Sonntag, 29. Januar 2017

Schwankend in den Wellen der Welt

Predigt zu Matthäus 14, 22-33 - Christuskirche Pforzheim 29.1.2017

(mit herzlichen Dank an Philipp Rottach und Michael Greller für geniale Ideen und Formulierungen, die in diese Predigt hineingeflossen sind)

Und alsbald drängte Jesus die Jünger, in das Boot zu steigen 
und vor ihm ans andere Ufer zu fahren, bis er das Volk gehen ließe. 
Und als er das Volk hatte gehen lassen, 
stieg er auf einen Berg, um für sich zu sein und zu beten. 
Und am Abend war er dort allein. 
Das Boot aber war schon weit vom Land entfernt 
und kam in Not durch die Wellen; 
denn der Wind stand ihm entgegen.

Aber in der vierten Nachtwache kam Jesus zu ihnen und ging auf dem Meer. 
Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, erschraken sie und riefen: 
Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. 
Aber sogleich redete Jesus mit ihnen und sprach: 
Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!

Petrus aber antwortete ihm und sprach: 
Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. 
Und er sprach: Komm her! 
Und Petrus stieg aus dem Boot 
und ging auf dem Wasser 
und kam auf Jesus zu. 
Als er aber den starken Wind sah, erschrak er 
und begann zu sinken und schrie: Herr, rette mich! 
Jesus aber streckte sogleich die Hand aus und ergriff ihn und sprach zu ihm: 
Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?

Und sie stiegen in das Boot und der Wind legte sich. 
Die aber im Boot waren, fielen vor ihm nieder und sprachen: 
Du bist wahrhaftig Gottes Sohn!I. 


I.
Losgefahren. Mitten hinein.
Geht hin in alle Welt, sagt er. 
Fahrt über die Tiefen des Sees, 
über die Bodenlosigkeiten der Welt. 

Und wartet nicht auf den besten Zeitpunkt.
Denn der ist jetzt.
Auch wenn der Wind euch entgegenbläst.
Fürchtet euch nicht!

Und jetzt bläst der Wind.
Und du mittendrin im Boot. 
Das Ufer ist weit weg. 
Du klammerst dich fest an der Reling. Aber sie ist rutschig.
Es ist dunkel. Und dir ist schlecht. 
Ein dahinschlingernder Halt. 
Wo es keinen Halt gibt. 
Du weißt nicht, was richtig ist. 
Und wo das Chaos lauert und der Gegenwind dich frieren lässt.
Fürchtet euch nicht!

II.
Unaufhörlich schlagen die Wellen gegen das Boot, 
toben und tosen um dein Leben herum. 
Wenn du denkst, dass es jetzt mal ruhiger werden könnte, geht es erst richtig los.
Als das Kind krank war und du bei der Arbeit nicht fehlen konntest, 
weil ein Projekt abgeschlossen werden musste.
Als dein Mann ein Pflegefall wurde 
und du selber kaum noch die Kraft hattest, ihm beizustehen.
Als die Bomben auf dein Haus fielen 
und du wusstest, jetzt kann ich nicht mehr bleiben. 
Und du sammeltest das bischen, was noch da war, 
zogst die Kinder an und gemeinsam suchtet ihr den Weg raus. 
Und dann wart ihr endlich an der Grenze und es ging nicht mehr weiter. 

Unaufhörlich schlagen die Wellen gegen das Boot.
Die ständigen Ankündigungen von Donald Trump. 
Die jüngsten Daten zum Klimawandel. 
Die brennenden Flüchtlingsheime.
Der Hass. Die Angst. Die Häme. Der Rassismus.
Neue Medien, Segen oder Fluch, Flüchtlinge, 
Rechtspopulismus, Obergrenze, 
Arbeit und noch mehr Arbeit, Sorgen um die Rente, 
Fake-News, Oberbürgermeisterwahl, Kirchenreform...
(puh....)
Und die Gischt spritzt dir ins Gesicht 
und hängt sich wie Tränen an deine müden Augen. 
Fürchtet euch nicht!

