Samstag, 24. Dezember 2016

Gott drückt dir sein Kind in die Arme

Predigt zu Jesaja 9,1-6 (Heiligabend 2016)
(mit Dank an Martina Reister-Ulrichs für die Grundidee und an Jörg Breu, der mir noch ein paar Verbesserungsvorschläge gemacht hat)

Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht,
und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es hell.
Du weckst lauten Jubel, du machst groß die Freude.
Vor dir freut man sich, wie man sich freut in der Ernte,
wie man fröhlich ist, wenn man Beute austeilt.
Denn du hast ihr drückendes Joch,
die Jochstange auf ihrer Schulter
und den Stecken ihres Treibers zerbrochen wie am Tage Midians.
Denn jeder Stiefel, der mit Gedröhn dahergeht,
und jeder Mantel, durch Blut geschleift,
wird verbrannt und vom Feuer verzehrt.

Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ist auf seiner Schulter;
und er heißt
Wunder-Rat,
Gott-Held,
Ewig-Vater,
Friede-Fürst;
auf dass seine Herrschaft groß werde
und des Friedens kein Ende
auf dem Thron Davids und in seinem Königreich,
dass er's stärke und stütze durch Recht und Gerechtigkeit
von nun an bis in Ewigkeit.
Solches wird tun der Eifer des Herrn Zebaoth.


I.
Gott drückt dir sein Kind in die Arme.
Heute. Einfach so. Und ohne dich zu fragen.
Du hattest gar keine Chance, dich dagegen zu wehren.
Und nun ist es da.

Du schaust es an und weißt gar nicht so richtig, was du damit anfangen sollst.
Es ist dir wehrlos ausgeliefert.
Wehrt sich nicht gegen deine Zärtlichkeit.
Duldet es, dass du es verhätschelst und verkitscht und ganz harmlos machst.
Und sogar, dass du es vergisst.

Du hast eigentlich gar keine Zeit für dieses Kind.
Deine Wohnung ist nicht aufgeräumt.
Die Karte an die Patentante noch nicht geschrieben.
Der Streit mit dem Chef geht dir noch nach.
Und all die furchtbaren Bilder von Berlin und Aleppo.
Was soll da dieses Kind?
Aber Gott hat es dir in deine Arme gelegt.

Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ist auf seiner Schulter


II.
Gott drückt dir ihr Kind in die Arme.
In die Arme, die so gerne umarmen.
Die du hängen lässt, wenn du nicht mehr kannst.
Und die du zeigst, wenn du die Ärmel hochkrempelst.
In deine Arme.

Gott drückt ihr Kind in Arme,
die im Pflegeheim eine Greisin aufrechtsetzen, damit sie den Weihnachtsbaum im Gang sehen kann.
In Arme, die voll bepackt sind mit Geschenken für die Nichten und Neffen.
Aber auch in Arme, die nicht wissen wohin mit sich, weil da keiner ist, den sie umarmen können.
Gott drückt ihr Kind in Arme,
die verschränkt sind und nichts mit ihm zu tun haben wollen.
In Arme, die sich nach oben recken und um Hilfe rufen.
In Arme, die in diesen Tagen Blumen und Kerzen an den Breitscheidplatz bringen.
In Arme, die Maschinengewehre über die Schulter legen.

Gott drückt ihr Kind in die Arme der Welt.
Eine Welt, wo Kinder keinen Platz haben.
Wo sie still sein müssen und unauffällig.
Karrierepläne liegen schon in der Wiege und alles ist perfekt geplant.
Für die Erwachsenen, nicht für das Kind.
Oder sie spielen zwischen den Trümmern in Aleppo.
Sie haben sich daran gewöhnt - auch an die traurigen Gesichter der Großeltern.
Oder sie warten mit ihrer kleinen Schwester am Grenzzaun von Griechenland.
Oder sie klammern sich an die wackeligen Ränder vom Boot, das sie über das Mittelmeer bringen soll.

Gott legt sein Kind in die Trümmer von Aleppo,
in das Flüchtlingslager in Griechenland
und in das Boot auf den Wellen des Mittelmeeres.
Gott legt sein Kind in die allzu perfekten Betten von Reihenhäusern
und in die Intensivstation vom Klinikum mit ihren Beatmungsgeräten.
Gott macht keinen Unterschied.
Ihr Kind gehört überall hin. Und auch dorthin, wo es nicht hingehört.

Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ist auf seiner Schulter


III.
Ja, es passt nicht in diese Welt. Hat noch nie hineingepasst.
Nicht zu Jesajas Zeiten.
Nicht zu Marias Zeiten und zu Josefs auch nicht.
Es trägt fremde Namen, die so gar nicht zu ihm passen.
Wunder-Rat, Gott-Held, Ewig-Vater, Friede-Fürst.

