Sonntag, 2. April 2017

Keine Opfer mehr! Auch nicht für Gott....

Predigt zu 1.Mose (Genesis) 22, 1-13

I.
(Folgendes aus https://www.unicef.de/informieren/aktuelles/blog/2015/kindersoldaten-erzaehlen/72156)
Der Tag, an dem David ein Kindersoldat wurde, hatte begonnen wie jeder andere Tag.
Der 16-Jährige verabschiedete sich morgens von seinen Eltern in einem Dorf in Südsudan und ging zur Schule. Er kam nicht mehr zurück. Bewaffnete Männer überfielen die Schule und entführten David zusammen mit rund 100 Mitschülern. "Es ist eure Pflicht zu kämpfen und euren Stamm zu verteidigen" - sagte man ihnen. David lernte drei Monate lang in einem Trainingscamp das Kämpfen. „Am schlimmsten war, morgens um drei Uhr geweckt zu werden und bis mittags trainieren zu müssen. Wir haben nur drei Mal pro Woche etwas zu essen bekommen. Wenn du die Waffe nicht richtig bedienen konntest, wurdest du geschlagen. Ich hatte keine Wahl.”

David und die anderen Kindersoldaten wurden an die Front gebracht und gezwungen, zu kämpfen. Sie konnten es nicht ertragen. Gemeinsam planten sie, bei der ersten Gelegenheit zu fliehen – auch wenn das lebensgefährlich war. „Wir waren so verzweifelt“, sagt David.

Unter dem Vorwand, wie üblich Feuerholz zu suchen, flüchteten sich rund 100 Jungen in den Wald. „Wir haben unsere Waffen und Uniformen zurückgelassen“, erzählt David. Die meisten Jungen schlugen den Weg in Richtung Sudan ein. David und vier andere konnten sich nach Bentiu zu einem Stützpunkt der Vereinten Nationen durchschlagen, in dem Zehntausende Menschen Zuflucht vor der Gewalt suchen. David hatte Glück: Eine Familie im Camp hat ihn und zwei andere Teenager aufgenommen.

II.
Kinder werden geopfert.
Für Machtinteressen. Für den Krieg. Für den eigenen Wohlstand. Für den Ehrgeiz.
Und für die Religion.
Die meisten verlieren alles, was ihr Leben ausmacht:
ihre Kindheit und Jugend, ihre Familie, ihre Würde, ihre Zukunft.
Und manche haben Glück und überleben es.
Heute wie vor 3000 Jahren.
Und auch damals begann der Tag wie jeder andere Tag.

Ich lese aus dem 1.Buch Mose, im Kapitel 22:
Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm:
Abraham! 

Und er antwortete: Hier bin ich.
Und er sprach:
Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast,
und geh hin in das Land Morija
und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde.
Da stand Abraham früh am Morgen auf
und gürtete seinen Esel
und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak
und spaltete Holz zum Brandopfer,
machte sich auf
und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte.

Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf
und sah die Stätte von ferne.
Und Abraham sprach zu seinen Knechten:
Bleibt ihr hier mit dem Esel.
Ich und der Knabe wollen dorthin gehen,
und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen.
Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer
und legte es auf seinen Sohn Isaak.
Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand;
und gingen die beiden miteinander.
Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham:
Mein Vater!
Abraham antwortete:
Hier bin ich, mein Sohn.
Und er sprach:
Siehe, hier ist Feuer und Holz;
wo ist aber das Schaf zum Brandopfer?
Abraham antwortete:
Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.
Und gingen die beiden miteinander.

Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte,
baute Abraham dort einen Altar
und legte das Holz darauf
und band seinen Sohn Isaak,
legte ihn auf den Altar oben auf das Holz
und reckte seine Hand aus
und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete.
Da rief ihn der Engel des HERRN vom Himmel und sprach:
Abraham! Abraham!
Er antwortete: Hier bin ich.
Er sprach:
Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts;
denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest
und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen.
Da hob Abraham seine Augen auf
und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen
und ging hin und nahm den Widder
und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt.


