Sonntag, 18. Juni 2017

Mit vollem Risiko

Predigt zu Johannes 5,39-47

I.
Ihr erforscht die Heiligen Schriften,
weil ihr meint, durch sie das ewige Leben zu erhalten.
Auch die sind meine Zeugen.
Aber ihr wollt euch mir nicht anschließen,
um das ewige Leben zu erhalten.
Ich bin nicht darauf aus,
dass Menschen mir Herrlichkeit zugestehen.
 

Außerdem habe ich euch durchschaut:
Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch.
Ich bin im Namen meines Vaters gekommen,
und ihr lehnt mich ab.
Wenn aber irgendjemand anderes in seinem eigenen Namen kommt – 

den nehmt ihr auf.
 

Wie könnt ihr denn zum Glauben kommen?
Es geht euch doch nur darum,
dass einer dem anderen Herrlichkeit zugesteht!
Aber nach der Herrlichkeit, die der einzige Gott schenkt,
strebt ihr nicht.
 

Ihr braucht nicht zu denken,
dass ich euch vor dem Vater anklagen werde.
Es ist vielmehr Mose, der euch anklagt –
Mose, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt.
Denn wenn ihr Mose wirklich glauben würdet,
dann würdet ihr auch mir glauben.
Denn er weist in der Heiligen Schrift auf mich hin.
Wenn ihr schon seinen Schriften nicht glaubt,
wie wollt ihr dann meinen Worten glauben?


II.
Jesus ist sauer. Richtig sauer.
Er hat auf diese Besserwisser keinen Bock mehr.
Sie gehen ihm gehörig auf den Keks -
diese „Ich weiß wie alles läuft und wer du bist“-Meckerer.
Ihre Lieblosigkeit und wie sie ständig Schriftstellen zitieren,
ihr Rechthabenwollen
alles das können sie sich an den Hut stecken.

„Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch!“
Das wirft Jesus denen an den Kopf,
die sich Gott besonders nahe fühlen.
Die meinen zu wissen, wie Gott tickt.
Was Gott sagt. Und was Gott will.

„Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch!“
Denn ihr haltet euch an toten Buchstaben
und an starren Regeln fest,
an vorgefertigten Meinungen
und ihr glaubt, im Besitz der Wahrheit zu sein.
Als ob das überhaupt möglich wäre,
die Wahrheit zu besitzen.
Nein,
diese „Ich weiß wie alles läuft“-Nummer läuft nicht mehr.

III.
Ich kenne sie,
diese Stellenzitierer und Rechthaberinnen zur Genüge,
Sie „wissen, wie alles läuft“ und „zu laufen hat.“
Momentan sind wieder viele unterwegs.

Sie regen sich auf über eine Prälatin in Stuttgart,
die die Kirchen für schwule und lesbische Paare öffnen will.
Die paar Bibelzitate, die es zur Frage der Homosexualität geben könnte,
werden hervorgeholt
und der Prälatin um die Ohren geschlagen,
als ob sie die Bibel nicht kennen würde.

Wo bleibt da die Liebe?
Sie wird eingesperrt in ein Buch mit Goldrand und Buchstaben darin,
an denen darf nicht gerüttelt werden.
Und das alles im Namen Gottes.

Die Stellenzitierer und Rechthaberinnen haben protestiert,
als vor über 20 Jahren die evangelische Kirche Pforzheim
der Moschee einen Kronleuchter schenkte,
und sie regen sich heute darüber auf,
dass wir den Muslimen
einen gesegneten Ramadan wünschen.

Und wenn wir auf dem Marktplatz
ein multireligiöses Friedensgebet abhalten,
werden uns Bibelzitate an den Kopf geworfen.
„Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.
Niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ (Joh 14,6)

Da sei doch kein Platz für eine andere Religion.
Und kürzlich las ich in einem Leserbrief der PZ:
„Wir müssen den Islam zum Feind erklären“…
Was würde Jesus dazu sagen?

IV.
„Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch.“
Jesus sagt das zu den Stellenzitierern um ihn herum.
Gerade hat er am Teich Bethesda einen Kranken geheilt,
der lag schon 38 Jahre dort.
Das ist für sie ein Skandal.
Weil es am Sabbat geschehen ist.
Weil sich Jesus über die Gebote hinweggesetzt hat.
Und dabei behauptet er auch noch,
das alles geschehe im Einklang mit Gott.
Was maßt er sich an?
Wie kann der nur?
Der weiß doch, was in den Heiligen Schriften steht.
Und doch hält er sich nicht daran.
Ist ihm das egal?
Und sie glauben zu wissen, mit wem sie es zu tun haben.
Ein Gotteslästerer.
Ein Hochstapler.
Einer, der ignoriert, was ihnen heilig und wichtig ist.
Ganz bestimmt ist er kein Sohn Gottes.
Sie wissen, wie alles läuft
und wer er ist und wer er nicht ist.

