafen.
Aber du bist wach. Machst dir einen Kaffee und sein Duft vermischt sich mit dem von Raclette und Nordtanne und Wachs und etwas Zweifel ist auch dabei.
Es ist ruhig. Am Anfang.
Und du gehst vor die Tür. Ganz am Anfang ist die Luft klar. Sie riecht nach Morgenregen und nach Erde. Der Himmel ist so dunkelblau, dass man den Morgenstern noch sieht. Am Rand aber ist er hellblau und schimmert gold. Und dann kommt die Sonne an. Ein riesengroßer flacher Ball. Und siehe, es ist sehr gut.
Die Schöpfung weiß, was am Anfang zu tun ist. Wenn es Tag wird. Wenn ein Same aufgeht und der Regen die Luft sauber gewaschen hat.
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und Regen und Tag und Nacht und Sonne und das Licht. Der Anfang ist ein Raum und in dem ist alles da und doch noch im Werden. So vieles, was entstehen kann und so vieles, das vergehen wird. Im Anfang ist beides da: Werden und Vergehen, Beginn und Ende. A und O.
2.
Am Anfang.
Am Anfang ist das Licht mild. Das Licht vom Weihnachtsmorgen.
Die Welt sieht anders aus in diesem Licht. Du siehst das Gute.
Das Wahre. Das Versöhnliche auch.
Du siehst das, was du sonst übersiehst.
Den kleinen Tropfen auf der Fensterscheibe in Regenbogenfarben.
Die Christrose zwischen Laub.
Den Herrnhuter Stern im Türeingang.
Du siehst, wie schön die Falten deiner alten Nachbarin sind. Sie haben so viel zu erzählen.
Du siehst die Rose auf dem Grab, die irgendjemand dorthin gelegt hat.
Und du siehst vielleicht, wie jemand frierend an der Bushaltestelle wartet
und nimmst ihn in deinem Auto mit.
Am Anfang sind deine Augen klarer als sonst.
Und zugleich siehst du, dass du nicht alles auf Anfang setzen kannst.
Aber du bist Teil davon. Mittendrin im Anfang, in den sich der Zweifel gemischt hat.
Und zugleich voller Sehnsucht nach diesen hellen Anfängen.
3.
Am Anfang.
Am Anfang ist die Liebe.
Und mit deinem dampfenden Kaffee in der Hand erinnerst du dich, wie du nur an ihn denken konntest und dabei vergessen hast, welcher Tag ist. Leicht und unbeschwert war sie, diese Liebe. Da zählte nicht, was die anderen sagten. Nur die zarte Berührung. Die Sehnsucht und der Blick in die strahlenden Augen.
Am Anfang war der Name, als du ihn das erste Mal sagtest.
Am Anfang war die Fahrradfahrt in der Nacht und die Gespräche im Café.
Am Anfang war eine Strähne, die ins Gesicht fiel und stundenlange Telefonate.
Am Anfang war der Arm, die Hand und ein pochendes Herz. Verstehen ohne Erklären.
Ganzsein. Ganz und gar. Ein Leib. Ein Fleisch.
Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort.
Dasselbe war im Anfang bei Gott.
Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht,
und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.
In ihm war das Leben,
und das Leben war das Licht der Menschen.
Und das Licht scheint in der Finsternis,
und die Finsternis hat's nicht ergriffen.
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.
Am Anfang war die Liebe und die Liebe wird Leib und Körper.
Wird Berührung und Herzschlagen und Wortestammeln.
Gott fängt mit jeder Liebe neu an und wird Leib und Körper in jeder Liebe.
Alles ergibt einen Sinn. Alles fügt sich zusammen.
Und alles, was unwahr ist, ist weit weit weg. Im Anfang. Und siehe, es ist sehr gut.
4.
Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort.
Der Anfang ist wie ein unbeschriebenes Blatt Papier. Nackt und unschuldig.
Du sitzt vor diesem Blatt und suchst nach dem richtigen Wort.
Ist es müde oder voller Kraft? Tröstet oder erschreckt es dich?
Was wird es über deine Zukunft sagen?
Wird es dich verändern oder dir gar den Boden wegreißen?
Für all diese Fragen ist es noch zu früh. Der Anfang ist noch nackt.
Das Wort wird noch geboren. Es kommt noch nicht auf deine Lippen.
Denn du ahnst nur, dass es da ist. Deine Sehnsucht nach dem Woher und Wohin.
Deine Liebe. Dein Leben. Alles ist darin, in diesem Wort.
Am Anfang ist das eine Wort bei Gott. Der Sinn allen Lebens - verborgen in dem Einen.
Nicht zu greifen. Das Wort, das Eine, es kommt zur Welt in einem Stall.