III.
Das Boot schlingert und schaukelt. 
Ohne einen, der den Sturm beruhigt. 
Der alles friedlich macht.
Oder wenigstens Brot und Wein verteilt.
Ohne Jesus.

Doch kurz vorm Morgengrauen kommt er.
Kommt ins laute Brausen hinein. 
Mitten im Wasser.
Läuft über die Tiefen und die Tiefen haben ihn nicht ergriffen. 

Und da ihn die Jünger sahen auf dem Meer gehen, 
erschraken sie und riefen: 
Es ist ein Gespenst!, und schrien vor Furcht. 

Das Leben tobt rundherum.
Die Welt spielt verrückt.
An Jesus kannst du womöglich grade nicht denken.
Es ist ja so viel anders. Schlimmes.
Und wenn er dann kommt?

Ist es Trost? Ist es ein Schrecken?
Hast du noch mit ihm gerechnet?
Oder ist er ein verzerrtes Wunschbild?
Aber er spricht.
Seid getrost, ich bin's; fürchtet euch nicht!

Es braust. Das Boot schwankt.
Kein Grund zu sehen.
Und dann das Wort. Nur das Wort. 
»Fürchtet euch nicht. Ich bins.«
Mehr hast du nicht.
Aber das hast du. Das wohl.
„Ich bins. Fürchtet euch nicht.“

IV.
Jesus soll einsteigen. Denkst du.
Er soll die Wellen beruhigen. 
Das Boot sicher machen - und die Welt auch. 
Halt geben. Frieden.
Aber er tut es nicht. Noch nicht.
Jesus bleibt auf Distanz. 
Er bleibt auf dem Wasser, in den Wellen, über den bodenlosen Tiefen.

Er bleibt da draußen.
Sitzt in der Pressekonferenz und hört Donald Trump zu, 
schaut sich kurz bei Twitter um, 
rast mit dem gestressten Vertriebsleiter zu seinem Meeting, 
und starrt mit den Verzweifelten die Wand an. 
Besucht die Mineure im Ispringer Tunnel 
und wischt der Hebamme den Schweiß von der Stirn. 
Dann teilt Jesus mit dem gemobbten Jungen aus der 8a sein Pausenbrot 
und fährt mit einem Flüchtlingsboot von Libyen nach Lampedusa, 
lässt eine Nelke in ein frisches Grab fallen 
und hat dabei Tränen in den Augen. 
Er weint um die Millionen von den Nazis Ermordeten 
und wartet in Kairo mit den fassungslosen Flüchtlingen, 
die nicht in die USA einwandern dürfen, weil sie Muslime sind. 
Und er hört staunend die Reden auf AfD-Parteitagen, 
wo sie seine Wahrheit mit Füßen treten 
und seine Worte der Nächstenliebe belächeln.

Da bleibt er.
Mittendrin im Sturm und im Gegenwind. 
Jesus stillt ihn nicht. Spricht kein Machtwort. 
Auch wenn du es dir wünscht.
Sondern er ist mittendrin. Draußen.
Ich bins’s. Fürchtet euch nicht!

V.
Geht hin in alle Welt. 
Bleibt nicht im Boot, 
verkriecht euch nicht vor den Wellen.
Wagt es rauszugehen! 
Verlasst die Sicherheit eurer Gottesdienste und Gemeindehäuser 
und geht in die Kneippen, Chatrooms und Bürgerversammlungen
oder wie die New Yorker auf den Flughafen*.
Sagt mutig die Wahrheit. 
Geht meinen Weg. 
Seid Salz, seid Licht. 
Seid da. 
Mittendrin in den Wellen.
Fürchtet euch nicht!

Und du kletterst auf die Reling. 
Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu kommen auf dem Wasser. 
Kein: Befiehl dem Sturm aufzuhören.
Kein: Komm in unser Boot.
Sondern: Befiehl mir zu dir zu kommen. 
In deine Nähe. 
Auf den unsicheren Grund.
In die Wellenberge und die bodenlose Tiefe. 
Die letzte Sicherheit verlassen. 
Auf dein Wort hören. Dir vertrauen. 
Bei dir Halt finden, wenn ich schon sonst keinen Halt habe.
Sprich du nur ein Wort, so.… so schaffe ich es vielleicht.