Namen eines Hoffnungsträgers, der die Sehnsucht gar nicht tragen kann.
Namen einer Welt, die keine Chance bei uns hat.
Denn es ist kein Held des Krieges, kein Triumphator,
kein Reiter auf hohem Ross mit Pauken und Trompeten,
sondern ein Friedensbringer.
Einer, der auf dem Esel kommt.
Der mit seiner Familie sogar fliehen muss ins ägyptische Exil.
Und letztlich und nackt und bloß am Kreuz stirbt.
Gott selbst.
Das Gotteskind.

Und gerade weil es nicht in diese Welt passt, kommt es in diese Welt.

Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ist auf seiner Schulter.


IV.
Gott drückt dir sein Kind in die Arme.
So verletzlich - nur so kommt es in dein Herz.
Und du weißt: Auf dieses Kleine kommt es an.
Auf das Kleine in dir. Auf das Zarte. Das, was dich angreifbar macht.
Du musst nicht tun, als seist du stark.
Du musst keine Waffen tragen.
Du brauchst keine Rolle mehr zu spielen.
Du kannst einfach nur das Gotteskind sein.
Mit der ganzen Liebe, die da ist und die zu dir kommt.

Dieses Gotteskind in deinen Armen, in deinem Herzen, passt nicht in diese Welt.
Und so kannst du diese Welt nicht lassen, wie sie ist.
Da soll es keine Bombentrümmer geben,
und keine ertrinkenden Flüchtlinge.
Keine Mörder, die unschuldige Menschen töten auf Weihnachtsmärkten.
Und auf der Intensivstation soll keiner alleine sein.

V.
Gott drückt dir ihr Kind in deine Arme
und es passt nicht in diese Welt,
aber es verändert sie.
Und darum ist es egal, ob dein Wohnzimmer aufgeräumt ist oder nicht.
Du machst dich auf den Weg zur mürrischen Nachbarin und schenkst ihr eine Blume.
Vielleicht bleibt sie mürrisch. Vielleicht aber wird sie lächeln.
Oder du überlegst dir, wen du noch heute zum Essen einlädst.
Oder wenigstens anrufst. Und dann tust du es.

Und auf Rechthaberei hast du keine Lust mehr.
Weil das Gotteskind in deinen Armen ist, hast du keine Angst.
Schaust mit ihm zusammen neugierig auf alles Neue und Fremde.
Du lässt dir auch keine Angst machen, auch nicht von Terroristen,
sondern freust dich auf die Menschen, denen du begegnest.

Mit dem Gotteskind im Arm nimmst du allen Mut zusammen,
und sagst laut:
Hilfe für Fremde und Notleidende ist kein Luxusgut,
das wir uns nur gönnen,
wenn wir es uns leisten können.
Du sagst es laut, aber mit Liebe.
Das Kind in deinen Armen lässt nicht zu,
dass Menschen, die Hilfe brauchen, gegenseitig ausgespielt werden.

Es lässt dich weinen, wenn du an die zwölf Menschen denkst,
die brutal ermordet wurden am vergangenen Montag
und an die, die sie liebhaben.
Es lässt dich weinen, wenn du die Bilder aus Syrien siehst,
und es sind Tränen der Trauer und der Liebe
über jedes Kind Gottes, das durch Gewalt stirbt.
Juden, Christen, Muslime und alle anderen.
Gotteskinder - wie du.

Du merkst, dass dieses Kind in deinen Armen zwar zart, aber überhaupt nicht harmlos ist.
Es verändert dich.
Wird die Mächtigen vom Thron stoßen
und die Niedrigen erheben
Es wird zerbrechen daran.
Und leben.
Mit dir und für dich.
Und für diese Welt, in die es nicht hineinpasst und doch gehört.
Wie kein anderes Kind der Welt.

Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ist auf seiner Schulter.


VI.
Gott drückt dir sein Kind in die Arme.
Du schaust es an und es nimmt dich ein.
Voll und ganz und mit Haut und Haaren.
Dich, du Gotteskind. Mit Licht im Herzen.
Es verändert dich. Du öffnest deine Arme.
Und du veränderst die Welt. Mit diesem Kind.

Denn uns ist ein Kind geboren,
ein Sohn ist uns gegeben,
und die Herrschaft ist auf seiner Schulter;
und er heißt
Wunder-Rat,
Gott-Held,
Ewig-Vater,
Friede-Fürst;
auf dass seine Herrschaft groß werde
und des Friedens kein Ende .

Amen.

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