Sonntag, 4. Dezember 2016

Zeichen der Zeit

Predigt zu Matthäus 24,1-14
(mit Dank für einige Formulierungsideen an Alexander Ebel und Birgit Mattausch)

I.
Zeichen der Zeit.
Ein Kirschzweig bleibt am Kleid der Barbara hängen
Auf dem Weg in ihr Gefängnis.
Gefoltert und zum Tod verurteilt bleibt ihr nicht mehr viel Zeit.
Aber sie hat ja diesen Zweig.
Den benetzt sie mit dem Wasser aus ihrem Trinknapf.
Als sie Wochen später abgeholt wird, um hingerichtet zu werden, blüht der Zweig.
“Du schienst tot, aber bist aufgeblüht zu schönem Leben.
So wird auch es auch mit meinem Tod sein.
Ich werde zu neuem, ewigen Leben aufblühen”.

II.
Zeichen der Zeit.
Blätter werden gelb, dann braun. Und sie fallen herab. Bedecken den Boden.
Irgendwann nur noch eine schwarze feuchte Masse.
Kahle Bäume. Kurze Tage. Lange Nächte. Winterzeit.
Aber wir hängen Lichter in die Bäume und Sterne an die Zweige.
Wir zünden Kerzen an.
Zeichen, die was anderes ankündigen.
Zeichen der Liebe - mitten im Winter.

III.
Zeichen der Zeit bei Matthäus:
Und Jesus ging aus dem Tempel fort
und seine Jünger traten zu ihm und zeigten ihm die Gebäude des Tempels.
Er aber antwortete und sprach zu ihnen:
Seht ihr nicht das alles?
Wahrlich, ich sage euch:
Es wird hier nicht ein Stein auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde.

Und als er auf dem Ölberg saß, traten seine Jünger zu ihm
und sprachen, als sie allein waren:
Sage uns, wann wird das geschehen?
Und was wird das Zeichen sein für dein Kommen und für das Ende der Welt?
Jesus aber antwortete und sprach zu ihnen:
Seht zu, dass euch nicht jemand verführe.
Denn es werden viele kommen unter meinem Namen und sagen:
Ich bin der Christus, und sie werden viele verführen.
Ihr werdet hören von Kriegen und Kriegsgeschrei; seht zu und erschreckt nicht.
Denn es muss geschehen. Aber es ist noch nicht das Ende.
Denn es wird sich ein Volk gegen das andere erheben
und ein Königreich gegen das andere;
und es werden Hungersnöte sein und Erdbeben hier und dort.
Das alles aber ist der Anfang der Wehen.

Dann werden sie euch der Bedrängnis überantworten und euch töten.
Und ihr werdet gehasst werden um meines Namens willen von allen Völkern.
Dann werden viele zu Fall kommen
und werden sich untereinander verraten
und sich untereinander hassen.
Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen.
Und weil die Missachtung des Gesetzes überhandnehmen wird,
wird die Liebe in vielen erkalten.
Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig.
Und es wird gepredigt werden
dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt
zum Zeugnis für alle Völker,
und dann wird das Ende kommen.


IV.
Die Zeichen der Zeit machen mir Angst.
Die Zeichen unserer Zeit sind es, die mich umtreiben.

Da bleibt in Aleppo kein Stein mehr auf dem Anderen.
Der 15 jährige namenlose Junge muss weinend seine Mutter begraben
und die kleine Schwester kämpft im halbzerschossenen Krankenhaus ums Überleben.
Auf die Fliehenden fallen weitere Bomben.
Hilflos sehe ich Bilder und die Videos
und weiß nicht, was ich tun kann.
Und ich werde schamesrot,
wenn ich die Erfolgszahlen der baden-württembergischen Rüstungsindustrie sehe.
Zeichen unserer Zeit.

V.
In Pforzheim haben über 25 % die AfD gewählt,
in manchen Stadtteilen sind es über 50%.
Sie haben eine Partei gewählt, die mit der Angst hausieren geht.
Sie haben Angst, weniger zu haben als jetzt, weil Flüchtlinge da sind.
Sie haben Angst, nachts auf die Straßen zu gehen, weil Flüchtlinge da sind.
Sie haben vor dem Islam Angst, weil Flüchtlinge da sind.
Aber wenn man sich die Zahlen anschaut, weiß man, dass diese Angst unbegründet ist.
Niemand hat weniger, weil die Flüchtlinge da sind.
Es ist auf den Straßen nicht gefährlicher geworden.
Und „den“ Islam gibt es sowieso nicht, sondern Muslime, die sehr verschieden sind.
Außerdem gibt es auch christliche und jesidische Flüchtlinge.
Aber das alles spielt keine Rolle mehr. Man hat Angst.
Und will gefälligst ernstgenommen werden. Was auch immer das heißt.
Und so gewinnen die Populisten dieser Welt die Oberhand.
Und diese wollen Frauen zurück an den Herd schicken,
geben der Homolobby die Schuld an allem
und lassen Tausende im Meer ertrinken. Sind ja schließlich selber schuld.
Und es werden sich viele falsche Propheten erheben und werden viele verführen.
Zeichen der Zeit.