Und er sprach: Komm her! 
Und du steigst mitten in die Wellen. In die wirre Welt

Ein Schritt.
Und noch einer.
Schwankend.
Der Blick: Zu Jesus.
Jesus, dein Trost im Leben und Sterben.
Fürchtet euch nicht!

VI.
Doch dann verlässt dich der Mut. 
Außerhalb vom sicheren Boot. 
Wellen und Wind hautnah.
Sie reißen dir deine Sicherheiten aus der Hand. 
Du erschrickst vor deinem Mut. 
Vor dem, was da unten lauert.
Die Angst hat dich wieder im Griff.
Auch mit Jesus. 

Du wolltest endlich mal widersprechen, 
wo andere klein gemacht werden.
Aber dann fehlen dir doch die richtigen Worte.
Du wolltest gegen die ewigen Nörgler ankämpfen 
und sie bitten, mit an zu packen. 
Aber dann denkst du, wer bin ich schon? 
Und vielleicht ist das da ja doch nicht Jesus, sondern nur ein Gespenst?
Vielleicht stimmt das ja gar nicht mit dem Reich Gottes und mit der Liebe für alle?
Vielleicht haben ja die Spötter und die Selbstgerechten recht und die Neider auch?
Du solltest möglich schnell wieder Land gewinnen, denkst du.
Und diese Wellen sind wild und die Stimmen viel lauter als Jesus.

Dich verlässt der Mut und du versinkst.
Du spürst, wie die Wellen über dir zusammenschlagen.
Und du weißt, du schaffst das nicht alleine.
Herr, hilf mir, rufst du.

Herr, hilf mir...

VII.
Und dann: 
Zugreifen: Da ist die Hand.
Gottes Hand. Jesu Hand.
Ich bin’s. Fürchtet euch nicht!
Festhalten!

Und er zieht dich nach oben.
Nimmt dich mit ins Boot.
Das Herz klopft immer noch.
Und du verstehst keineswegs alles.
Aber Jesus ist da, rührt dich an.
Mit seinen Worten.
Mit seiner Hand.

Ich bins. 
Bin mitten in der Welt bei dir. 
Ich bin da, wo du bist. 

VI.
Ich bin’s. Fürchtet euch nicht!
Mittendrin im Boot. 
Das Ufer ist weit weg. Und du bist in der Welt. 
Nicht am rettenden Ufer, 
sondern dort, wo es tost und tobt und rauscht.
Aber du bist nicht allein. 
Auch nicht, wenn du deinen Fuß aufs Wasser setzt.

Du weißt: es geht. 
Mit Jesus ist Unmögliches möglich.
Und ich schaffe es.
Du wirst mutig. Und wagst wieder mal etwas Neues. 
Denn Jesus ist da und ruft dir zu: Komm her.
Du vertraust ihm. Und der Wind legt sich.

Aber du weißt auch, dass es nicht immer klappt.
Du versinkst. 
Du bist Teil des weltlichen Tobens, 
machst mit beim Rennen und Jagen. 
Beim Neiden und Verzagen.
Aber auch dann bist du nicht allein.
Jesus nimmt deine Hand.
Und er steigt mit dir ein in dein Boot - 
zu den anderen, die genauso Angst haben wie du.
Und gemeinsam wisst ihr: Jesus ist Gottes Sohn.
Er ist Gottes Sohn, weil er bei euch ist, 
auch in tosenden Wellen. 
Er ist Gottes Sohn, weil er dir Grund gibt. 
Selbst wenn du versinkst.

Ich bin’s. Sagt er. Fürchtet euch nicht!
Geh hin in alle Welt. 
Der Gottessohn hält dich.

Und der Friede, welcher höher ist als alle Vernunft bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

*) Gestern (28.1.2017) haben angesichts des Dekrets des US-Präsidenten, Menschen aus 7 Ländern trotz vorhandener Visa etc. nicht mehr einreisen zu lassen, tausende Amerikaner*innen an den Flughäfen in den USA demonstriert. In New York waren es m.W. besonders viele

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen