Von Autoritäten, Mut und Freiheit
Predigt zum 13. Kapitel des Römerbriefs*
1.
Shifra und Pua, zwei israelitische Hebammen im alten Ägypten, hatten eine ziemlich klare Anweisung vom ägyptischen König bekommen: tötet die israelitischen männlichen Kinder noch in der Geburt. Aber sie taten es nicht und logen den König dreist an: wir kommen immer schon zu spät. Die Jungen sind dann schon da.
Sie fürchteten Gott, sagt die Bibel. Und deshalb verweigerten sie den Gehorsam gegenüber dem König. (Exodus 1)
Tja, und dann lese ich bei dir, Paulus: Jeder ordne sich den Trägern der staatlichen Gewalten unter. Denn es gebe keine Gewalt, die nicht von Gott ist. Was denkst du denn über Shifra und Pua? Und was würden die beiden dir antworten?
2.
Anfang August bekommt S. einen Anruf. G., 20 Jahre alt, Jeside, bittet um Kirchenasyl. Er floh ein Jahr zuvor aus dem Irak zu seiner Familie, die in Pforzheim lebt. Allerdings wurde er in Bulgarien von der Polizei verhaftet und in ein Gefängnis gesteckt. Er wurde geschlagen und wurde dort krank. Schließlich schickten sie ihn weiter nach Deutschland. Deutschland lehnte es jedoch ab, seinen Asylantrag zu behandeln. Er soll nun nach Bulgarien abgeschoben werden: in ein Land, das sich nicht an die europäischen Standards hält, wo er niemanden kennt und wo er 1 Jahr zuvor misshandelt wurde.
Nach Beratung durch die Diakonie entscheidet der Ältestenkreis, G. in der Kirche Kirchenasyl zu gewähren. Die bulgarischen Verhältnisse verstoßen gegen die Menschenrechte, sagen sie. Die deutschen Behörden haben nicht richtig entschieden, sagen sie. G. muss das Verfahren hier durchlaufen, nicht in Bulgarien. Also schützen wir G. vor der Abschiebung nach Bulgarien.
Bei dir, Paulus, lese ich: Jeder ordne sich den Trägern der staatlichen Gewalten unter. Denn es gebe keine Gewalt, die nicht von Gott ist. Was denkst du denn über das, was die Ältesten entschieden haben? Und was würde dir G. antworten?
3.
Ist dir eigentlich klar, lieber Paulus, welche Wirkung diese Zeilen hatten?
Aus Christen, die für ihre aufrechte Haltung vom römischen Kaiser bis in die Katakomben von Rom verfolgt wurden, wurden obrigkeitshörige Kirchenleute.
Könige, Kaiser, Kanzler, Minister ließen sich als von Gott eingesetzte Autoritäten feiern.
Sklaverei, Ausbeutung, Kolonialismus - alles das wurde damit gerechtfertigt.
Und ganz besonders schlimm war, wie diese deine Worte durch die deutsche Kirche in ihrer Kungelei mit den Nationalsozialisten instrumentalisiert wurden.
Davon wachten dann endlich einige auf:
Christen und Christinnen formulierten die sogenannte Barmer Theologische Erklärung und sie mahnten sich selber, dass sie auch ein kritisches Gegenüber zum Staat und seinen Behörden sind. „Die Kirche“ so heißt es da, „die Kirche erinnert an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten.“
4.
Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass es irgendeine Autorität auf der Welt geben kann, die direkt von Gott eingesetzt ist.
Keine Regierung. Kein König. Keine Verfassung.
Sie alle müssen sich doch bewähren, an ihren Absichten, an dem, was sie tun – oder auch nicht tun. Bewähren, durch das Gute, dass sie in die Welt bringen.
Und ob sie auch allen Menschen dienen und nicht nur wenigen.
Prüfet alles und das Gute behaltet - das sagst du doch selber, Paulus.
Und darüber müssen wir diskutieren und reden und sind bestimmt auch als Christinnen und Christen nicht immer einer Meinung, was das Gute ist.
Aber wir wissen doch um unseren Maßstab: nämlich Jesus selbst.
Er, der immer für die Schwächsten da war und die Liebe gelebt hat, wie kein anderer.
Er, der von der Obrigkeit hingerichtet wurde.
Er, Opfer eines brutalen Populismus.
Er, der die Armen und Barmherzigen und die Sanftmütigen selig preist.
Er, der Ohnmächtige.
Da kann ich mich doch einer staatliche Macht nicht uneingeschränkt unterordnen.
Nein, Paulus, da muss ich dir deutlich widersprechen!
5.
Vielleicht würdest du heute auch andere Worte wählen?
Vielleicht musstet du in deinem Brief an die Römer gar nicht so kritisch gegenüber dem Staat sein, weil der römische Staat seiner Zeit viel Gutes für euch getan hat.
Nicht negativ auffallen, dann wurdet ihr in Ruhe gelassen und ihr konntet predigen.
Zumindest am Anfang war das so.
Hättest du diese Worte geschrieben, wenn du gewusst hättest, dass du ausgerechnet durch das Schwert des römischen Staates sterben würdest?
Hättest du von Unterordnung und von Gott eingesetzter Macht geschrieben, wenn du von einem Hitler oder einem Stalin erfahren hättest oder von einem Terrorregime wie im Iran?
6.
Aber einen Doppelpunkt hast du, Paulus.
