Sonntag, 12. Dezember 2021

Lichtpunkte in meine Seele gestreut

 Von Johannes, dem Täufer, Jesus und Jochen Klepper

Predigt zu Matthäus 11 und dem Lied "Die Nacht ist vorgedrungen" (EG 16)
Zum 3. Advent


1. Wie weit ist es noch?


Die Nacht ist vorgedrungen, der Tag ist nicht mehr fern!
So sei nun Lob gesungen dem hellen Morgenstern!
Auch wer zur Nacht geweinet, der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.

(Matthäus 11, 2-3)
Johannes saß im Gefängnis. Dort hörte er von den Taten des Christus.
Deshalb schickte er seine Jünger zu Jesus und ließ ihn fragen:
»Bist du der, der kommen soll, oder müssen wir auf einen anderen warten?"


Ist es endlich so weit?
Johannes sehnt sich nach Zeichen der Hoffnung. Nach Licht. Eingekerkert, weil er zu direkt war. Zu laut in seiner Kritik. Nun ist er stummgeschaltet, ausgeliefert. Sitzt im Dunklen. Allein.
Wie so viele auch jetzt in Weißrussland und in Saudi-Arabien, in Äthiopien und in Myanmar. 
Für sie wurden am Freitag, am Tag der Menschenrechte, die Gebäude grün angestrahlt.
Menschen, wie Johannes, und die fragen: Ist es endlich so weit?

Jochen Klepper trieb diese Frage auch um, als der das Gedicht „Die Nacht ist vorgedrungen“ 1937 schrieb. Es war finster in Deutschland. Die Nazis hatten das Land vergiftet mit einer Ideologie, die die Menschen unterteilte in wertvoll und unwert. Jochen Klepper bekam das hautnah zu spüren, denn sein Frau Johanna und seine Stieftöchter waren Jüdinnen. Für Nazis unwert. Und es wurde immer dunkler um sie herum. Auch für Jochen Klepper, der wegen seiner Ehe mit einer Jüdin seinen Beruf als Journalist und Redakteur verlor. Selbst die Kirche schützte ihn nicht. Das schlimmste war vielleicht: 1937 war noch kein Ende der Naziherrschaft abzusehen.

Was blieb, war die Hoffnung, dass es irgendwann wieder gut wird.
Dass die Nacht ein Ende hat und der Morgenstern aufleuchtet.

Auch der Täufer Johannes hat nichts anderes als diese Hoffnung.
Ist es endlich soweit? Bist du, Jesus, der, der kommen soll? Der alles zum Guten wenden wird?

Ich sitze nicht im Gefängnis wie Johannes
und ich bin nicht verfolgt und gedemütigt wie Jochen Klepper,
aber auch ich sehne mich nach diesem Licht. Danach, dass es endlich gut werde.
Ist es so weit? Bist du es, Jesus?

2. Zeichen der Hoffnung

(Matthäus 11, 4-6)
Jesus antwortete ihnen: »Geht und berichtet Johannes, was ihr hört und seht:
›Blinde sehen und Lahme gehen. Menschen mit Aussatz werden rein.
Taube hören, Tote werden zum Leben erweckt, und Armen wird die Gute Nachricht verkündet.‹
Glückselig ist, wer mich nicht ablehnt.«


Dem alle Engel dienen, wird nun ein Kind und Knecht.

Gott selber ist erschienen zur Sühne für sein Recht.

Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt.

Er soll errettet werden, wenn er dem Kinde glaubt.


Es ist so weit. Blinde sehen. Lahme gehen. Taube hören.
Und ich denke an die junge Schwedin Greta, die Millionen von Jugendlichen auf die Straße gebracht hat.
Ja, es bleibt nichts, wie es jahrhundertelang war.
Und so waren wir dieses Jahr endlich so weit und haben ein gemeinsame Chanukka-Advents-Fest geplant, christliche und jüdische Schwestern und Brüder. Nur die Pandemie konnte uns bremsen.

Blinde sehen. Lahme gehen. Taube hören. Ja, es passiert was.
Postkartenaktionen für politische Gefangene haben Erfolg. Ein großes Bündnis schickt gleich mehrere Schiffe ins Mittelmeer, damit Flüchtlinge nicht ertrinken müssen. Und die 31jährige Reem Alabali-Radovan, die einst als Geflüchtete nach Deutschland kam, ist Integrationsbeauftragte der Bundesregierung geworden.