V.
Ich erkenne mich in ihnen wieder.
Im Gegensatz zu ihnen gefällt mir zwar der Jesus,
der am Sabbat heilt, sehr gut.
Er entspricht dem Bild, das ich von ihm habe.
Dem Bild von dem Gott,
der sich als Vater, Sohn und Heiliger Geist zeigt:
er heilt, er schafft und nährt, er macht neu und liebt.
Er rettet, sucht, geht mit und tröstet.
Ja, so kenne ich Jesus.
So kenne ich Gott. Und so will ich ihn.

Aber dieser Jesus hier, der seine Gegner abkanzelt,
ist mir fremd.
Passt nicht in mein Bild.
Wie könnt ihr denn zum Glauben kommen?
Es geht euch doch nur darum,
dass einer dem anderen Herrlichkeit zugesteht!
Aber nach der Herrlichkeit, 

die der einzige Gott schenkt,
strebt ihr nicht.
Ihr braucht nicht zu denken, 

dass ich euch vor dem Vater anklagen werde.
Es ist vielmehr Mose, der euch anklagt –
Mose, auf den ihr eure Hoffnung gesetzt habt.


Harte, wütende Worte.
Du sprichst von Liebe, Jesus,
aber hier schlägst du nur noch um dich?
Und ich möchte dir deine eigenen Worte vorhalten.
Liebt eure Feinde.
Bittet für die, die euch verfolgen.
Selig sind die Sanftmütigen.

Gilt das für dich nicht?

Und schließlich weiß ich auch:
diese Wutsätze von dir hatten eine schreckliche Wirkung.
Sie waren für viele der Beweis,
dass Juden die Feinde der Christen seien.
Und selbst Mose würde sich gegen sein Volk richten.
Man hat diese Worte gelesen, die Bibel zugeklappt,
und dann Häuser von Juden angezündet.
Man hat selber die Liebe zu Gott vergessen.

VI.
Dabei bist du, Jesus, ja nicht wütend auf die Juden,
sondern auf alle, die Gott in ein Bild pressen.
Die ihn einsperren in die Buchdeckel der Bibel.
Und in Paragraphen und Gebote und Vorschriften.
Vielleicht bist auch wütend auf mich,
wenn ich dich nur sanft haben will,
aber wehe, du kommst mir zu nah
und wirst mal unbequem.
Jedenfalls scheint es dich zu nerven,
wenn wir lieber auf Nummer „sicher“ gehen,
kein Risiko eingehen und nicht anecken wollen.

Du sagst:
„Ihr habt keine Liebe zu Gott in euch.“
Liebe geht nicht ohne Risiko.
Die „Ich weiß wie alles läuft“-Nummer läuft nicht mehr.
Ihr könnt nicht einfach ein paar Bibelstellen zitieren
und dann ist alles klar.
Denn ihr seid selber gefordert.
Ihr - mit Haut und Haaren
und allen Poren und ganzer Seele.

Setzt euch aus.
Setzt euch der Liebe aus.
Denn ihr seid Gotteskinder.
Kinder der Freiheit,
die ihre Stimme erheben
gegen die Stellenzitierer und Rechthaberinnen,
gegen die Angstmacher und Hasspredigerinnen,
die mit der großen und Gesetze sprengenden Liebe
nichts anfangen können.

Erhebt eure Stimme
für die, die 38 Jahre am Teich Bethesda auf ein heilendes Wort warten,
für die Frau, die gesteinigt werden soll,
weil ihr Lebensstil unmoralisch ist.
Sprecht für die,
die für ihre Liebe zueinander auch in der Kirche Raum brauchen.
Nehmt eure Geschwister vor der Lüge in Schutz,
auch wenn sie anders glauben als ihr.
Und sucht mit ihnen den Weg des Friedens.

Ihr seid Gottes Kinder.
Lasst nicht zu,
dass Menschenrechte gegen Sicherheitsbedürfnisse ausgespielt
oder ausgerechnet die integrierten Asylbewerber abgeschoben werden.

Ihr seid Gottes Kinder.
Teilt euer Brot, weicht den Schmerzen nicht aus.
Und hört nicht auf zu hoffen
auf die Liebe, die in euch allen ist.

VII.
Jesus, ich bekenne:
ich weiß nicht, wie alles läuft.
Ich muss immer wieder neu suchen.
Dich.
Du passt in kein Bild.
Ich suche nach deiner Liebe.
Nach dieser Liebe, die kein Risiko scheut.
Will mich von ihr treiben lassen.
Ich will deine Worte nicht einsperren,
um sie anderen um die Ohren zu schlagen.
Niemals.
Ich will sie hören.
Und weitersagen.
Und dann lieben.
Mit vollem Risiko.

Amen.

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