Montag, 9. Dezember 2019

Der Sommer Gottes

Predigt zum 2. Advent über Lukas 21,25-33

(mit Dank für einige Anregungen von Beate Stutter)

I. Wankende Welt

Jesus sprach zu seinen Jüngern:
Es werden Zeichen geschehen an Sonne und Mond und Sternen,
und auf Erden wird den Völkern bange sein,
und sie werden verzagen vor dem Brausen und Wogen des Meeres,
und die Menschen werden vergehen vor Furcht und in Erwartung der Dinge,
die kommen sollen über die ganze Erde;
denn die Kräfte der Himmel werden ins Wanken kommen.


Manchmal gerät die Welt ins Wanken.

Da wird dir bange. Da zählt nichts mehr, was vorher zählte.
Als hätte einer das Unterste zuoberst gekehrt.
Von dem Tempel in Jerusalem steht kein Stein mehr auf dem anderen. 

Kein Backup steht bereit, keine Versicherung, keine Hilfe.


Manchmal gerät die Welt ins Wanken.
Die Wogen des Meeres schlagen über dir zusammen:

die Wogen der Angst, der Resignation,

die Wogen einer Diagnose lässt dich untergehen.

Manchmal gerät die Welt ins Wanken.
Da verstehst du nicht, was auf dem Mittelmeer geschieht.
Da spricht ein AfD-Politiker locker von Umvolkung
und du fragst dich, ob alles wieder von vorne los geht.
Die leisen Töne hört man nicht mehr.
Und du fragst dich, warum sich das eigentlich nie ändert.


II. Erhobene Häupter

Und alsdann werden sie sehen den Menschensohn kommen
in einer Wolke mit großer Kraft und Herrlichkeit.
Wenn aber dieses anfängt zu geschehen,
dann seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.


Kopf hoch - morgen ist auch noch ein Tag

Kopf hoch - das wird schon wieder
Kopf hoch - so schlimm ist es doch gar nicht

Kopf hoch - bald hast du es geschafft
Kopf hoch - bald bist du wieder gesund

Kopf hoch - vielleicht besuche ich dich ja mal
Kopf hoch - nun reiß dich zusammen


Billiger Trost. Das spürst du sofort.
Der kommt aus der Unsicherheit:

Was soll man schon sagen, wenn einem die Welt ins wanken gerät?

Wie Mut machen, wenn man doch nichts ändern kann?

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!


Billiger Trost auch hier? Nein, genau das nicht.

Da sagt einer nicht: Kopf hoch!, sondern:
Seht auf! Erhebt eure Häupter! 

Wer sein Haupt erhebt, verliert dabei nicht seine Würde.

Wer sein Haupt erhebt, steht mit ganzem Körper da, mit allen Fasern seines Lebens.
Gedanken und Gefühle sind auch dabei. Und alle Demütigungen und Verletzungen.
Auch sie stehen aufrecht da.
Seht auf - nicht einfach nur Kopf hoch.
Seht auf. Seht den Tatsachen ins Gesicht. Auge in Auge.
Schaut euch um und steht mit beiden Beinen auf der wankenden Welt.


Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht!

Es gibt einen Grund, erhobenen Hauptes in der Welt zu stehen.

Die Erlösung naht. Auch im Dunkel. Gerade im Dunkel!

Mitten im Heillosen. Mitten im Unfrieden.
Diese Erlösung richtet dich auf. Stellt dich hin. Lässt dich sehen.
Die Erlösung naht für die Todkranken, für die Schiffbrüchigen,
für die Einsamen, für die Verbitterten, für die Hoffnungslosen.
Die Erlösung naht.
Da ändert sich alles - auch für dich und für die ganze Welt. Und zwar bald...
Wie bald?

III. Sommerzeichen

Und er sagte ihnen ein Gleichnis:
Seht den Feigenbaum und alle Bäume an:
wenn sie jetzt ausschlagen und ihr seht es,
so wisst ihr selber, dass jetzt der Sommer nahe ist.


Sommer? Jetzt?
Die Blätter treiben aus, Zeichen dafür, dass grün alles werd.
Blumen, benetzt vom Tau und nicht von einem Wolkenbruch,
beschienen von einer friedlichen Sonne. Sommer auf der Erde,
Erlösung von der Kälte und Starre des Winters und der warmen Kleider.
Früchte auf den Märkten, warme Abende vor dem Haus, in den Gärten,
eine leichte Zeit, in der Menschen sich öffnen,
ihre Seelen schwingen sich wie Vögel in den Himmel,
Menschen leben mit lachenden Herzen,
Sommerzeit - Reich Gottes Zeit.
Erlösung von allem, was die Welt dunkel macht.

Sommer jetzt?
Wir schmücken unsere Bäume mit Lichtern, mit Süßigkeiten, mit Äpfeln.
Wir schmücken die Bäume, die auch im Winter Grün tragen.

Wir holen das Grün und das Licht in unsere Häuser,

weil wir sonst nicht glauben können, dass wieder Sommer wird.