VI.
Die Liebe wird in vielen erkalten. So lesen wir bei Matthäus.
Erkaltete Liebe - ein Zeichen unserer Zeit
Eine Liebe, die sich in kahlen Ästen der Bäume verfängt.
Ihr Licht ist erloschen in Reihenhäusern und Eigentumswohnungen,
um deren Wertverlust man fürchtet, weil nebenan eine Flüchtlingsunterkunft entsteht.
Aber man verbrämt es mit der Sorge um Schulräume, die fehlen könnten.
Die Liebe ist erkaltet an den Stammtischen oder auch in der gepflegten Bar,
wo man sich über Kopftücher aufregt,
aber nicht darüber, dass es immer noch zu wenig Sprachkurse für die Neuangekommenen gibt.
Die Liebe ist erkaltet, wo man nicht mehr miteinander redet,
sondern übereinander,
und wo Bischöfinnen und Pfarrer verächtlich beschimpft und bedroht werden,
weil sie sich für den Dialog mit Muslimen einsetzen.
Zeichen unserer Zeit.
Zeichen auch für das Ende der Welt?

VII.
Nein, es sind Zeichen einer Welt, die ist, wie sie ist.
Aber wir hoffen darauf, dass diese Welt, wie sie ist, zum Ende kommt.
Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird selig.
Und es wird gepredigt werden
dies Evangelium vom Reich in der ganzen Welt
zum Zeugnis für alle Völker,
und dann wird das Ende kommen.


Zeichen einer neuen Zeit.
Zeichen dafür, dass die Welt, wie sie ist, nicht bleibt, wie sie ist.
Da kommt ein Kind zur Welt -
zwischen Heu und Stroh, Staub und Dreck und tierischen Gerüchen.
Da kommt ein Kind zur Welt und Gelehrte machen sich auf, um dieses Kind zu sehen.
Der Vater des Kindes ist ein Träumer
und bleibt trotz vieler Peinlichkeiten an der Seite seiner Familie.
Seine Mutter, ein junges Mädchen wird zu einer Prophetin
und singt mit kraftvoller Stimme.
Das Kind wird zu einem Mann, der Blinde sehend macht, Taube hörend, Lahme gehend.
Und er lebt die Liebe, die Gott allen Menschen schenkt.
Er lebt diese Liebe noch am Kreuz und Gott bekennt sich zu ihm, der die Liebe ist.
Zeichen einer neuen Zeit.
Zeichen für das Ende einer Welt, die nicht so bleiben soll, wie sie ist.

VIII.
Es gibt Christen, die glauben, dass das Ende der Welt bevorsteht,
weil die Evangelische Kirche nun schwule und lesbische Paare traut
und weil der Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm sein Brustkreuz verborgen hat.
Und vielleicht haben sie sogar Recht.
Aber anders, als sie denken.
Es sind dies Zeichen für das Ende dieser Welt.
Zeichen dafür, dass die Liebe sich Bahn bricht und aufblüht.
Wo Menschen sich lieben dürfen.
Wo Menschen auf das Rechthaben verzichten.
Und wo sie die Not der anderen sehen.

Ja, ich hätte gerne noch viel mehr Zeichen für das Ende der Welt.
Dass die Liebe eben nicht erkaltet ist.
Lachende Kinder, unbeschwert. Auch in Aleppo oder Jemen.

Jeder hat genug zu essen.

Nicht, dass es nichts mehr zu weinen gäbe
.
Aber dass es für jede Träne jemanden gibt, der sie auffängt und dich mit.

Friedensverträge werden geschlossen und gehalten.
Die Rüstungsindustrie sattelt um, weil sie für ihre Waffen keine Abnehmer mehr hat.

Niemand muss Angst haben.
Jeder Mensch findet eine Heimat und den Schutz, den er braucht.

Und Minderheiten kommen zu ihrem Recht,
ohne dass die Mehrheit an ihren Vorteilen festklebt.
Und die Engel singen zusammen mit uns im Chor.

Es wäre das Ende der Welt, wie wir sie kennen.

Zeichen einer neuen Zeit.

IX.
Das Ende der Welt, wie wir sie kennen, ist schon da.
Mit Christus.
Mit dem Kind im Stall.
Mit dem Sterbenden auf Golgotha.
Mit dem Auferstandenen, der bis zum Ende der Welt bei uns bleibt.
Und du zündest eine Kerze an - an diesen Tagen, die kürzer werden. Und kälter.
Liebe ist da. Klein und doch stark. Neu entfacht. Mitten im Winter.
Und du singst ein Adventslied.
Mit einer glühenden, eine hellen Liebe.

X.
Zeichen der neuen Zeit.
Ein Kirschzweig bleibt am Kleid der Barbara hängen.
Auf dem Weg in ihr Gefängnis.
Gefoltert und zum Tod verurteilt bleibt ihr nicht mehr viel Zeit.
Aber sie hat ja diesen Zweig.
Den benetzt sie mit dem Wasser aus ihrem Trinknapf.
Als sie Wochen später abgeholt wird, um hingerichtet zu werden, blüht der Zweig.
Und zeigt ihr:
Das Ende der Welt, wie wir sie kennen, ist schon da.
Liebe blüht auf, die längst verloren schien.
Sie macht dich selig.

Und der Friede, welcher höher ist als alle Vernunft, 
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Amen.

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