Montag, 14. September 2015

Von Menschen, die sich nicht aufhalten lassen - auch nicht von Ängsten - Predigt zu Mt 6,25ff, gehalten am 13.9.2015

I.
Sie lassen sich nicht aufhalten.
Sie kommen in Scharen zu ihm, dem Bergprediger.
Hängen an seinen Lippen und hören Unerhörtes.
Selig die Friedenstifter. Selig die Sanftmütigen.
Liebt eure Feinde. Verzichtet auf Gewalt.
Liebt einfach ohne Wenn und Aber.
Und sie merken:
das sind keine hohlen Worte.
Denn dieser Jesus liebt. Ganz. Mit Haut und Haaren.
Zu ihm dürfen alle kommen, Groß und Klein, Reich und Arm,
ja, auch die Zweifler und Skeptiker.
Alle, die eine Sehnsucht nach Gott haben
und nach Frieden
und dass es allen Menschen gut geht und nicht nur wenigen.
Und dann hören sie diese Worte, diese Zauberworte von einer neuen Welt:

Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes
und nach seiner Gerechtigkeit,
so wird euch das alles zufallen.


II.
Und sie wissen, dass er Recht hat, dieser Jesus.
Auch wenn sie im Alltag von Sorgen aufgefressen werden.
Wenn sie nicht wissen, ob der Lohn von gestern noch für morgen reicht,
und ob sie den Arzt bezahlen können für die Kleine.
Ihr Fieber hört einfach nicht auf.
Jesus kennt diese Sorgen und er macht sie auch nicht klein,
das spüren sie genau.
Aber es ist ein Unterschied,
ob ich mich trotz aller Sorgen von Gott getragen weiß oder nicht.
Es ist ein Unterschied, ob ich spüre, wie Gott an meiner Seite meine Sorgen mitträgt,
oder ob ich das Gefühl habe, alles alleine tragen zu müssen.
Wenn die Sorgen zu groß werden, verdunkeln sie meinen Blick.
Grau stehen sie am Bett, die Sorgen. (danke an Michael Greßler für diese schöne Formulierung!)
Morgens schon.
Und einen grauen Schleier legen sie mir um den Tag.
Sie nehmen mir die Luft und die Sicht auf das Leben.
Ja, er hat Recht, und legt seine Finger in die Wunde meines Alltags:

Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen:
Was werden wir essen?
Was werden wir trinken?
Womit werden wir uns kleiden?
Nach dem allen trachten die Heiden.
Denn euer himmlischer Vater weiß, dass ihr all dessen bedürft.

III.
Und wie sie dem Bergprediger so zuhören,
denken sie vielleicht an ihre Vorfahren.
Die einst aufgebrochen sind aus Ägypten.
Die ließen sich nicht aufhalten,
noch nicht mal vom Meer,
geschweige denn von den Soldaten der ägyptischen Armee.
Sie zogen ins Ungewisse.
Dorthin, wo sie frei sein sollen.
Wo es jedem von ihnen gut gehen soll,
nicht nur einigen wenigen.
Und sie machten sich Sorgen.
Was werden wir essen?
Was werden wir trinken?
Sollen wir nicht doch besser zurück?
Sie verloren ihr Ziel aus den Augen.
Doch Gott lehrte sie das Sehen. Das Genauhinschauen.
Seht morgens genau hin: da findet ihr Manna. Das Brot der Wüste.
Und abends seht genau hin: da findet ihr Wachteln.
Und seht euch die Felsen genau an: da findet ihr Wasser.
Und verliert euer Ziel nicht aus den Augen.
Das Land, wo ihr gerecht und frei leben könnt und jeder Mensch geachtet wird.

Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes
und nach seiner Gerechtigkeit,
so wird euch das alles zufallen.


IV.
Schaut genau hin.
Seht das Manna und die Wachteln. Seht das Wasser in den Felsen.
Seht die Vögel, und die Lilien.
Schaut genau hin und verliert nicht aus den Augen, worauf es ankommt.
Auf das Leben, das so wertvoll und schön ist.
Darauf, dass es nicht nur dir gut geht, sondern den anderen auch.
Und dass jeder Mensch für Gott wichtig ist.....

Schaut genau hin, von welchen Bildern ihr euch leiten lasst:
von Angstbildern oder Hoffnungsbildern?

