Gott macht keine halben Sachen.
Predigt zu Jesaja 35, 3-10 (2. Advent)
I.
Müde siehst du aus, sage ich zur Freundin. Karin* seufzt. (*Name anonymisiert)
Ich mache mir Sorgen um meine Mutter, sagt sie.
Sie findet sich immer weniger zurecht. Immer öfter kommt es vor, dass sie die Frau von der Diakoniestation nicht reinlässt. Und ich kann von Hamburg aus nichts tun. Ich bin viel zu selten bei ihr. Diese Sorge um sie macht mich manchmal verrückt.
Und ich nehme Karins Hände und wir halten uns eine Weile.
Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!
Sagt den verzagten Herzen:
»Seid getrost, fürchtet euch nicht! Seht, da ist euer Gott!
Peter sitzt vor uns im Restaurant.
Das Eis, das wir essen, ist so teuer, wie sein gesamter Tagesverdienst.
Wir haben uns am Malawisee kennengelernt und miteinander gesprochen.
Ein intelligenter junger Mann, 24 Jahre alt.
Hier am Malawisee geht es den meisten wegen der Touristen noch relativ gut.
Aber in Malawi, dem zehntärmsten Land der Welt sind die Perspektiven auch für ihn schlecht.
Richtig schlecht.
Er, der hier in Deutschland garantiert studieren würde,
konnte dort seinen Schulabschluss nicht machen.
Sein Onkel, der das Schulgeld bezahlt hatte, musste die Zuschüsse einstellen.
Nun verkauft Peter Hemden und Schmuck, von seiner Familie hergestellt.
Dafür spricht er Tag für Tag Touristen in den Lodges am See an.
Und wenn er Glück hat, verkauft er mal ein Hemd für 30 Euro.
Er würde gerne seinen Schulabschluss noch machen.
Und dann eine Ausbildung. Würde gerne Design studieren.
Aber er hat das Geld nicht. Wie die meisten seiner Landsleute.
Die Regierung kann den jungen Menschen keine Bildung ermöglichen.
Die Straßen sind marode. Das Benzin knapp. Das Wasser verschmutzt.
Die Wälder abgeholzt. Ausgeliefert den Zyklonen, Überschwemmungen und Dürreperioden,
die mit dem Klimawandel immer heftiger werden.
Peter kommt aus diesem Teufelskreis aus Armut und Abhängigkeit nicht heraus.
Wir schütteln uns zum Schluss die Hände. Und ich schäme mich für das Eis.
Wir beklagen hier in Europa 200 Tote bei den Überschwemmungen in Valencia - zu Recht!
Die über 1300 Toten der Überschwemmungen in Malawi nehmen wir gar nicht mehr wahr.
Zu weit weg.
Und statt diesen Menschen zu helfen und zum Beispiel die Bildungsangebote auszubauen,
die mein Schwager mit der Volkshochschule dort mit Projektpartnern organisiert,
wird in Deutschland der Haushalt für wirtschaftliche Entwicklung sogar weiter gekürzt.
Malawi - "the warm heart of Africa" - das warme Herz Afrikas.
Das verzagte Herz. Das verzweifelte Herz.
II.
Stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie!
Sagt den verzagten Herzen: »Seid getrost, fürchtet euch nicht!
Seht, da ist euer Gott! Er kommt zur Rache;
Gott, der da vergilt, kommt und wird euch helfen.«
Hörst du das, Peter, der du dir Sorgen um deine Zukunft machst?
Hörst du das, meine liebe Freundin Karin, mit deinen Sorgen um deine alte Mutter?
Stärkt die müden Hände! Seht da ist euer Gott!
Er wird dir helfen. Er tritt für dich ein, Peter, und für dich, Karin auch.
Peter, du fragst vielleicht: wo hilft er mir? Und wie?
Erwartest du überhaupt noch was von Gott?
Ja, du schon. Du hältst unerschütterlich an Gott fest.
Er wird mir helfen, sagst du.
Und ich bin diejenige mit dem Zweifel.
Denn ich weiß: ich bin doch diejenige, die helfen könnte. Aber ich weiß nicht wie.
Nur mit Geld? Ist das nicht ein Tropfen auf dem heißen Stein?
Außerdem haben wir doch in unserem Land auch so viele Probleme.
Die Sorgen um unsere alten Eltern. Um unsere Kinder. Die Sorgen um die Wirtschaft.
Und wie es nach der nächsten Bundestagswahl wohl weiter geht. Ob es noch kälter wird?
Und zugleich schäme ich mich.
Denn wir leben immer noch in einem so reichen Land.
Ich weiß, dass Gott diese Ungerechtigkeit nicht will.
Diese ungleiche Verteilung in unserem Land und die Armut in Malawi.
Ich weiß, dass das, was jetzt ist, nicht alles sein kann.
Da ist mehr und es kommt mehr. Eine andere Welt verspricht Jesaja.
Eine gerechtere und eine liebevollere Welt.
Eine Welt für Peter und meine Freundin Karin und ihre Mutter.
Ja, dafür steht dieser Gott.
Und Gott steht für alle mit ihren verzagten Herzen und müden Händen.