III.
Auch Isaak hat Glück, dass er überlebt. Wie David.
Aber Abraham ist bereit, seinen Sohn zu opfern. Mit dem Messer in der Hand.
Und schon allein das lässt mir das Blut in den Adern gefrieren.
Wie kann Abraham so etwas tun?
Und was ist das für ein Gott, der so etwas befiehlt?
Will Gott solche Opfer? Die, die sich nicht wehren können?
Will Gott etwa auch, dass Kinder und Jugendliche zu Soldaten gemacht
und damit geopfert werden?
Und mit Entsetzen sehe ich:
diese Geschichte spiegelt auch wider, was wir Menschen einander antun.
Dass wir Menschen einander opfern,
dass das Leben von einzelnen oft so wenig zählt.
Oder was wir erleiden müssen an Verlusten.
Und nicht immer ist ein Engel zu Stelle und verhindert das Schlimmste.

Ich habe den Isaak vor Augen, der neben seinem schweigenden Vater läuft,
und er weiß nicht, was geschieht.
Ahnt er was?
Und was geht in ihm vor, als er auf den Altar gebunden wird?
Und danach.
Kann er seinem Vater überhaupt noch in die Augen sehen?
Hinterher reden sie kein Wort mehr miteinander.

Lied:
|: Sometimes I feel like a motherless child, :| 3x
a long way from home, a long way from home.
|: Sometimes I feel like I'm almost gone, :| 3x
a long way from home, a long way from home.



IV.
Wie kann Abraham so etwas tun?
Er will Gott gehorchen.
Stellt den Befehl Gottes nicht in Frage.
Warum nicht?

Mir lässt diese Frage keine Ruhe.
Viel zu gut wissen wir, welche schrecklichen Folgen blinder Gehorsam hat.
Außerdem sind wir doch keine willenlosen Marionetten eines tyrannischen Gottes!
Nein, wir sind das Ebenbild Gottes, ausgestattet mit Würde und Geist und freiem Willen -
und das alles dürfen wir uns nicht nehmen lassen.
„Ich habe nur meine Pflicht getan“ - genügt nicht.
Das hat noch nie genügt.

In solchen Momenten, wo Menschen geopfert werden sollen, müssen wir „Nein“ sagen.
Was hätte Sarah, Isaaks Mutter, getan, wenn sie den Befehl erhalten hätte?
Hätte sie sich überhaupt auf den Weg gemacht
oder hätte sie nicht vielmehr gelacht
und damit jedes Einschreiten des Engels überflüssig gemacht?
Und mir fallen Worte von Emil Fackenheim in die Hände,
ein jüdischer Philosoph:
„Abraham hat die Prüfung nicht bestanden.
Er ist durchgefallen.
Als Gott Abraham befahl, Isaak zu opfern, wollte Er Abrahams Weigerung.
Er wollte nicht ‚Ja‘, sondern ‚Nein‘.“
   
Wenn wir Menschen stark genug wären, Nein zu sagen, wo es nötig ist -
uns zu verweigern, wo Menschen geopfert werden sollen,
dann könnten viele Kriege und viel Leid verhindert werden.
Dann gäbe es keine motherless children mehr.
Und keinen Verrat an unseren Kindern.
Wo Flüchtlinge in Kriegsgebiete zurückgeschickt werden, braucht es mein Nein.
Wo Hass gesät wird
oder durch Brandanschläge Todesopfer in Kauf genommen werden:
Da muss mein Nein laut sein. Und klar.
Und zusammen mit deinem Nein wird es noch lauter und klarer.

V.
Ich denk‘, ich schreib‘ euch besser schon beizeiten

Und sag‘ euch heute schon endgültig ab.

Ihr braucht nicht lange Listen auszubreiten,

Um zu sehen, daß ich auch zwei Söhne hab‘.

Ich lieb‘ die beiden, das will ich euch sagen,

Mehr als mein Leben, als mein Augenlicht,

Und die, die werden keine Waffen tragen,

Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!
 

Ich habe sie die Achtung vor dem Leben,

Vor jeder Kreatur als höchsten Wert,

Ich habe sie Erbarmen und Vergeben

Und wo immer es ging, lieben gelehrt.

Nun werdet ihr sie nicht mit Haß verderben,

Kein Ziel und keine Ehre, keine Pflicht

Sind‘s wert, dafür zu töten und zu sterben,

Nein, meine Söhne geb‘ ich nicht!……

(Auszug aus Reinhard Mey: Nein, meine Söhne geb’ ich nicht - https://www.youtube.com/watch?v=e0qPsYTBCtQ)

VI.
Abraham hat kein Nein gesagt.
Aber hätte Gott sich das Nein gewünscht: warum macht er das nicht deutlicher?
Warum spielt er mit ihm wie mit Hiob?
Menschen sind doch keine Spielfiguren, die Gott mal eben austestet.
Nach dem Motto: Mal sehen, wie weit ich mit Abraham und Isaak gehen kann?
An so einen Gott kann und will ich nicht glauben.

