Sonntag, 7. Mai 2017

Fußball, Pfützen und die tanzende Weisheit

Predigt zu Sprüche 8, 22 - 36

(mit besonderem Dank an Florian Kunz für die Hauptanregung zum Gedicht von Kurt Marti und für ein paar Formulierungen, die ich übernommen habe (v.a. Abschnitt III und die erste Hälfte von VI)

I.
Finde das Leben, Mensch.
Finde es hier oder 5 Kilometer weiter,
heute,
morgen oder in einer Woche.
Finde das Leben.
Lass dich von der Weisheit entführen.
Denn sie weiß, wo das Leben ist.
Und was es ist.
Denn von Anfang an war sie da.
In Urzeiten schon.

II.
In der Bibel lesen wir:
Der Herr hat mich schon gehabt im Anfang seiner Wege,
ehe er etwas schuf, von Anbeginn her.
Ich bin eingesetzt von Ewigkeit her,
im Anfang, ehe die Erde war.
Als die Tiefe noch nicht war, ward ich geboren,
als die Quellen noch nicht waren, die von Wasser fließen.
Ehe denn die Berge eingesenkt waren,
vor den Hügeln ward ich geboren,
als er die Erde noch nicht gemacht hatte
noch die Fluren darauf noch die Schollen des Erdbodens.
Als er die Himmel bereitete, war ich da,
als er den Kreis zog über der Tiefe,
als er die Wolken droben mächtig machte,
als er stark machte die Quellen der Tiefe,
als er dem Meer seine Grenze setzte
und den Wassern, dass sie nicht überschreiten seinen Befehl;
als er die Grundfesten der Erde legte,
da war ich beständig bei ihm;
ich war seine Lust täglich und spielte vor ihm allezeit;
ich spielte auf seinem Erdkreis
und hatte meine Lust an den Menschenkindern.

So hört nun auf mich, meine Söhne und Töchter!
Wohl denen, die meine Wege einhalten!
Hört die Zucht und werdet weise
und schlagt sie nicht in den Wind.
Wohl dem Menschen, der mir gehorcht,
dass er wache an meiner Tür täglich,
dass er hüte die Pfosten meiner Tore!
Wer mich findet, der findet das Leben
und erlangt Wohlgefallen vom Herrn.
Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben;
alle, die mich hassen, lieben den Tod.


III.
Finde das Leben, Mensch.
Folge der Weisheit.
Sie war im Anfang da... und die Weisheit war bei Gott.
War schon da bevor irgendwas da war
Alles war noch eine große Leerstelle,
eine Klammer ohne Inhalt.
Da war sie schon da, die Weisheit.
Noch bevor das Licht anging,
bevor Himmel und Erde wurden, was sie sind,
bevor sich Worte bildeten in den Herzen der Menschen,
bevor das Leben Klänge und Farben bekam.
Sie war da, bevor es Busfahrkarten und Streuselkuchen gab,
Liebesgedichte und Papierschiffchen,
Sommerregen und Schneeflocken.
Sie war schon da.

Im Anfang war die Weisheit ...
und die Weisheit war ein Kind,
Gottes Kind, erstes Geschöpf, sein Liebling.
Trägt viele Namen: Chochma, Sophia, Sapientia.
Und Sophia, die Weisheit, spielt. Und Gott mit ihr.
Beide erschaffen Neues.

IV.
Kurt Marti (aus: Die gesellige Gottheit)
Sie spielte vor dem Erschaffer

umspielte, was er geschaffen,

und schlug,
leicht hüpfend von Einfall zu Einfall,
neue Erschaffungen vor:


Warum nicht einen anmutig gekurvten Raum?
Warum nicht Myriaden pfiffiger Moleküle
Warum nicht schleierwehende Wirbel, Gase?
Oder Materie, schwebend, fliegend, rotierend?

So sei es, lachte Gott,
denn alles ist möglich,
doch muß Ordnung ins Ganze -
durch Schwerkraft zum Beispiel.
Dazu aber wünschte Sophia sich ebensoviel Leichtigkeit.

Da ersann Gott die Zeit.
Und Sophia klatschte in die Hände.



Sophia tanzte, 
leicht wie die Zeit,

zum wilden melodischen Urknall,

dem Wirbel, Bewegungen, Töne entsprangen,
Räume, Zukünfte, erste Vergangenheiten -
der kosmische Tanz, 
das sich freudig ausdehnende All.
Fröhlich streckte Sophia Gott die Arme entgegen.
Und Gott tanzte mit.


V.
Gestern schoss die Weisheit ein Tor. 
Das 2 zu 3 gegen Königsbach-Stein.
Sie umdribbelte zwei Gegenspieler
und zirkelte den Ball ins linke Eck.
Sie riss ihre Arme hoch und jubelte.
Und auf einmal waren alle anderen um sie herum
und freuten sich mit.
Auch Gott war dabei und jubelte laut.
Er spielt nicht gerne allein, sondern braucht Mitspieler.
Dich und mich.
Bei allem, was so entstehen soll.
Auch beim Fußball.

