Montag, 5. Juni 2017

Ein neuer Mitbewohner, der die Fenster aufreißt

Predigt zu Johannes 14, 23 bis 27
gehalten zu Pfingten in der Markuskirche in Pforzheim


I.
Begrüßt mit mir unseren Mitbewohner.
Gott, heiliger Geist, zieht bei dir ein und bei mir.
Er wohnt nun hier - bei uns.
Heute feiern wir sein Begrüßungsfest.
Herzlich Willkommen, Gott!
Herzlich willkommen in diesem Haus, in diesem Leben.
Willkommen heute -
an Pfingsten, dein Begrüßungsfest.
Du setzt die Welt ins Staunen und ziehst bei uns ein.

II.
Begrüßungsfest?
Hören wir auf Worte aus dem Johannesevangelium:
Jesus sprach: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten;
und mein Vater wird ihn lieben,
und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.
Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht.
Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort,
sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.
Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin.
Aber der Tröster, der Heilige Geist,
den mein Vater senden wird in meinem Namen,
der wird euch alles lehren
und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.
Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch.
Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt.
Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.


III.
Gott zieht bei den Jüngern und Jüngerinnen ein!
Und damit bei dir und bei mir.
Er ist kein Gast, den wir empfangen, bewirten,
an dessen Besuch wir uns freuen,
dann aber wieder tränenreichen Abschied nehmen müssen
und ihm lange nachwinken.
Gott ist kein vorübergehender Besuch,
wo wir hinterher nur ein paar Erinnerungsstücke aus den Ecken zusammensammeln.
Nein, Gott ist und bleibt da und füllt alle Ecken aus.
Der Himmel zieht auf die Erde.

Der Heilige Geist ist unser Mitbewohner geworden.
Kein Untermieter.
Kein befristeter Mietvertrag.
Nein, Hausbewohner.
Hier in der Markuskirche. Und drüben in der Thomaskirche.
Auf dem Wartbergturm.
Im Schwimmbad und im Bahnhof.
Und in den vielen Häusern und Wohnungen in Pforzheim
und rundherum auch.
In ganz besonders unseren Herzen.
Überall, wo Liebe gelebt wird.
Der Himmel hält Einzug in die bescheidenste Hütte.

IV.
Gott wohnt, wo man ihn einlässt - sagt Martin Buber.
Jesus sagt ähnlich:
Wer mich liebt, der wird mein Wort halten;
und mein Vater wird ihn lieben,
und wir werden zu ihm kommen 

und Wohnung bei ihm nehmen.
Liebe und Liebe üben -
das ist die Basis für die Wohngemeinschaft mit Gott.
Und das offene Herz.
Gott wohnt, wo Liebe ist und gelebt wird.

Aber wo Liebe fehlt, kommt er auch.
Gott sei Dank.
Da vielleicht sogar erst recht?
Mit unserer Liebe ist es ja oft nicht weit her.
Und unser Herz ist auch nicht immer offen.
Wie bei den ängstlichen Jüngern in Jerusalem,
die sogar ihre Türen verrammelt hatten.
Der heilige Geist kommt einfach,
setzt sich funkensprühend auf deinen Kopf
und braucht keine besonders heiligen Räume.
Er öffnet einfach dein Herz.

Euer Herz erschrecke nicht.
Sagt Jesus.
Mach dir keine Sorge, ob du gut genug bist, damit Gott bei dir wohnt.
Klug genug, fromm genug, liebevoll genug, fleißig genug...
Du bist genug.
Sein Geist macht dich fähig zur Liebe.
Und ob du willst oder nicht:
Gottes Umzug ist schon längst im Gange.
Die Kartons stehen vor deiner Tür.
Und er zieht dir sogar hinterher,
auch wenn du aus der Wohnung mit ihm ausziehen willst.
Öffne deine Tür.
Und feiere mit ihm.
Koch Kaffee, backe Kuchen mit Erdbeeren,
stell die Sektgläser auf den Tisch
und lass die Korken knallen.
Und den jesidischen Nachbarn
und die alte Dame von nebenan
holst du noch dazu.

V.
Pfingsten, das Begrüßungsfest für den Heiligen Geist.
Gott zieht bei uns ein.
Er zieht in die Kirche ein
und sogar in das Haus, das ich selber bin.
Ist mir eigentlich wohl bei dem Gedanken?
Es ist schließlich kein vorübergehendes Zelten Gottes.
Ich habe jetzt einen Dauermitbewohner.
Und wie bei jeder WG zeigt der Mitbewohner Seiten an sich,
die mir vielleicht nicht so gefallen.

O Schreck! Jetzt fängt er an zu putzen.
Der Heilige Geist stellt die Möbel um.
Und entdeckt dabei,
was da im Laufe der Jahre kaputt gegangen ist.
Nimmt mir die Politur aus der Hand
und reibt stattdessen Balsam auf die Risse und Sprünge.
Er kratzt den falschen Lack ab.
Holt hinterm Sofa hervor,
was ich versteckt hatte
und meinte, längst vergessen zu haben.
Wie unbequem und lästig, dieser pfingstliche Hausbewohner!

Er wird doch nicht auch noch in den Keller gehen?
Ich weiß nicht, ob mir das recht ist.
Das Kaputte soll schön im Untergrund bleiben.
Ich hatte mich so gut eingerichtet mit all den Dingen,
über die ich nicht mehr reden will.
Von wegen, sagt mein neuer Mitbewohner.
Damit ist jetzt Schluss,
mit den Mauern und den verschlossenen Türen.
Es weht nun ein ganz neuer Wind.
Und dann reißt er auch noch die Fenster auf.