V.
Budapest im September:
Sie lassen sich nicht aufhalten.
Die Flüchtlinge dieser Welt.
Zu Tausenden brechen sie auf.
Klein und Groß.
Zu Fuß.
Endlich weiterkommen - Richtung Westen. Österreich, Deutschland, Schweden.
Dorthin, wo man gut behandelt wird.
Wo man nicht eingesperrt wird hinter Zäunen.
Dorthin, wo schon die anderen aus der Familie sind. Oder die Freunde.
Wisst ihr denn, wieviel Kilometer es sind?
fragt eine Journalistin einen jungen Mann auf Krücken.
Sein Bein verletzt vom Krieg in Syrien.
Nein, ich weiß es nicht. Aber wir werden es schon schaffen.
Und dann nimmt ihn einer auf den Rücken und trägt ihn.
Menschen voller Sorge um ihr Leben, um ihre Zukunft.
Menschen, die sich aber nicht niederdrücken lassen von der Angst,
sondern aufbrechen.
Wie das Volk Israel damals.

Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes
und nach seiner Gerechtigkeit,
so wird euch das alles zufallen.


VI.
Auch der eine lässt sich nicht aufhalten.
Osama al-Abdelmohsen, ein professioneller Fußballtrainer in Syrien.
Er ist bei den ersten friedlichen Protesten gegen das Assad-Regime dabei
und organisiert sogar eine Kundgebung.
Dafür kommt er ins Gefängnis und wird gefoltert.
Wie durch ein Wunder kommt er frei.
Doch wenig später ist der IS da.
Al-Abdelmohsen flieht mit seiner Frau und seinen drei Kindern
- zunächst in die Türkei.
Von dort weiter in das westliche Europa.
Aber nur er und sein neunjähriger Sohn
Der Rest der Familie bleibt in einem Flüchtlingslager in der Türkei zurück.
Kriegsverletzungen halten sie zurück.
An der ungarischen Grenze werden Al-Abdelmohsen und sein Sohn zusammen mit anderen eingekesselt.
War‘s das jetzt?
Die Sorgen haben sich in sein Gesicht gezeichnet.
Doch dann kommt wieder Bewegung in das Geschehen.
Sie brechen sie aus der Absperrung aus, viele hunderte Menschen -
auch Al-Abdelmohsen mit seinem Sohn auf dem Arm.
Ein Polizist greift nach ihm, doch er kann sich losreißen.
Ein Fuß stellt sich ihm in den Weg.
Ein Bild, das um die Welt geht,
als eine ungarische Kamerafrau diesen Vater mit Kind zu Fall bringt.
Doch er rappelt sich auf, und schafft es über die Gleise in das Maisfeld.
Menschen, die sich aber nicht niederdrücken lassen von der Angst,
sondern aufbrechen.
Wie das Volk Israel damals.

Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes
und nach seiner Gerechtigkeit,
so wird euch das alles zufallen.


VII.
Ich weiß wohl, dass Deutschland nicht das Reich Gottes ist.
Aber es ist mitten unter uns - auch in diesem Land.
Das Reich Gottes wird sichtbar. Schaut genau hin.
Seht die Vögel unter dem Himmel. Die Lilien auf dem Felde.
Seht wie auf den deutschen Bahnhöfen Familien stehen mit Schildern in der Hand „Willkommen!“ und sie verteilen Bonbons und Kuscheltiere an die syrischen und irakischen Kinder.
Seht, wie ein syrisches Mädchen auf der dänischen Autobahn mit einem Polizisten spielt.
Seht, wie syrische Frauen in Erfurt Rosen verschenken, weil sie sich bei den Deutschen bedanken wollen.
Seht Al-Abdelmohsen, wie er noch im Fallen sein Kind nicht loslässt.
Seht, wie die Busfahrer stundenlang am Stuttgarter Bahnhof auf die ankommenden Flüchtlinge warten, um diese endlich in Sicherheit zu bringen - in tiefster Nacht.
Seht die vielen Menschen in unserer Stadt, die helfen wollen
und sich nicht aufhalten lassen von den fremdenfeindlichen Parolen der „besorgten Bürger“.

Hoffnungsbilder, die euch leiten können,
und die stärker sind als die Sorgen, wie unser Land das schaffen soll.
Und Bilder einer Hoffnung, dass keiner von uns alleine seine Sorgen tragen muss.
Gott ist da - jeden Tag. Und trägt mit.
Und mit ihm so viele andere Menschen.

Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes
und nach seiner Gerechtigkeit,
so wird euch das alles zufallen.


Amen.

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