Natürlich sind das nicht die Zeichen des Heils, auf die Jesus hinweist. Aber sie sagen mir: ich hoffe nicht vergebens darauf, dass es besser werden kann.
Es gibt Zeichen der Hoffnung. Auch jetzt. Oft sind sie nur so klein wie der Morgenstern am Himmel. Oder noch kleiner. Aber sie sind da. Mir hilft das irgendwie.
Und ich nehme diese Hoffnungszeichen mit in mein Leben.



3. Rückkehr

Die Nacht ist schon im Schwinden, macht euch zum Stalle auf!

Ihr sollt das Heil dort finden, das aller Zeiten Lauf

von Anfang an verkündet, seit eure Schuld geschah.

Nun hat sich euch verbündet, den Gott selbst ausersah.

(Matthäus 11, 7a)
Die Jünger von Johannes gingen wieder zurück.

Auch wenn die ersten Zeichen da sind, dass es anders wird: die Welt ist noch dieselbe.
Johannes bleibt noch im Gefängnis und wird ermordet. Jochen Keppler nahm sich am 11. Dezember vor 79 Jahren das Leben. Und mit ihm seine Frau Johanna, seine Stieftochter Renate. Er hätte sich von ihnen scheiden müssen. Und sie wären deportiert und ermordet worden.
Ich trauere um diese Familie, die ich nie kennengelernt habe. Um einen Dichter, der sich dem Nationalsozialismus entgegenstellte. Ich trauere um all das sinnlose Leid, die wir Menschen uns gegenseitig zufügen. Um die verpassten Chancen, wo wir mutiger und barmherziger hätten sein sollen.
Und ich weiß: auch ich bin ein Teil dieser Dunkelheit
und umso mehr sehne ich mich nach einem Licht.
Nach dem Licht, dass dieses Kind in der Krippe in meine Welt bringt.

Ich nehme mir vor, die hoffnungsstiftenden Zeichen zu sehen - sie zu finden.
Den kleinen Herrnhuter Stern in der dunkelsten Ecke meiner Wohnung.
Die Vögel, die sich über die Körner freuen, die ich ihnen hingestreut habe.
Ein fröhlich stimmendes Musikstück auf YouTube.
Oder noch besser, wenn ich es gerade live hören kann. Hier in der Kirche zum Beispiel.
Eine liebevolle Karte, die mir eine Freundin schickt. Mit sehr freundlichen Socken.
Und die Kraft, die viele immer noch aufbringen, um anderen ein wunderschönes Weihnachtsfest zu ermöglichen.
Alles das sind kleine Lichtpunkte, die mir Jesus hinstreut, wie ich den Vögeln die Körner.
Nahrung für den Winter.

Noch manche Nacht wird fallen auf Menschenleid und -schuld.

Doch wandert nun mit allen der Stern der Gotteshuld.

Beglänzt von seinem Lichte, hält euch kein Dunkel mehr,

von Gottes Angesichte kam euch die Rettung her.


4. Bald ist es so weit


Es gibt sie, die Hoffnungszeichen. Die Menschen, die ihr Licht verbreiten.
Sie klammern sich an die Hoffnung auf das Gute und machen einfach immer weiter.
Die Pfadfinder und Pfadfinderinnen, die das Friedenslicht von Bethlehem verteilen. Heute.
Die Ärztinnen und Krankenpfleger im Krankenhaus. Die Fridays-for-future-Kids. Die Leute von amnesty und seawatch. Der alte Mann, der mir mit rauher Stimme ein Weihnachtslied vorsingt.
Menschen wie Johannes und Greta und Reem Alabali-Radovan.
In ihnen allen erkenne ich das Kind aus dem Stall. Wenn ich genau hinschaue.
Und in Jochen und Johanna Klepper auch.

Gott wohnt im Dunkel und er macht es heller. Sie wischt die Tränen ab und streut mir Lichtpunkte hin wie Körner für den Winter. Worte und Gedanken und Ideen von Menschen. Ihre Liebe zum Leben und ihre Sehnsucht nach Licht.

Blinde sehen. Lahme gehen. Taube hören. Ja, das Licht ist da. Auch in mir. Es ist so weit.
Lichtpunkte in meiner Seele. Bitte, Gott, zünde sie in mir an.
Amen.

Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt.

Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt.

Der sich den Erdkreis baute, der lässt den Sünder nicht.

Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht.





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