Erstens: Auch bei dir tritt kein Staat an die Stelle Gottes. Und kein Staat vertritt Gott. Es gibt auch keinen Gottesstaat und kein religiösen Regeln, die der Staat durchzusetzen habe. Im Gegenteil. Staatliche Ordnung und göttliche Ordnung sind nicht dasselbe. In deinen Augen ist selbst der römische Kaiser nur ein Diener Gottes - nicht Gott selber. Das Selbstverständnis des Kaisers war ein anderes. Das wusstest du, oder?
Und zweitens: Es braucht einen Staat, der dafür sorgt, dass es gerecht für alle zugeht. Dass Menschen vor Willkür geschützt sind. Und nicht alleine gelassen werden, wenn sie Hilfe brauchen. Es braucht Autoritäten, die die in die Schranken weisen, die das Recht brechen. Damit alle frei sein können zu lieben und zu glauben und zu leben, wie es ihnen entspricht. Alle Menschen müssen ihre Religion oder Nicht-Religion selber wählen können, ihren Lebensstil selber entscheiden, über ihren Körper selbst bestimmen und haben ein Recht auf Bildung und Gesundheit.
7.
Ich habe Angst davor, dass das immer mehr Menschen das in Frage stellen.
Sie träumen von Autokratien, die sich selber ermächtigen.
Sie wählen Populisten, denen die Menschenrechte für alle egal sind.
Und sie stellen die demokratischen Prinzipien in Frage: die von der Gewaltenteilung, den Schutz für Minderheiten und die Freiheit für alle, solange sie die Freiheit anderer nicht begrenzt.
Sie nutzen die demokratische Strukturen, um all das Gute unserer Zeit zu zerstören.
Sie instrumentalisieren sogar Opfer des Nationalsozialismus wie Bonhoeffer oder Sophie Scholl, um demokratische Kräfte zu demontieren. Sie setzen heutige Probleme gleich mit dem Terror aus früheren Zeiten. Das ist gefährlich und - ja - auch Böse.
Und deshalb stimme ich dir da zu, Paulus:
Die staatliche Ordnung muss dem Guten dienen und das Gute ermöglichen.
Und mein Blick auf die staatliche Ordnung als Christin fragt genau danach:
Hat sie das Recht im Blick? Hat sie die Benachteiligten im Blick?
Schützt sie die Minderheiten, die Marginalisierten, die, die weniger Glück haben als andere?
Denn das ist der Perspektive Jesu: die der Ausgestoßenen, der Verdächtigen, der Geschundenen, der Machtlosen, der Unterdrückten und Geschmähten, kurz die Perspektive der Leidenden. Und deshalb bringst du auch das Gewissen ins Spiel. Manchmal müssen wir unserem Gewissen folgen, weil wir die Perspektive Jesu einnehmen.
8.
Shifra und Pua, die beiden israelitischen Hebammen haben genau das getan:
Sie haben Leben gerettet, statt zerstört. Und deshalb einen willkürlichen, unmenschlichen Befehl widerstanden.
Die Kirchenältesen der Pforzheimer Gemeinde haben genau das getan: das Recht eingefordert für G., das ihm zusteht. Sie haben die Behörden an ihre Pflicht erinnert, nochmal genau hinzuschauen, ob sie auch alles bedacht haben. Und Gott sei Dank wurde G. nicht abgeschoben und sein Asylantrag wird nun in Deutschland geprüft. Ich hoffe sehr, dass er hier bei seiner Familie bleiben kann.
Und vielleicht, lieber Paulus, würdest du das heute auch unterschreiben?
Denn dir geht es ja darum, dass wir als Christen und Christinnen die Freiheit bekommen, Gutes zu tun und ihrem Gewissen zu folgen. Christus hat uns zur Freiheit befreit, sagst du an anderer Stelle. Und wenn eine staatliche Ordnung diese Freiheit ermöglicht, dann ist das ganz im Sinne Gottes. Grund genug, dankbar dafür zu sein!
Ja, Paulus, wir sind frei, uns einzumischen. Wir sind frei, die Liebe Jesu zu leben. Wir sind frei zum Widerspruch und frei zur Zustimmung. Prüfet alles und das Gute behaltet. Und wir sorgen dafür, dass das Gute nicht zerstört wird.
Amen.
*)
Jeder ordne sich den Trägern der übergeordneten staatlichen Gewalten
unter. Denn es gibt keine Gewalt, die nicht von Gott ist, die
bestehenden Gewalten aber sind von Gott eingesetzt, so dass, wer sich
ihnen widersetzt, sich der Anordnung Gottes entgegenstellt, die sich
aber widersetzen, werden sich selbst das Urteil zuziehen. Denn die
Vertreter der staatlichen Behörden sind nicht ein Schrecken für das gute
Werk, sondern für das böse. Du willst nicht die staatliche Gewalt
fürchten? Tue das Gute, und du wirst Lob von ihr empfangen, denn sie
ist Gottes Dienerin für dich zum Guten. Wenn du aber das Böse tust,
fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Sie ist
nämlich Gottes Dienerin und vollzieht das Strafgericht an dem, der Böses
tut.
Deshalb ist es nötig, sich unterzuordnen, nicht allein aus
Furcht vor der Strafe, sondern auch wegen des Gewissens. Denn deswegen
bezahlt ihr auch Steuern. Denn Gottes Gehilfen sind die, die eben genau
das einfordern. Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid – der
Steuerbehörde die Steuer, der Zollbehörde den Zoll, wem Furcht gebührt,
Furcht, wem Ehre gebührt, Ehre. Seid niemandem etwas schuldig, außer
dass ihr euch untereinander liebt; denn wer den andern liebt, hat das
Gesetz erfüllt.