Nicht mal, dass wirklich Weihnachten wird.
Wir holen ins Wohnzimmer, wonach wir uns sehnen.
Dass das Leben viel mehr ist, als uns die wankende Welt glauben machen will.

Wir brauchen die kleinen Lichter,
 damit wir das große Licht erkennen, wenn es kommt.
Und es kommt! Nicht nur für uns!

IV. Vergehende Welt und aufgerichtete Menschen

So auch ihr: wenn ihr seht, dass dies alles geschieht,
so wisst, dass das Reich Gottes nahe ist.
Wahrlich, ich sage euch:
Dieses Geschlecht wird nicht vergehen, bis es alles geschieht.
Himmel und Erde werden vergehen; aber meine Worte vergehen nicht.


Erlösung ist keine kosmetische Korrektur. Erlösung ist Veränderung ganz und gar.
Die Gebückten richten sich auf. Die Verbitterten fangen an von Herzen zu lachen.
Tränen versiegen und Familien werden nicht durch eine Krankheit zerstört.
Die Welt muss ins Wanken geraten, weil sie nicht bleiben kann, wie sie ist.
Weil sie nicht bleiben darf, wie sie ist!

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht! 


Die Erlösung kommt - sie kommt von außen, steht vor der Tür und klopft gleich an.

Man muss immer mit ihr rechnen, und es ist gut mit einer Zukunft zu rechnen,
in der Menschen sich erheben und aufrecht stehen und wissen, was dran ist.
Sie schauen hin und setzten sich der wankenden Welt aus, 

sie schauen hin und reden nichts schön,
sie lassen sich nicht vorgaukeln, dass es schon nicht so schlimm sei
und dass uns das Leid der anderen nichts anginge.


Da kommt etwas, das verändert die Welt

und die darauf hoffen, resignieren nicht,
sondern stehen mit beiden Beinen fest auf der wankenden Welt.
Sie sehen auf den Menschensohn, Jesus, 

und bei seinem Anblick wissen sie, 
dass etwas Gutes folgt,
ihre Erlösung.

V. Siehe, alles ist gut

Wie war es noch, ganz am Anfang?
Gott spricht und es kommt das Licht und Leben entsteht.
Und es ist gut. 

Es ist nicht spektakulär, es wird nicht weiter gerühmt,

keine Posaunen erklingen beim ersten Grashalm am dritten Tag.
Aber es ist der erste Sommer der Erde, mit dem das Leben laut Bibel beginnt.

Gott sagt: „Gut“ zum Leben, gut zum Licht, gut zur Welt und das genügt. 



Gott spricht: Eure Erlösung naht. Seht auf. Steht auf.
Wenn Gott spricht, dann geschieht, was er verspricht.
Das Gute kommt so wie der erste Grashalm im Frühling.

Und wenn Gott spricht, dann geraten Menschen in Bewegung und sie folgen dem Licht.

Sie holen andere aus der Gefangenschaft in Ägypten heraus
und führen sie durch die Wüste 
hinein in den fruchtbaren Sommer des gelobten Landes.
Sie sammeln Geld für ein Rettungsschiff
und gehen auf die Straße für eine lebenswerte Zukunft.
Sie engagieren Rechtsanwälte für von Abschiebung bedrohte Flüchtlinge
und holen wenigstens ein paar aus dem Gefängnis.
Ja, aufrecht gehende Menschen, die wissen, dass die Erlösung naht.
Und die selber Gebückte und Gebeugte aufrichten - weil Gott es sagt.

Seht auf und erhebt eure Häupter, weil sich eure Erlösung naht.

Manchmal gerät die Welt ins Wanken.
Aber du siehst erwartungsvoll dem Sommer Gottes entgegen .
Er tritt ein in dein Leben und in diese Welt.
Und selbst wenn du gerade zu müde bist und deine Welt aus dem Wanken nicht herauskommt:
der Sommer Gottes kommt.

Manchmal gerät die Welt ins Wanken.
Und manchmal liegst du am Boden. Aber deine Erlösung naht. Gott richtet dich auf.
Und er zeigt dir, wo der Sommer ist und das Lachen und das Grün und das Licht.

Fang einfach mal an. Zuerst mit dem Rückgrat: aufrichten. Und dann Aufsehen.
Tun, was man tut, wenn die Erlösung nah ist. Die Tür aufmachen für den Erlöser.
Noch ein Bäumchen pflanzen und achte auf das Gras im Frühling.
Sieh auf und du wirst sehen: Der Tag ist nicht mehr fern.
Amen

2 Kommentare:

  1. Mit dem Rückgrat aufrichten? Schwer für eine skoliosekranke Mutter eines Babys.

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    1. Der Doppepunkt zwischen Rückgrat und aufrichten ist nicht ganz unwichtig. Aber ja: das Bild passt nicht für alle. Wo/wie würden Sie denn mit dem Aufrichten anfangen?

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