Aber wenn ich ehrlich bin, gefällt mir das,
Der frische Wind bringt vieles durcheinander,
bringt er mich auf neue Gedanken.
Und ich atme ganz neu.

VI.
Gottes Geist ist sehr dynamischer Hausbewohner.
Er lässt sich nicht einsperren.
Weder von Kirchenmauern noch von Gemeindegrenzen.
Nicht von Landesgrenzen oder Moralvorstellungen
und auch nicht von Terroristen*.
Ihre Anschläge wollen mir Angst machen und die Zäune hoch.
Aber Gottes Geistkraft lässt das nicht zu.

Meine Zäune und die Verriegelungen
- mühsam installiert -
interessieren ihn gar nicht.
Gottes Geist weht einfach
hier
und in den Unterkünften im Eutinger Tal,
im EMMA,
an der Hochschule und im Kindergarten.
Und ganz besonders gerne auf Spielplätzen
und beim Christopher-Street-Day.

Er weht überall. Auch dort, wo ich es nicht für möglich halte.
Auf dem Kirchentag saß ich auf einem Podium
zusammen mit Politikern und einem Politikwissenschaftler.
Der christliche Politikwissenschaftler
wollte die Botschaft Jesu auf das Privatleben reduzieren.
Sie sei vor allem für die "Individualethik" gedacht,
nicht für "politische Ethik".
Und ausgerechnet der linke ungläubige Politiker ließ die Geisttaube wieder frei:
Er könne mit der Bergpredigt sehr viel anfangen -
auch als gesellschaftliche Leitlinie.
Ein Flattern von Taubenflügeln war förmlich zu hören.
Ja, der Heilige Geist wehte da vieles durcheinander auf dem politischen Podium.
Und ich staune.

Auf dem Rückweg saß ich im Zug neben einem 93jährigen Physiker,
der erzählte mir von seinen Aktivitäten in den 50ern,
als sich in Göttingen 18 Atomphysiker weigerten,
an einer deutschen Atombombe zu bauen
- obwohl Adenauer das wollte.
Und damit stoppten sie gefährliche Entwicklungen in Deutschland.
Und dann erzählte er, wie sie damals gemeinsam den eisernen Vorhang ignorierten,
sie kamen einfach mit Physikern aus aller Welt zusammen
- auch mit denen aus dem Osten.
Botschafter des Friedens - wenn schon die anderen das nicht schafften.
Ja, der Heilige Geist weht auch in der Physik.
Ganz bestimmt dort besonders.
Und ich staune.

Gottes Geist lässt sich einfach nicht einsperren,
nicht von einem Adenauer und auch nicht von mir.

VII.
Gott zieht bei uns ein. Heute.
Und er bringt den Himmel mit.
Und da gehört dann auch Abschied nehmen dazu,
Abschied davon, alles festhalten zu wollen.
Abschied von dem Bedürfnis, dass da einer für mich entscheidet.
Und von der Angst, ich könnte zu sehr gefordert sein.
 
Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.
Du brauchst keine Angst zu haben, 
dein Lebenshaus sei zu klein für Gott.
Oder es sei zu unordentlich.
Gott wird zum Einwohner in deinem Leben.
Er mag die Risse und die Fugen, die du verbergen willst.
Er bricht deine allzu engen Wohnverhältnisse auf
und lässt noch andere Menschen ein.

Er reißt die Türen und Fenster auf.
Der Sommer weht herein und wärmt deine Herzen und Füße.
Vielleicht bringt er auch einen Regenschauer mit.
Begrüße diesen Gottesgeist.
Stelle Kaffee und Erdbeerkuchen auf den Tisch.
Und die Sektgläser auch.
Und dann setzt ihr euch hin und habt es gut.
Himmel und Erde werden neu.
Nichts bleibt wie es ist.

Und der Friede, welcher höher ist als alle Vernunft,
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

Lied

1. Vorbei sind die Tränen, das Weinen, der Schmerz,
vorbei sind das Elend, der Hass und der Streit,
das Neue wird sein, gibt uns neue Kraft,
es ist da im Hier und im Jetzt. 

Refrain: Himmel und Erde werden neu, nichts bleibt wie es ist.
Himmel und Erde, Himmel und Erde bekommen ein neues Gesicht.

2. Vorbei ist die Herrschsucht, die fressende Macht,
die drohenden Fäuste sind nicht mehr geballt,
das Neue ist da, gibt uns neue Kraft,
es ist da im Hier und im Jetzt.

Refrain: Himmel und Erde werden neu, nichts bleibt wie es ist.
Himmel und Erde, Himmel und Erde bekommen ein neues Gesicht.

3. Gott wohnt bei uns Menschen, die Zeit ist erfüllt.
Gott wischt ab die Tränen, er tröstet, er lacht.
Gott macht alles neu, gibt uns neue Kraft,
ist bei uns im Hier und im Jetzt.

Refrain: Himmel und Erde werden neu, nichts bleibt wie es ist.
Himmel und Erde, Himmel und Erde bekommen ein neues Gesicht.

Text:       Lothar Teckemeyer
Melodie: Wolfgang Teichmann



* In der Nacht auf den Pfingstsonntag fand ein tödlicher Anschlag in der Londoner Innenstadt statt


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