Und doch - trotz aller Zweifel -  ist da auch etwas Wichtiges,
etwas erschreckend Vertrautes:
Hier zeigt sich ein Gott, der fremd ist, dunkel.
Ein Gott, an dem wir irre werden.
Weil er auf der falschen Seite steht.
Einer, dem Abraham seinen Sohn opfert
und mit ihm auch all seine Hoffnung und Zukunft,
die er auf Gott gesetzt hat.
Was bleibt da noch übrig an Glauben?
Ein Glaube, der unterzugehen droht…
Almost gone….
Ja, das ist die Erfahrung großer Gottesfinsternis,
mir vertraut und euch bestimmt auch -
wenn wir ihn und die Welt nicht mehr begreifen -
gar nicht mehr begreifen wollen,
weil sich Abgründe auftun, wenn wir an diesen Gott denken.
Und ihm darum am liebsten den Rücken zukehren würden.

VII.
Abraham wendet diesem Gott nicht seinen Rücken zu.
Vielleicht hätte er Nein sagen können oder sollen.
Aber vielleicht ist da doch mehr.
Ein Rest Hoffnung, den er nicht bereit ist, zu opfern.
Isaak fragt ihn - nichts ahnend, was mit ihm geschehen soll:
Vater, wo ist das Schaf zum Brandopfer?
Da antwortet Abraham: „Mein Sohn, Gott wird sich ein Schaf zum Brandopfer ersehen.“


Vielleicht weicht Abraham nur aus
oder vielleicht ist seine Antwort sogar zynisch.
Aber vielleicht - und das hoffe ich - steckt da wirklich der Rest Hoffnung drin,
den Abraham noch hat.
Die Hoffnung:
Am Ende ist Gott doch und immer noch der Freund,
der er bis zu diesem Tag gewesen ist.
Am Ende wird er den unmenschlichen Befehl zurücknehmen.
Am Ende sind hoffentlich weder Isaak noch Abraham motherless children.
Vielleicht ist es das, was Abraham nicht irre werden lässt.
Und ich hoffe, dass er nur darum diesen Weg geht.
Weil er an den barmherzigen Gott glaubt - gegen den gnadenlosen Gott.
Er hält daran fest:
die dunkle Seite Gottes, die ich hier zu sehen bekomme, kann nicht alles sein.
Das ist nicht mein Gott. Da ist noch mehr.
Und das ist stärker.

VIII.
Seine Hoffnung behält recht - Gott sei dank.
Und darum möchte ich die Geschichte von hinten her lesen und verstehen.
Denn letztlich macht dieser Schluss das Entscheidende klar:
Gott will kein Menschenopfer!

In der Umgebung Israels gab es Kinderopfer
und der Prophet Jeremia klagt noch im 6.Jahrhundert v.C. über Menschenopfer in Israel.
Abraham war also nur einer in einer langen Reihe, die für Gott töten.
Aber am Ende unserer Geschichte steht Gottes Nein da.
Gott selbst ist es, der am Ende den Mord an Isaak verhindert.
Und der ihn nicht motherless zurücklässt.

Dadurch rückt er auch zurecht, wie wir uns Gott ausmalen.
Gott zeigt sich als die Mutter, die das Leben will, nicht den Tod,
als ein Gegenüber, das von uns ein rechtzeitiges Nein erwartet.
Und das keine Opfer will, sondern lebendige Menschen -
Menschen, die lieben und essen und schlafen,
schreiben, malen und Musik machen,
die diskutieren, vertrauen und Kinder groß ziehen,
die traurig sind und fröhlich
und sich gegenseitig in die Augen schauen können.

Keine Opfer mehr!
Dies gilt für alle: für die Kinder und Jugendlichen,
die wie David als Soldaten ihre Kindheit, ihre Zukunft und ihr Leben verlieren.
Das gilt für die Opfer von Gewalt und Kriegen,
für die Opfer der Flucht über das Mittelmeer, die keine legalen Wege zu uns finden.
Alles das gehört abgeschafft.
Denn Gott selbst singt: Nein, meine Söhne, meine Töchter gebe ich nicht.

Und der Friede, welcher höher ist als all unsere Vernunft 
bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Amen.

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