Dort, wo es nach Tierdung riecht und das Stroh piekst.
Wo Menschen weinen und lachen.
Wo die Welt zusammenschrumpft auf einen Moment und einen Ort.
Der ist nichts Besonderes und doch alles.
Eigentlich gibt es dafür keine Worte:
für dieses Große, was uns hält, und für das Schöne, was uns umschließt.
Unsere Worte sind zu klein dafür. Zu klein für Gott.
Zu klein für das Leben. Zu klein für das Wunder.
5.
Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort.
Du möchtest alles auf Anfang stellen. Von vorne anfangen.
Nur das eine Wort und nicht die vielen anderen.
Keine Lügen. Keine Schuld. Keine Worte, die verletzen.
Was am Anfang so leicht ist, wird im Weitergehen so schwer.
Liebe lässt sich nicht halten. Gott auch nicht. Gott wird zu groß für dich.
Du spürst wie verletzlich du bist und die Welt auch.
In diesen Tagen vielleicht ganz besonders, weil Weihnachten die Haut dünner ist als sonst.
Ein Streit tut heute besonders weh. Die Bilder aus Magdeburg lassen verzweifeln.
Alleinsein ist heute kaum auszuhalten.
Und auch nicht die Sehnsucht nach mildem Licht und erster Liebe.
Ja, alles auf Anfang stellen – das wär’s, denke ich. Sehne ich. Du auch?
6.
Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort.
Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns,
und wir sahen seine Herrlichkeit.
Am Anfang.
Am Anfang ist dieses Kind.
Fleischgewordenes Wort. Leben pur. Lebendiges Bündel.
Suchender Mund. Geschlossene Augen. Ausgeliefert und bedingungslos.
Noch ganz verschleimt und mit pulsierender Nabelschnur.
Es ist da. In diesem Anfang ist es ganz da:
Für dich und für mich und für alle, die hier sind oder zuhause oder weit weit weg.
Im Anfang ist dieses Kind und es kann dir nichts tun, außer in dein Herz kriechen: Dieses Kind - entstanden aus der Liebe von zwei Menschen. Aus Leidenschaft und Hingabe. Aus Gott.
Im Anfang ist dieses Kind. Die Liebe zwischen Gott und Mensch.
Dieses Kind setzt alles auf Anfang.
Alles ist neu. Alles beginnt neu. Und neu ist nicht perfekt.
Sondern verschleimt und zerknittert,
ausgeliefert und bedingungslos,
suchend und geborgen zugleich.
7.
Du kannst nicht alles auf Anfang stellen. Aber das Kind tut es. Gott tut es.
Gott weiß, was zu tun ist mit deinen Anfängen und Stolperschritten.
Mit deiner Sehnsucht und deinem Zweifel und deiner Trauer.
Du bist Gottes Kind. Du bist dieses Kind, das Fleisch gewordene Wort.
Anfängerin des Lebens. Anfänger der Liebe. Mitten in dieser Welt.
Du mit deinen Falten und deinen Träumen. Mit deinen Narben und deinem Schmerz.
Geboren aus der Liebe. Nicht perfekt, aber wunderbar.
Vielleicht noch dünnhäutiger. Vielleicht noch verletzlicher.
Vielleicht noch ausgelieferter – du Gotteskind..
Der Stall ist dein Anfangsort.
Dort, wo es nach Tierdung riecht und das Stroh piekst.
Dort, wo du den Kochlöffel in den Topf tauchst oder Bilanzen prüfen musst,
wo du an der Kasse Kleingeld entgegen nimmst oder zuhause die Windeln wechselst.
Überall wo du bist, bist du richtig. Weil Gott da ist. Bei dir.
Auch in deinem unaufgeräumten Wohnzimmer mit dem Geruch nach Raclette und Zweifeln.
Und Gott fängt mit dir an, ins Leben zu gehen.
Raus in die Welt mit ihren vielen ausgesprochenen und unausgesprochenen Worten.
Dort sprichst du dieses Wort des Lebens und der Liebe.
Du stellst dich den Lügen und dem Hass entgegen,
damit es in dieser Welt neue Anfänge gibt.
Ihr geht gemeinsam und sprecht zusammen und liebt und lebt und weint und lacht.
Ob du nun müde oder wach bist an diesem Weihnachtsmorgen:
Der Anfang ist gemacht:
Himmel und Erde, die Nacht und der Tag,
der Regen und die Rose, das Licht, die Falten und die dünne Haut.
Und mit dir geht es weiter, du Kind Gottes. Du Wort Gottes.
Und siehe, alles ist sehr gut.
Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort.
Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns,
und wir sahen seine Herrlichkeit.
Amen.