Sonntag, 8. Januar 2017

Mittendrin - im Jordan, auf der Mahnwache, im Leben

Predigt zu Matthäus 3,13-17 - Stadtkirche Pforzheim 8.1.2017
(mit Dank an Michael Greßler, Thomas Hirsch-Hüffel, Birgit Mattausch und Friederike Goedicke fürs kritische Mitdenken)

Zu der Zeit kam Jesus aus Galiläa an den Jordan zu Johannes,
dass er sich von ihm taufen ließe.
Aber Johannes wehrte ihm und sprach:
Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde,
und du kommst zu mir?
Jesus aber antwortete und sprach zu ihm:
Lass es jetzt geschehen!
Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.
Da ließ er's geschehen.
Und als Jesus getauft war, stieg er alsbald herauf aus dem Wasser.
Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf,
und er sah den Geist Gottes wie eine Taube herabfahren
und über sich kommen.
Und siehe, eine Stimme aus dem Himmel sprach:
Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.

(Matthäus 3,13-17)

I.
Mittenhinein tritt der Gottessohn.
Mitten in das Volk.
In den Fluss.
Mitten ins Leben.

Dieses Mittenhinein hört einfach nicht auf.
Voller Gnade lässt Gott sich nicht bremsen.
Der Stall, die Hirten, das dunkle Feld.
Mittenhinein.
Die Flucht nach Ägypten, weil einem Mächtigen das einzelne Leben nichts zählt.
Mittendrin.
In der Menge, die gebannt dem Täufer zuhört.
Mittenhinein.
In das Wasser, das allen Unrat mit sich führt, und von dem doch alle leben.
Die Stimme, die vom Himmel kommt.
Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.
Auch sie kommt mittenhinein.
Weil der Himmel offen ist.

II.
Dabei ist er doch wirklich was Besonderes.
Hat einen tadellosen Stammbaum.
Gelehrte verneigen sich vor ihm.
Ein Stern weist den Weg.
Engel begleiten die Eltern.
Viel Licht. Viel Bewegung. Seinetwegen.
Der wahre Gottessohn.
Das ist keine kleine Nummer, sondern richtig groß.
Größer als ich. Und als du. Und als Johannes.
Größer als wir alle zusammen.

Aber das erste, was der Gottessohn tut:
er predigt nicht, tritt nicht auf wie ein Gottessohn,
sondern er geht mittenhinein,
stellt sich mit all den anderen ins Wasser und lässt sich taufen.
Er selbst stellt sich nicht über Johannes, sondern neben ihn und unter ihn.
Zusammen mit den Sündern. Mit denen, die Johannes zur Umkehr ruft.

III.
Das geht doch nicht.
Ich bedarf dessen, dass ich von dir getauft werde,
und du kommst zu mir?

Es geht nicht, dass du als Kind in der Krippe liegst.
Es geht nicht, dass du dich in eine Reihe stellst mit diesen Leuten hier.
Mit denen, die keine Ahnung haben.
Und die sich nicht an die Gesetze halten.
Oder die aus der Reihe tanzen, einfach so.

Es geht nicht, dass du dich nächste Woche hier an die Tische der Vesperkirche setzt.
Da, wo die sitzen, die gerade besonders frieren.
Und die, deren Ehe kaputt gegangen ist.
Und die, deren Wohnung noch kalt ist, selbst wenn die Heizung heiß bollert.
Es geht nicht, dass du das Geschirr abspülst, nebenan im zugigen Durchgang.
Es geht nicht, dass du im Bett in der Thalesunterkunft liegst, wo du nicht schlafen kannst, weil dein Bettnachbar ständig umherläuft. Ruhelos. Rastlos.
Es geht nicht, dass du wie Sansal im türkischen Gefängnis sitzt, vorher zusammengeschlagen, weil du die Politik von Erdogan kritisierst.
Das alles geht nicht. Denn du bist doch groß.
Königlich. Herrschaftlich. Göttlich.