III.
Dann werden die Augen der Blinden aufgetan
und die Ohren der Tauben geöffnet werden.
Dann wird der Lahme springen wie ein Hirsch,
und die Zunge des Stummen wird frohlocken.
Denn es werden Wasser in der Wüste hervorbrechen
und Ströme im dürren Lande.
Und wo es zuvor trocken gewesen ist, sollen Teiche stehen,
und wo es dürre gewesen ist, sollen Brunnquellen sein.
Wo zuvor die Schakale gelegen haben,
soll Gras und Rohr und Schilf stehen.
Gott macht keine halben Sachen, verspricht uns der Prophet Jesaja.
Gott öffnet Augen und Ohren und macht alles anders.
Gott stärkt die müden Hände und macht fest die wankenden Knie.
Und ich ziehe die Bilder von Jesaja ins Heute:
Peter kann seine Schulausbildung fertig machen und sogar studieren.
Seine Familie hat eine sichere Zukunft.
Karins Mutter fühlt sich endlich sicher und Karin kann wieder ruhig schlafen.
Unsere neue Regierung wird ein Herz für die Schwächsten haben
Und wir gehen endlich gemeinsam das Projekt CO2-Neutralität an.
Die Gefangenen der Terrorregime kommen frei und es gibt gar keine Terrorregime mehr.
Und die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten hören auf.
Fang schon mal an mit der neuen Welt, Gott, falle ich Jesaja ins Wort.
Fang schon mal an mit einer gerechten, friedlichen Welt!
Ja, bitte Gott. Mach, dass es so kommt!
IV.
Und es wird dort eine Bahn sein
und ein Weg, der der heilige Weg heißen wird.
Kein Unreiner darf ihn betreten; nur sie werden auf ihm gehen;
auch die Toren dürfen nicht darauf umherirren.
Wie sehr sehne ich mich nach einem guten, einem heiligen Weg.
Ein Weg, der uns in die Zukunft führt. Ein Weg, den wir gemeinsam gehen.
Wie sehr sehne ich mich danach, dass Wege geebnet und nicht gesperrt werden.
Dass wir Menschen willkommen heißen, statt sie abzuweisen.
Dass wir Wege zueinander gehen und nicht voneinander weg.
Wie sehr will ich glauben, dass Gott an meiner Seite geht.
An der Seite von Peter und an der Seite von Karin.
Wie sehr wünsche ich einen Weg für alle, die keinen Weg sehen.
Wie sehr wünsche ich mir einen gerechten Weg. Einen Friedensweg.
Für alle.
V.
Es wird da kein Löwe sein und kein reißendes Tier darauf gehen;
sie sind dort nicht zu finden, sondern die Erlösten werden dort gehen.
Die Erlösten des Herrn werden wiederkommen
und nach Zion kommen mit Jauchzen;
ewige Freude wird über ihrem Haupte sein;
Freude und Wonne werden sie ergreifen,
und Schmerz und Seufzen wird entfliehen.
Stärkt die müden Hände. Seht, da ist euer Gott.
Stärkt die Müden und Geplagten und alle, die sich für sie einsetzen.
Gebt Menschen wie Peter eine Chance
und unterstützt Organisationen, die Menschen wie ihm helfen wollen und das auch können.
Brot für die Welt ist so eine Organisation oder auch die Volkshochschule.
Stärkt die müden Hände derer, die kranke und ältere Menschen pflegen.
Stärkt die müden Hände der müden Eltern.
Sorgt dafür, dass sie genügend Geld bekommen und Unterstützung.
Stärkt die müden Politiker und Politikerinnen,
die ernsthaft und ehrlich einen Weg für unser Land suchen.
Stärkt die, die für unsere Demokratie einstehen.
Stärkt sie mit eurer Wahlentscheidung und dass ihr die Demokratie verteidigt.
Stärkt die Juden und Jüdinnen, die wieder Angst in unserem Land haben.
Stärkt die Jesidinnen und Jesiden, die Angst vor Abschiebung haben.
Ladet sie zu euch ein und helft ihnen bei ihren Anträgen.
Stärkt die Syrer und Syrerinnen, die Kurden und Kurdinnen, die Angst um ihre Familien haben.
Stärkt sie mit euren Gebeten und eurem Beistand und verteidigt sie vor denen, die sie anfeinden.
Stärkt euch gegenseitig, die ihr müde und verzagt seid.
Seid füreinander da.
Warum das Ganze, fragt ihr? Ist es nicht alles vergeblich?
Nein, sagt Jesaja. Nein, sage ich.
Das, was ist, ist nicht alles.
Da ist mehr. Da ist Gott.
Der kommt an eure Seite und macht keine halben Sachen.
Er baut abgebrannte Kathedralen wieder auf.
Lässt Wasser in der Wüste sprudeln. Obwohl das doch nicht geht. Eigentlich.
Und Blinde sehen, Lahme springen, Stumme brechen ihr Schweigen.
Seht auf und erhebt eure Häupter. (Lukas 21,28)
Fangt schon mal an mit der anderen Welt.
Denn Gott kommt.
ER hat es versprochen.
Amen.