Die Weisheit liebt den Fußball.
Aber auch das Tanzen auf der Berlin-Klassenfahrt.
Leicht wie die Zeit mit Wirbeln und Bewegungen.
Mit einer Schwerkraft, die sie erdet.
Schaut nur genau hin.

Die Weisheit liebt es, mit Vollkaracho in Pfützen zu springen,
dass es nur so spritzt.
Noch mehr Spaß macht es mit anderen zusammen.
Gottes Weisheit ist gesellig.
Alle zusammen an den Händen -
zählen auf 1 - 2 - 3 und dann los.
Fast so schön wie der Urknall.
Der Schlamm sitzt dann überall, auch in den Haaren.
Und das ist es wert.

Die Weisheit liebt die Regenwürmer.
Wenn es geregnet hat, rennt sie schnell raus auf die Straße,
sammelt die Würmer auf, damit sie nicht überfahren werden.
Und sie staunt mit Gott darüber,
wie unterschiedlich kurz und lang so ein Regenwurm sein kann.
Und dass das Leben nicht nur leicht ist.

Die Weisheit baut leidenschaftlich gerne Sandburgen,
so nah wie möglich am Wasser,
damit es den Burggraben fluten kann.
Und am nächsten Morgen rennt die Weisheit hin
und schaut, ob die Burg noch da ist.
Vielleicht ist sie dann traurig, dass nur noch eine Ruine zu sehen ist.
Aber sie weiß, dass das eben so ist.
Die Zeit lässt sowas vergehen.
Erste Vergangenheiten werden sichtbar.
Nichts ist ewig, was wir erschaffen.
Aber die Weisheit erschafft weiter:
baut mit ihrem kleinen Bruder eine neue - noch schönere Burg.
Sammelt die Muscheln dafür und den Seetang.
Für das Spiel mit den Gezeiten.

VI.
Im Anfang war das Wort ... schreibt Johannes (1,1).
Der Logos, wie es im Griechischen heißt.
Logos, Sinn, Vernunft,
göttliche Weisheit und Inspiration.
Und darum wage ich mich weiter:

Im Anfang war die Weisheit,
und die Weisheit war bei Gott,
und Gott war die Weisheit.
Dieselbe war im Anfang bei Gott….

Und die Weisheit ward Fleisch
und wohnte unter uns, ...


Wird ein Mensch, wird ein Kind –
wie könnte es anders sein?
Die Weisheit liebt das, was da ist
und das was noch nicht da ist.
Sie heilt und tröstet, nimmt in den Arm und segnet.
Aus Erde und Speichel macht sie einen Brei.
Die Tische im Tempel wirft die Weisheit um.
Sie weint mit den Traurigen und lacht mit den Fröhlichen.
Mit Mirjam tanzt sie, deckt mit Marta den Tisch,
hört zu, was Maria sagt.
Und ist eins mit Gott.
Die Weisheit schreibt in den Sand.
Findet das Leben, ruft sie den Menschen zu.
Findet das Leben!

VII.
Liebe Weisheit,
komme zu mir. Erfülle mich.
Lehre mich tanzen und springen.
Ich will neugierig sein wie du.
Zeige mir die Wunder, die ich übersehe.
Lass mich staunen über den Regenwurm.
Schubse mich zum Marktplatz,
wo im Sprachenwirrwarr
die Kinder über die Wasserfontänen hüpfen.

Bewahre mich auch davor, abzustumpfen.
Ich will nicht denen auf den Leim gehen,
die es mit den Schwächsten nicht gut meinen
und die mit der Dummheit der Menschen spielen.
Gerade heute brauchen wir dich ganz besonders, Weisheit.*

Über die Toten lass mich weinen wie ein Kind.
Hilf mir, dass ich mich meiner Tränen nicht schäme.
Ich will sie sammeln im Krug und sie in Taten verwandeln.
In gute Taten. In einfache Taten.
Und auch in etwas Großes, wenn es nötig ist.
Liebe Weisheit, zeige mir, wie das geht.
Öffne mir die Räume des Lebens, die ich gestalten kann
- mit dir.

Ich will das Leben finden.
Mit dir, liebe Weisheit.
Ich finde es hier oder 5 Kilometer weiter,
heute,
morgen oder in einer Woche.
Ich will das Leben tanzen und feiern.
Mit dir, Weisheit, denn du weißt, was das Leben ist.
Von Anfang an warst du da.

Amen.


*) Heute wird in Pforzheim der zukünftige Oberbürgermeister gewählt (und es verspricht, spannend zu werden). Außerdem finden heute die Stichwahlen zur französischen Präsidentschaft statt, die große Auswirkungen auf die Zukunft Europas haben.

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