IV.
Lass es jetzt geschehen!
Denn so gebührt es uns, alle Gerechtigkeit zu erfüllen.

Mach nicht groß 'rum mit dem, was geht oder nicht geht.
Lass es zu.
Lass die Liebe geschehen: Gott hat sie für jeden und jede.
Lass das Recht geschehen:
Es gilt auch dann schon, wenn die Welt noch unterscheidet zwischen Rechtlosen und Rechthabenden, zwischen linker Tür und rechter Tür.
Hier und jetzt, mittendrin geschieht das Reich Gottes.
Es hält sich nicht daran, ob es in deinen Augen geht oder nicht.
Lass es jetzt geschehen!
Denn Gott nimmt das Geschehen in die Hand.
Hier und jetzt, wenn ein Großer ins Wasser steigt zu den Kleinen.
Wenn er sich in die Reihe stellt zu denen, die sich nach Liebe sehnen,
nach Angenommensein, nach Güte.
Hier und jetzt und nicht erst, wenn wir meinen, uns das leisten zu können.
Lass es jetzt geschehen!

V.
Da ließ er's geschehen.
Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf.

Das Geschehenlassen ist schwer.
Nicht nur für Johannes.
Das Heft nicht in der Hand zu haben.
Auf Kontrolle verzichten.

Mir ging das so, als ich die Mahnwache für die Opfer von Aleppo organisiert habe.
Kurz vor Weihnachten.
Über das Forum Asyl wurden auch syrische Flüchtlinge eingeladen.
Diese wollten aber nicht nur teilnehmen, sondern auch aktiv gestalten.
Aber so richtig erklären konnten sie mir nicht, was sie machen wollten.
Ich machte noch deutlich, dass ich keine Kampfansagen will.
Sondern dass wir der Opfer gedenken. Dass wir um sie trauern. Für sie beten.
Erst recht nach dem Anschlag in Berlin.
Ja, sie nickten.

Aber ab dann hieß es für mich:
Geschehen lassen. Auf Kontrolle verzichten.
Was würde kommen? Würden sie eine Anti-Assad-Demo machen?
Wir alle wissen ja, dass es da nicht nur eine Seite der Bösen gibt.
Konnte ich das wirklich geschehen lassen?

Was dann zu sehen war, war für mich das Berührendste der letzten Wochen.
Kinder und Jugendliche spielten Vogelgezwitscher, Gewehrschüsse und Bombendonner per Handy ab - mitten auf dem Leopoldsplatz.
Dazu zeigten sie, wie es ihnen in Aleppo erging:
Auf der Straße spielen und dann nach Unterschlupf suchen.
Ausgebombt werden. Tote beklagen. Tote begraben.
Dann ein Lied - vorgesungen von Kindern. Übersetzt von einem 12jährigen.
Und wir, die wir zuschauten, standen dicht an dicht -
mit Kerzen in der Hand
und wir trauerten gemeinsam mit den syrischen Flüchtlingen.
Da ließ er's geschehen.
Und siehe, da tat sich ihm der Himmel auf.


Ja, der Himmel tat sich auf - mittendrin, auf dem Leopoldsplatz.
Auch wenn immer noch Krieg war. Und Trauer und Wut.
Aber wir standen beieinander.
Im Leid um die Toten in Aleppo und in Berlin.
Und Gott war da. Jesus war war.
Der Gottessohn, der in die Abgründe steigt.
Mittenhinein. Mittendrin.

VI.
Mittenhinein kommt eine Stimme - von sehr weit her.
Und doch aus der Mitte, weil das gar nicht anders geht.
Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.
Mein Sohn, der mittendrin ist und nicht von oben herab kommt.
Der soweit mittendrin ist, dass sie ihn rausschubsen.
Der auf Machtsymbole verzichtet und dem Teufel eine lange Nase macht,
aber die Sanftmütigen und die Friedensstifter selig preist.
Er sitzt am Tisch mit den Vesperkirchengästen,
übersetzt das Friedenslied der syrischen Kinder,
teilt sein Brot mit dir.
und bleibt doch unfassbar.
Und das alles geht.
Dieser Sohn sagt dir: auch du bist Gottes Kind, an dem er Wohlgefallen hat.
In der Krippe liegst DU.
Auf der Flucht vor Herodes bist DU.
In das Wasser des Jordans steigst DU.
Und so bist auch DU mittendrin im Leben.
Und du lässt es geschehen.
Hier und jetzt.
Die Wogen der Liebe Gottes umspülen dich.
Und der Himmel tut sich auf.

Amen.

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