Sonntag, 16. April 2017

Alles ist da. In Emmaus und in Pforzheim auch.

Predigt zum Ostermontag über Lukas 24,13-35

(Danke an Thomas Hirsch-Hüffel für die entscheidende Anregung)

Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa sechzig Stadien entfernt; dessen Name ist Emmaus. Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten.
Und es geschah, als sie so redeten und einander fragten, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen. Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.
Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen. Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist?
Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und allem Volk; wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben.
Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist.
Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen,
haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe.
Und einige von denen, die mit uns waren, gingen hin zum Grab und fanden's so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.
Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben!
Musste nicht der Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?
Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften von ihm gesagt war.
Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hingingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen.
Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden, und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.
Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's ihnen.
Da wurden ihre Augen geöffnet, und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen.
Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, da er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?
Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren; die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und dem Simon erschienen. Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, da er das Brot brach.

I.
Alles da.
Es ist alles da in diesem einen Moment.
Die vielen Mahlzeiten mit ihm.
Das Brot in der Hand. Die Stücke, die er verteilt.
An alle, die da waren.
Und sie waren alle da.

In diesem einen Moment in einem Gasthof in Emmaus ist alles da.
Das letzte Mahl.
Der Abschied.
Der Tod. Aber vor allem die Liebe.
Auch die anderen sind da.
Der tote Judas, der sich so sehr verrannt hat in seine Idee,
und daran zerbrochen ist.
Die Frau mit dem Salböl, das sie für Jesus verschwendet.
Petrus ist auch dabei,
mit rotgeweinten Augen, in die er sich nicht schauen lässt.
Maria von Magdala ist da und verteilt den Wein.
Ihre Augen leuchten noch von der Begegnung am Grab.

Jetzt ist alles da. Hier.
Jesus ist da. Und bricht das Brot.
Keine Fragen mehr.
Nur noch da sein.
Mit offenen Augen und brennendem Herzen.

II.
Diese Momente, wo alles da ist.
Die du nicht erklären kannst, nur spüren.
Mir ging das so, als die Hebamme sagte:
„Ihre Tochter hat einen kleinen Sohn bekommen!“
Davor die bangen Stunden, weil es nicht so gut lief.
Die Sorgen ließen mich im Krankenhaus herumlaufen.
Mit klugen Argumenten versuchte ich mich zu besänftigen.
Aber das Herz war unruhig.
Und dann der eine Satz: Ihrer Tochter geht es gut. Und Ihrem Enkel auch.
Ein Moment, wo alles da ist.
Ich dachte daran, wie ich sie das erste Mal in den Armen hielt.
Und ihr 6.Geburtstag als Piratin.
Ihr Auftritt im Musical.
Und nach einem Jahr Amerika sie wieder zu umarmen.
Die langen Gespräche in den dänischen Dünen.
Auf ihrer Hochzeit sie segnen zu dürfen.
Ich dachte an meine Mutter, die das nicht mehr erleben konnte.
Alles das war da. In diesem einen Moment.
Ein Moment voller Liebe und Tränen und Nähe.

III.
Für Kleopas ist es dieser Moment im Gasthof von Emmaus.
Der Schmerz sitzt ihm noch in den Knochen.
Gefallen aus der Welt und er wusste nicht, was er noch denken konnte.
Jesus am Kreuz. War’s das jetzt?
Das kann es nicht gewesen sein.
Oder doch?

Laufen hilft. Nicht stillsitzen.
Und ihm half zu zweit zu laufen. Zusammen mit einem anderen.
Weg von diesem Ort der Gewalt. Weg vom Kreuz.
Wohin auch immer.

Woher der Dritte kam, weiß Kleopas nicht.
Er ging von dem ersten Brunnen hinter Jerusalem an mit ihnen.
Sie erzählten, weil er fragte.
Erst wollten sie nicht, dann lief es aus ihnen raus.
Man ist nicht bei sich in solchen Zeiten.
Aber es ist gut, dass jemand fragt. Und auch nicht locker lässt.

Und dann dieser Moment.
Im Gasthof von Emmaus.
Der Fremde nimmt das Brot und bricht es.
Es braucht keine Worte mehr. Nur das Brot.
Nur das, was zählt.
Ein Moment voller Liebe und Tränen und Nähe.
Alles ist da.

IV.
So ein Moment ist Gnade.
Denn du kannst ihn nicht machen,
nicht inszenieren.
Zauber, Magie, Wunder, Geschenk.
Alles Worte, die es doch nicht erfassen.
Weil es um Ewiges geht.
Um etwas, das größer ist als wir.

Mir kommen die Dortmund-Fans in den Sinn,
die nach dem Bombenanschlag auf den BVB-Bus
die Monaco-Fans zu sich nach Hause einladen
#BedforawayFans - dieser Hashtag - ein Moment, wo alles da ist.
Wo Liebe statt Hass regiert.
Und wo sie denen,
die den Flüchtlingen die Schuld geben wollen, ins Gesicht lachen.
Da ist Brot und Bier und Sprachenwirrwarr -
alles beieinander.
Und trotz Wut und Trauer und Fassungslosigkeit wurde gelacht und geküsst und geliebt.
Und es brauchte keine Worte mehr.

Erinnert ihr euch noch an die alte verwirrte Frau,
die am Sonntag vor der Vesperkirche hier in den Altarraum kam und dort blieb?
Sie rührte sich nicht von der Stelle.
Für mich war das so ein Moment, wo alles da war.
Sie war die, die eigentlich nicht hierher passte.
Und doch musste sie da sein.
Und in späteren Gottesdiensten kam sie auch.
Und da war sie wohl wirklich anstrengend. Und brauchte Hilfe.
Aber an diesem Sonntag war es für mich ein Moment, wo alles da war.
Sie wirkte so unverrückbar sicher, am richtigen Ort zu sein.
Liebe und Tränen und Nähe.

V.
So ein Moment ist Gnade.
Man kann ihn nicht erklären.
Was macht man damit?

Kleopas wacht auf aus seiner Starre und läuft los.
Läuft zurück nach Hause.
Geht zu den anderen und lebt diesen Moment.
Lässt sich davon leiten.
Und sein Herz füllen.
Und steckt damit die anderen an.
Leben,
spüren,
schmecken,
weinen
und lachen.
Und diesen Moment, wo alles da ist, erleben.

So möchte ich es auch tun.
Ich will die Momente, wo alles da ist, spüren, erkennen, sehen.
Meine Augen offen halten
und jede Faser meines Körpers darauf einstellen.

Das wird mich verletzlich machen.
Denn ich öffne mich ja.
Und das werden andere ausnutzen.
Aber das ist mir heute egal.

Denn ich weiß ja, dass dann Jesus bei mir ist.
Wenn ich Brot teile und mit Freunden Wein trinke.
Wenn ich mit meinem Enkel über den Boden krabble.
Er ist da, wenn ich über die Flüchtlinge auf dem Mittelmeer weine
und über die Folterlager für Homosexuelle in Tschetschenien.
Wenn mich die Bomben auf Afghanistan und in Syrien entsetzen.

Jesus ist bei mir gerade dann, wenn ich nicht mehr weiter weiß.
Wenn ich nur noch vor mich hinstammle
und blind das Weite suche wie Kleopas.

Auf einmal ist er da und spricht mit mir.
Ich erkenne ihn nicht.
Aber er ist da und wärmt mir das Herz.
Setzt sich mit mir hin und hört zu.
Sein Brot.
Sein Wort.
Seine Liebe.
Und Nähe.
In einem Moment und für die Ewigkeit.
Alles ist da.

Amen.










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